Kreiskys Antisemitismus – eine verharmloste Tatsache

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„Wenn die Juden ein Volk sind, so ist es ein mieses Volk“ – diesen Satz, der seinerzeit hohe Wellen schlug, äußerte der damalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky 1975 in einem Interview mit dem israelischen Journalisten Zeev Barth.[1] Und er war nur einer von vielen einschlägigen Sagern und Anspielungen im öffentlichen bzw. halböffentlichen Raum, die man als antisemitisch und untragbar bewerten muss.[2] Dass die Empörung dennoch vor allem auf jüdischer und israelischer Seite, aber nicht so sehr bei der österreichischen Mehrheitsgesellschaft, selbst in liberalen Kreisen,  zu finden war, hing – wie noch zu zeigen sein wird –  auch damit zusammen, dass Kreisky selbst jüdisch war…

Von Monika Halbinger

Bild oben: Kreisky 1983, (c) SPÖ Presse und Kommunikation

Im Kontext dieser Äußerung lässt sich ein ganzes Bündel von Problemlagen benennen, die nicht nur Kreiskys Identitätsdilemma als österreichischer Jude nach 1945 zeigen, sondern vor allem Einblick in die mentalitätsgeschichtliche Verfasstheit der österreichischen Gesellschaft damals und heute geben.

Kreisky, Wiesenthal und die „Ehemaligen“: „Wer will denn ein paar hunderttausend kleinen Leuten vorwerfen, dass sie Nazis geworden sind?!

Der 1911 in Wien geborene Bruno Kreisky, Sozialdemokrat, Jude und Emigrant, wurde 1970 österreichischer Bundeskanzler, nachdem er zuvor schon als Staatssekretär (1953-1959) und als Außenminister (1961-1966) wirkte. Er war  nicht nur der längste regierende, sondern auch der populärste Bundeskanzler der Zweiten Republik. Seine bis 1983 dauernde Amtszeit wird gemeinhin als Ära des Aufbruchs und der gesellschaftlichen Modernisierung gesehen. Die häufig vorgebrachte Argumentation, dass man an der Beliebtheit Kreiskys erkennen könne, wie sehr sich die österreichische Gesellschaft verändert und Antisemitismus keinen nennenswerten Platz mehr habe, ist eher als naiv zu bewerten, wurde aber durch Kreiskys eigene Äußerungen noch bestärkt, wenn er z.B. meinte: „Wäre Österreich ein wirklich antisemitisches Land, dann wäre ich nicht so überaus lange Bundeskanzler gewesen.“[3] Tatsächlich war es  so, dass Kreisky selbst sekundärantisemitische Haltungen im Sinne einer Schuld- und Erinnerungsabwehr bediente[4] und  in diesem Kontext ein mehr als fragwürdiges Verhältnis zu ehemaligen Nationalsozialisten pflegte. Er sorgte sogar dafür, dass mehrere Ehemalige über viele Jahre hinweg unbehelligt politische Ämter ausüben konnten, unter dem Schutz des ersten jüdischen Bundeskanzlers der Zweiten Republik, was nicht einer gewissen tragischen Ironie entbehrte. Mit dem Regierungswechsel von 1970 holte Bruno Kreisky nämlich vier einstige Mitglieder der NSDAP, Hans Öllinger, Otto Rösch, Erwin Frühbauer und Josef Moser in die SPÖ-Minderheitsregierung.

Als Simon Wiesenthal, Leiter des „Jüdischen Dokumentationszentrums des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes“  die NS-Verstrickungen der Minister öffentlich machte und diese Aufsehen erregten, verweigerte sich der Regierungschef einer Aufklärung und wies die Vorwürfe mit der lapidaren Erklärung zurück, dass man niemandem seine Vergangenheit zum Vorwurf machen dürfe, solange keine konkrete Schuld nachweisbar sei.[5] Der damalige SPÖ-Generalsekretär und spätere Bürgermeister Wiens Leopold Gratz diffamierte das Dokumentationszentrum sogar als „private Femeorganisation“ und drohte ihm in diktatorischer Anmaßung mit Schließung.[6]

Der sich schon abzeichnende persönliche Konflikt zwischen Kreisky und Wiesenthal eskalierte 5 Jahre später in der Affäre um Friedrich Peter, den Obmann der deutschnational ausgerichteten FPÖ. Kreisky hatte sich im Zuge der Nationalratswahlen 1975 im Falle einer Wahlniederlage der SPÖ eine Koalition mit der FPÖ offengehalten.  Dieses angedachte Bündnis  war aber obsolet geworden, da die Sozialdemokraten wider Erwarten die absolute Mehrheit erringen konnten. Schon im Vorfeld hatte Simon Wiesenthal belastendes Material über Friedrich Peter beim damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger deponiert, um  gegebenenfalls die Angelobung einer SPÖ-FPÖ-Regierung verhindern zu können. Als sich diese Option zerschlug, ging Wiesenthal mit dem von ihm recherchierten Material dennoch an die Öffentlichkeit. Die Akten belegten die Zugehörigkeit Peters zur berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade, die für die Ermordung tausender Zivilisten an der Ostfront verantwortlich war. Für Kreisky war dies kein Grund, sich von Peter, der ja nun gar nicht zu seiner Regierung gehörte und insofern keinerlei Solidarität einfordern konnte, abzuwenden. Vielmehr griff er jetzt – ganz im Sinne der Täter-Opfer-Umkehr – Wiesenthal an, kaum ein antisemitisches Stereotyp auslassend, sprach von „Methoden einer Mafia“.[7]  Kreisky suggerierte sogar, dass Wiesenthal mit der Gestapo kollaboriert habe. So konnte man in der Wochenzeitung Profil den Abdruck einer Pressekonferenz nachlesen, in der Kreisky meinte: […] Meine Beziehung zur Gestapo ist eindeutig.  Ich war ihr Gefangener, ihr Häftling, und war beim Verhör. Seine Beziehung ist eine andere, so glaube ich zu wissen, und das wird sich klarstellen lassen.“[8]

Mit dieser untergriffigen Unterstellung konnte Kreisky die Mehrheit der Österreicher/innen hinter sich wissen. Und auch aus der eigenen Partei gab es so gut wie keine Proteste, allenfalls die Sozialistischen Freiheitskämpfer wagten offene Kritik.[9] Als Gegenpol zum antisemitischen Kurs der Kronen-Zeitung wagte es immerhin Peter Michael Lingens, Herausgeber und Chefredakteur von profil sowie ehemaliger Mitarbeiter Wiesenthals, Kreiskys Verhalten als „unmoralisch“ und „würdelos“ zu kritisieren: „Ich glaube, daß man die Österreicher auch mit ihrer Vergangenheit versöhnen kann, ohne sich SS-Leuten anzubiedern. Ohne Konzentrationslager zu verharmlosen. Und ohne Simon Wiesenthal unter Ausnützung antisemitischer Emotionen verächtlich zu machen.“ [10]

Wie sehr die antisemitische, von Kreisky beförderte Täter-Opfer-Umkehr jedoch gefruchtet hatte, belegte eine Umfrage von 1976, nach der 59 Prozent der Befragten der Aussage „Leute wie Wiesenthal haben in Österreich nichts verloren“ zustimmten.[11]  Während der Shoah-Überlebende Simon Wiesenthal kriminalisiert, aus dem österreichischen Wir-Kollektiv ausgeschlossen wurde und sogar von einem nicht unerheblichen Teil der österreichischen Bevölkerung seine „Vertreibung“, also eine zweite Verfolgung, gefordert wurde,[12] blieb der Täter Friedrich Peter unbehelligt. Dies war auch typisch für die Nachkriegszeit: den ehemaligen Tätern wurde mit Karriere und Wohlstand „gedankt“, während die ehemaligen Opfer diskreditiert wurden und weiterlitten. Simon Wiesenthal beschrieb diese Wochen der öffentlichen Auseinandersetzung mit Kreisky als die „schlimmste Zeit“, die er „seit dem Krieg erleben musste“.[13] Er sei ein „Aussätziger“ gewesen.

Häufig wurde darauf hingewiesen, dass Kreiskys Abneigung gegenüber Wiesenthal einen innerjüdischen Aspekt aufwies und mit den völlig unterschiedlichen jüdischen Sozialisationen sowie Erfahrungen zusammenhing.[14]  Kreisky war in der jüdischen Religion und Tradition nicht verwurzelt.[15]  Der 1911 in Wien geborene spätere Bundeskanzler entstammte einem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus kosmopolitischer Prägung. Die Familie lebte völlig assimiliert und war von ihrer jüdischen Herkunft letztlich schon entfremdet. Das Judentum wurde nicht gelebt und es gab auch kaum soziale Bindungen zu anderen Juden. Kreisky selbst  betonte, in seinem Leben „sehr wenige Freunde jüdischer Konfession“ gehabt zu haben, was er „klassenbedingt“ begründet, da er sich in Kreisen der Arbeiterjugend bewegt habe.[16] Interessanterweise scheint Kreisky hier Juden vor allem mit der bürgerlichen Sphäre zu verbinden.  Kreisky trat dann auch schon  am 13. Oktober 1931 als junger Mann aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus[17] und bezeichnete sich wiederholt als Agnostiker.[18]  Den Nationalsozialismus überlebte er im schwedischen Exil.  Vor dem Hintergrund seiner sozialistischen Sozialisation und liberal-aufgeklärten Selbstwahrnehmung, in der Religion keinen Platz hatte, betrachtete er das Judentum – dabei in antisemitischen Vorstellungen verhaftet –  als Vermächtnis der Vergangenheit, als „Ghetto“, aus dem man ausgebrochen war. Kreisky hatte es nie geschafft, für sich selbst eine positive jüdische Identität zu entwickeln.[19]

Wiesenthal hingegen stammte aus Galizien und überlebte insgesamt zwölf Konzentrationslager. Nach dem Krieg arbeitete er, dessen gesamte Familie in der Shoah ermordet wurde, im amerikanischen War Crimes Office, dessen Ziel die Strafverfolgung von NS-Tätern war. Später setzte er diese Arbeit in seinem Dokumentationszentrum des Bundes jüdischer Verfolgte des Naziregimes fort. Er war selbst nicht übermäßig fromm, aber doch jüdisch traditionell ausgerichtet. Wiesenthal wurde aufgrund seiner Herkunft dem Ostjudentum zugerechnet.  Gerade die akkulturierten Westjuden, zu denen auch Kreiskys Familie zählte, hegten bisweilen tiefe Ressentiments gegen die so sichtbaren, religiösen Ostjuden, in denen sich antijüdische Zuschreibungen wie Rückständigkeit und religiöser Fanatismus zu manifestieren schienen. Das sich selbst als aufgeklärt verstehende jüdische Bürgertum Wiens, das selbst gerade den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft hat, wollte nicht an die eigenen Traditionen und die eigene Herkunft erinnert werden, zumal man befürchtete, dass das so ostentativ jüdisch lebende Ostjudentum den überwunden geglaubten Antisemitismus wiederbeleben könnte.[20] Hinzu kam, dass Ostjuden im Wien der Jahrhundertwende  als arme, aus den östlichen Gebieten des Habsburgerreiches, wie z.B. Galizien, kommende Massen wahrgenommen und Zielscheibe antisemitischer Hetze wurden.[21] Ein Bild, das heutigen Wahrnehmungskonstrukten sogenannter „Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlingen“ nicht unähnlich ist. Das Ostjudentum war natürlich keine homogene Gruppe, sondern wurde vor allem durch die  klischeehafte Perzeption der nichtjüdischen aber auch assimilierten jüdischen Mehrheitsgesellschaft  konstruiert.[22]

Befürchtungen, dass Ostjuden die eigene gesellschaftliche Position infrage stellen könnte, mögen auch bei Kreisky eine Rolle gespielt haben. Auch wenn man bedenkt, wie vehement er immer wieder sein „Österreichertum“ betonte  und die tiefe Verwurzelung seiner Familie in Österreich, die vor allem mütterlicherseits über mehrere Generationen im Staatsdienst ihre Loyalität bewiesen hatten, unterstrich.

Kreiskys Abneigung gegenüber Wiesenthal hatte aber noch eine andere Komponente. Seine Nachsicht gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten mag auch  in seiner politischen Biographie begründet gewesen sein.  1935 wurde Kreisky wegen seiner sozialdemokratischen Aktivitäten  verhaftet, im Jahre 1936 im sogenannten Sozialistenprozess  verurteilt. Sein Studium konnte er erst 1938 wieder fortsetzen. Einen Tag nach dem „Anschluss“ legte er seine letzte Prüfung ab. Tags darauf wurde er von der Gestapo verhört und  inhaftiert, im August kam er unter der Bedingung, das Land  unverzüglich zu verlassen, frei. Über Dänemark gelang es ihm,  nach Schweden zu fliehen.

Für viele Sozialdemokraten war die Zeit des Bürgerkriegs zwischen 1934 und 1938 als traumatisches Ereignis im kollektiven Bewusstsein präsent geblieben, gar nicht so sehr der „Anschluss“ von 1938.  Als politscher Widersacher wurde vor allem der klerikale Austrofaschismus gesehen, der dem Nationalsozialismus den Weg bereitet habe.[23] Während der Zeit des Austrofaschismus waren sowohl Angehörige der nationalsozialistischen Partei als auch Sozialisten in die Illegalität abgedrängt worden und Anhänger beider Richtungen teilten sich sogar Gefängniszellen, wie das auch bei Kreisky der Fall war.[24] Dieser Umstand führte zu kuriosen Solidarisierungen und einer Art „Schicksalsgemeinschaft“ zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten, die auch noch in die Nachkriegszeit nachwirkte und einen sozialistischen Mythos kreierte , nachdem der Klerikalfaschismus von Dollfuss und Schuschnigg schlimmer und totalitärer als das Dritte Reich einzuschätzen seien. Kreisky deutete selbst an, dass diese biographische Erfahrung seine Sicht auf ehemalige Nationalsozialisten geprägt hatte,[25] ob sie aber wirklich Kreiskys Schonung politisch belasteter Personen oder seine teils kruden Feststellungen zum Nationalsozialismus zumindest ansatzweise erklären kann, bleibt dahingestellt. Jedenfalls bedienten auch hier seine Aussagen das Bedürfnis der österreichischen Mehrheitsbevölkerung nach Schuldentlastung: „Wer will denn ein paar hunderttausend kleinen Leuten vorwerfen, dass sie Nazis geworden sind? […] Wer kann sich zum Richter machen über die Menschen dieser Zeit?“[26]

Kreiskys konziliante Haltung korrespondierte mit der österreichischen Nachkriegspolitik,[27] die vor allem konsensorientiert war.  Alle  österreichischen Parteien (auch die SPÖ) verfolgten eine laxe Entnazifizierungspolitik, bei der keiner der „kleinen Nazis“, die man als Wähler keinesfalls verlieren wollte, vor den Kopf gestoßen werden sollte. Und letztlich hielt es Kreisky  „wie einstens Wiens Bürgermeister Lueger mit den Juden: wer Nazi ist, bestimmt er“.[28] Sein Verständnis für ehemalige Nationalsozialisten ging sogar soweit, dass Kreisky es nicht ausschloss, dass unter anderen Umständen auch er selbst ein „Faschist“ hätte werden können.[29] Die Vorstellung, dass auch Juden unter anderen Umständen zu Tätern geworden wären, war im rechtsradikalen Diskurs verbreitet, lenkte sie doch von der tatsächlichen Opferrolle ab, und machte Juden in einer Art vulgär-kontrafaktischen Geschichtsschreibung zu Verbrechern.

Es passt auch dazu, dass Kreisky den Nationalsozialismus häufig als „Hitlerei“ bezeichnete. und in sozialistischer Tradition nicht unüblich, unter dem Begriff des Faschismus einordnete.  Dahinter steht die heute in der Geschichtswissenschaft überholte Vorstellung, dass nur Hitler bzw. eine kleine Gruppe für die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich seien, es gibt also eine starke Fokussierung auf die Person Hitlers, während die Mehrheit der Bevölkerung unschuldig sei.[30] Der gesellschafts- und mentalitätshistorsche Kontext wird  im Konzept des „Hitlerismus“ weitgehend vernachlässigt. Darüber hinaus wird durch die Subsumierung des Nationalsozialismus unter den Faschismus seine Besonderheit negiert, und hier vor allem der eliminatorische Antisemitismus.

Dieser Ansatz konvenierte auch sehr gut mit der in der Nachkriegsgesellschaft weit verbreiteten  und für diese gewissermaßen konstituierende These von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus,[31] bei der die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus nicht vorgesehen war bzw. Bestandteil derselben war.[32]

Die Externalisierung des Nationalsozialismus[33] sollte eine Einigung der einander verfeindet gegenüberstehenden gesellschaftlichen Parteien und Gruppierungen ermöglichen und das Bürgerkriegstrauma überwinden lassen. Alle waren nun Opfer, gemeinsamer Leidensort der von den Nazis verfolgen ÖVP- und SPÖ-Politiker war das KZ. Der gesellschaftliche Konsens, der im „Geist der Lagerstraße“ beschworen wurde, wurde zum Ideal, um die gesellschaftliche Gräben zu überwinden und auch die unterschiedlichen Ausgangssituationen der politischen NS-Opfer zu nivellieren, schließlich waren sozialdemokratische Abgeordnete schon im austrofaschistischen Regime und somit ungleich länger als ÖVP-Politiker verfolgt worden. Juden waren allerdings aus diesem Opferkollektiv ausgeschlossen, was sich auch in Kreiskys eigenem Verfolgungsnarrativ niederschlug.

Kreisky, der 1938 von der Gestapo verhaftet wurde, sah sich vor dem Hintergrund seiner politischen Widerstandstätigkeit während des Austrofaschismus, vor allem als politisch Verfolgter und nicht als „rassisch Verfolgter“.  In einem Interview meinte er: „Ich habe meine Emigration nie als Folge meiner jüdischen Herkunft verstanden; ich wäre vielmehr ebenso verfolgt worden, wie ich ja auch schon vier Jahre vorher verfolgt worden bin: aus rein politischen Gründen. Mir fehlen also viele Erlebnisinhalte, die den rassisch verfolgten Juden zu eigen sind.“[34]  Diese Sichtweise ist bemerkenswert, da sich Kreisky von seiner jüdischen Identität distanziert. Tatsächlich wäre es ja so gewesen, dass Kreisky als Jude ohnehin verfolgt worden wäre, und zwar mit einem weitaus größeren Verfolgungs- und Vernichtungsdruck, als mit dem er als politisch Verfolgter konfrontiert war. Während die Zuschreibung „Jude“ den sicheren Tod bedeutete, war politisch Verfolgten die Lebensberechtigung nicht per se abgesprochen. Letztere konnten vielmehr ihre Leidenserfahrung sinnhaft deuten und ihre Widerstandstätigkeit als bewusste und freie Wahl interpretieren. Für „rassisch Verfolgte“ war das viel schwieriger. Ihre Leidenserfahrung war viel existentieller, was Kreisky in seinem Statement auch andeutet. Allerdings ist bei ihm auch gerade durch die Berufung auf die Überzeugung, die man auch hätte verbergen können, eine gewisse Höherwertigkeit impliziert. Und es ist auch erstaunlich, dass Kreisky seine unweigerliche Verfolgung als Jude weitgehend auszublenden scheint.

Kreisky und das Judentum: „… es liegt auch etwas in der jüdischen Religion, das mich sehr irritiert“

Kreisky hatte immer wieder erlebt, dass ihm seine Identität von außen zugeschrieben wurde, was ihn zutiefst traumatisiert haben musste. So wie ihm ging es vielen, die erst durch die Umwelt zum Juden gemacht wurden. Natürlich bleibt es in einer freien Gesellschaft jedem unbenommen, sich mit seiner Herkunftsgruppe nicht zu identifizieren. Interessanterweise richtete sich seine Aversion aber nicht gegenüber die nichtjüdische Umwelt, die in ihm ja auch immer den Juden sah, sondern gegen andere Juden, die ihn in seiner Sichtweise für ihre Sache instrumentalisieren wollten. Er wollte sich auf keinen Fall  vereinnahmen lassen, ließ dabei aber keine anderen jüdischen Identitätsentwürfe zu, d.h. Identitätsentwürfe, die einen positiven Bezug zum Staat Israel oder religiöse Observanz einschlossen.

Kreisky betonte zwar immer wieder, dass er seine Herkunft nicht verleugne, doch wenn er über sein Judentum positiv sprach, betonte er vor allem säkulare Werte wie Bildung und Intellektualität, die relativ allgemein gehalten waren und zudem sowohl philosemitisch als auch antisemitisch aufgeladen sein konnten.

Tatsächlich war seine religiöse Bildung nur rudimentär, bzw. gar nicht vorhanden. Äußerte er sich zum religiösen Judentum, brachte er es fertig, sogar antisemitische Vorurteile zu verbreiten. In einem Interview mit Herlinde Koelbl führte er aus: „… es liegt auch etwas in der jüdischen Religion, das mich sehr irritiert. Ich meine dieses Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Dies Prinzip war von vornherein unmoralisch. Abgesehen davon wird ja nicht einmal dieses Rechtsprinzip eingehalten. Den Palästinensern wird ja ein Vielfaches dessen, was sie getan haben, angetan.“[35] Den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit israelischer Reaktionen gegenüber palästinensischem Fehlverhalten verknüpft Kreisky mit einem falsch übersetzten und häufig von Antisemiten missbrauchten Vers aus der Torah  (Parascha Mischpatim, Schemot 21, 18-25), in dem sich die angebliche jüdische Rachsucht manifestieren soll (und bis heute in der Presseberichterstattung über Israel Verwendung findet). Vielmehr wäre die korrektere Übersetzung „Auge für Auge“ (Ajin tachat ajin). Das halachisch dahinter stehende Prinzip beinhaltet nur, dass eine Mensch, der einem anderen einen Schaden zugefügt hat, diesen finanziell zu entschädigen hat, also einen sehr modernen Grundsatz.[36]  Es ist erstaunlich, dass der sich sonst so informiert und gebildet gebende Kreisky diese antisemitische Chiffre so unreflektiert aufgriff. Gerade von israelischer Seite hätte wohl mancher gerne entgegnet: Lernen`s jüdische Religion, Herr Kreisky. Auch wenn sein Wissen diffus war, war sich Kreisky wahrscheinlich vieler religionsgesetzlicher Bestimmungen zumindest ansatzweise bewusst, wollte diesen aber in geradezu pubertär-provozierender Haltung auf keinen Fall entsprechen. Jüdischen diplomatischen Gästen ließ er dann auch gerne nichtkoscheres Essen servieren.[37]

 „Es gibt heute keinen Antisemitismus mehr in Österreich. Das wird den Leuten höchstens eingeredet.“

Bezeichnend war auch seine öffentliche Negierung des gegenwärtigen Antisemitismus. Die Ergebnisse einer Antisemitismus-Studie von 1973, wonach 70 Prozent der Österreicher antisemitische Einstellungen hatten, wies er mit folgendem Argument ab: „Es gibt heute keinen Antisemitismus mehr in Österreich“. Das wird den Leuten höchstens eingeredet. Ich habe nie irgendeinen Antisemitismus verspürt.“[38] Auch in seinen Memoiren schreibt Kreisky, dass er in seiner Kindheit nur einmal im Turnverein mit Antisemitismus konfrontiert gewesen sei, [39]  was angesichts der realen Gegebenheiten in Österreich dieser Zeit relativ unwahrscheinlich erscheint und wohl eher mit der Wahrnehmung eines Kindes bzw. der retrospektiven Konstruktion einer behüteten Kindheit zusammenhängen mag.

Denn Kreisky hatte durchaus Antisemitismus in seinem Leben erfahren und mitunter auch darüber berichtet, so z.B. über die alltäglichen pogromartigen antisemitischen Ausschreitungen von deutschnationalen und christlich-sozialen Studenten in der Universität Wien zur Zeit der Ersten Republik, die sogar vom völkisch-orientierten Rektorat befördert wurden.[40]   In seinen Memoiren erinnerte sich Kreisky, der ab 1929 in Wien Jus studierte, an diese Zeit: „Es war schlicht und einfach eine Hölle. Hörer, von denen man wußte, daß sie jüdischer Abkunft waren, oder die so aussahen, wurden immer wieder aus den Universitäten hinausgeprügelt. Man saß in einer Vorlesung, und plötzlich stürmte ein Haufen Nazistudenten in den Hörsaal – meist in Stiefeln -; sie sprangen auf die Bänke und riefen „Juden raus!“ und „Rote raus!“. Bei den Roten war die Herkunft natürlich nicht so deutlich sichtbar, aber wer von ihnen sich profiliert hatte, zählt unumstößlich zu den ersten Opfern der sogleich beginnenden Prügelei. War man aus dem Hörsaal einigermaßen heil heraus, stand das Schlimmste noch bevor. Auf den langen Gängen und auf den Stiegen pflegten die Nazis nämlich sogenannte Salzergassen zu bilden, durch die man hindurchgeprügelt wurde, bis man mit Müh und Not den Ausgang erreichte – meistens verletzt.“[41]

Im Antisemitismus sah Kreisky vor allem einen „soziologischen“ Grund: „die oft drastische Verarmung des Kleingewerbes einerseits und das Überhandnehmen der Industrialisierung durch jüdische Fabrikanten andererseits“. Er behauptet sogar, dass der Antisemitismus in Österreich zu Beginn des 20 Jahrhunderts „zu überwinden gewesen“ wäre, wenn es nicht Männer wie Karl Lueger und Adolf Hitler gegeben hätte.[42] Diese Sichtweise ignorierte die jahrhundertelange verfestigte Mentalität des Antisemitismus und auch seine soziohistorische Besonderheit, da er eben nicht – wie von ihm postuliert – eine Reaktion auf reale Gegebenheiten darstellt, was zudem die Schuld dafür „den Juden“ selbst zuschreibt. Aber auch in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg war Antisemitismus in mehr oder weniger latenter Form im Leben Kreiskys unmittelbar präsent, auch in seinem eigenen politischen Umfeld. Auch die österreichische Sozialdemokratie hat eine Geschichte des Antisemitismus aufzuweisen, so war z.B. in den 1930er Jahren die intellektuelle Parteispitze jüdischer Provenienz mit einer Reihe von Ressentiments konfrontiert, was auch nach 1945 noch nachwirkte, [43] und der Antikapitalismus war häufig auch antisemitisch konnotiert.

Kreisky kehrte erst 1951 aus der Emigration zurück und es gibt nach van Amerongen Hinweise, dass man ihm unmittelbar nach Kriegsende zu verstehen gab, dass er beim Wiederaufbau nicht erwünscht sei.[44] Als Kreisky 1953 das Außenamt übernehmen sollte, gab es Vorbehalte in der ÖVP, da er „als Volljude weder nach Israel noch in die VAR [Vereinigte Arabische Republik, damals Ägypten] fahren könnte.“[45] 1966 beschimpfte ihn der ÖVP-Abgeordnete Alois Scheibenreif im Wahlkampf als „Saujuden“, ohne dass dies für Scheibenreif irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte. Erst Monate später folgte eine Entschuldigung. [46] Im Wahlkampf 1970 warb die ÖVP  mit Wahlplakaten, auf denen ihr Kandidat Josef Klaus als „echter Österreicher“ bezeichnet wurde, was implizieren sollte, dass Kreisky eben keiner war. Den Antisemitismus in den Reihen der SPÖ versuchte er weitestgehend zu ignorieren und berichtete darüber erst in seinen Memoiren.[47]

Die öffentliche Leugnung des Antisemitismus durch Kreisky könnte nicht nur politischem Opportunismus  geschuldet sein, sondern auch etwas mit biographischer Selbstvergewisserung zu tun haben. Sonst wäre es erklärungsbedürftig, weshalb man als Jude in einem antisemitischen Land lebt. Auch hier sind Abwehrtendenzen gegenüber der Realität deutlich und letztlich ist das Bestreiten des existierenden Antisemitismus auch antisemitisch, wenn die realen Erfahrungen von Juden missachtet werden.

Kreisky und Israel: Es ist gar keine Frage, dass in der nazistischen Ideologie mit ihrer Auserwähltheit des deutschen Volkes […] etwas liegt, das parallel zu vielen jüdischen Vorstellungen liegt […]“

Auch Kreiskys Haltung gegenüber Israel, das sich durch seinen Antizionismus auszeichnete, passt in dieses Verweigerungskonstrukt.  Er, der – in Anlehnung an die Theorien Otto Bauers – die nationale Komponente jüdischer Identität nicht anerkannte und  immer wieder betonte, dass es sich bei Juden nur um eine Schicksalsgemeinschaft handle, konnte – auch wenn er das Existenzrecht Israels nie öffentlich bestritten hat – nichts Gutes im israelischen Staat erkennen und verbreitete sekundärantisemitische Vorstellungen. Besonders gerne spielte Kreisky mit begrifflichen Anspielungen, die Israel mit dem Nationalsozialismus assoziierten – eine Strategie, die im Rechtsradikalismus immer beliebt war, um die ehemaligen Opfer in die Nähe von Massenmördern zu rücken und sie letztlich wieder zu dehumanisieren bzw. auch die Menschheitsverbrechen der Nazis zu verharmlosen.  So sprach  Kreisky vom jüdischen Staat als „Groß-Israel“ und von „Reich“.[48]  Weiters beschuldigte er die „Zionisten“ die Assimilation zu bekämpfen und ein Interesse an der Existenz des Antisemitismus zu haben, da es für Juden sonst keine Motivation gäbe, nach Israel zu gehen.[49] In diesem typisch antisemitischen Diskursmuster werden Juden zu Tätern, die selbst am Antisemitismus Schuld hätten bzw. sogar als Zionisten davon profitieren würden.

Die Idee des Zionismus verglich er immer wieder mit dem Rassismus der Nazis. In einem Interview mit dem Spiegel-Mitarbeiter Elias Adel – es könnten noch unzählige ähnliche Aussagen Kreiskys angeführt werden,  meinte er: „Es ist gar keine Frage, daß in der nazistischen Ideologie mit ihrer These von der Auserwähltheit des deutschen Volkes, wie sie Hitler vertreten hat, etwas liegt, das parallel zu vielen jüdischen Vorstellungen liegt, wonach die Juden das auserwählte Volk sind“.[50] Auch hier zeigt sich Kreiskys Unkenntnis in religiös-jüdischen Belangen, da das Konzept der Auserwählung, das häufig von Antisemiten bewusst missverstanden wurde, etwas gänzlich anderes als das von Kreisky Intendierte meint. Nicht Überlegenheit, sondern moralische Verantwortung und die Verpflichtung zur Einhaltung der Tora-Gesetze bedeutet dieses religiöse Konzept. Generell war sein Verständnis vom Zionismus oberflächlich, was sich in seiner Annahme von einem rassistischen Gehalt des Zionismus widerspiegelte. Grundsätzlich sind die Idee des Zionismus und auch die Halacha (das jüdische Religionsgesetz) frei von rassistischen Inhalten,[51] was Kreisky aber immer wieder infrage stellte, gerade indem er glaubt die ethnische Vielfalt des Judentums darlegen zu müssen[52]. Kreisky bestritt den nationalen Charakter des Judentums fortwährend, was auch schon im eingangs zitierten Satz anklang, definierte dabei aber Nation – ganz im Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet – als ethnisch homogen.  In diesem Zusammenhang bedient er sich in seinen Memoiren der Chasaren-Legende, auch um die von ihm postulierte rassistische Grundlage des Zionismus zu dekonstruieren.[53] Dieser Theorie nach soll das Volk der Chasaren auf der Krim im 8. oder 9. Jahrhundert zum Judentum übergetreten sein. Somit stammten  die aschkenasischen Juden gar nicht ursprünglich aus Palästina. Diese Geschichte an sich ist recht harmlos. Das Judentum war immer sowohl eine Abstammungs- als auch eine Wahlgemeinschaft. Eine Konversion zum Judentum nach den Regeln der Halacha war immer möglich, auch wenn das Judentum nie missionierte.[54] Die Geschichte der Chasaren wurde allerdings von Antisemiten instrumentalisiert, um die Legitimität des jüdischen Staates infrage zu stellen, da die europäischen Juden demnach gar nichts in Israel zu suchen hätten. Der Historiker Shaul Stampfer konnte  in jahrelanger Forschung keinerlei Beweise oder auch nur Indizien  für diese Theorie finden, die man getrost ins Reich der Legenden verweisen darf.[55] Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass Kreisky für diese Geschichte, die schon immer umstritten war, recht empfänglich war.

Seine Abneigung gegen den Zionismus lebte Kreisky in Interviews offen aus. So bezeichnet er – ohne Rücksicht auf irgendwelche diplomatischen Gepflogenheiten – Israel als „Polizeistaat“ und  Araber als „Staatsbürger zweiter Klasse“, sprach von israelischer „Apartheidspolitik“.[56] Israelische Soldaten bezichtigte er des „Banditentums“ und sein Hieb gegen israelische Diplomaten, die am verhasstesten seien, ging noch mit der rassistischen Feststellung  einher: „Sie sind so schlecht wie die Afrikaner, die sind auch unerträgliche Menschen“.[57] Ganz abgesehen davon, dass Kreiskys Beschreibungen haltloser Unsinn waren, erstaunt die rüde Diktion eines führenden Politikers doch sehr.

Auch für das Leid der Juden in den arabischen Staaten machte er Israel durch seine reine Existenz verantwortlich, da dieses erst gefährdet gewesen sei, „als der Staat Israel geschaffen wurde und die Juden in Gegensatz zur arabischen Welt gerieten.“  Diese These führt er noch weiter und erkennt eine Gefahr für das heutige Israel, da die Juden aus den arabischen Staaten heute die Mehrheit der israelischen Bevölkerung stellen, während die Gründer Israels aufgrund ihrer zionistischen Ideologie zur Minderheit“ geworden seien. Die Gegensätze zwischen aschkenasischen und sephardischen Juden (Kreisky bezeichnet die Juden aus arabischen Staaten inkorrekterweise als Sepharden, er meinte wohl Mizrachim)  würden zu „heftigen innerisraelischen Kontroversen“ führen.[58] Die These von den tiefen Gräben zwischen den unterschiedlichen israelischen Bevölkerungsgruppen zieht sich durch die europäische Wahrnehmung Israels der letzten Jahrzehnte, sagt aber viel mehr über das europäische Selbstverständnis, das anscheinend gesellschaftlichen Pluralismus nicht denken kann, als über die tatsächlichen Gegebenheiten in Israel.

Kreiskys irrationale Ausfälle kristallisierten sich auch in der Person des israelischen Ministerpräsidenten Begin, den er als „kleinen politischen Krämer“ und „kleinen polnischen Advokaten aus Warschau, oder was er auch ist“ bezeichnete. Auch hier kam seine Animosität gegenüber Ostjuden zum Tragen, was er in einem Interview sogar offen und freimütig bekannte: „Sie sind dem Normalen so entfremdet, sie denken so verdreht, diese Ostjuden, weil sie nie politische Verantwortung hatten“.[59]

Kreisky entwickelte eine naiv-verklärte Vorliebe für den arabischen Sozialismus. Während er Juden  ihre Nationalität absprach, wollte er der arabischen Seite diese durchaus zubilligen. Die diskriminierenden und rassistischen Grundlagen des arabischen Nationalkonzepts kritisierte Kreisky nie. Er machte aber auch kein Hehl daraus, dass seine Fürsprache für arabische Interessen auch österreichischem Eigennutzen, insbesondere nach der Ölkrise 1973, geschuldet war.  Bereits Mitte der 70er Jahre befürwortete er die Schaffung eines Palästinenserstaates und machte Yassir Arafat salonfähig. Mit seinen außenpolitischen Aktivitäten im Nahen Osten versuchte sich Kreisky als internationaler Staatsmann zu profilieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Ben Segenreich hat darauf hingewiesen, dass Kreisky Arafat  schon hofierte, „als Terrormassaker an Kindergartenkindern und Buspassagieren noch das zentrale Element der palästinensischen >Politik< waren“[60]. Und schließlich erkannte das sonst so auf seine Neutralität bedachte Österreich  1980 als erster westlicher Staat die PLO an.

Gegenüber Opfern palästinensischen Terrors zeigte sich Kreisky schon auch mal gefühlskalt und ohne jegliche Empathie.  Als im August 1981 an einem Schabbat  palästinensische Terroristen  den Wiener Stadttempel in der Seitenstettengasse überfielen, wurden zwei Menschen ermordet, weitere  schwer verletzt. Als Kreisky wenig später dazu im Radio interviewt wurde, hatte  er nach den Erinnerungen Ben Segenreichs kein Wort des Mitgefühls für die Opfer gefunden. Vielmehr reagierte er gereizt und  erklärte, dass solche Zwischenfälle die unvermeidliche Folge der israelischen Politik wären.[61] Auch hier eine sekundärantisemitische Abwehrhaltung gegenüber der Realität.

Legt man Nathan Sharansky Konzept der 3Ds (Delegitimierung, Dämonisierung, Anlegen von Doppelstandards) zugrunde,[62] mit dessen Hilfe legitime Kritik an Israel von Antisemitismus unterschieden werden soll, müssen Kreiskys Ausfälle eindeutig als antisemitisch gewertet werden. Auch wenn er Israel nie das Existenzrecht absprach,  waren  seine Ausführungen mehr als geeignet den jüdischen Staat zumindest indirekt bzw. dessen moralische Legitimität in Frage zu stellen, gerade durch den Vorwurf des Rassismus und der Apartheid und nicht zuletzt durch sein in Abrede stellen jüdischer Nationalität.  Damit eng zusammen hängt auch die Dämonisierung Israels, das er vorwiegend in negativen Begrifflichkeiten beschrieb und mit dem Nationalsozialismus in Verbindung brachte. Dem Vorwurf,  Doppelstandards anzulegen, also andere Länder und Gesellschaften mit einem anderen Maßstab als Israel zu messen, versuchte er folgendermaßen entgegenzutreten: „Daß ich nicht immer und überall mit dem gleichen Engagement gegen die Ungerechtigkeiten dieser Zeit aufgetreten bin, hängt einzig und allein damit zusammen, daß Menschen meiner Gesinnung zu einer Art Arbeitsteilung finden müssen. Man kann nicht mit Effizienz für die Gleichberechtigung von Israelis und Palästinensern eintreten und sich gleichzeitig für die Farbigen in Südafrika einsetzen. Sicher, ich bin ein Gegner der Apartheid; aber soll dieser Kampf erfolgreich sein, so muß ich ihn jenen meiner Gesinnungsfreunde überlassen, die die besseren Voraussetzungen mitbringen. Wir können uns im Kampf um die Menschlichkeit nicht zersplittern, sonst nimmt man uns nicht ernst.“[63] Kreisky wiederholte in seiner Argumentation den absurden Vergleich der israelischen Gesellschaft mit dem südafrikanischen Apartheidsregime. Gerade aber die Gegenüberstellung Israels und die von Kreisky unterstützten arabischen Staaten hätten in Bezug auf Menschenrechte ein völlig anderes Bild ergeben.

Genau dies irritierte gerade viele Israelis. Während Kreisky Begin diffamierte, rühmte er den Patriotismus und Freiheitskampf von Arafat wie auch Gaddafi.  Grundsätzlich hatte Österreich als Täterland in Israel gar keinen so schlechten Ruf, hallte auch hier noch die These vom ersten Opfer nach. Und österreichische Geistesgeschichte, aber auch Populärkultur, wie beispielsweise die Sissi-Trilogie, waren in Israel äußerst beliebt. Auf Kreiskys Invektiven reagierten viele Israelis jedoch ungehalten und waren geneigt, sein Verhalten mit psychopathologischen Begrifflichkeiten zu beschreiben, sahen darin den Ausdruck jüdischen Selbsthasses[64] eines neurotischer Diaspora-Juden, der alles tat, um der bessere Nichtjude zu werden. Der damalige Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek, selbst Wiener Herkunft meinte, dass Kreisky „nur noch von einem Psychiater, wie es Alfred Adler oder Sigmund Freud war, geholfen werden [kann].“[65] In der Jerusalem Post vom 4. September 1978 konnte man als Reaktion auf Kreiskys Angriffe gegen Begin lesen:

„A depravity of mind is clearly indicated. That a socialist leader whose movement is largely the creation of East European Jews should hurl foul racist abuse at the Ostjuden; that an Austrian Chancellor, of all people, should employ unbridled nationalist invective at Israel`s Prime Minister is something that cannot be accounted for in rational terms”.[66]

Shimon Peres veröffentlichte seine Gedanken am 20. September 1978 in „Die Gemeinde“ dem Mitteilungsblatt der Wiener jüdischen Gemeinde. Er war erstaunt, dass, nun wo sich Juden endlich selbst verteidigen können, Herr Kreisky sie einer faschistischen Mentalität beschuldige.[67] Diese Verwunderung teilten viele Israelis. Hatte Kreisky nie darüber nachgedacht, dass er auch als Jude verfolgt worden war? Zahllose seiner  Verwandten wurden ermordet. Hatte er sich nie damit auseinandergesetzt, dass diese auch von Österreichern verfolgt und umgebracht worden waren, die 1938 in Massen auf dem Heldenplatz dem Einmarsch der Deutschen zugejubelt hatten.[68] Und dass ein Großteil der  Österreicher die Kapitulation nicht als Befreiung, sondern als Niederlage empfand? Hatte er nie darüber nachgedacht, welche Bedeutung Israel für Juden nach der Shoah hat, welche Bedeutung es für ihn selbst haben könnte, und dass der Staat Israel für ihn auch selbst eine Art „Lebensversicherung“ war?

Das israelische Erziehungsministerium brachte 1978 ein Lehrerhandbuch mit Diskussionsthemen für den Unterricht heraus, in dem unter anderem auch vorgeschlagen wurde, Bruno Kreisky als Beispiel für einen Juden, der seine Herkunft verleugnet, zu thematisieren.[69] Tatsächlich ist es auffällig, wie selten Kreisky über die Verfolgung innerhalb seiner eigenen Familie öffentlich gesprochen hat. In seinen Memoiren, am Ende des Kapitels über seine Kindheit, geht Kreisky einmal direkt auf die NS-Opfer in seiner Verwandtschaft ein: „Ich kann sagen, dass meine beiden Familien den Nazismus in seiner grauenhaftesten und umfassendsten Form erfahren haben und dass nur wenige von uns übrig geblieben sind.“ […] „von den mir Nahestehenden wurden so viele umgebracht, dass Zahlen mich nicht mehr interessieren.“[70] In der Gesamtbetrachtung scheint es Kreisky nicht möglich gewesen zu sein, den Zivilisationsbruch der Shoah in seiner gesamten Monstrosität – soweit das überhaupt möglich ist –  zu erkennen. Auch hier spielten Strategien von Realitätsverweigerung und Verdrängung eine Rolle, ohne die es ihm vermutlich nicht möglich gewesen seine Rolle als „guter Österreicher“ so perfekt auszufüllen.  Damit stand er auch im Gegensatz zur jüdischen Gemeinschaft Wiens,  die ihr Judentum bewusst lebte und für die Assimilation keine Option war. Auch hier wurde Kreisky eher als negatives Beispiel gesehen, suggerierte er zudem der jungen Generation, dass eine politische Karriere in Österreich nur mit der Leugnung ihres Judentums möglich sei. So wie Kreisky sich vom Judentum distanzierte, distanzierten sich viele Juden von Kreisky. Der Psychoanalytiker und Journalist Martin Engelberg erinnert sich, dass sein Vater ihn, als er Mitte der 1970er Jahre mit 14 Jahren zum ersten Mal alleine nach Israel fuhr, ermahnte: „Hör zu! Wenn dich jemand fragt, woher du kommst, dann sag, du bist aus der Schweiz, sonst redet dich jeder blöd an wegen dem Kreisky.“[71]

Kreiskys negative Zuschreibungen gegenüber Israel waren auch immer mit seiner Angst vor Vereinnahmung von jüdischer Seite begründet: „Ich habe nie versucht, mich von meinem Schicksal zu lösen, dass mir infolge meiner jüdischen Abstammung zuteil wurde. Ich habe immer in Österreich und in der Welt erklärt, wer ich bin. Aber in letzter Zeit habe ich eines erkannt: Nur die Juden fordern, dass man jedem von ihnen einen gelben Fleck anhaftet. Jeder Mensch jüdischer Abstammung  wird von den Juden zum Juden erklärt.“[72]Auch hier wird wieder deutlich, dass Kritik von Kreisky an „Juden“ häufig, und dies entbehrte nicht einer gewissen Zwanghaftigkeit, mit Begrifflichkeiten  in Verbindung gebracht wurde, die man mit der nationalsozialistischen Verfolgung assoziierte.

Sicherlich war es so, dass in Israel Kreisky „als einer von uns“ wahrgenommen und damit waren auch bestimmte Erwartungshaltungen verknüpft, die Kreisky allesamt enttäuschte. Er verweigert immer eine besondere Loyalität gegenüber dem Staat Israel. Dies begründete er auch immer mit seinen Verpflichtungen als österreichischer Politiker und entwickelte dabei einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem Vorwurf, er sei als Jude gewissermaßen befangen und stünde auf Seiten Israels.

Kreisky schrieb in seinen Memoiren: „Es wurde mir oft entgegengehalten, daß Leute wie Léon Blum oder Pièrre Mendès-France trotz ihres Patriotismus immer auch große Sympathien für Israel bekundeten. Ich will das nicht leugnen, aber auf der anderen Seite steht, daß ihre Leistungen für das Vaterland von vielen Landsleuten eben aus diesem Grunde doch nicht voll anerkannt wurden. Man kann viel übrig haben für die Israelis und den Aufbau ihres Landes, und man muß auch dafür darf nun einmal auch nicht den geringsten Zweifel an seiner Loyalität aufkommen lassen.“[73]

Diese Stellungnahme ist höchst entlarvend, da sie eigentlich einen Blick in Kreiskys innere Zerrissenheit zulässt. Er muss sich also doch antisemitischer Tendenzen gewahr gewesen sein, wenn er glaubte, dass schon alleine Sympathien für den Staat Israel ausreichen könnten, seine Treue gegenüber dem österreichischen Staat infrage zu stellen.[74] Dahinter steht der uralte antisemitische Topos, Juden würden einen „Staat im Staate“ bilden, [75] in dem Juden nur ihren eigenen Gesetzen gehorchen bzw. gegenüber der Umgebung feindselig eingestellt sein würden.

Kreisky schien mit einem ungeheuren Druck konfrontiert gewesen zu sein, seine „gelungene Assimilation“ unter Beweis zu stellen. Das Eingeständnis, dass das Konzept der Assimilation spätestens mit der Shoa gescheitert war und generell auch in einer modernen pluralen Gesellschaft  überholt sein sollte, konnte man von Kreisky nie hören, passte es doch nicht in sein Verständnis vom Österreichertum, das im Grunde genommen jüdische und österreichische Identität ausschloss. Kreisky hatte letztlich ein reaktionäres Identitätskonzept internalisiert, das eine eindeutige Identität, die in der Realität unmöglich ist, einfordert. Tatsächlich sind hybride Identitäten die Normalität und sollten auch als solche anerkannt werden, wofür es aber in der  österreichischen Gesellschaft der Nachkriegszeit  kein Bewusstsein gab.

Kreisky war deshalb immer bestrebt, österreichischer als alle anderen zu sein und dies auch zu beweisen. Zu diesem Zweck und bei passender Gelegenheit instrumentalisierte er sein Judentum auch  und legte dabei ein widersprüchliches Verhalten an den Tag. Einerseits forderte Kreisky, dass seine jüdische Herkunft (so bezeichnete er dies in der Regel, obgleich er natürlich halachisch  Jude war) irrelevant sein  sollte, thematisierte sie aber häufig und betonte auch, dass er sich aufgrund dieser Herkunft gegenüber Israel mehr herausnehmen könnte als ein Nichtjude. Hier konterkarierte er seinen Anspruch, dass diese keine Rolle spielen sollte.[76] Darüber hinaus nahm er implizit auch auf die sekundärantisemitische Vorstellung Bezug, Israel könne von Nichtjuden nicht kritisiert werden, was in der Realität fortwährend stattfand und stattfindet. Diese Konstruktion eines Kritik-Tabus[77] passt aber hervorragend in antijüdisches Verschwörungsdenken, das zudem eine Opferrolle derjenigen, die angeblich nicht kritisieren dürfen, konstruiert.

Die Rezeption Kreiskys in Österreich, wo es viele „mit Wohlgefallen sahen, dass jemand sie endlich von der Last ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu befreien versuchte“

Es ist gar nicht so verwunderlich, dass Kreisky gerade in neonazistischen Kreisen durchaus zweifelhafte Sympathien erworben hat, kam er doch den Exkulpationsbedürfnissen dieser Kreise durchweg entgegen und befriedigte deren sekundärantisemitische Weltsicht.[78] Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Kreisky teilweise selbst auch völkische Sichtweisen transportierte, z.B. wenn von „Wirtsvölkern“[79] usw. die Rede war, und auch wenn er versuchte, rassistisches Denken zu widerlegen, bediente er sich Vokabeln, wie „orientalisches Blut“, das sowohl in Aschkenasim als auch Sephardim stecke .[80]

Für viele Österreicher schien eine Distanzierung von ihrer NS-Sozialisation nun dank Kreisky gar nicht mehr nötig zu sein, war ihnen diese Diktion doch allzu vertraut. Die Vereinnahmung  Kreiskys ging auch noch über seinen Tod 1990 hinaus. So wurden in der rechtsextremen Presse eine Reihe wohlwollender Nachrufe auf Kreisky veröffentlicht, in denen sein Umgang mit der NS-Vergangenheit ebenso hervorgehoben wurde, wie auch seine „unvoreingenommene“ Sicht auf Israel.[81] Auch Jörg Haider hat sich immer wieder positiv auf ihn bezogen und sich als Erbe Kreiskys stilisiert.[82]

Andererseits war es aber auch so, dass Kreisky durch seine Biographie als Emigrant gerade auch bei jungen progressiven Leuten ein positives Image hatte. Er galt als unbelastet und verkörperte gewissermaßen das „gute Österreich“.[83] Kreisky diente als Identifikationsfigur und Projektionsfläche, wurde philosemitisch aufgeladen vor allem als Inbegriff des  großbürgerlich intellektuellen Juden wahrgenommen. Seine patriarchale Art machte ihn generell zu einer Art Vaterersatz für Personen mit unterschiedlichster politischer Ausrichtung, zuweilen auch etwas monarchistisch grundiert, was durch Kreiskys eigene Sentimentalitäten gegenüber dem Habsburgerreich noch verstärkt wurde. Simon Wiesenthal beschrieb, dass  „selbst kritische Intellektuelle […] an den Lippen des >Sonnenkönigs<, wie er allgemein genannt wurde“, hingen. Die Bevölkerung habe zu ihm aufgesehen „wie zu Vater, Kaiser und Gott zugleich“.[84]

Kreisky fungierte sicherlich als „Entlastungsjude“[85], der gerade durch seine versöhnliche Haltung, die als Kontrast zum antisemitischen Stereotyp des „unversöhnlichen Juden“ wahrgenommen wurde, weite Bevölkerungskreise ansprach. Denn selbst in liberalen Milieus war häufig eine tiefe familiäre Verstrickung in den Nationalsozialismus gegeben und Kreiskys Nachsicht gegenüber Belasteten wurde auch dort mit Erleichterung aufgenommen, auch wenn man sich selbst vom Nationalsozialismus distanzierte.  Und Kreiskys Antisemitismus wurde häufig nicht als solcher wahrgenommen. In der verqueren Logik vieler konnte ein Jude sich ja gar nicht antisemitisch äußern. Kreisky „kascherte“ gewissermaßen den Antisemitismus als jüdischer Kronzeuge und ermöglichte es den Österreichern, ihre eigenen Ansichten bestätigt und sich selbst von jedem Antisemitismus frei zu sehen. Insofern konnte man sehr gut Antisemit sein und gleichzeitig SPÖ und damit Kreisky wählen. Mit seiner Hilfe konnte latent vorhandene, oft unterdrückte antisemitische Ressentiments kanalisiert werden, ohne dass man zwangsläufig unter Antisemitismus-Verdacht geriet. Kreisky wurde als „Alibijude“ instrumentalisiert und ließ sich auch instrumentalisieren.

Simon Wiesenthal hatte in der Auseinandersetzung mit Kreisky es auch mit Bitterkeit realisiert, dass die meisten Österreicher „es mit Wohlgefallen sahen, dass jemand sie endlich von der Last ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu befreien versuchte, und wer wäre geeigneter für diese Aufgabe gewesen als ein jüdischer Regierungschef?“[86]

Kreisky gilt als einer der „großen Österreicher“ des 20. Jahrhunderts und seine Popularität ist bis heute ungebrochen.  Er wird in Artikel als „Lichtgestalt“ bezeichnet, die Annäherungen an ihn sind fast hagiographisch.[87] Seine große Beliebtheit wird auch immer mit den in seiner Regierungszeit durchgesetzten politischen Errungenschaften im Sozial- und Bildungsbereich begründet, von denen viele Österreicher profitierten. Teilweise wird sein Wirken in diesen Bereichen aber auch verklärt, denn bei näherer Betrachtung  hatte sich die SPÖ gerade unter Kreisky „von einer sozialistischen Partei in eine bürgerliche Partei mit Arbeiteranhang gewandelt“, wie der Journalist Martin van Amerongen schon Ende der 1970er Jahre kritisierte.  Konservativismus, Karrierestreben und Opportunismus würden dominieren. Österreich sei „ungeachtet der Alleinregierung der Sozialisten, eines der konservativsten Länder Europas geblieben“.

Weitaus schwerwiegender ist aber folgende Tatsache: Kreisky hat den in Österreich tief verfestigten Antisemitismus bedient und legitimiert. Er hat wie kein anderer europäischer Staatsmann seiner Zeit gegen den Staat Israel gehetzt. Viele seiner Haltungen sind von Irrationalismus getragen. Für viele Österreicher war er sicherlich der perfekte Kanzler, der sie selbst exkulpierte und Juden bzw. Israelis zu Tätern erklärte. Und auch im Verdrängen seiner eigenen Familiengeschichte und der Leugnung des österreichischen Antisemitismus unterschied er sich nicht allzu sehr von vielen anderen nichtjüdischen Österreichern.

Zwar werden diese Aspekte in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Kreisky wohl thematisiert, und der Historiker Peter Berger beispielsweise bezeichnete die Auseinandersetzung Kreiskys mit Wiesenthal als  „den moralischen Tiefpunkt der Kreisky-Ära“.[88] Frappierend ist aber die bis heute anhaltende Scheu, Kreiskys Aussagen im allgemein-gesellschaftlichen Diskurs als das zu benennen, was sie sind, nämlich antisemitisch. Es ist befremdlich, dass Kreisky immer noch so sakrosankt ist,  und seine Person nicht in einem zeithistorischen Kontext diskutiert wird. Gegenüber seinen Ausfällen herrscht eine verstörende Nachsicht. Sie werden allenfalls als  „Schönheitsfehler“ verharmlost.[89] Seine vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal zutage getretene Abneigung gegen die sogenannten Ostjuden sowie sein Entgegenkommen gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten wird häufig aus seiner Biographie heraus erklärt, aber nicht bewertet. Selbstkritisches und reflektiertes Verhalten wird von Kreisky auch in der Rückschau nicht eingefordert.

Die vorherrschende positive Gesamtbewertung Kreiskys bis heute zeigt, dass die Auseinandersetzung und der Umgang mit dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus im breiten gesellschaftlichen Bewusstsein lediglich als untergeordneter Aspekt angesehen wird und nicht als  Lackmustest für die Demokratie, als zentraler Punkt für die Schaffung einer modernen, pluralen und offenen Gesellschaft, in der die Anerkennung von Differenz selbstverständlich ist .

Dabei wäre diese Auseinandersetzung auch  wichtig gewesen, um den Deutschnationalismus einzudämmen. Kreisky hatte zwar großen Anteil an Ausbildung einer österreichischen nationalen Identität, [90] die die  Abgrenzung zu Deutschland beinhaltete,[91] aber diese blieb, und das wird heute deutlich, doch recht oberflächlich  und wenig anhaltend. Eine wirkliche intellektuelle Auseinandersetzung in der Gesellschaft fand nicht statt, das zeigte sich dann auch Jahre später in der Waldheim-Affäre[92] und im Aufstieg der FPÖ.[93] Ein wichtiges Element des Deutschnationalen, von dem sich Kreisky ja mit der Betonung seiner österreichischen Identität auch absetzen wollte, führte er aber fort und das war der Antisemitismus, den er ohne Not zelebrierte. Letztlich bot Kreisky für so viele österreichische Bedürfnisse eine Projektionsfläche, dass er als idealer Regierungschef der 2. Republik in die Geschichte eingehen konnte.

Unabhängig von seiner ganz persönlichen Identitätsproblematik hatte Kreisky eine politische Verantwortung als österreichischer Bundeskanzler. Diese Verantwortung hatte er oft genug betont, gerade in Abwehr eines Vorwurfs der doppelten Loyalität. Die mit dieser Verantwortung verbundene politisch-moralische Erwartung an Kreisky, sich solidarisch mit Israel zu zeigen, und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu führen, hatte nichts mit seiner jüdischen Identität zu tun. Dieser Erwartung hätte er sich in seiner Rolle als Regierungschefs eines Landes, das maßgeblich in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war, stellen müssen. Dies hat Kreisky aber nicht getan. Es wäre an der Zeit, sich in der heutigen Rezeption Kreiskys mit  dieser Verweigerung und seinem Antisemitismus  auseinanderzusetzen. Und diese Rezeption, für die Kreisky nichts mehr kann, sagt sehr viel über aktuelle gesellschaftliche Befindlichkeiten aus.

Monika Halbinger, geb. 1974, studierte Jüdische Geschichte, Soziologie und Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In ihren Arbeiten hat sie sich immer wieder mit dem Antisemitismus der Nachkriegszeit in Deutschland und Österreich beschäftigt.

[1] Der Spiegel vom 17. November 1975, S. 22.

[2]Kreisky behauptete später, der Satz sei am Ende des Interviews gefallen und nicht für  die Veröffentlichung bestimmt gewesen. Während des Interviews war Kreisky ohnehin schon mit dem interviewenden Journalisten aneinandergeraten und  hatte ihm „Verhörmethoden“ vorgeworfen. Seine Abschlussbemerkung sollte das Gespräch noch eine auflockernde witzige Wendung geben, um die ohnehin aufgeheizten Interviewsituation zu entschärfen. Viele empfanden diese Bemerkung aber eher als unangemessen, denn als ironisch, wie von Kreisky angeblich intendiert. Vgl. Ingrid Böhler, „Wenn die Juden ein Volk sind, so ist es ein mieses Volk“. Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, in: Michael Gehler/Hubert Sickinger (Hrsg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Thaur 1995, S. 502-531, hier: S. 513.

[3] Interview mit Bruno Kreisky in: Profil, 15. Februar 1988, S. 7, zitiert nach: Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 21.

[4] Vor allem – aber nicht nur – in den ehemaligen „Täterländern“ Deutschland und Österreich entwickelte sich ein spezifischer „Antisemitismus nach Auschwitz“, der sogar zu einem „Antisemitismus wegen Auschwitz“ wurde. Für dieses Phänomen entwickelte die Frankfurter Schule das Konzept des „sekundären Antisemitismus“. Dieser zeichnet sich vor allem durch die Erinnerungs- und Verantwortungsabwehr in Bezug auf den von Deutschen und Österreichern begangenen Völkermord an den Juden aus. Dennoch ist dieser sekundäre Antisemitismus gar nicht so neu. Vielmehr trägt er sehr viele strukturelle Grundlagen des modernen, primären Antisemitismus in sich, wie z.B. eine gewisse Gefühlskälte und eine Unfähigkeit, sich mit der Realität auseinander zu setzen. Zudem sind die Stereotypen, in denen sich der sekundäre Antisemitismus heute zeigt, kulturhistorisch betrachtet sehr alt und greifen mentalitätsgeschichtlich tradierte Bilder auf  („jüdische Macht“, jüdische Unversöhnlichkeit).

[5] Zitiert nach: Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 21. Zur Causa Öllinger siehe: Doris Sottopietra/Maria Wirth: Ehemalige NationalsozialistInnen in der SPÖ eine quantitative und qualitative Untersuchung, in: Maria Mesner (Hrsg.), Entnazifizierung zwischen politischem Anspruch. Parteienkonkurrenz und Kaltem Krieg. Das Beispiel der SPÖ, Wien 2005, S. 266-334, hier: S. 317ff.

[6] Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 21.

[7] Profil vom 18. November 1975, S. 22. Zur Causa insgesamt siehe die detaillierte Rekonstruktion von Ingrid Böhler, „Wenn die Juden ein Volk sind, so ist es ein mieses Volk“. Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, in: Michael Gehler/Hubert Sickinger (Hrsg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Thaur 1995, S. 502-531, hier: S. 510 f. Bereits im Juli 1970 im Zuge der Enthüllungen der NS-Vergangenheit einiger Minister seines Kabinetts  hatte Kreisky Wiesenthal in einem Interview mit einer niederländischen sozialistischen Zeitung einen jüdischen Faschisten genannt. Vrij Niederland vom 1. Juli 1975, zitiert nach Robert S. Wistrich: The Kreisky Phenomenon. A Reassessment, in ders: (Hrsg.): Austrians and Jews in the Twentieth Century. From Franz Joseph zu Waldheim, New York 1992, S. 234-251, hier: S. 241.

[8] Profil vom 18. November 1975, S. 22. Obgleich Kreisky im Dezember 1975 seine Beschuldigungen gegenüber Wiesenthal zurücknahm, wiederholte er den Vorwurf der Kollaboration mit der Gestapo noch zwei weitere Male in den Jahren 1981 und 1986. Vgl. Hella Pick: Simon Wiesenthal. Eine Biographie, Reinbek bei Hamburg 1997, S.377.

[9] Margit Reiter, Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah, Innsbruck u.a. 2001, S. 43f.

[10] Profil vom 21. Oktober 1975, S. 19.

[11] Peter hatte zugegeben, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, eine Beteiligung an Erschießungen stritt er jedoch ab.

[12] Kreisky hatte im Zuge der Auseinandersetzung selbst noch geäußert: „Der Mann muß verschwinden.“, siehe: Profil vom 18. November 1975, S. 22.

[13] Simon Wiesenthal: Recht , nicht Rache. Erinnerungen, 1988 Frankfurt am Main/Berlin, S. 366.

[14] Dieser innerjüdische Aspekt führte dann auch dazu, dass der Konflikt teilweise als innerjüdische Angelegenheit wahrgenommen wurde, in der man keine Stellung beziehen wollte. Siehe Ingrid Böhler, „Wenn die Juden ein Volk sind, so ist es ein mieses Volk“. Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, in: Michael Gehler/Hubert Sickinger (Hrsg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Thaur 1995, S. 502-531, hier: S. 530.

[15] Hanna Semer, die Chefredakteurin der israelischen Tageszeitung „Davar“  berichtete in einem Interview mit der österreichischen Journalistin Barbara Taufar, dass Kreisky ihr erzählt habe, dass ihm sein Großvater  lediglich gelehrt habe, die hebräischen Buchstaben wenigstens entziffern zu können.  Sonst habe er vom Judentum keine Ahnung gehabt. Vgl. Wolfgang Petritsch:  Bruno Kreisky. Die Biografie, St. Pölten/Salzburg 2010:  S. 27.

[16] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 280.

[17] Wolfgang Petritsch:  Bruno Kreisky. Die Biografie, St. Pölten/Salzburg 2010, S. 29. Siehe auch die jüdischen Matriken auf genteam.at: http://genteam.at/index.php?option=com_db53&id=92122&limitstart=0&n=kreisky&v=bruno&view=detail&lang=de

[18] Siehe bspw. Herlinde Koelbl: Jüdische Portraits, Frankfurt am Main 1998, S. 196.

[19] Privat soll er sich allerdings über jüdische Belange häufig sehr  warmherzig geäußert haben. Vgl. Karin Stögner:  Bruno Kreisky. Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalsozialismus, in: Anton Pelinka/Hubert Sickinger/Karin Stögner: Kreisky. Haider. Bruchlinien österreichischer Identität, S. 25-110, hier:  S. 47.

[20] Diese Annahme verkennt den irrationalen Charakter des Antisemitismus. Antisemitismus hat eben nichts mit dem realen Verhalten von Juden zu tun.

[21] Zum Feindbild „Ostjude“, das sich in Wien seit den 1880er Jahren entwickelte und von populistisch-antisemitischen Politikern instrumentalisiert wurde,  siehe: Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 2000, S. 473ff. Ostjuden wurden dabei kriminalisiert und als öffentliche Gefahr dargestellt.

[22] Es gab aber auch „Westjuden“, die eine gewisse Faszination für die ostjüdische Kultur entwickelten, schien es doch als das „authentische“ Judentum, das in der eigenen Familie längst verloren gegangen war. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Franz Kafka.

[23] Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986, S. 290.

[24] Siehe Herlinde Koelbl: Jüdische Portraits, Frankfurt am Main 1998, S. 196.

[25] Ebd.

[26] Ebd., S. 266.

[27] Vgl. Dieter Stiefel:  Entnazifizierung in Österreich, Wien/München 1981.

[28] Weltwoche vom 15. Oktober 1975, zitiert nach Ingrid Böhler, „Wenn die Juden ein Volk sind, so ist es ein mieses Volk“. Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, in: Michael Gehler/Hubert Sickinger (Hrsg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Thaur 1995, S. 502-531, hier: S. 526.

[29] Interview mit Bruno Kreisky in: Profil vom 21. April 1986, S. 26.

[30] Siehe zur Forschungsdiskussion: Eintrag:  Intentionalisten vs. Strukturalisten, in: Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007, S. 217ff.

[31] Bereits in der Moskauer Deklaration von 1943 wurde die Mitverantwortung Österreichs an den nationalsozialistischen Verbrechen genannt sowie Konsequenzen in der Nachkriegszeit angedroht. In der österreichischen Unabhängigkeitserklärung vom 27.4.1945 fand dieser Passus keinen Niederschlag. Zu den unterschiedlichen Varianten der Opferthese, z.B. Österreich als Opfer Deutschlands, Österreicher als Opfer des Nationalsozialismus, des 2. Weltkriegs usw., siehe Gerhard Botz: Geschichte und kollektives Gedächtnis in der Zweiten Republik. „Opferthese“, „Lebenslüge“ und „Geschichtstabu“ in der Zeitgeschichtsschreibung, in: Wolfgang Kos/Georg Riegele (Hrsg.): Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996, S. 51-85, hier: S. 57.

[32] Siehe hierzu die hervorragende Studie von Barbara Serloth: Von Opfern, Tätern und jenen dazwischen. Wie Antisemitismus die Zweite Republik mitbegründete, Wien 2016.

[33] Zur Externaliserungsthese, nach der die Verantwortung für den Nationalsozialismus auf Deutschland alleine übertragen wurde siehe: Gerhard Botz: Geschichte und kollektives Gedächtnis in der Zweiten Republik. „Opferthese“, „Lebenslüge“ und „Geschichtstabu“ in der Zeitgeschichtsschreibung, in: Wolfgang Kos/Georg Riegele (Hrsg.): Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996, S. 51-85, hier: S. 60f.

[34] Bruno Kreisky: Die Zeit, in der wir leben. Betrachtungen zur internationalen Politik, München 1981,  S. 49.

[35] Herlinde Koelbl: Jüdische Portraits, Frankfurt am Main 1998, S. 201.

[36] Eine kurze Einführung zu diesem Thema liefert der Essay von Rabbinerin A. Yael Deusel: Ajin tachat ajin http://www.lehrhaus-bamberg.de/wp-content/uploads/2014/05/Ajin-tachat-ajin.pdf [zuletzt abgerufen am 19.11.2016]. Dahinter steht auch die antijüdische Vorstellung eines alttestamentarischen Gottes der Rache, der in Gegensatz zum neutestamentarischen Gott der Vergebung gedacht und  im christlichen Weltbild noch sehr präsent ist.  Siehe auch: Wolfgang Benz: Was ist Antisemitismus?, Bonn 2004, S. 305.

[37] Siehe Karin Stögner:  Bruno Kreisky. Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalsozialismus, in: Anton Pelinka/Hubert Sickinger/Karin Stögner: Kreisky. Haider. Bruchlinien österreichischer Identität, S. 25-110, hier: S. 44.

[38] Profil, 9. November 1973, S. 30. zitiert nach: Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier:  S.33.

[39] Vgl. Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 279.

[40] Zur Universität Wien als ambivalenten Ort der Inklusion aber auch Exklusion für Juden: Werner Hanak (Hrsg.): Die Universität. Eine Kampfzone, Wien 2015, S. 124.

[41] Bruno Kreisky, Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986, S.171/173.

[42] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988,  S. 277.

[43] Leopold Spira. Feindbild „Jud“. 100 Jahre politischer Antisemitismus in Österreich, Wien/München 1981, S. 109-111; Margit Reiter, Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah, Innsbruck/Wien/München, S.36-45 und 323-331

[44] Vgl. Martin van Amerongen: Kreisky und seine unbewältigte Vergangenheit, Graz/Wien /Köln 1977, S. 46.

Generell wurde Remigranten in der SPÖ nicht unbedingt Solidarität und Verantwortungsbewusstsein entgegengebracht.  Van Amerongen zitiert Julius Braunthal , einen führenden Vorkriegssozialdemokraten,  der in seinem Buch „The Tragedy of Austria“schrieb: „In dem ersten Schreiben, das die Führer der wiedererstandenen Österreichischen Sozialistischen Partei an ihre geflohenen und im Ausland lebenden Kameraden (darunter viele Juden) sandten, wurde unverblümt festgestellt, daß die Rückkehr einer großen Zahl von Juden nach Österreich mit Besorgnis aufgefaßt werden würde.“

[45] Zitiert nach: Oliver Rathkolb: Bruno Kreisky aus der Sicht der Zeitgeschichtsforschung, in: Werner Gatty/Gerhard Schmid/Maria Steiner/Doris Wiesinger (Hrsg.): Die Ära Kreisky. Österreich im Wandel  1970-1983, Innsbruck 1997, S. 125-137, hier S. 129.

[46] Karin Stögner:  Bruno Kreisky. Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalsozialismus, in: Anton Pelinka/Hubert Sickinger/Karin Stögner: Kreisky. Haider. Bruchlinien österreichischer Identität, S. 25-110, hier:  S. 97.

[47] Ebd. S. 105f.

[48] Interview von James Dorsey für die holländische Zeitung „Trouw“, in: Die Furche, 18. September 1978, auszugsweise abgedruckt in:  Bruno Kreisky: Das Nahost-Problem. Reden, Kommentare, Interviews, Wien/München/Zürich 1985, S.51-53,  hier: S. 52.

[49] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 295.

[50] Zitiert nach: Karin Stögner:  Bruno Kreisky. Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalsozialismus, in: Anton Pelinka/Hubert Sickinger/Karin Stögner: Kreisky. Haider. Bruchlinien österreichischer Identität, S. 25-110, hier: S. 78.

[51] Im Judentum ist man sich durchaus der eigenen ethnischen Vielfalt bewusst, was gerade im multikulturellen und in jeder Hinsicht Diversität fördernden Charakter des Staates Israel zum Tragen kommt.

[52] S. 293. Kreisky versuchte hier einen Sachverhalt darzulegen, der im Judentum ohnehin unstrittig ist.

[53] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 290.

[54] Dies hängt unter anderem auch mit der jüdischen Überzeugung zusammen, dass man – sehr vereinfacht gesprochen – nicht Jude sein muss, um am Ende der Tage Erlösung zu finden.

[55] Ulrich Sahm:  Das Chasaren-Märchen, in: Jüdische Allgemeine vom 3.7.2014 http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19555 [zuletzt abgerufen am 19.11.2016]

[56] Interview von James Dorsey für die holländische Zeitung „Trouw“, in: Die Furche, 18. September 1978, auszugsweise abgedruckt in:  Bruno Kreisky: Das Nahost-Problem. Reden, Kommentare, Interviews, Wien/München/Zürich 1985, S.51-53,  hier: S. 52f.

[57] Robert Wistrich: The Strange Case of Bruno Kreisky,  in: Encounter Mai 1979, S. 78-85, hier: S. 78.

[58] Ebd. S. 294.

[59] Interview von James Dorsey für die holländische Zeitung „Trouw“, in: Die Furche, 18. September 1978, auszugsweise abgedruckt in:  Bruno Kreisky: Das Nahost-Problem. Reden, Kommentare, Interviews, Wien/München/Zürich 1985, S.51-53, hier: S.52. Ähnliche Probleme mit Begin hatte auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, dessen Umgang  mit  seiner jüdischen Herkunft – ein Großvater war Jude – auch keineswegs  widerspruchsfrei und positiv war.

[60] Ben Segenreich: „Der hat einen jüdischen Vogel gehabt“. Bruno Kreiskys komplexe Beziehung zu Israel, in: Gisela Dachs (Hrsg.): Deutsche, Israelis und Palästinenser. Ein schwieriges Verhältnis, Heidelberg 1999, S. 250-261, hier: S. 256.

[61] Ebd., S. 253.

[62] Natan Sharansky: 3D Test of Anti-Semitism: Demonization, Double Standards, Delegitimization, in: Jewish Political Studies Review16:3-4, Fall 2004 http://www.jcpa.org/phas/phas-sharansky-f04.htm [zuletzt abgerufen am 19.11.2016].

[63] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 296.

[64] Der SPIEGEL Nr. 37 vom 11. September 1978, S. 142/144/145 „Schlage uns Bruno, wir sind Deine Trommel“. Ephraim Kishon antwortet auf die anti-israelischen Äußerungen des österreichischen Kanzlers Kreisky. Kreisky selbst wies den Vorwurf des Selbsthasses immer zurück. Siehe Herlinde Koelbl: Jüdische Portraits, Frankfurt am Main 1998,  S. 141.

[65] Die Welt vom 6. September 1978, zitiert nach: nach Robert Wistrich: The Kreisky Phenomenon: A Reassessment, in: in ders: (Hrsg.): Austrians and Jews in the Twentieth Century. From Franz Joseph zu Waldheim, New York 1992, S. 234-251, hier: 248 FN 21.

[66] Robert Wistrich: The Strange Case of Bruno Kreisky,  in: Encounter Mai 1979, S. 78-85, hier: S. 79

[67] Ebd. S. 80.

[68] Stögner hat darauf hingewiesen, dass Kreisky Widerstand mit Zuhausebleiben gleichsetzte und somit einen großen Teil der Österreicher im Widerstand imaginieren konnte. Vgl. Karin Stögner:  Bruno Kreisky. Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalsozialismus, in: Anton Pelinka/Hubert Sickinger/Karin Stögner: Kreisky. Haider. Bruchlinien österreichischer Identität, S. 25-110, hier:  S. 57. Natürlich hatte die Opferthese Österreichs im tatsächlichen Widerstand, z.B. von kommunistischer Seite einen Wahrheitsgehalt, allerdings wurde dieser Widerstand in seiner tatsächlichen Bedeutung überzeichnet.

[69] Tom Segev:  Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 630f.

[70] Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986, S, 98f.

[71] Martin Engelberg: Unser Schmerz mit Kreisky, in: Die Presse vom 21. Jänner 2011 http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/627332/Judische-Perspektive_Unser-Schmerz-mit-Kreisky

[72] Interview in Haaretz, zit. nach Arbeiter-Zeitung, 5.Oktober 1984, in: Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 25.

[73] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 295.

[74] In einem Gespräch mit Shimon Peres berichtete Kreisky von einem Vorfall auf einer Parteiversammlung, als ihm jemand aus dem Publikum während seiner Rede entgegenrief: „Was glauben Sie, was das hier ist – ein Kibbuz?“ zitiert nach: Karin Stögner:  Bruno Kreisky. Antisemitismus und der österreichische Umgang mit dem Nationalsozialismus, in: Anton Pelinka/Hubert Sickinger/Karin Stögner: Kreisky. Haider. Bruchlinien österreichischer Identität, S. 25-110, hier:  S. 84.

[75] Ursprünglich auch auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, wie z.B. die Jesuiten, angewandt, erfolgte durch Johann Gottlieb Fichte im historischen Kontext der Emanzipationsdebatten die Einführung dieses Slogans in den Kanon antisemitischer Vorwürfe durch seine 1793 anonym veröffentlichte Schrift „Beitrag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums über die französische Revolution“. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Topos weit verbreitet. Diese antisemitische Vorstellung ist vor allem von Jacob Katz eingehend untersucht worden, siehe: Jacob Katz: A State within a State. The History of an Anti-Semitic Slogan, in: Jacob Katz: Zur Assimilation und Emanzipation der Juden. Ausgewählte Schriften, Darmstadt 1982, S. 124-153.  Allgemein siehe: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 3 Begriffe, Theorien, Ideologien, München 2010, S. 307ff. Selbst heute noch wird in transnationalen Konfliktlagen von gesellschaftlichen Gruppen, die als fremd,  nicht uneingeschränkt dazugehörig konstruiert werden und sogar als „Gäste“ angesprochen werden, Loyalität eingefordert, wie z.B. bei Österreichern und Deutschen türkischer Herkunft. Vorstellungen, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert haben, sind also immer noch präsent.

[76] Vgl. Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 26.

[77] Zum angeblichen Kritiktabu siehe: Peter Widmann: Israelkritik und Antisemitismus, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Der Hass gegen die Juden. Dimensionen und Formen des Antisemitismus, Berlin 2008, S. 137-158, hier: S. 141f.

[78] Robert Wistrich hat darauf aufmerksam gemacht, dass Kreisky in der Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal  von rechtsradikaler Seite gefeiert wurde und gewissermaßen  zum „Ehrenarier“ avancierte, z.B. „Kann Kreisky Wiesenthal stoppen?, Deutsche National-Zeitung vom 7. November 1975. Zitiert nach Robert Wistrich: The Kreisky Phenomenon: A Reassessment, in: in ders: (Hrsg.): Austrians and Jews in the Twentieth Century. From Franz Joseph zu Waldheim, New York 1992, S. 234-251, hier: S. 243.

[79] Bruno Kreisky:  Im Strom der Politik, Erfahrungen eines Europäers, Berlin 1988, S. 286.

[80] Ebd. S. 287.

[81] Deutsche National-Zeitung, 28. September 1990, Andreas Mölzer: Österreichs letzter Weltpolitiker, In Aula Nr. 9, 1990, S. 13, zitiert nach: Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 35. Auch aktuell gibt es Versuche von rechter Seite, Juden medienwirksam zu vereinnahmen. Der muslimische Antisemitismus wird dabei instrumentalisiert, um sich als „Beschützer“ der Juden inszenieren zu können. Der  Antisemitismus in den eigenen Reihen bleibt dabei undiskutiert. Aktuelles Beispiel ist ein Podiumsgespräch der FPÖ  im Gedenken an die Novemberpogrome von 1938. Vgl. Alexia Weiss: Vereinnahmung, 7.11.2016 http://www.wienerzeitung.at/meinungen/blogs/juedisch_leben/854789_Vereinnahmung.html

[82] Margit Reiter: Jörg Haider als Erbe Kreiskys? in Phase 2, Nr. 31/2009 Reiter betont, dass für Kreisky die Versöhnung mit Abkehr vom nationalsozialistischen Gedankengut verknüpft war, bei Haider habe es allerdings nie eine Distanzierung gegeben. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass aber auch Kreisky durchaus Antisemitismus transportiert hat.  

[83] Margit Reiter: Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis , Innsbruck 2005, S. 105f.

[84] Simon Wiesenthal: Recht , nicht Rache. Erinnerungen, 1988 Frankfurt am Main/Berlin, S. 366.

[85] Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S. 33.

[86] Tom Segev, Simon Wiesenthal. Die Biographie, München 2010, S. 310.

[87] Dies ist sogar der Fall, wenn man sich um Distanz bemüht. Siehe z.B. den Interviewband: Helene Maiman: Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe, Wien 2011. Auch wenn „undifferenzierte Lobhudeleien“ keinen Platz haben sollen (Franz Vranitzky in seinem Vorwort S.7), sind die Beiträge wenig kritisch.  Zur Notwendigkeit der Mythifizierung Kreiskys entegegenzutreten: Oliver Rathkolb: Bruno Kreisky aus der Sicht der Zeitgeschichtsforschung, S. 125-137, hier: S. 135, in: Werner Gatty/Gehard Schmid/Maria Steiner/Doris Wiesinger (Hrsg.): Die Ära Kreisky. Österreich im Wandel 1970-1983, Innsbruck 1997.

[88] Peter Berger: Kurze Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, Wien 2007, S. 356.

[89] Margit Reiter, Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah, Innsbruck u.a. 2001, S. 43f. Selbst wenn Kreiskys Haltung in der Auseinandersetzung mit Wiesenthal verurteilt wurde, kam es aber letztlich doch zu keinem Bruch. Vgl. die Haltung André Hellers in: Helene Maiman: Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe, Wien 2011, S. 177ff.

[90] Die „Opferthese“ wird heute häufig als funktional für die Ausbildung dieser Identität gesehen. Dabei dürfen aber die einhergehenden gesellschaftlichen „Kosten“, wie z.B. die Verfälschung historischer Realitäten und die  Fortführung antisemitischer Denkmuster nicht vernachlässigt werden. Selbst wenn Kreisky aus real- und machtpolitischen Erwägungen eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Österreichs vermieden hat, gibt es für seine brutalen antisemitischen Invektiven keine Begründung. Seine Nachsicht gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten wird häufig als Grund für das Fernhalten rechter Parteien aus der Regierung gewertet, siehe z.B. Hans Rauscher, In der politischen Endlosschleife? in: Der Standard vom 28.10.2016, siehe online: http://derstandard.at/2000046639056/In-der-politischen-Endlosschleife (zuletzt abgerufen am 30.10.2016). Doch hier bleibt festzustellen, dass Fraternisierungen mit Rechten oder das Äußern antisemitische Positionen nicht weniger gefährlich sind, nur weil sie von Sozialdemokraten erfolgen.  Im Gegenteil, auf diese Weise hat Kreisky antisemitische Positionen in der gesellschaftlichen Mitte legitimiert.

[91] Oliver Rathkolb:  Bruno Kreisky und die langen 1970er Jahre, in: zeitreise Österreich 1/2016 Die 70er Jahre, S.  70er Heft, S. 30-33, hier: S. 33.

[92] Im Zuge der Waldheim-Diskussion zeigte Kreisky zu einem Zeitpunkt, als er keine politische Funktion mehr innehatte, Verständnis für die ehemalige Wehrmachtsgeneration. Reiter hat darauf hingewiesen, dass seine nachsichtige Haltung vermutlich wirklich seiner eigenen Überzeugung entsprach. Siehe: Margit Reiter: Bruno Kreisky – Linker, Jude und Österreicher. Konfliktzonen und Ambivalenzen jüdischer Identität in Österreich nach 1945, in: zeitgeschichte 1/2010, S. 21-40, hier: S.  S. 31.

[93] In einem kürzlich erschienenen Profil-Kommentar sah Peter Michael Lingens die Verantwortung für den Aufstieg des Rechtsextremismus in Form der FPÖ auch bei Bruno Kreisky, der die Freiheitlichen erst salonfähig gemacht hat. Vgl. http://www.profil.at/meinung/peter-michael-lingens-aufstieg-fpoe-skandale-strache-kreisky-7670101 [zuletzt abgerufen am 19.11.2016].

2 Kommentare

  1. @ente

    Dass Kreisky ein Antisemit war, wird nicht dadurch gemildert, dass er „seine reiche Familie gegen die sozialistische Arbeiterjugend eintauschte“. Das ist weder eine besondere Leistung noch für obige Feststellung in irgendeiner Form von Relevanz.

    „Glaube kaum daß es eine adäquate andere, besonders bessere, Lösung gegeben hätte.“ Dieser Aussage muss ich allerdings zustimmen. Österreich hatte mit Kreisky einen Volltreffer gelandet: Einen „jüdischen“ Antisemiten, der gleich auch noch die Drecksarbeit erledigt und die landesspezifisch gepflegten Vorstellungen von der Opferrolle in den Jahren 1938–45 aufs Trefflichste bedient hat.

    Kreisky war der perfekte Mann für Österreich.

  2. Genau so ist es! Ein Mann, der bewußt seine reiche Familie gegen die sozialistische Arbeiterjugend eintauschte. Ein Mann, der sowohl von den klerikalen wie auch nationalsozialistischen Machthabern eingesperrt wurde. Ein Mann, der als Flüchtling Diplomat eines anderen Landes wurde. Ein Mann, der sogar von Ihnen als wahrscheinlich bestmögliche Lösung eines recht neuen Staatsgebildes gesehen wird:
    „Letztlich bot Kreisky für so viele österreichische Bedürfnisse eine Projektionsfläche, dass er als idealer Regierungschef der 2. Republik in die Geschichte eingehen konnte.“

    Glaube kaum daß es eine adäquate andere, besonders bessere, Lösung gegeben hätte.

    Mit größtem Erstaunen lese ich persönlich jedoch:
    „Einerseits forderte Kreisky, dass seine jüdische Herkunft (so bezeichnete er dies in der Regel, obgleich er natürlich halachisch Jude war) irrelevant sein sollte…“

    Ein nett eingefügtes „halachisch“ Jude sein, gegenüber einem 1931 bewußt die jüdische religiöse Gemeinschaft Verlassenden, erinnert mich schon an einige andere Definitionen fremdbestimmten jüdisch Daseins.

    Halte Kreisky für einen innen- wie außenpolitisch herausragenden Staatsmann!

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