Wiederaufbau eines Gedenksteins auf dem Münchner Waldfriedhof…
„Es hat in Deutschland in der Zeit seiner größten Gottesferne einen Mann gegeben, der wie kein anderer Mensch dieses Landes zur Umkehr aufrief. Um einer kommenden Menschheit willen, die seine Seele schaute und begehrte, stritt er gegen die Unmenschlichkeit, in der er leben musste.“
Mit diesen Sätzen beginnt Martin Buber in der Düsseldorfer Halbmonatsschrift „Masken“ im Jahre 1919 seinen Aufsatz „Landauer und die Revolution“ für seinen langjährigen Freund Gustav Landauer (1870 Karlsruhe – 1919 München-Stadelheim), dessen Werke er letztwillig herausgab.
Unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg und dem Beginn der Novemberrevolution hatte Kurt Eisner den Schriftsteller und Übersetzer Gustav Landauer in einem Brief vom 14. November 1918 zur Teilnahme an der Revolution in Bayern eingeladen: „Was ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen mitarbeiten.“ Landauer folgte diesem Aufruf und wurde in der Räteregierung am 7. April 1919 Beauftragter für Volksaufklärung. Nach der Niederschlagung der Räteregierung durch Reichswehr und Freikorpsverbände wurde Gustav Landauer am 1. Mai 1919 verhaftet und am nächsten Tag im Zuchthaus Stadelheim mit großer Brutalität ermordet.
Landauers Asche wurde zunächst in der Urnenhalle des Schwabinger Friedhofs beigesetzt, dann wurde die Urne auf den Waldfriedhof überführt. Mitglieder der Freien Arbeiter-Union aber auch prominente Persönlichkeiten führten auf Anregung von Landauers Tochter Charlotte eine Geldsammlung durch und setzten Landauer 1925 einen Obelisken als Grabdenkmal.
1933 beschloss das Münchener Stadtparlament die Zerstörung der Grabdenkmäler „marxistischer Revolutionäre“. Auch das Landauer-Denkmal wurde dabei zerstört, der Obelisk zerschlagen und die Asche exhumiert. Seine sterblichen Überreste sandte man an die Jüdische Gemeinde München und stellte darüber auch noch eine Rechnung aus.
Am 2. Mai 2019 jährt sich der Jahrestag von Landauers Ermordung zum 100. Mal. Bis zu diesem Zeitpunkt könnte das Münchner Stadtparlament das in der Nazizeit begangene Unrecht in so weit korrigieren, dass wieder ein Gedenkstein für Gustav Landauer auf dem Waldfriedhof errichtet wird.
Hierzu müsste im Jahr 2015 ein Beschluss gefasst werden, damit die Planungen mit einem Bildhauer-Wettbewerb beginnen können. Eine anteilige Summe könnte auch durch Spendenaufrufe erbracht werden.
Wir fordern die Mitglieder des Münchner Stadtparlaments auf, einen dahingehenden Beschluss zu fassen.
Peter Kühn (Flemlingen)
Dr. Siegbert Wolf (Frankfurt/M.)
Wenn Sie diese Forderung unterstützen wollen, wenden Sie sich bitte an Dr. Siegbert Wolf – SiegbertWolf(at)web.de
Das Gustav Landauer-Denkmal in München
Von Dr. Siegbert Wolf (Frankfurt/Main)
Infolge der blutigen Niederschlagung der Revolution in Bayern durch Reichswehr- und Freikorpssoldaten[1] wird auch der 49jährige libertäre Kulturphilosoph und Initiator zahlreicher freiheitlich-sozialistischer Projekte, Gustav Landauer (1870-1919)[2], während der ersten Münchner Räterepublik im April 1919 „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“, nach einer Denunziation am 1. Mai 1919 in Großhadern (damals noch ein Vorort Münchens) verhaftet. Tags darauf wird er im Zentralgefängnis Stadelheim von einer gegenrevolutionären Soldateska brutal ermordet – die Bluttat wird nie umfassend geahndet. Sogar der für das Verbrechen Hauptverantwortliche, der Gutsbesitzer und Major a.D. Franz Freiherr von Gagern (1876-1932)[3], wird lediglich für seine an Landauer mit der Reitpeitsche begangene Misshandlung verurteilt und kommt mit einem Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 13. September 1919 in Höhe von wenigen hundert Mark davon. Das Gericht erklärt sich außerstande, eine unmittelbare Beteiligung Gagerns an der Erschießung Landauers zu beweisen.
Einige Tage nach der Bluttat an Gustav Landauer reist seine älteste Tochter Charlotte (1894-1927) noch im gleichen Monat allein nach München und setzt bei General Ernst von Oven (1859-1945), der die militärischen Operationen zur Niederschlagung der Münchner Räterevolution befehligt, am 19. Mai die Exhumierung ihres Vaters aus einem Massengrab durch. Ebenso erreicht sie die Freigabe von Landauers beschlagnahmtem schriftlichen Nachlass – darunter seine bis heute lesenswerten literarischen Vorträge über den englischen Dramatiker William Shakespeare.[4]
Über die aufgehetzte Stimmung im damaligen nachrevolutionären München berichtet Charlotte Landauer anschaulich ihrer jüngsten Schwester Brigitte (1906-1985): „Schon auf meiner Fahrt dorthin im Viehwagen konnte ich allerlei hören. Hätte man gewusst, wer ich war, man hätte mich zumindest verhauen und nicht weiterfahren lassen. […] Ja, ja, die Lottel hat auch allerlei erlebt, als sie so allein in der Welt herumfuhr und Vaters Ausgrabung durchsetzte. Mancher Gang war schwer und kostete – ich darf es ruhig sagen, ohne mich loben zu wollen – Mut, aber auch Herzblut. Kennst Du von der [Käthe] Kollwitz den Weberaufstand? Wie die Menschen vor einem großen Tor stehen und es erstürmen wollen? Ich werde immer daran erinnert, wie ich vor dem Stadelheimer Gefängnistor stand, Stunden, und wartete, ich darf hinein, um nach Vater und seinen Sachen zu forschen. Mit mir standen viele Frauen und Kinder, und es war Elend genug zum Tränen vergießen. Vor uns gingen Soldaten hin und her mit aufgepflanztem Bajonett, die uns anschrieen ohne weiteren Grund. Und wie ich gar reinkam!! Ich könnte viel – viel erzählen.“[5]
Die Kremierung des Leichnams Gustav Landauers erfolgt gemäß seiner letztwilligen Verfügung im Juni 1919. Seine sterblichen Überreste werden zunächst in der Urnenhalle in München-Schwabing aufbewahrt. Charlotte Landauer bemüht sich, ebenso wie Gustav Landauers langjähriger Freund und literarischer Testamentsvollstrecker Martin Buber (1878-1965), weiterhin um eine Grabstätte für ihren gemeuchelten Vater. Auf ihre Anregung hin engagieren sich vor allem Syndikalisten und Anarchisten für die Beisetzung der Urne auf dem Münchner Waldfriedhof und die Errichtung eines würdigen Denkmals für Gustav Landauer. Der erste Aufruf zur Sammlung der dafür notwendigen finanziellen Mittel im Herbst 1922 stammt von der der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) angeschlossenen syndikalistischen Arbeiterbörse München.
Anfang Mai 1923 erfolgt im Rahmen einer Gedenkfeier, an der auch die Tochter Charlotte (Landauer) Kronstein[6] teilnimmt, die Beisetzung der Urne mit den sterblichen Überresten Gustav Landauers in einem eigens dafür angefertigten Betonsockel auf dem Münchner Waldfriedhof. Dieses Denkmalfundament, das in der Höhe 1,50 Meter und im Viereck 1,80 Meter misst, ist von Rasen und frischem Grün umgeben, nebst einer Eichentafel mit der Inschrift: „Hier ruht Gustav Landauer“.
Mittels Spendenaufrufen, Verkauf von Postkarten sowie gedruckten Sammelmarken der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) in München („F.A.U.D. LANDAUER-Fonds“. 25 Pfenning, später 1 Mark) sowie eines „Gustav Landauer-Gedenkstein-Komitees“ (München) gelingt es schließlich, ein würdevolles Grabmal zu errichten. Namhafte Bekannte und Freunde sowie Familienangehörige Gustav Landauers spenden für diesen Zweck: u.a. sein Cousin und Mäzen Hugo Landauer, sein Schwager Adolf Otto, sein Schwiegersohn Max Kronstein, die Schriftstellerin und Mäzenin Auguste Hauschner, die Schriftstellerin Helene Stöcker, die Feministinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann sowie der Arzt und Münchner Räteaktivist Dr. med. Rudolf Schollenbruch (KPD). Initiiert und durchgeführt wird die Spendensammlung, etwa für die Steinmetzarbeiten sowie die Erdarbeiten am Betonfundament, vor allem von Anarchisten und Syndikalisten. Beteiligt sind die Ortsgruppen der FAUD in Augsburg, Berlin, Dachau, Düsseldorf, Erfurt, Kassel, Leipzig, München, Nürnberg, Ratibor und Regensburg, die Kreisarbeiterbörse Nordbayern, die Föderation Kommunistischer Anarchisten Mannheim und die Anarchistische Föderation München. Das wöchentlich in Berlin erscheinende Organ der FAUD, „Der Syndikalist“, hebt 1925 den Erfolg der reichsweiten Spendensammlung hervor und fordert eindringlich zu weiteren Aktivitäten auf: „Werte Freunde, Genossinnen und Genossen! Nach Überwindung erheblicher Hemmnisse und Schwierigkeiten ist es uns endlich gelungen, das Landauerdenkmal fertig zu stellen. Als dauernder und stummer Ankläger und Protestler steht es gigantisch im Münchner Waldfriedhof. Wir sagen allen Spendern für ihre Beiträge zu diesem Zweck herzlichen Dank. Wir haben aber immer noch eine Schuldenlast von rund 1.960.- M. zu decken [bei Ausgaben in Höhe von 5.672,60 M. und bisherigen Einnahmen von 3.777,56 M. – S. W.]. […] Wir appellieren daher noch mal an eure Solidarität […]. Helft uns also, auch diese Restschuld noch zu tilgen, und sendet zu diesem Zweck Gelder an den Unterzeichneten, mit dem Vermerk ,Landauerdenkmalʼ. Wir haben auch Photographien von dem Denkmal anfertigen lassen in Postkartenformat, und können solche in beliebiger Anzahl von dem Unterzeichneten bezogen werden zum Preis von 30 Pfg. das Stück. Der Überschuss davon dient ebenfalls der Schuldendeckung. Auch Lichtbilder in größerem Format können auf Wunsch hergestellt werden. Also Genossen, helft uns noch! […] Für die Landauerkommission: I.A. Alois Sirch, München […]“[7]
Im Jahre 1925 kann das Gustav Landauer-Denkmal auf dem Münchener Waldfriedhof/Alter Teil (Standplatz: 95-W-15) aufgestellt werden. Die für Mai d. J. geplante Gedenkfeier mit dem „spiritus rector“ der anarchosyndikalistischen Bewegung, Rudolf Rocker (1873-1958), einem Freund Landauers, wird polizeilich verboten. Aus dem Sockel ragt eine fünf Meter hohe Säule mit gotischen Kapitolen – Landauer schätzte den gotischen Bau- und Kunststil – in schlichtem Naturstein. Die Inschrift des Denkmals, ein Zitat aus Gustav Landauers programmatischem Hauptwerk „Aufruf zum Sozialismus“ (1911), lautet: „Jetzt gilt es noch Opfer anderer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben.“[8] Und darunter: „1870 Gustav Landauer 1919“. In den folgenden Jahren, jeweils anfangs Mai, finden regelmäßig Gedenkveranstaltungen am Denkmal zur Erinnerung an Gustav Landauer statt.
Im Jahre 1933, kaum haben die Nationalsozialisten die Macht übernommen, wird Gustav Landauers Denkmal auf dem Waldfriedhof noch im Sommer d. J. zerstört. Zuvor hat das Stadtparlament einen entsprechenden Beschluss über die „Zerstörung der Grabdenkmäler marxistischer Revolutionäre“ gefasst, worunter sämtliche Gräber linker Revolutionäre, also auch dasjenige Landauers, fallen. Die Urne mit den sterblichen Überresten Landauers wird der Münchener Jüdischen Gemeinde übergeben, die dafür die Kosten tragen muss. Während der gesamten NS-Zeit ist die Urne Landauers anonym in der Selbstmörderecke des Jüdischen Friedhofs an einer Mauer untergebracht.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs veranlasst Gudula (Landauer) Clay (1902-1946)[9], der es gelungen war, die NS-Zeit in Berlin zu überleben, die Wiederherstellung der Grabstätte ihres Vaters. Heute besteht für Gustav Landauer und Kurt Eisner (1867-1919), vom November 1918 bis zu seiner Ermordung durch einen rechtsextremen Adligen im Februar 1919 erster sozialistischer Ministerpräsident Bayerns, ein gemeinsames Grab auf dem Neuen Israelitischen Friedhof, Garchinger Straße – der Grabstein ist ein Teil des früheren, Landauer zum Gedenken auf dem Waldfriedhof errichteten Obelisken. Auf dem Findling und der prächtig gestalteten Einfriedung liegen stets Besuchersteinchen, die an die Toten erinnern sollen.
Gedenken[10]
Seit du zerflossen bist in Dunst und Geist,
Verfängt sich liebend und wie nie vertraut
Mein Blick im Raum, wenn das Gewölk zerreisst
Und in den Äther seine Pforten baut.
Da, in dem tief gegrabenen Gefild
Des klarsten, wolkenlosen Flecks Azur
Seh ich dich ohne Umriss, ohne Bild,
Als Schein und Schatten, Hauch und Seelenspur.
Um einen Schimmer, der als Abglanz blieb,
Kreist aller Traum. An jede Schwungkraft schliesst
Sich unsrer Seele namenloser Trieb,
Bis er mit einem Punkt des Alls verfliesst.
–> Ausgewählte Schriften Gustav Landauers
[1] Vgl. Rudolf Herz/Dirk Halfbrodt (Hrsg.), Fotografie und Revolution. München 1918/19. Berlin: Verlag Dirk Nishen, 1988, S. 207ff.
[2] Vgl. Gustav Landauer, Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Siegbert Wolf. Lich/Hessen: Verlag Edition AV, 2008ff.
[3] Diese Information verdanke ich einer schriftlichen Mitteilung von Michael Gagern (München) vom 04.12.2018.
Zutiefst erschüttert, vertraut der mit Gustav Landauer langjährig befreundete Weggefährte Erich Mühsam (1878-1934, ermordet) im Zuchthaus Ebrach seinem Tagebuch mit Eintrag vom 05. Juni 1919 an: „Die Einzelheiten der gräßlichen Leiden Landauers in seiner Sterbestunde mag ich nicht nachschreiben. Die Mörder, die als Leichenfledderer ihr Werk krönten, mögen ihr Urteil von der Weltgeschichte empfangen. Ein Major war aktiv an der Schandtat beteiligt, ein Vizefeldwebel hat sie vollendet.“ In: Erich Mühsam, Tagebücher. Hrsg. von Chris Hirte u. Conrad Piens. Bd. 6: 1919. Berlin: Verbrecher Verlag, 2014, S. 175.
[4] Gustav Landauer, Shakespeare. Dargestellt in Vorträgen. Im letztwilligen Auftrag des Verfassers hrsg. u. mit einem Vorwort versehen von Martin Buber. 2 Bde. Frankfurt am Main: Rütten & Loening, 1920.
[5] Brief Charlotte Landauers an Brigitte Landauer vom 17.10.1923. In: Max Kronstein (Hrsg.), Charlotte Kronstein. Ihr Leben u. ihr Sein in Briefen. Karlsruhe 1928 [Privatdruck] (Theaterwissenschaftliche Sammlung, Institut für Medienkultur und Theater, Universität Köln, Sign. Au 5733). Über die Töchter Gustav Landauers und Hedwig Lachmanns siehe grundlegend: Birgit Seemann, „Mit den Besiegten“. Hedwig Lachmann (1865-1918). Deutsch-jüdische Schriftstellerin und Antimilitaristin. Überarbeitete u. aktualisierte Neuauflage. Lich/Hessen: Verlag Edition AV, 2012, S. 82ff.
[6] Charlotte Landauer heiratet im Frühjahr 1922 den promovierten Chemiker Max Kronstein (1895-1992) in Karlsruhe, der 1938 mit der gemeinsamen Tochter Marianne in die USA emigriert.
[7] Der Syndikalist 7 (1925), Nr. 49. Alois Sirch (geb. 1881), Schreiner, 1918 Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats München, FAUD-Aktivist. Hierzu: Helge Döhring, Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933. Lich/Hessen: Verlag Edition AV, 2007, S. 117f.
[8] Gustav Landauer, Aufruf zum Sozialismus. Ein Vortrag (1911). In: Ders., Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Siegbert Wolf. Bd. 11 (als textkritische Ausgabe). Lich/Hessen: Verlag Edition AV, 2015, S. 155.
[9] Verheiratet mit dem amerikanischen Pianisten Henry Clay. Vgl. hierzu: Birgit Seemann, „Mit den Besiegten“. Hedwig Lachmann (1865-1918), S. 82, 151 A 285.
[10] Hedwig Lachmann, Gedenken. In: Dies., Gesammelte Gedichte. Eigenes und Nachdichtungen. Hrsg. von Gustav Landauer. Potsdam: Gustav Kiepenheuer Verlag, 1919, S. 47.