Unverlorene Sprache

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Zweistimmig: Giora Feidmans und Ben Beckers Hommage an Paul Celan…

Impressionen vom Event im „Aegi“ in Hannover am 12.11.2013
von Orlando Berliner/Susanne Benöhr-Laqueur

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland…“ dieser wiederkehrende Vers aus Paul Celans „Todesfuge“ ((Paul Celan: „Die Gedichte“. Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann, Franfurt/ Main 2003)) hat mittlerweile Eingang gefunden in die deutsche Sprache. Vor über zwanzig Jahren unterlegte das ZDF den Vorspann eines vierteiligen Dokumentarfilms über die Vernichtung der europäischen Juden mit diesem Gedicht – vom Autor selber gelesen. ((http://www.youtube.com/watch?v=hVerZZu5o3Q&feature=related)) Celans leicht akzentbehaftete, eigenwillige und nicht zuletzt atemlose Betonung der Verse lassen bis heute das Grauen erahnen. Celans Werk ist schwer begreifbar. Der Leser muss dem Dichter förmlich nachspüren. Das Gefühl, ihn verstanden zu haben, stellt sich häufig überhaupt nicht ein. Dennoch: Diese Lyrik ist Weltliteratur im Angesicht der Shoa, alleine die Fachpublikationen über Celan füllen Regalbände in den Bibliotheken dieser Welt.

In Anbetracht dessen, gehört schon eine gewisse Portion Mut dazu, Celan in einem abendfüllenden Bühnenprogramm zu präsentieren. Ben Becker und Giora Feidman – Jahrgang 1964 und 1936 – haben sich diesem Wagnis gestellt. Erfrischend ehrlich gab Ben Becker gegenüber haGalil zu, dass er Celans Werk zunächst „unverständlich“ fand, aber ihn eben dieser Umstand neugierig gemacht hätte und er die große Lust verspürte, „Celan“ auf die Bühne zu bringen. Er habe sich sodann für vier Wochen zurückgezogen, Celan und sein Werk studiert und sofort an ein gemeinsames Projekt mit Giora Feidman gedacht: „Wenn, dann nur mit ihm„. Eine kluge Entscheidung, denn die Interaktionen zwischen Beckers Lesung und Feidmans Musik entfalteten eine ergreifende Wirkung.

Giora Feidman und Ben Becker © FBroede und ArneMeister
© FBroede und ArneMeister

Der Abend gebührte Paul Celan – daran ließen weder Ben Becker noch Giora Feidman einen Zweifel. So erlag Ben Becker nicht der Versuchung, die Diktion von Celan zu kopieren. Seine sonore Stimme führte gekonnt durch Gedichte und Briefe, zum Teil unterlegt von Giora Feidmans Klarinette bzw. Bassklarinette.

Ben Becker entschied sich, dem Publikum im fast ausverkauften Theater, Celan nahezubringen, in dem er zunächst einen Liebesbrief der jungen Ingeborg Bachmann aus dem Jahre 1948 an ihn verlas. Das Auditorium sah Celan somit zunächst aus der Sicht der Verliebten. Eine interessanter perspektivischer – weil weiblicher – Einstieg, dem sich das Gedicht „Es fällt nun, Mutter, Schnee in der Ukraine“ ((Paul Celan: „Die Gedichte“. Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann, Franfurt/ Main 2003)) anschloss. Celans Mutter vermittelte ihrem einzigen Sohn die Liebe zur deutschen Sprache und Kultur. Sie sprach er in dem Gedicht „Wolfsbohne“ direkt an: „Mutter, sie schweigen/Mutter, sie dulden es, daß/die Niedertracht uns verleumdet/Mutter, keiner fällt den Mördern ins Wort“. ((Ebenda)) Celans Eltern starben 1942 im Konzentrationslager. Dramaturgisch konsequent, folgte die Lesung der „Todesfuge“. Giora Feidman entlockte seiner Klarinette in diesem Zusammenhang Töne, die bis an die Schmerzgrenze gingen. Begleitet von seinen Musikern, Reentko Dirks (Akustische Gitarre) und Guido Jäger (Kontrabass) – die auch Soli spielten – gelang eine intensive, fast dialoghafte Untermalung von Celans weiteren Gedichten wie „Coagula“, „Fadensonnen“ oder „Sperrtonnensprache“. ((Ebenda))

Im zweiten Teil der Lesung widmete sich Ben Becker vor allen Dingen der Krankheitsbiographie von Celan. Insbesondere der zum Teil verzweifelte Versuch seiner Ehefrau, Gisèle Celan-Lestrange, ihren Ehemann in das (wirkliche ?!) Leben zurückzuholen, wird offenbar. Ab Mitte der sechziger Jahre befand sich Celan monatelang in der Psychiatrie. Ihm entglitt zunehmend – wenn auch nicht gänzlich – die Realität. Dies stellte das Gedicht „Denk dir“, welches 1967 nach dem Sechstagekrieg entstand, unter Beweis:“Denk dir: der Moorsoldat von Massada/ bringt sich Heimat bei, aufs unauslöschlichste/ wider allen Dorn im Draht.“ ((Ebenda))

Ben Becker schloss mit dem Gedicht „Sperrtonnensprache“ ((Ebenda)), dessen Sinnhaftigkeit sich kaum mehr zu erschließen vermag. Celan ertrank im April 1970 in der Seine, obwohl er ein guter Schwimmer war. Auf seinem Schreibtisch fand sich eine Hölderlin Biographie mit einem Zitat von Clemens von Brentano. Celan hatte die Stelle unterstrichen:

„Manchmal wird dieser Genius dunkel und versinkt in den bitteren Brunnen seines Herzens.“ ((Wilhelm Michel: Friedrich Hölderlin. Eine Biographie, 1967.))

Die beklommene Stille dauerte nicht lange: Giora Feidman setzte mit einer Zugabe ein: „Summertime/ and the living is easy/ fish are jumping/ and the cotton is high“. ((George Gershwin, 1935.)) Die von Celan selber im Gedicht „Schreib Dich nicht“ fast beschwörend erhobene Forderung „lerne leben“ ((Ebenda)), bleibt Mahnung und Warnung zugleich.

Ben Beckers Anspruch, sein Publikum „neugierig“ auf Celan machen zu wollen, ist gelungen. Dank Giora Feidmans musikalischer Begleitung entstand ein facettenreicher Blick auf das Werk. Das Hörbuch ((http://www.randomhouse.de/Hoerbuch/Giora-Feidman-Ben-Becker-Zweistimmig/Paul-Celan/e447417.rhd)) ist mittlerweile für den deutschen Hörbuchpreis nominiert, Tourtermine sind bis November 2014 bereits festgelegt. ((http://www.meistersingerkonzerte.de/dates/))