Letzte Briefe an David Wolffsohn

David Wolffsohn (1856-1914) gehörte zu den engsten Vertrauten und Mitarbeitern Herzls. Nach Herzls Tod im Juli 1904 wurde er sein Nachfolger und zweiter Präsident der Zionistischen Organisation.

Theodor Herzl
Letzte Briefe an David Wolffsohn

Wien, den 14. Januar 1904.

Mein lieber Daade!

Du bist ein guter Kerl — aber was denkst Du Dir von mir? Du bietest mir an, daß ich mir von einigen Leuten unserer Bewegung eine Jahrespension soll auszahlen lassen, um in London leben und die Bewegung von dort leiten zu können. Ja, und meine Selbstachtung? Glaubst Du, ich könnte einen so beschämenden Zustand ertragen? Wofür sollte ich von Euch Geld annehmen? Dafür, daß ich meinen Überzeugungen gemäß handelte. Und was habt Ihr davon? Ist es Euer Geschäft, Euer Unternehmen, Euer materielles Interesse, dem ich diene?

Nein, mein guter Daade, schlag‘ Dir das nur aus dem Kopf. Es ist gewiß nicht schimpflich, wenn man bei einem materiellen ein ehrlichen Unternehmen gegen Entlohnung in Dienst tritt. Aber bei einem idealen Unternehmen ist dies — nach meinen Begriffen — unanständig, so merkwürdig das auch klingt. Ich stehe bei der N. Fr. Pr. im Dienst — leider! — aber ich komme mir dadurch nicht vermindert vor. Ich könnte auch ein nicht journalistisches Unternehmen gegen Entlohnung leiten, wenn ich mir sagen würde: das verstehst Du und Du verdienst Dir ehrlich Deinen Gehalt, weil Du dem Unternehmen mehr Geld einbringst, als man Dir zahlt und als vielleicht ein anderer verdienen würde. Aber das, was Du vorschlägst, ist, wenn es mir auch Deine ganze alte Freundschaft zeigt, für mich unausführbar, weil meiner unwürdig.

… Ein bißchen toll machen mich jetzt die vielen widersprechenden Zuschriften unserer Freunde. Wir sind ein zu nervöses Volk.

Ich reise übermorgen nach Rom, wo ich einen neuen großen Plan verfolge. Es ist strenges Geheimnis! Am 1. Februar bin ich wieder hier. Richte Dir’s ein, daß Du nicht früher kommst. Vielleicht habe ich Dir gleich etwas zu sagen.

Herzlich Dein alter
Benjamin.

Franzensbad, den 6. Mai 1904

Lieber Daade!

Dies der Rest meines Briefes, den ich Dir nach London schrieb; das andere, das auf einer irrigen Voraussetzung beruhte, habe ich annulliert.

Ich gebrauche hier die Herz-Kur. Meine Mutter weiß nichts davon, glaubt, ich sei nur zum Ausruhen hier.

Machet keine Dummheiten, während ich tot bin.

Herzlich grüßt ein zu Schanden gearbeiteter
Benjamin.