„Eilet freiwillig zu den Fahnen“

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Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg – Neue Ausstellung des Jüdischen Museums München…

Am 1. Dezember 1914 schrieb der 20-jährige Soldat Robert Ziegel aus Nürnberg einen Feldpostbrief an seine Familie; sie hatte ihm Kerzen für das jüdische Lichterfest geschickt: „Ich glaube aber, dass ich Chanukka diesmal nur innerlich feiern werde, sonst aber Weihnachten mit den Kameraden, nicht als christliches, sondern als deutsches Fest“, notierte er mit patriotischer Begeisterung.

Insgesamt dienten etwas mehr als 100.000 jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg, darunter auch der aus Fürth stammende Maler Benno Berneis. Schon im August 1914 kämpfte er als „tollkühner Reiter“ gegen die Feinde Deutschlands. Später meldete er sich zur noch jungen Luftwaffe. „Am Vormittag des 8. August 1916 stand ich in schwerem Kampf mit drei französischen Jagdflugzeugen, als Ihr Sohn plötzlich zur Hilfe herbeieilte“, berichtete Berneis’ Kommandeur in einem Brief an die Eltern. Im Luftkampf mit den französischen Piloten wurde das Flugzeug von Benno Berneis getroffen und in Brand gesetzt. Etwa fünfzig Meter über dem Boden sprang der Pilot aus der Maschine. „Er hat dabei infolge eines Schädelbruchs den sofortigen Tod gefunden“, schrieb sein Kamerad in dem Kondolenzbrief an die Angehörigen und unterstrich, dass er als Vergeltung den feindlichen Flieger, „diesen elenden Kerl, zusammengeschossen“ habe.

12.000 jüdische Gefallene waren nach Kriegsende zu beklagen. Jeder sechste deutsche Jude hatte seine Wehrpflicht erfüllt. Im Verhältnis zur nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung hatten die Juden ebenso viele Kriegsteilnehmer wie die nichtjüdische Mehrheit gestellt. Das Gleiche trifft hinsichtlich der Zahl der Freiwilligen, Gefallenen und Ausgezeichneten zu.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war eine Maschinerie in Gang gesetzt worden, die fundamentale, soziale und kulturelle Veränderungen mit sich brachte. Damit gingen Tod und Zerstörung von bis dahin unvorstellbarem Ausmaß einher, die den europäischen Kontinent in seinen Grundfesten erschütterten. Der Ruf zu den Waffen versetzte die Menschen anfänglich in einen unbegreiflichen nationalistischen Rausch, auch die deutschen Juden, gleich welcher politischen Couleur: vom glühenden Zionisten über die Liberalen bis hin zum deutschnationalen Bürger, fast alle „eilten freiwillig zu den Fahnen“, getreu dem in vielen jüdischen Zeitungen abgedruckten „Aufruf an die deutschen Juden“.

Chanukka Gottesdienst, Juden im Ersten Weltkrieg
Nach einem Chanukka-Gottesdienst an der Ostfront, 1916, Foto: aus dem besprochenem Band

In der Ausstellung „Krieg! Juden zwischen den Fronten 1914–1918“ beleuchtet das Jüdische Museum Münchenzum 100. Jahrestag des Ausbruchs der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ dieses Ereignis aus einer ,jüdischen‘ Perspektive heraus. Der Blickwinkel konzentriert sich auf das subjektive Erleben von jüdischen Soldaten und ihrer Familien während der vier Kriegsjahre. Durch Feldpostbriefe, Tagebücher, Fotografien und andere persönliche Objekte wird diese Zeit in individuell erlebte und beschriebene Momente zerlegt und damit begreifbar gemacht.

In sieben Abteilungen erzählen die Ausstellungsmacher vom grenzenlosen Patriotismus der deutschen Juden, die im Kriegsdienst eine Chance sahen, sich offensiv zur deutschen Nation zu bekennen und sich damit als assimilierte und integrierte Bevölkerungsgruppe zu beweisen. Die Exhibition zeigt aber auch die brutale Realität im Schützengraben und den alltäglichen Antisemitismus, der seinen Höhepunkt in der „Judenzählung“ von 1916 fand.

In der Station „Lebenslinien“ werden die Erfahrungen von sieben jüdischen Soldaten nachgezeichnet, darunter die des Fliegers Benno Berneis, der an der Westfront starb. Seine Biografie wird mit der von Felix A. Theilhaber herausgegebenen Schrift Jüdische Flieger im Ersten Weltkrieg verbunden. Theilhaber, ein in Bamberg geborener jüdischer Mediziner und Zionist, dokumentierte in seiner Publikation die Kriegsleistungen der jüdischen Piloten. Über Berneis ist zu lesen: „Spontan begeisterungsfähig wie in allem ist er gleich nach der Mobilmachung auch hinausgestürmt, ein Draufgänger, der nun auch nicht zurückkehren soll in den Kreis seiner Genossen.“

Die Kuratoren thematisieren auch die deutsch-jüdische Erinnerungskultur, das Weiterleben nach dem Krieg sowie die Folgen der ab 1933 einsetzenden systematischen Ausgrenzung und Verfolgung der portraitierten Weltkriegsteilnehmer und ihrer Familien durch das NS-Regime.

Der reich bebilderte Katalog mit einem ausführlichem Exponatverzeichnis, einer themenübergreifenden Einführung sowie interessanten Essays ergänzt die Ausstellung vortrefflich. (jgt)

KRIEG! JUDEN ZWISCHEN DEN FRONTEN 1914–1918

Ausstellungseröffnung, 8. Juli 2014, 19.00 Uhr
Jüdisches Museum München, Sankt-Jakobs-Platz 16.
Die Schau ist täglich von 10 bis 18 Uhr, außer Montags und an den jüdischen Feiertagen, bis zum 22. Februar 2015 geöffnet.

Ulrike Heikaus/Julia B. Köhne (Hg.), Krieg! Juden zwischen den Fronten 1914–1918, Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2014, 328 Seiten, 24,90 €, Bestellen?