Tschechische Häftlinge im KZ Ravensbrück

Von Vaclava Kutter Bubnova
[Tschechische Häftlinge im KZ Ravensbrück]

Die ersten Tschechinnen wurden bereits im Jahr 1939, direkt nach der Gründung des Protektorats Böhmen und Mähren, in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Es handelte sich hierbei vorwiegend um Mitglieder der Kommunistischen Partei.95 Der erste große Transport mit tschechischen Frauen kam am 14. Januar 1942 im Lager an.96 Anhand der wenigen Quellen, die nach der Befreiung im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück gefunden wurden, ist es bis heute nicht möglich, die genaue Anzahl aller dort inhaftierten tschechischen Häftlinge zu ermitteln. Mithilfe der Daten aus der Meta-Datenbank, die in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück erstellt wurde, wird in dieser Arbeit dennoch versucht, anhand der vorhandenen Informationen eine grobe Übersicht zu erarbeiten. In der Meta-Datenbank sind 2.382 Namen von Frauen tschechischer Nationalität registriert.97 Davon sind 1.644 auch mit ihrer Häftlingsnummer verzeichnet, was für die Verfasserin dieser Arbeit bei ihrer Analyse ein entscheidendes Kriterium war. Nur in dem Fall, in welchem eine Person mit Name und einer Häftlingsnummer eingetragen ist, kann sicher davon ausgegangen werden, dass sie in der Datenbank nur einmal vorkommt. Aus diesem Grund wird hier nur mit den 1.644 Daten gearbeitet.

Die Mehrheit der weiblichen tschechischen Häftlinge war als „politisch“ registriert, was gleichzeitig bedeutet, dass eine Minderheit der Tschechinnen aus anderen Gründen inhaftiert worden war. Unter ihnen befanden sich zum Beispiel „Bibelforscherinnen“, sogenannte „Asoziale“, „Befristete Vorbeugehäftlinge“, Schutzhafthäftlinge“ oder Frauen, die aus Gründen der „Rassenschande“ eingesperrt waren.98 In Bezug auf das Jahr 1945 betrug das Durchschnittsalter der Frauen 40 Jahre, wobei mehr als 75 % von ihnen zwischen 19 und 50 Jahre alt waren. Alle Angaben wurden durch die Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank ermittelt.99

Die politische Situation im Protektorat Böhmen und Mähren im Überblick

Das Protektorat Böhmen und Mähren wurde am 16. März 1939 gegründet,100 für die Bevölkerung endete die Geschichte der Tschechoslowakei aber bereits 1938. In der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 wurde das sogenannte Münchener Abkommen von den vier Regierungschefs der wichtigsten europäischen Großmächte unterzeichnet. Großbritannien war durch Neville Chamberlain vertreten, Frankreich durch Édouard Daladier, Italien durch Benito Mussolini und Deutschland durch Adolf Hitler.101 In diesem Abkommen wurde der Anschluss von Randgebieten der Tschechoslowakei, in denen eine große deutsche Minderheit lebte, an das Dritte Reich beschlossen. Dadurch verloren die Tschechen ein Gebiet mit ausgebauten Grenzbefestigungen und Rohstoffquellen.102

Am 15. März 1939 wurden Präsident Hácha und der tschechoslowakische Außenminister Chvalkovský zu Adolf Hitler nach Berlin eingeladen, wo ihnen zwei Vorschläge zur Integration der Tschechoslowakei in das Dritte Reich unterbreitet wurden. Zum einen konnten die deutschen Soldaten in die Tschechoslowakei einmarschieren und dort im bewaffneten Kampf siegen. Zum anderen könnten sie ohne Kampf nach Prag einmarschieren, und die Tschechen könnten ihre Autonomie und teilweise auch „Volksfreiheit“ behalten, wenn kein Widerstand geleistet würde.103 Hácha entschied sich für die zweite Möglichkeit und begründete sie folgendermaßen. „Jemand musste sich opfern, da habe ich mich eben geopfert. Wenn ich schon den Staat nicht retten konnte, habe ich doch wenigstens das Volk gerettet.“104 Am 16. März 1939 wurde der Erlass, welcher 13 Artikel zur Gründung des Protektorats Böhmen und Mähren enthielt, bekannt gegeben.105 An der Spitze des Staates stand jetzt Adolf Hitler, der im Protektorat durch den Reichsprotektor für Böhmen und Mähren vertreten wurde. Am 18. März 1939 wurden Konstantin von Neurath zum Reichsprotektor106 und Karl Hermann Frank zum Staatssekretär ernannt.107 Wie sich die Bevölkerung zu dieser Zeit fühlte und was sie dachte, beschreibt unter anderem Ladislav Feierabend.108 „[…] Wir waren also zu modernen Heloten des deutschen Herrenvolkes geworden, […].“109

Am selben Tag begannen die Nationalsozialisten mit den Verfolgungen ausgesuchter Personen, deren Verhaftung und Einlieferung in die Konzentrationslager unmittelbar folgten. Diese erste große Verhaftungswelle ist unter dem Namen „Aktion Gitter“ bekannt. Es wurden hauptsächlich Kommunisten, deutsche Emigranten, politisch tätige Juden und solche, die als zukünftige Widerständler eingestuft wurden, verhaftet. Allein in Prag wurden während der ersten 48 Stunden 450 Menschen festgenommen, und in sechs Wochen wuchs diese Zahl auf ca. 2.500.110 Unter den ersten Verhafteten befand sich auch Milena Jesenská, die in das Konzentrationslager Ravensbrück überstellt wurde, wo sie nach einer Nierenoperation starb.

Die zweite Welle von Verhaftungen begann am 1. September 1939 und wurde als „Aktion Albrecht I.“ bekannt. Im Vergleich zur „Aktion Gitter“ wurden nun auch andere Zielgruppen verfolgt. Unter ihnen befanden sich überwiegend die tschechischen Intellektuellen, wie zum Beispiel Universitätsprofessoren, Lehrer, Priester, Legionäre aus dem I. Weltkrieg und Vertreter aus Kultur und Wirtschaft.111 In den ersten Septemberwochen wurden etwa 13.000 Personen festgenommen.112 Die Terrorpolitik im Protektorat Böhmen und Mähren sollte auf die Bevölkerung besonders abschreckend wirken, um Widerstand von ihrer Seite möglichst zu verhindern.113 Eine totale „Vernichtung des Volkes“ war von den Nationalsozialsten zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht vorgesehen. Mit der Frage nach der Zukunft der Tschechen beschäftigten sich dennoch einige Nationalsozialsten und arbeiteten mehrere Handlungsvorschläge aus.114 Trotz unterschiedlicher Ansichten einigten sich alle, dass man dieser Frage aus mehreren Gründen erst nach dem Krieg nachgehen sollte. Zum einem war die Wirtschaft in Böhmen ein wichtiger Bestandteil der Kriegsproduktion des Reiches,115 zum anderen wurden die Tschechen als rassisch höher bewertet als beispielsweise die Polen. „Durch den großen Einfluss des deutschen Blutes erklären sich auch die kulturellen und zivilisatorischen Fähigkeiten bei den Tschechen (die viel höher sind als bei den slawischen Polen), besonders seit dem 19. Jahrhundert.“116 Die Tschechen aus dem Protektorat sollten entsprechend der Absichten zur Germanisierung in vier Gruppen unterteilt werden. Die erste Gruppe waren die Personen, die rassisch und politisch „korrekt“ waren und daher für die Germanisierung der neuen Gebiete eingesetzt werden konnten. Die zweite Gruppe waren diejenigen, die für das Dritte Reich rassisch und politisch „inakzeptabel“ waren. Sie sollten nach Norden oder nach Osten übersiedelt werden. Die dritte Gruppe verfügte zwar nach Ansicht der Nationalsozialisten über die richtige politische Denkweise, war jedoch rassisch missliebig. Sie sollte sich im Reich ansiedeln und dort, ohne die Möglichkeit Kinder zu bekommen, leben. Die letzte Gruppe stellte nach Meinung von Heydrich die größte Gefahr dar, weil sie zwar rassisch seinen Vorstellungen entsprach, politisch jedoch nicht. Diese Personen sollten hingerichtet werden, da eine Umsiedlung nach Osten unzureichend wäre.117

Der erste Schreck über das Zusammenleben zwischen den Tschechen und den Deutschen war nach den ersten Monaten überstanden, und die Tschechen begannen einen stillen Widerstand. Es kam zu Demonstrationen und Sabotageakten in den Betrieben, was auch einer der Gründe für die Einberufung Reinhard Heydrichs war.118 Konstantin von Neurath wurde am 27. September 1941 für krank erklärt und Heydrich zu seinem Stellvertreter ernannt.119 Seine Politik wurde als „Politik mit Zucker und Peitsche“ bezeichnet, weil er in den Tschechen Menschen sah, die nur durch eine richtige Dosierung von Gewalt zu regieren wären. „Einen Tschechen kann man nur schwer überzeugen, er bückt sich, dann richtet er sich auf, er steht dann wieder hier und ist wieder ein Gegner. Daraus folgt, dass man ihn immer unterdrücken muss, er muss immer gebückt bleiben, dann wird er gehorchen und ziehen.“120 Seine Regierungszeit gilt als die schlimmste während der Zeit des Protektorats aus. Bereits einen Tag nach seinem Amtsantritt, am 28. September 1941, rief er den sogenannten Ausnahmezustand in mehreren Bezirken des Protektorats.

Dies bedeutete, dass bestimmte Straftaten, wie beispielsweise der unerlaubte Besitz von Schusswaffen, Störung des Arbeitsfriedens oder des öffentlichen Lebens, nur durch Standgerichte abgeurteilt werden sollten, die wiederum nur zwischen drei unwiderrufbaren Urteilen entscheiden konnten: Todesstrafe, Freispruch oder Übergabe an die Gestapo und somit Einlieferung in ein Konzentrationslager.121 Während der Dauer des Ausnahmezustandes vom 28. September bis zum 29. November 1941 wurden 404 Männer und Frauen erschossen und ca. 5.000 Personen verhaftet.122

Wegen der brutalen Politik Heydrichs beschloss die tschechische Exilregierung in England, dass er ermordet werden sollte. Diese Tat sollte der ganzen Welt zeigen, dass die Tschechen einen Schlag mit einem anderen beantworten würden. Am 3. Oktober 1941 begann eine ausgewählte Fallschirmspringergruppe zusammen mit dem britischen Special Operations Executive (SOE) mit den Vorbereitungen für die „Operation Antropoid“, dem Anschlag auf Reinhard Heydrich.123 Der Anschlag wurde am 27. Mai 1942 kurz nach 10:30 Uhr, als Reinhard Heydrich aus seinem Schloss in Panenských Břežanech in die Stadt gefahren wurde, von Josef Gabčík und Josef Kubiš durchgeführt. Heydrich wurde dabei nicht getötet, sondern nur schwer verletzt, und die beiden Attentäter konnten ungesehen fliehen.124 Eine Stunde nach dem Attentat ließ K.H. Frank erneut in einigen Bezirken den Ausnahmezustand ausrufen und erweiterte diesen um 21:30 Uhr auf das gesamte Protektorat. Diese Zeit ging als „Heydricháda“ in die Geschichte ein.125 Kurz nach Mittag wurde K.H Frank telefonisch von Adolf Hitler zum Stellvertreter Heydrichs ernannt und erhielt seine ersten Befehle. Hitler wollte für die Ergreifung der Attentäter 1 Million Reichsmark als Belohnung aussetzen. Dazu sollten 10.000 politisch tätige Tschechen verhaftet werden, bzw. wenn sie bereits in Haft waren, in die Konzentrationslager überstellt und dort erschossen werden.126 Am Abend kam noch ein Telegramm von Heinrich Himmler hinzu mit dem Befehl, in der Nacht die 100 wichtigsten der 10.000 Verhafteten zu erschießen.127 K.H. Frank war mit den Erschießungen der Verhafteten nicht einverstanden, weswegen er Adolf Hitler um ein persönliches Treffen bat, zu welchem er am 28. Mai 1942 in den frühen Morgenstunden kam.128 Hier erfuhr er, dass der Führer ihn nicht als Vertreter Heydrichs vorsah, stattdessen hatte Hitler Generaloberst Kurt Daluege für diese Position ausgewählt. Im weiteren Verlauf stellte K.H Frank Hitler seine Vorschläge für das Vorgehen im Protektorat vor.

Sein Programm beinhaltete zwölf Punkte, wobei mindestens der 12. Punkt erwähnt werden muss, da dieser sich negativ auf das Häftlingsleben in den Konzentrationslagern hätte auswirken können. „Wenn wider Erwarten bis Ende Juli die Täter nicht erfasst und eine Zunahme des Widerstandes zu verzeichnen ist, dann a) Aufhebung der Autonomie […], b) Verhaftungen und Erschießungen größeren Umfanges (KZ-Häftlinge und neue zu verhaftende Intellektuelle)“.129 Dies wurde genau wie die anderen elf Punkte von Hitler bewilligt, musste aber nicht angewendet werden, weil am 16. Juni 1942 beide Attentäter mit ihren Helfern von dem Fallschirmspringer Čurda verraten wurden. Zwei Tage später wurde ihr Versteck in der Kirche Cyril und Metoděj entdeckt, und alle sieben anwesenden Fallschirmspringer starben im Kampf oder begingen Selbstmord.130

In der Zwischenzeit erlag Reinhard Heydrich am 4. Juni 1942 seinen Verletzungen, die er bei dem Anschlag erlitten hatte.131 Er starb an den Folgen einer Gasbrandinfektion, weshalb daraufhin mit den „pseudomedizinischen Versuchen“ im Konzentrationslager Ravensbrück begonnen wurde. Dabei sollte die Wirkung von Sulfonamiden bei Wundinfektionen erprobt werden, um möglichst viele verletzte Soldaten an der Front retten zu können.132 Eine weitere direkte Folge des Attentats auf Reinhard Heydrich war die Vernichtung der Dörfer Lidice133 und Ležáky.

Das Niederbrennen des Dorfes Ležáky und die Ermordung seiner Einwohner aus Rache wegen des Attentats auf Heydrich ist ein wenig bekannter Fall, trotz der großen Ähnlichkeit zu den Ereignissen in Lidice, dessen Geschichte in Kapitel 3.4 erläutert wird. Ležáky war ein kleines Dorf in Ostböhmen und wurde am 24. Juni 1942 wegen der Unterstützung der Attentäter niedergebrannt. Alle erwachsenen Einwohner wurden erschossen, die Kinder wurden in das Konzentrationslager Lodz geschickt und dort ermordet, sodass keiner außer zwei Kindern, die zur Eindeutschung ausgesucht worden waren, diese Tragödie überlebte.134

Während des Ausnahmezustands vom 27. Mai bis zum 24. Juni 1942 wurden allein in Prag 448 Menschen zum Tode verurteilt und 247 weitere in Brünn. In diesen Zahlenangaben sind die Opfer aus Lidice und Ležáky nicht mit einbezogen.135 Nach dem Attentat und seinen Folgen von Seiten der Nationalsozialisten versank die tschechische Bevölkerung in einer tiefen Krise. Diese zeigte sich in der Angst der Menschen und im zeitweise geringen Widerstand.136 Das Protektorat Böhmen und Mähren bestand bis zum 5. Mai 1945 und endete mit dem Ausruf des Tschechischen Nationalrats.„Unter den Schlägen der Alliierten Armeen und dem aktiven Widerstand der tschechischen Bevölkerung, wurde das sogenannte Protektorat Böhmen und Mähren, das uns von den Deutschen aufgedrängt wurde, beendet. […]“.137

Während des Bestehens des Protektorats Böhmen und Mähren wurden viele Personen aus verschiedenen Gründen verfolgt und inhaftiert. Zum Beispiel wegen politischer Tätigkeit in der verbotenen kommunistischen Partei, Leistung von Widerstand, wegen ihrer Rassen- oder Religionszugehörigkeit. Die meisten der verhafteten Frauen wurden in dem Konzentrationslager Ravensbrück, dem einzigen Lager für weibliche Häftlinge auf deutschem Gebiet, eingesperrt.

Politische Häftlinge und Geiselhäftlinge

Im Lager Ravensbrück bildeten die politische Häftlinge die stärkste Gruppe, nicht anders verhielt es sich bei den politischen Tschechinnen. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Zum einen wurden fast alle ausländischen Häftlinge als politisch Gefangene eingestuft, und zum anderen konnte jede Frau, die eine politische oder weltanschauliche Meinung im Widerspruch zum NS-Regime vertrat, als politischer Häftling in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert werden.138 Bei den Tschechinnen waren dies mindestens 1.121 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren.139 Eine früher politische Tschechin namens Olga Kühne, für deren Inhaftierung Nachweise vorliegen, wurde am 24. August in das Konzentrationslager Ravensbrück eingewiesen. Sie war 60 Jahre alt und wohnte und arbeitete als Weberin in Dresden. Sie starb am 9. September 1940 angeblich an akuter Herz- und Kreislaufschwäche.140 Nach Aussage von Božena Holečková kamen im Jahr 1939 viele weitere Kommunistinnen nach Ravensbrück. Unter ihnen befanden sich beispielsweise Jožka Jabůrková, Anna Křenová, Marie Nousková und Františka Klímová.141 Um die Breite und willkürliche Zuordnung zu dieser Kategorie besser erfassen zu können, werden hier drei verschiedene Frauen vorgestellt, die in der gleichen Häftlingsgruppe vertreten waren. Frau Božena Krutinová wurde am 3. Februar 1920 in Prag geboren und trat sehr früh in die Kommunistische Jugendpartei ein. Ab 1939 arbeitete sie illegal in dieser Gruppe, wo sie in der Widerstandsarbeit tätig war. Am 21. November 1941 wurde sie verhaftet und kam am 4. Januar 1942 nach Ravensbrück.142

Josefa Baxová wurde am 16. März 1913 geboren, das heißt sie war 26 Jahre alt, als das Protektorat Böhmen und Mähren ausgerufen wurde. Sie war Lehrerin und schloss sich mit ihrem Mann einer Widerstandsgruppe an. Sie waren beide keine Kommunisten, wollten aber dabei helfen, den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Josefa Baxová schrieb und verteilte illegale Zeitungen und Flugblätter. Am 29. Januar 1943 wurde sie verhaftet143 und kam am 1. September 1943 nach Ravensbrück, wo sie als politischer Häftling bis zur Befreiung blieb.144

Als letztes Beispiel wurde Frau Majnyngrova ausgewählt, die sich wenig für das politische Leben interessierte und in der damaligen Zeit einfach nur überleben wollte. Es war nicht gestattet, unangemeldet verschiedene Tiere zu Hause zu züchten. Da aber zu dieser Zeit Hunger herrschte, widersetzten sich viele diesem Verbot, ebenso Frau Majnyngrova. Sie schaffte sich ein Schwein an, wurde jedoch nach ein paar Wochen verraten. Sie versuchte, das Schwein zu verstecken, doch es wurde entdeckt. Da sie etwas Unerlaubtes getan hatte und dies auch noch vor den Machthabern des Dritten Reiches vertuschen wollte, wurde sie als politischer Häftling nach Ravensbrück gebracht.145 Alle drei Frauen wurden trotz der verschiedenen Haftgründe als politische Häftlinge registriert.

Eine gesonderte Gruppe unter den politischen Häftlingen waren die sogenannten Geiselhäftlinge. Es handelte es sich hierbei um Frauen, die anstelle ihrer Männer, Väter oder Brüder, die beispielsweise in der Exilregierung in London tätig waren, verhaftet wurden. Sie selber hatten nichts Verbotenes getan und wurden nur verhaftet, um ihre Angehörigen einzuschüchtern und sie von neuen Gegenaktionen gegen das NS-Regime abzuhalten. Unter ihnen befanden sich zum Beispiel Frau Feierabend146 und Frau Provazníková, geb. Klecandová. Ihr Vater war vor dem Krieg als Geschichtsprofessor an der Prager Universität tätig gewesen und schaffte es 1939 über Frankreich nach England zu fliehen, wo er in die Exilregierung eintrat. Seine Frau und seine Tochter, Frau Provazníková, die bereits verheiratet war, blieben zu Hause. Nach dem Attentat auf Heydrich wurden beide Frauen verhaftet und kamen nach Theresienstadt, wo sich ein Gestapo-Gefängnis befand. Hier wurde die Mutter von ihrer Tochter getrennt. Während die Mutter ins Konzentrationslager Auschwitz kam, wo sie kurze Zeit später starb, wurde ihre Tochter in das Konzentrationslager Ravensbrück überstellt.147

Weitere Gruppen im Überblick

Die zweitstärkste Häftlingsgruppe in Bezug auf den Haftgrund waren bei den Tschechinnen die sogenannten „Asozialen“. „Als „Asozial“ wurden vor allem Bettler, Landstreicher, Alkoholiker, Prostituierte, Sinti und Roma, Arbeitsscheue, Müßiggänger und Menschen mit als unangepasst geltendem Lebenswandel bezeichnet“.148 In Ravensbrück fielen 268 Tschechinnen in diese Kategorie, wobei die meisten von ihnen Sinti und Roma waren. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt, was bedeutet, dass sehr oft alle weiblichen Familienmitglieder nach Ravensbrück הerschleppt wurden.

Dies erklärt auch das niedrige Durchschnittsalter von nur 30,3 Jahren.149 In Zeitzeugenberichten werden oft „Zigeunerkinder“ erwähnt. „Die kleinen Häftlinge hatten immer Hunger. Sie gingen und bettelten um Essen. […] Manche Mütter zeigten ihre Kinder auf der Lagerstraße oder in den prominenten Blocks für ein Stück Brot. Die Kinder tanzten dafür sehr oft.“150

Nur eine kleine Gruppe von Tschechinnen wurden als „Bibelforscherinnen“ oder „Zeugen Jehovas“ registriert.151 Es waren insgesamt 15 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 36,2 Jahren.152 Im Vergleich zu den deutschen „Bibelforscherinnen,“ die schon früh in die Konzentrationslager eingewiesen worden waren, kamen die tschechischen fast ohne Ausnahme erst ab 1943.153 Sie arbeiteten zumeist im Haushalt der Aufseherinnen oder in den SS-Villen, da bei dieser Häftlingsgruppe nicht mit einem Fluchtversuch gerechnet wurde. Die Zeugen Jehovas konnten als einzige Gruppe nach Ablehnung ihres Glaubens das Lager als freie Menschen verlassen.154 Nach Aussage von Frau Čalounová unterzeichneten diese Erklärung hauptsächlich junge Frauen, die kleine Kinder zu Hause hatten. Insgesamt waren es aber sehr wenige, die diesen Schritt unternahmen.155

Die deutschen Häftlinge wurden anhand des Haftbefehls in zwei Gruppen unterteilt. Zum einen gab es die Schutzhäftlinge mit Schutzhaftbefehl vom RSHA. Dies waren beispielsweise die politischen und sogenannten „Anweisungshäftlinge“, die Zeugen Jehovas und Juden im Fall der Rassenschande. Eine andere Kategorie waren die Vorbeugehäftlinge mit Anordnung der polizeilichen Vorbeugehaft vom RKPA. Hierzu zählten teilweise die „Berufsverbrecher“, „Asozialen“, Juden im Falle einer Vorstrafe, Homosexuellen und Sittlichkeitsverbrecher.156 Nur in Ausnahmenfällen wurde diese Gliederung auch bei den ausländischen Frauen angewandt. Trotzdem kann man sie auch bei den tschechischen Gefangenen finden. Bei zwölf Frauen wurde Rassenschande als Haftgrund eingetragen.157 19 Frauen wurden als Schutzhafthäftlinge registriert und 32 als befristete Vorbeugehäftlinge.158

Eine kleinere Gruppe der tschechischen Häftlinge waren Jüdinnen. Diese Information wurde als Zusatzgrund der Inhaftierung in ihren persönlichen Daten angeführt. Es wurden zwei verschiedene Bezeichnungen gefunden: Volljüdin und Jüdin. Zusätzlich wurden manche Frauen als Jüdinnen I. Grades registriert. Die meisten Jüdinnen waren unter den politischen Häftlingen zu finden. Es handelte sich um 171 Frauen.159 Fünf Jüdinnen wurden aufgrund von Rassenschande inhaftiert, und eine fiel in die Kategorie „Schutzhafthäftling“.160 Bei 28 Jüdinnen ist der Haftgrund unbekannt.161 Die jüdischen Frauen wohnten alle auf einem Block, bekamen weniger Essen als alle anderen und mussten die schwersten Arbeiten verrichten.162 Fast alle wurden in den Gaskammern von Bernburg163 oder Auschwitz im Jahr 1942 getötet.164

Die Frauen aus Lidice

Am 27. Mai 1942 wurde von den zwei tschechoslowakischen Fallschirmspringern in Prag ein Attentat auf Reinhard Heydrich, dem Vertreter des Reichsprotektors, ausgeübt, dessen Folgen er nur wenige Tage später, am 4. Juni 1942, erlag.165 Direkt nach dem Anschlag wurden mehrere Ermittlungen eingeleitet, um die Täter so schnell wie möglich zu finden und zu bestrafen. Trotz der höchsten Priorität dieses Falles hatten die zuständigen Ermittler nach den ersten Tagen außer ein paar Vermutungen noch keinen einzigen Hinweis, wer und wo die Täter waren. Nur durch mehrere Zufälle kamen die Ermittler auf das Dorf Lidice, in dem sich die Attentäter verstecken sollten. Bis dahin war Lidice nur ein kleines, für die politische Situation des Protektorats Böhmen und Mähren wenig bedeutsames Dorf, das sich in unmittelbarer Nähe zur Hauptstraße zwischen Prag und Kladno befand. Zu dieser Zeit standen dort mehrere Bauernhöfe, eine Schule, eine Kirche und die Einwohnerzahl betrug 483.166

Am 3. Juni 1942 kam ein Brief in die Firma „Palaba“ in Slaný, ca. 20 km von Lidice entfernt, der nur an einen Vornamen und eine Arbeitsnummer adressiert war. Er war für die Angestellte Anna Marusczaková bestimmt, die aber an diesem Tag krank gemeldet war. Aus diesem Grund öffnete der Chef der Firma, Herr Pála, den Brief. Aufgrund des Inhalts entschied er sich, die Angelegenheit an die Polizeistation weiterzuleiten, da er in dem Brief einen eindeutigen Hinweis auf einen Attentäter zu erkennen schien. „Liebe Anička,167es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, aber ich hoffe, du verstehst mich, weil du weißt, dass ich sehr viel zu tun habe. Was ich tun wollte, habe ich getan.[…] Auf Wiedersehen diese Woche, danach sehen wir uns nie mehr. Milan.“168 Anhand dieses Briefes begannen die Ermittlungen, die von der Gestapo geführt wurden, und die mit der Tragödie von Lidice sieben Tage später enden sollten. Zuerst wurde Frau Marusczaková verhört.

Sie gab in ihrer Aussage an, dass sie sich seit mehreren Tagen mit einem Mann traf, der sie mehrmals wegen des Dorfes Lidice ausgefragt hatte. Sie hatte dort eine Freundin, weshalb sie von ihm gebeten wurde, bei der Familie Horák schöne Grüße von Josef auszurichten169 und zu bestellen, dass er gesund sei. Frau Marusczaková ging deshalb davon aus, dass sie sich mit Josef Horák traf.170 Als Absender des Briefes wurde aber Václav Říha identifiziert, der diesen aus persönlichen Gründen geschrieben hatte, weil er die Beziehung zu Frau Marusczaková unkompliziert beenden wollte.171 Trotz der Erkenntnis, dass es sich hierbei nicht um einen Sohn der Familie Horák handelte, wurden die Ermittlungen in diese Richtung fortgesetzt. Am 4. Juni 1942 wurden die Häuser der beiden Familien Horák und Stříbrný gründlich durchsucht, weil die Gestapo dort die Söhne vermutete. Es wurde nicht das Geringste gefunden, trotzdem wurden 15 Mitglieder der beiden Familien verhaftet und im Gestapogefängnis von Kladno eingesperrt.172 Sie wurden schließlich alle am 16. Juni 1942 in Prag hingerichtet.173 Die beiden Hauptinitiatoren dieses „Missverständnisses“, Anna Marusczaková und Václav Říha, wurden in ein Konzentrationslager eingeliefert, wo sie ebenfalls starben. Ziel war es ihnen die Möglichkeit zu nehmen, die Wahrheit an die Öffentlichkeit zu bringen.174

Am Abend des 9. Juni 1942 sollten auf Befehl von Adolf Hitler folgende Vergeltungsmaßnahmen gegen den Ort Lidice durchgeführt werden. Alle männlichen Einwohner Lidices, die älter als 15 Jahre waren sollten erschossen, die Frauen in ein Konzentrationslager überstellt, eindeutschungsfähige Kinder zur Umerziehung in deutsche Familien gegeben und alle anderen anderweitig umerzogen werden. Danach sollte die Ortschaft niedergebrannt und dem Erdboden gleich gemacht werden.175

Grund dafür waren die tschechischen Fallschirmspringer, die vermutlich nach ihrem Absprung aus einem englischen Flugzeug Unterstützung bei den Dorfbewohnern gefunden hatten.176 In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1942 wurde das Dorf Lidice von Polizisten umstellt, und niemand durfte es mehr verlassen. In den frühen Morgenstunden begannen sie, die Einwohner zu wecken. Die Männer mussten sich im Horakhof versammeln, während die Frauen und Kinder in die Schule gehen sollten. „Wir sind bis zur Dorfmitte gemeinsam gegangen. Vor der Pfarrei standen mehrere Männer und mein Vater musste mit ihnen gehen. Ich, meine Schwester und meine Mutter wurden danach in die Schule geführt.“177 Am Vormittag wurden alle Kinder und Frauen mit LKWs nach Kladno gebracht, wo sie in der Turnhalle des Gymnasiums ihre letzte drei Tage vor der Einlieferung in das Konzentrationslager Ravensbrück verbrachten.178 Die Männer wurden dagegen noch am selben Tag im Garten des Horakhofes erschossen. Es handelte sich dabei um 173 Männer, die nach der Hinrichtung durch ein jüdisches Arbeitskommando aus Theresienstadt in einem Massengrab begraben wurden.179

Für die Frauen und Kinder, die von der Ermordung der Männer in Lidice keine Ahnung hatten, ging die Tragödie weiter. Die Kinder wurden registriert und auf Rassenmerkmale hin untersucht, aber nur drei wurden für eine Umerziehung ausgewählt.180 Daraufhin wurden alle Kinder von ihren Müttern getrennt und unter dem Vorwand, dass sie sich später wiedersehen würden, in das Konzentrationslager Lodz nach Polen gebracht. Bis heute ist nicht sicher, was mit den Kindern passierte, aber die wenigen gefundenen Hinweise sprechen dafür, dass sie in Lodz vergast wurden.181

Nach dem Krieg kehrten nur 17 Kinder in das neue Lidice zurück.182 Die meisten Frauen183 wurden mit LKWs zum Bahnhof gebracht, und von dort fuhren sie weiter nach Ravensbrück, wo sie an einem Sonntag ankamen. Das Dorf selbst wurde niedergebrannt und alles so verändert, dass es unmöglich war, die ursprünglichen Grenzen des Dorfes zu finden.184 Außerdem wurde das gesamte Eigentum der Menschen aus Lidice durch einen Erlass vom 14. November 1942 auf das Dritte Reich übertragen.185

Die Vergeltungsmaßnahmen, die an dem Dorf Lidice verübt wurden, sollten sich zu einem Präzedenzfall in diesem Bereich entwickeln. Die Bevölkerung des Protektorats Böhmen und Mähren sollte damit eingeschüchtert und geschockt werden.186

Die Inhaftierung

„Die Frauen aus Lidice – sonntagmorgens saßen sie auf dem Lagerplatz vor der Küche. Blutjunge Frauen, erwachsene und alte. – Großmütter, Töchter, Enkelinnen, Schwiegermütter, Tanten und Nachbarinnen … Sie saßen dort und hüteten das bißchen Eigentum, das ihnen gestattet wurde, mitzunehmen.[…].“187 Die Frauen aus Lidice kamen am 14. Juni 1942 ins Konzentrationslager Ravensbrück. Dort bekamen sie das rote Dreieck, die Bezeichnung für die politischen Häftlinge, und Nummern zwischen 11.700 und 11.884.188 Es handelte sich um 183 Frauen, wovon die jüngste, Jaroslava Suchánková, Jahrgang 1926, und die älteste, Marie Hanzlíková, Jahrgang 1854, war.189 Am 13. Juli 1942 kamen sieben weitere Frauen aus Lidice nach Ravensbrück, die zum Zeitpunkt der Tragödie Kinder im Alter unter einem Jahr hatten. Sie wurden zur Beruhigung aller anderen Frauen ausgesucht, da sie sich angeblich um alle Dorfkinder kümmern sollten, die sich noch im Bus auf dem Weg zu den anderen Müttern in Ravensbrück befänden. Dabei handelte es sich um eine Lüge, denn diese sieben Frauen mussten ihre Kinder in einem Prager Kinderheim abgeben, und sie selber kamen ohne sie für einen Monat nach Theresienstadt.190 Im August 1942 kam noch eine weitere Frau aus Lidice dazu, Marie Rakosová, die am 10. Juni 1942 im Krankenhaus lag.191 Nach der Tragödie wurden auch noch vier schwangere Frauen aus Lidice nach Ravensbrück eingeliefert. Die ersten zwei kamen am 13. September 1942 und die anderen beiden am 28. Oktober 1942.192 Mit den zusätzlichen 12 Frauen, die später eingeliefert wurden, waren im Konzentrationslager Ravensbrück 195 Frauen aus Lidice inhaftiert, die ein Durchschnittsalter von 40,8 Jahren hatten.193 Die erste von ihnen starb am 8. August 1942. Hierbei handelte es sich um Anna Novaková, geb. 1876.194 Ihr folgten noch 51 Frauen, die das Konzentrationslager Ravensbrück nicht überlebten.195 „Sie wußten es nicht – die Heimat, der Mann, die Kinder sind schon nicht mehr – nein sie kannten nicht die Wahrheit. Und dann lebten sie hier mit uns. Sie begriffen nicht, warum sie hier waren, sie hatten nichts getan.“196

Das Leben in Ravensbrück

Die Frauen aus Lidice wurden in der vorliegenden Arbeit als gesonderte Gruppe behandelt, da sie mehrere Merkmale aufwiesen, die nur bei ihnen zu finden waren. Sie waren nämlich keine Menschenmasse, die aus der Situation heraus zusammengeschlossen wurde, sondern es handelte sich bei ihnen um eine Gruppe, die bereits vor der Inhaftierungszeit miteinander verbunden war. „Wir waren drei Generationen, entfernte Verwandte, Nachbarinnen, Mitschülerinnen, Freundinnen, wir haben uns alle gekannt.“197 So ein Kollektiv brachte viele Vorteile für das Überleben mit sich, aber selbstverständlich auch einige Nachteile. Da es sich um eine Dorfgemeinschaft handelte, muss man auch die familiären Beziehungen, die dort vorhanden waren, beachten.

Gerade diese geschlossene Dorfgemeinschaft, die aus vielen Familien bestand, wurde von den Überlebenden selbst sehr unterschiedlich beurteilt. Auf der einen Seite wurde es oft als Nachteil angesehen, dass sich die Frauen so gut kannten. Ein Beispiel dafür war die Aufnahmeprozedur in das Lager, als sich die Frauen duschen mussten. Marie Jarošová bezeichnete die Situation, als sich Oma und Enkelin nackt gegenüberstanden, als das Schlimmste überhaupt. „Damals war solch offenes Verhalten in einer Familie nicht üblich.“198 Die Frauen lebten gemeinsam auf dem tschechischen Block „Nummer acht“,199 weshalb sich die Dorfsitten nur langsam auflösten. Die Frauen waren es nicht gewöhnt, sich gegenseitig zu duzen, weshalb sie sich weiter in der Höflichkeitsform ansprachen, zum Beispiel mit Frau Direktor oder Frau Lehrerin. Hinzu kam, dass die Frauen sehr schnell aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen worden waren und ohne jegliche vorherige Erfahrung einer Inhaftierung in einem Gefängnis, wie es bei anderen Häftlingen sehr oft der Fall war, in das Konzentrationslager eingeliefert worden waren.200

Sogar die familiären Beziehungen unter den Frauen aus Lidice wurden von den Überlebenden zwiespältig beurteilt. So beschrieben beispielsweise die Schwestern Frau Skleničková und Frau Kalibová die Anwesenheit all ihrer weiblichen Familienmitglieder in Ravensbrück als einen ungünstigen Zustand. Sie wurden oft von ihrer Mutter mit deren Essensrationen versorgt, was zur Folge hatte, dass die Mutter mehr hungerte als die anderen Häftlinge.201 „Ich sagte immer, wenn ihr hier nicht wärt, wäre es für mich besser, dann müsste ich mir keine Sorgen um Euch machen“.202 Im Gegensatz zu diesen zwei Aussagen erzählte Frau Cábová, dass gerade die Anwesenheit und die Unterstützung ihrer Mutter ihr geholfen hätte, das Konzentrationslager zu überleben.203

Die Zusammengehörigkeit in der Gruppe brachte den Frauen aus Lidice aber nicht nur Nachteile. Durch sie wurden sie in ihrem gemeinsamen Überlebenswillen bestärkt. Sie waren davon überzeugt, unschuldig und zu Unrecht in das Konzentrationslager eingeliefert worden zu sein.204 Sie warteten die ganze Inhaftierungszeit auf ihre Entlassung und die Möglichkeit, zu ihren Familien nach Hause zurückzukehren. Sie wussten nicht, dass die Männer bereits am ersten Tag erschossen und die Kinder nach Polen gebracht worden waren. Nach Meinung der anderen tschechischen Häftlinge, die durch die Ankunft von neuen Verhafteten Informationen über die Tragödie in Lidice erhalten hatten, sollte dies auch so bleiben. Sie vermuteten, dass die Frauen aus Lidice ihren Überlebenskampf aufgeben würden,205 womit sie wahrscheinlich Recht hatten.

Aus dem Grund, dass sich die Frauen aus Lidice vor ihrer Inhaftierung schon gekannt hatten, auf einem Block zusammenlebten und arbeiteten, handelte es sich um eine sehr geschlossene Gruppe. Sie organisierten sogar aus einer eigenen Initiative heraus mehrmals einen kulturellen Nachmittag auf dem tschechischen Block. Im Jahr 1943 oder 1944 veranstalteten sie ein Programm, in welchem verschiedene Städte und Dörfer der Tschechoslowakei besungen wurden. Zusätzlich wurden auch Gedichte vorgetragen.206

Unter den Frauen aus Lidice herrschte eine große Hilfsbereitschaft. Die Frauen, welche die deutsche Sprache beherrschten, übersetzten die Briefe der anderen, weil jeglicher Schriftverkehr auf deutsch geführt werden musste.207 Oder aber sie erzählten sich bei der Arbeit in der Nacht Geschichten, um sich gegenseitig wach zu halten.208 Die Frauen aus Lidice wurden auch von den anderen Tschechinnen als gesonderte Gruppe betrachtet. Nach der Ankunft wurden sie von einer tschechischen Journalistin, wahrscheinlich von Jožka Jabůrková, begrüßt. An dieses Treffen, das die Frauen ermutigen sollte, erinnerte sich Frau Hroníková. „Sie sagte: Wir lassen kein einziges Weibchen aus Lidice da, welche nicht gehen können, werden wir in unseren Armen zum Bahnhof tragen.[…].“ 209

Anmerkungen:
95 Božena Holečková: Češky v Ravensbrücku [Die Tschechinnen in Ravensbrück], in: Hájková, Ravensbrück, S. 196–217, hier S. 196.
96 ARa, RA Bd. 41, Bericht 968; Bd. 42, Bericht 986, zitiert nach Philipp, Kalendarium, S. 85.
97 Meta-Datenbank, MGR/SBG. Alle folgende Daten stammen aus dieser Datenbank.
98 Diagramm siehe S. 120. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
99 Diagramm siehe S. 118. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
100 Provedení výnosu Vůdce a říšského kancléře ze dne 16.3.1939 o zřízení Protektorátu Čechy a Morava. [Ein Erlass des Führers und Reichskanzlers vom 16.3.1939 über die Gründung des Protektorats Böhmen und Mähren.], MV–Ref. L, Karton 38, SZAP.
101 Boris Čelovský: So oder so. Řešení české otázky podle německých dokumentů 1933–1945. [Die Lösung der tschechischen Frage nach den deutschen Dokumenten aus den Jahren 1933–1945.], Ostrau 1995, S. 179.
102 Detlef Brandes: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. Besatzungspolitik, Kollaboration und Widerstand im Protektorat Böhmen und Mähren bis Heydrichs Tod (1939–1942), Bd. 1, München/Wien 1969, S. 15.
103 Ein Protokoll von W. Hewela aus dem deutschen Außenministerium, über das Treffen Hitler mit Hácha am 15.3.1939, um 1:15–2:15 Uhr, ADAP, DIV, 228, zitiert nach Čelovský, Die Lösung, S. 215.
10 4Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 19.
105 Provedení výnosu Vůdce a říšského kancléře ze dne 16.3.1939 o zřízení Protektorátu Čechy a Morava. [Ein Erlass des Führer und Reichskanzler vom 16.3.1939 über die Gründung des Protektorats Böhmen und Mähren.], MV–Ref. L, Karton 38, SZAP.
106 Jan B. Uhlíř/Jan Kaplan: Praha ve stínu hákového kříže [Prag im Schatten des Hakenkreuzes], Těšín 2005, S. 19.
107 Ebd., S. 21.
108 Ladislav Feierabend war in der Protektoratsregierung vom 16. März 1939 bis 26. Januar 1940 Minister für Landwirtschaft. Ladislav Feierabend: Prag-London, Vice-versa, Erinnerungen, Bd. 1, Dokumente und Kommentare zu Ost-Europa-Fragen, Bd. XIV, Eichstätt 1973, S. 12.
109 Ebd., S. 107.
110 Uhlíř/Kaplan, Prag, S. 24.
111 Ebd., S. 39.
112 Feierabend, Prag, S. 146.
113 Feierabend, Prag, S. 165; Ein Überblick über Widerstandsorganisationen im Protektorat bietet Václav Kural in seinem Werk. Václav Kural: Místo společenství konflikt! Češi a Němci ve velkoněmecké říši a cesta k odsunu (1939–1945) [Anstelle eines Zusammenlebens, Konflikt. schechen und Deutsche im Großdeutschen Reich und der Weg zu Vertreibung (1939–1945)], Prag 1994, S. 81–91.
114 Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 127.
115 Kural, Anstelle eines Zusammenlebens, S. 154; Robert Maier (Hrsg.): Tschechen, Deutsche und der zweite Weltkrieg. Von der schweren geschichtlichen Erfahrung und den Schwierigkeiten ihrer Aufarbeitung. Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 94, Hannover 1997, S. 23–38, hier S. 28.
116 Meinung von K.H. Frank in dem Vorschlag für Adolf Hitler über Lösung des tschechischen Problems. Memorandum vom K.H. Frank, am 20. August 1940 abgebildet in Čelovský, So oder so, S. 262. Übersetzt von der Verfasserin.
117 Reinhard Heydrich, zitiert nach Kural, Anstelle eines Zusammenlebens, S. 154.
118 Čelovský, So oder so, S. 37; Uhlíř/Kaplan, Prag, S. 62.
119 Čelovský, So oder so, S. 38.
120 Reinhard Heydrich, zitiert nach Kural, Anstelle eines Zusammenlebens, S. 155.
121 Verordnung Reichsprotektor vom 27. September 1941 über die Verhängung des zivilen Ausnahmezustandes. MV–L, Karton 40, SZAP.
122 Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 212.
123 Eduard Stehlik, Lidice. Pribeh ceske vsi [Lidice. Die Geschichte eines tschechischen Dorfes], Prag 2004, S. 61.
124 Uhlíř/Kaplan, Im Schatten, S. 73f.; Kural, Anstelle eines Zusammenlebens, S. 186; Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 253f.
125 Uhlíř/Kaplan, Im Schatten, S. 74.; Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 254–256.
126 Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 254.
127 Telegramm von Heinrich Himmler an K.H. Frank vom 27. Mai 1942 abgebildet in: Kárný/Milotová/Kárná, Protektorát, S. 266.
128 Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 254.
129 Protokoll K.H. Frank über seinen Aufenthalt am 28. Mai 1942 im Hauptstab und das Gespräch mit Himmler und Hitler. Abgebildet in: Kárný/Milotová/Kárná, Protektorát, S. 267–276.
130 Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 264f.
131 Uhlíř/Kaplan, Prag, S. 76.
132 Strebel, Das KZ, S. 256.
133 Siehe Kapitel 3.4.1 dieser Arbeit, S. 35–38.
134 Stehlík, Lidice, S. 78; www.lezaky.cz. Leider existiert diese offizielle Internetseite des Mahnmals Ležáky nur auf Tschechisch.
135 Dokumente der Geheimen Staatspolizei. MV–L, Karton 40, SZAP.
136 Uhlíř/Kaplan, Prag, S. 84.
137 Ausruf des Tschechischen National Rats am 5. Mai 1945, zitiert nach Pavel Bělina/Jiří Pokorný (Hrsg.): Dějiny zemí koruny české II. Od nástupu osvícenství po naši dobu [Die Geschichte der Länder der tschechischen Krone. Seit der Epoche „Osvícenství“ bis heute], Prag, Litomyšl 1995, S. 235.
138 Strebel, Das KZ, S. 111–113.
139 Tabelle siehe S. 119. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
140 Meta-Datenbank, MGR/SBG.
141 Holečková, Die Tschechinnen, S. 196. Keine von den Frauen, die von Holečková erwähnt wurden, konnten in der Meta-Datenbank mit genauen Angaben gefunden werden.
142 Božena Krutinová: [Ohne Titel], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 123, hier S. 123.
143 Josefa Baxová: [Ohne Titel], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 8–16, hier S. 8f.
144 Meta-Datenbank, MGR/SBG.
145 Božena Krutinová: Jedeme do koncentračního tábora Ravensbrück [Wir fahren in das Konzentrationslager Ravensbrück], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 39–43, hier S. 40.
146 Ihr Mann war ein Minister in der Exilregierung. Die weibliche Familie wurde nach Ravensbrück geschickt, die männliche kam nach Dachau.
147 Eva Provazníková: [Ohne Titel], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 63f., hier S. 63.
148 Katalog zur Ausstellung „Konzentrationslager Dachau 1933 bis 1945“, hg. vom Comite Internationale de Dachau, Barbara Distel, KZ-Gedenkstätte Dachau, München 2005, S. 75.
149 Tabelle siehe S. 119. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
150 Dagmar Hájková/Hanka Housková: Děti [Kinder], in: Hájková (Hrsg.), Ravensbrück, S. 132–146, hier S. 133f. Übersetzt von der Verfasserin.
151 Siehe Kapitel 2.3 dieser Arbeit, S. 19–22.
152 Tabelle siehe S. 119. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
153 Meta-Datenbank.
154 Strebel, Das KZ, S. 122; Beatrix Čalounová: [Ohne Titel], in: Gil (Hrsg.), Die Zeugenaussagen, S. 65–68, hier S. 66.
155 Čalounová, Ohne Titel, S. 66.
156 Gliederung der Häftlinge laut Haftbefehl nach Haftart, BA, NS 3/391, Bl. 3, zitiert nach Strebel, Das KZ, S. 111.
157 Tabelle siehe S. 119. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
158 Tabelle siehe S. 119. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
159 Meta-Datenbank, MGR/SBG.
160 Ebd.
161 Ebd.
162 Holečková, Die Tschechinnen, S. 197f.
163 In Bernburg befand sich die Heil- und Pflegeanstalt, in der die Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück während der Aktion „14f13“ getötet wurden. Strebel, Das KZ, S. 332.
164 Strebel, Das KZ, S. 126; Meta-Datenbank.
165 Uhlíř/Kaplan, Prag, S. 76.
166 Lidice. Čin krvavého teroru a porušení zákonu i základních lidských práv [Lidice. Die Bluttat, der Terror und das Verletzen der Gesetze und Menschenrechte], hg. vom Ministerstvo vnitra odbor politické zpravodajství [Innenministerium, Abteilung der politischen Nachrichten], Prag 1945, S. 15f.
167 Anička ist ein Diminutiv des Namens Anna.
168 Lidice, S. 25f.; Lidice, hg. vom Obecní úřad Lidice [Rathaus Lidice], Prag 2002, S. 15f. Übersetzt von der Verfasserin.
169 Josef Horák und Josef Stříbrný stammen aus Lidice und sind im März 1939 zu der tschechoslowakischen Armee nach Frankreich, danach nach England gegangen. Stehlík, Lidice, S. 58.
170 Lidice, S. 28.
171 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 6.
172 Lidice, S. 30.
173 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 6.
174 Lidice, S. 32.
175 Vermerk von dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Böhm für Frank und Daluege vom 12. Juni 1942, zitiert nach Brandes, Die Tschechen, Bd. 1, S. 262.
176 Ein Protokoll über die Vergeltungsmaßnahmen gegen die Ortschaft Liditz, vom 24. Juni 1942, MV–Ref.L, Karton 40, SZAP.
177 Jaroslava Skleničková: Jako chlapce by mě zastřelili … Příběh nejmladší lidické ženy, [Als Junge hätten sie mich erschossen … Geschichte der jüngsten Frau aus Lidice], Havlíčkův Brod 2006, S. 58.
178 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 7; Lidice, S, 41.
179 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 8f.; Lidice, S. 43. Alle Namen der erschossenen Männer befinden sich im Anhang dieses Buches.
180 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 9.
181 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 9; Lidice, S. 48.
182 Stehlík, Lidice, S. 118.
183 Schwangere Frauen kamen bis zu der Entbindung in ein Krankenhaus nach Prag und Frauen mit Kindern unter einem Jahr zuerst nach Theresienstadt.
184 Lidice, S. 59.
185 Ebd., S. 60.
186 Lidice, hg. vom Rathaus Lidice, S. 7.
187 Hozakova, Und es war doch, S. 24f.
188 Philipp, Kalendarium, S. 250.
189 Lidice, S. 74–76. Dort wurden 184 Namen aufgeführt, was aber nicht stimmen kann, da Frau Rakosová erst im August nach Ravensbrück kam.
190 Stehlík, Lidice, S. 104.
191 Jarmila Nová, geb. Müllerová: [Ohne Titel], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 100–102, hier S. 101.
192 Stehlík, Lidice, S. 104.
193 Diagramm siehe S. 118. Berechnet von der Verfasserin aus den Daten der Meta-Datenbank, MGR/SBG.
194 Stehlík, Lidice, S. 107.
195 Lidice, S. 77f.
196 Hozáková, Und es war doch, S. 25.
197 Miroslava Kalibová, geb. Suchánková: [Ohne Titel], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 106–107, hier S. 106.
198 Maria Jarošová in einem Film von Loretta Walz u.a.: „In drei Tagen hatten wir alles verloren“. Frauen aus Lidice erzählen, 2002.
199 Siehe Kapitel 4.1, S. 43–46.
200 Jarošová, In drei Tagen; Skleničková, Als Junge, S. 66f.
201 Jaroslava Skleničková und Miroslava Kalibová in einem Film von Loretta Walz u.a., In drei Tagen.
202 Skleničková, In drei Tagen.
203 Milada Cábová in einem Film von Loretta Walz u.a., In drei Tagen.
204 Nová, [Ohne Titel], S. 100–102, hier S. 101.
205 Anna Peková, geb. Stříbrná: [Ohne Titel], in: Gil, Die Zeugenaussagen, S. 99f., hier S. 99; Milada Cábová in einem Film von Loretta Walz u.a., In drei Tagen; Hozaková, Und es war doch, S. 25.
206 Miroslava Kalibová, zitiert nach Gabriele Knapp: Frauenstimmen. Musikerinnen erinnern an Ravensbrück, Berlin 2003, S. 53.
207 Kalibová, [Ohne Titel], S. 106.
208 Skleničková, Als junge, S. 68f.
209 Anna Hroníková: Frauen aus Lidice. Man schrieb das Jahr 1942, in: Helga Schwarz/Gerda Szepansky (Hrsg.): Frauen-KZ Ravensbrück … Und dennoch blühten Blumen. Dokumente, Berichte, Gedichte und Zeichnungen vom Lageralltag, Potsdam, Grossbeeren 2000, S. 86f., hier S. 87.