Fazit

Von Vaclava Kutter Bubnova
[Tschechische Häftlinge im KZ Ravensbrück]

Das Konzentrationslager Ravensbrück, das im Mai 1939 fertiggestellt wurde, ging als das größte Lager für weibliche Häftlinge im Dritten Reich in die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. In diesem Lager wurden alle Frauen aus den besetzten Gebieten inhaftiert, die laut Definition des NS-Systems „unpassend“ waren. Eingesperrt wurden hauptsächlich diejenigen, die aufgrund ihrer politischen Überzeugung, ihres Glaubens, ihrer „Rasse“ oder wegen ihres für die Nationalsozialisten unakzeptablen Lebensstils verfolgt wurden. In Ravensbrück waren dies in den sechs Jahren von 1939 bis 1945 mindestens 120.000 Frauen aus über 40 Nationen. Die dort am stärksten vertretene Nation war Polen mit mindestens 26.050 und höchstens 48.523 Frauen. Ihnen folgten viele andere Nationalitäten, unter anderem auch die Tschechinnen mit mindestens 1.700 Häftlingen. Die tatsächliche Häftlingszahl war vermutlich deutlich höher. Leider ist die Quellenlage in diesem historischen Bereich sehr dürftig, sodass die tatsächlichen Zahlenangaben schwer zu analysieren sind. Trotz der niedrigen Anzahl der tschechischen Häftlinge im Konzentrationslager Ravensbrück, im Vergleich beispielsweise zu den Polinnen, verfolgte diese Arbeit das Ziel, das Leben dieser Frauen im Konzentrationslager zu erarbeiten.

Die tschechischen Häftlinge gehörten zu den ersten „Bewohnerinnen“ dieses Lagers, da die erste Verhaftungswelle im Protektorat Böhmen und Mähren kurz nach dessen Einrichtung erfolgte. Sie wurde unter dem Namen „Aktion Gitter“ bekannt. Es wurden vorwiegend Kommunisten und Personen, die des möglichen Widerstands verdächtigt wurden, verhaftet. Die zweite Verhaftungsaktion erfolgte nach Kriegsausbruch am 1. September 1939 und wurde unter dem Namen „Aktion Albrecht I.“ durchgeführt. Dabei konzentrierten sich die Nationalsozialisten auf neue Zielgruppen, wie zum Beispiel auf die tschechische Intelligenz und wichtige Personen aus Wirtschaft und Kultur. Der erste große Transport von Tschechinnen kam im Januar 1942 nach Ravensbrück. Bis dahin trafen die Frauen aus Tschechien nur in kleinen Gruppen ein. Der vorwiegende Teil der Tschechinnen wurde dort als politische Häftlinge registriert. Es handelte sich aber keinesfalls nur um Frauen, die tatsächlich politisch aktiv gewesen oder wegen Widerstandshandlungen gegen die Nationalsozialisten inhaftiert worden waren. So bekamen zum Beispiel auch die Frauen aus Lidice, die am 14. Juni 1942 eingeliefert worden waren, einen roten Winkel, der die Frauen als politische Häftlinge kennzeichnete. Im Grunde aber hatten sie mit Widerstand wenig zu tun und mischten sich auch nicht in politische Angelegenheiten ein. Sie wurden im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme gegenüber der tschechischen Bevölkerung für das Attentat auf den Stellvertreter des Reichsprotektors Heydrich eingesperrt. Ihre Männer wurden alle ohne Ausnahme erschossen und alle Kinder, außer den wenigen, die als „umerziehungsfähig“ angesehen wurden, in Polen vergast. Als politische Häftlinge wurden auch die Frauen gekennzeichnet, die anstelle ihrer Verwandten, die beispielsweise in die Exilregierung eingetreten waren oder an der Seite der Alliierten gegen die Nationalsozialisten kämpften und als Geiseln verhaftet wurden.

In geringerem Maße waren die tschechischen Häftlinge auch anderen Häftlingskategorien zugeteilt, beispielsweise den „Bibelforscherinnen“ oder den sogenannten „Asozialen.“ Die meisten sogenannten „Asozialen“ waren Sinti und Roma, die zusammen mit den Jüdinnen zu den Verfolgten aus rassischen Gründen gehörten. Bei weniger als 65 Frauen wurden Haftgründe eingetragen, die sonst nur bei reichsdeutschen Häftlingen benutzt wurden. Es handelte sich dabei um „Rassenschänder“, „befristete Vorbeugehäftlinge“ und „Schutzhäftlinge“.

Wie die Häftlinge vor ihrer Inhaftierung lebten und was sie arbeiteten, ist anhand der wenigen Quellen schwer zu beantworten. Über das Leben vor der Haftzeit liefern nur die Überlebenden selbst, ihre Familien oder Freunden ausreichend Informationen. Leider wird die Vorkriegszeit nur sehr selten in Zeitzeugenberichten thematisiert, sodass hier nur mit Hilfe einer Quelle,516 in welcher 796 Frauen erwähnt sind, die frühere Arbeitstätigkeit der Frauen erläutert werden kann. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht auf alle Tschechinnen übertragbar. Nach dieser Analyse waren mehr als 50 % der Frauen vor ihrer Inhaftierung als Hausfrauen tätig, die anderen übten verschiedene Berufe als Professorin, Beamtin oder als Dienstmädchen aus.

Die meisten tschechischen Frauen, die im Sommer 1942 oder später eingeliefert worden waren, wurden gemeinsam auf dem sogenannten „tschechischen Block 8“ untergebracht. Dies hatte große Vorteile für die Frauen, weil sie die gleiche Sprache beherrschten, eine sehr ähnliche Mentalität und gleiche kulturelle Wurzeln hatten, daher die gleichen Schriftsteller und deren Werke kannten. Die gemeinsame Sprache war ein wichtiges Merkmal für die gemeinsame kulturelle Tätigkeit im Lager. Kultur spielte bei den Tschechinnen, aber auch bei Frauen aus anderen Nationen eine sehr bedeutende Rolle. Die Frauen rezitierten und schrieben Gedichte, sangen Lieder, tanzten und malten. Sie verfolgten damit mehrere Ziele. Sie benutzten die Kunst und Kultur als eine Quelle, aus welcher sie psychische Kraft schöpften, und wohin sie in ihren Gedanken stets vor der SS flüchten konnten. Unter den tschechischen Frauen waren viele berühmte Künstlerinnen wie zum Beispiel Nina Jirsíková, die im Lager sogar ein Theaterstück verfasste. Mit der Zeit entwickelten die Tschechinnen die sogenannten Kulturnachmittage, die größtenteils am Sonntag stattfanden. Hier bekam jede Frau die Möglichkeit, ihre Kunst und ihre Begabung zu präsentieren. Die Frauen übten überall, wo es nur möglich war, beispielsweise auf der Lagerstraße bei der Freistunde, beim Appellstehen, in der Baracke vor dem Einschlafen, im Waschraum oder auf den Toiletten. Die Frauen mussten dabei sehr vorsichtig sein, weil ihnen bei einem Verrat eine hohe Strafe drohte.

Bestraft wurden die Frauen ähnlich wie die Männer in anderen Konzentrationslagern. Die SS nutzte verschiedene Arten der Bestrafung, die allesamt in Ravensbrück in einem Strafkatalog aufgelistet waren. Es wurde zwischen körperlichen und psychischen Strafen bzw. einer Mischung aus beiden unterschieden. Zu den körperlichen Strafen gehörte u.a. die Prügelstrafe, die aus fünf bis 25 Schlägen auf das nackte Gesäß bestand. Im Unterschied zu der Bestrafung der männlichen Häftlinge, sollten die weiblichen Häftlinge ihre Prügelstrafe erst nach der Genehmigung von Himmler und der Inspektion der Konzentrationslager bekommen. Dieses wurde oft aber nicht eingehalten, genauso wie die Obergrenze von 25 Schlägen. Zu den psychischen Bestrafungen gehörte beispielsweise das Verbot, Briefe zu schreiben oder zu empfangen. Eine Mischung aus beiden Strafarten war zum Beispiel die Überstellung in das Lagergefängnis. Hier mussten die Frauen meistens mehrere Tage im Dunkeln und ohne warme Bekleidung verbringen. Zusätzlich wurden sie des Öfteren zu Verhören gebracht, viele Frauen überlebten dieses Marthyrium nicht.

Der Tagesablauf der Häftlinge wurde von der SS sehr genau geplant, sodass ihnen nur wenig Freizeit blieb. Den größten Teil des Tages verbrachten die Frauen bei der Arbeit. Sie wurden in sogenannte Außen- und Innenkommandos eingeteilt, je nachdem, wo die Kommandos ihre Arbeitsstelle hatten. Die Frauen, die in einem Innenkommando tätig waren, arbeiteten innerhalb des Lagers. Sie wurden im Krankenrevier, der SS- oder Häftlingsküche, der Häftlingswäscherei oder in den SS-Betrieben innerhalb der Lagermauern eingesetzt. Im Vergleich dazu fand die Tätigkeit bei einem Außenkommando immer außerhalb der Lagermauern statt. Das Arbeitskommando konnte über Leben und Tod eines Häftlings entscheiden, weswegen alle Häftlinge versuchten, eine gute Arbeitsstellung zu bekommen. Da die Tschechinnen nicht in einem gemeinsamen Arbeitskommando tätig waren, ist es sehr schwer, eindeutig zu sagen, was die meisten arbeiteten, und ob es sich dabei um eine „gute“ Stelle handelte. Aus den Berichten Überlebender, die der Verfasserin zugänglich waren, geht deutlich hervor, dass die Tschechinnen in vielen verschiedenen Arbeitsbereichen eingesetzt worden waren.

Das Konzentrationslager Ravensbrück war, wie alle anderen Lager auch, ein internationales Lager, in welchem die Begegnung von Frauen aus den diversen Ländern nicht ungewöhnlich war. Jeder Nation und jeder Häftlingskategorie wurde im Lager von den SS-Leuten ein unterschiedlicher Grad an „Sympathie“ zuteil, was sich im Laufe der Zeit auch ändern konnte. Das tschechische Volk war im Gegensatz zu den anderen slawischen Nationen von den Nationalsozialisten nicht als ein Land von „Untermenschen“ angesehen worden, was ein Grund dafür war, warum die tschechischen Häftlinge höhere Positionen in der Häftlingshierarchie einnehmen konnten.

Ein anderer Grund war, dass die Tschechinnen sehr lange inhaftiert waren, und viele von ihnen die deutsche Sprache beherrschten. Viele setzten ihre bessere Position zum Nutzen aller Mithäftlinge ein. Einander helfen konnten sich im Lager nahezu alle, nur die Intensität dieser Hilfe war unterschiedlich. Sogenannte Funktionshäftlinge hatten die Möglichkeit mehr Hilfeleistungen zu erbringen als ein einfacher Häftling, der stärker um sein eigenes Überleben kämpfen musste. In der Regel halfen sich vor allem Frauen gegenseitig, die eine bindende Gemeinsamkeit hatten. Das war beispielsweise die Herkunft aus der gleichen Nation, die Freundschaft bereits zu Zeiten der Freiheit, die selbe religiöse oder politische Überzeugung. Eine Ausnahme in Bezug auf die Solidarität unter den Häftlingen stellte das Krankenrevier dar, in welchem auch viele Tschechinnen tätig waren. Hier versuchten die Frauen, jedem zu helfen der Hilfe benötigte, wobei es trotzdem auch hier zu einer Auswahl an Hilfsbedürftigen kam. Ein Grund dafür war die beschränkte Kapazität des Krankenreviers, Mangel an Medikamenten und die zu geringe Anzahl an Pflegepersonal.

Die meisten Tschechinnen versuchten aus verschiedenen Gründen im Lager zusammenzuhalten. Auf der einen Seite war es ihr Bestreben, bereits bestehende Freundschaften zu halten und sich durch neue Freundschaften moralisch und tatkräftig Beistand zu leisten. Auch alleinstehende Frauen tschechischer Herkunft wurden integriert, da es sehr schwer war, ohne Anschluss an andere zu überleben. Auf der anderen Seite verfolgten die tschechischen Frauen neben der gegenseitigen Hilfe auch politische Ziele. So strebten sie häufig weiterhin nach dem Ende des Nationalsozialismus, nach ihrer Befreiung und ihrer Heimkehr. Jede Nation im Lager hielt zusammen, es war keine typische Eigenschaft der Tschechinnen. Allein der Grad und die Ausprägung des Zusammenhalts variierten.

Am 30. April 1945 wurde das Konzentrationslager Ravensbrück durch die Rote Armee befreit.517 In den nächsten Monaten versuchten die Tschechinnen auf den verschiedensten Wegen, nach Hause zu kommen. Mithilfe der tschechoslowakischen Regierung wurden mehrere Fahrzeuge organisiert und nach Ravensbrück geschickt. In der Zwischenzeit machten sich aber schon hunderte Tschechinnen teilweise zu Fuß oder mit der Bahn auf den Weg nach Hause. Der Nationalsozialismus war besiegt, aber eine Diktatur wurde in Tschechien durch eine andere ersetzt. Schon im Jahr 1948, als die Kommunisten die Macht übernahmen, entschieden sich viele Menschen dazu, das Land zu verlassen, unter ihnen auch mehrere Überlebende aus Ravensbrück.

Im Jahr 1968, nachdem die Tschechoslowakei durch die Armee des Warschauer Paktes besetzt worden war, folgten ihnen viele weitere. Viele Kommunistinnen und ehemalige Häftlinge aus Ravensbrück sahen in diesem Akt eine Ähnlichkeit zum 15. März 1939, weshalb sie aus der Partei austraten. Damit begann für viele eine „dunkle Zeit.“ Sie konnten sich zu den Erlebnissen aus Ravensbrück nicht bekennen, und ihre Namen wurden in keinem Buch erwähnt. Dies änderte sich erst im Jahr 1989, aber viele von ihnen erlebten dies nicht mehr.

Eine andere Situation erwartete die Frauen aus Lidice nach ihrer Rückkehr in die Tschechoslowakei. Sie erfuhren erst nach der Befreiung alle Einzelheiten der Ereignisse vom 10. Juni 1942, und als ganz Europa feierte, trauerten sie um ihre Männer und Kinder. Eine „Wiedergutmachung“ sollte für sie der Aufbau des neuen Dorfes sein, in welchem jede überlebende Frau und jedes Kind ein Haus bekamen. Lidice diente schon während des Krieges als Inbegriff für das Böse der Nationalsozialisten, obwohl in Europa noch zahlreiche weitere Dörfer das gleiche Schicksal teilten. Für die Kommunisten stellte das Dorf nach dem Krieg für über 40 Jahre eine Bühne dar, auf welcher jedes Jahr die größten Propagandareden gegen den Westen gehalten wurden.

Das komplexe Thema „Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Ravensbrück“ ist durch diese Arbeit nicht abgeschlossen. Vielmehr wird die Notwendigkeit offenkundig, sich in einem noch breiteren Spektrum mit diesem Thema zu beschäftigen. Ein wichtiges Thema, das bis heute noch nicht bearbeitet wurde, ist das Leben der Überlebenden nach ihrer Befreiung und der Einfluss des Lageraufenhalts auf ihr späteres Leben. Die Tschechinnen waren nicht nur im Hauptlager Ravensbrück, sondern auch in verschiedenen Außenlagern inhaftiert. Davon befanden sich mindestens zwei auf dem Gebiet des ehemaligen Protektorats Böhmen und Mähren.518 Nicht alle Tschechinnen, die während des Krieges in einem Konzentrationslager waren, waren dort als Opfer inhaftiert. Manche von ihnen waren auch Täterinnen. Sie arbeiteten meistens in den Außenlagern auf dem tschechischen Gebiet als Aufseherinnen. Aus diesem Grund stand zumindest ein Teil von denen, die eine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft hatten, vor einem Gericht in Prag. Dieses Gebiet ist bedauerlicherweise bis heute noch sehr wenig erforscht. Eine Analyse steht bis heute aus, würde aber mit Sicherheit sehr interessante Ergebnisse liefern.

Anmerkungen:
516 Liste der Tschechinnen in Block 8.
517 Strebel, Das KZ, S. 502.
518 Zwodau und Neurohlau, zitiert nach Strebel, Das KZ, S. 429.