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Koscher leben...
 
 

[Der Prozess Jesu aus Sicht des Jüdischen Rechts]

Nachdem aus den im Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) verwalteten Mitteln zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus eine Publikation hervorging, die die Behauptung "die Juden haben Christus umgebracht" ausdrücklich als richtig bezeichnet, sehen wir uns veranlasst noch einmal deutlich und ausdrücklich darauf hinzuweisen: Die Juden sind nicht schuld am Tod des Jesus von Nazareth - ganz im Gegenteil - doch lesen Sie selbst...

G. Miller

  1. Einführung
  2. Die Verhaftung Jesu
  3. Im Hause des Hohepriesters
  4. Thesen zur Aufrechterhaltung der Theorie eines jüdischen Prozesses
  5. Schlusswort
Wer hat Jesus umgebracht?
Schlusswort zum Prozess Jesu aus jüdischer Sicht

Im letzten Kapitel seines Buches fasst der Autor, Chaim Cohn, die wichtigsten Lehren zusammen, die er aus der Erforschung des Prozesses Jesu gezogen hat.

Da dieses Kapitel mir als ein besonders wichtiger Teil dieses zeitgeschichtlichen Dokuments erscheint, stelle ich es als Ganzes dem Leser zur Verfügung (hier klicken). Hier jedoch zunächst in aller Kürze einige Zitate zum Einstieg und zur Übersicht:

Die Perversion des Rechts

Die Weissagung Jesu hatte sich erfüllt. Der Tempel war zerstört, kein Stein war auf dem anderen geblieben (Mk 13, 2; Mt 24, 2; Lk 21, 6). Gewiss war dies (Anm.: nach christlicher Lesart) die erwartete göttliche Vergeltung für die Kreuzigung Jesu. Die qualvolle Vergeltung muss allezeit erlitten werden.

Die Juden teilten die Überzeugung, dass die Trümmer Jerusalems und seines Tempels sowie die Zerstreuung des jüdischen Volkes unter die Nichtjuden Strafe Gottes waren. Wenn Er Böses sandte, musste es verdient sein. Im Talmud finden wir eine lange Liste von Sünden und Übertretungen, deren sich das gegenwärtige Geschlecht ‑ so jedenfalls glaubte man ‑ schuldig gemacht hatte und aufgrund deren es von der göttlichen Vergeltung heimgesucht wurde. Mit Blick auf alles, was mit dem Tod Jesu verbunden war, war das jüdische Gewissen ‑ damals wie zu jeder Zeit ‑ rein und ruhig.

Seit frühester Zeit wurde die jüdische Schuld an der Kreuzigung Jesu zu einem willkommenen und selbstverständlichen Ausgangspunkt, um die Juden mit allen denkbaren wirklichen und imaginären Morden zu belasten. Da sie ohnehin unverbesserliche Mörder waren, konnte jeder unnatürliche Tod, für den sich kein anderer Täter finden ließ, nahezu automatisch und in jedem Fall willkommenermaßen ihnen angelastet werden. Die Märchen über die jüdische Verbindung von Mord und Magie, Gift und Zauberei, Blut und Ritual, die auf eine vollkommene Vernichtung des Christentums zielten, wurden "in mannigfaltiger Gestalt häufig genug wiederholt, um daraus den Hinweis zu entnehmen, dass sie ganz allgemein Glauben fanden".

Es ist nicht nur so, dass die jüdische Schuld an der Kreuzigung Jesu praktisch zu einem dogmatischen Glaubensartikel geworden ist. Die typische Kennzeichnung der Juden als Gottesmörder und somit zugleich als grenzenlos Mordlustige hat sich so tief in das Bewusstsein nachfolgender Generationen von Christen eingegraben, dass die modernen Auswüchse des radikalen Antisemitismus überall fruchtbaren Boden vorfanden.

Es ist nicht unsere Absicht, aus theologischer Perspektive das Phänomen der Beschimpfung und Peinigung der Juden durch Christen zu erforschen. Die nur zu offensichtliche Diskrepanz zwischen der Predigt Jesu. (vgl. Mt 5, 44) sowie den paulinischen Lehren (vgl. Röm 9‑11) und der christlichen Praxis durch die Jahrhunderte wirft Probleme auf, deren Lösung nicht unsere Auf­gabe ist. Selbst die fortschrittlichen Versuche der Kirchen vermitteln unausge­sprochen die Vorstellung, dass es hinsichtlich des fundamentalen Glaubens, die jüdischen Autoritäten in Jerusalem zur Zeit der Kreuzigung seien tatsächlich für die Ermordung Jesu verantwort­lich, keinen Wandel geben kann oder soll, eine Implikation, die nicht nur die fatalen Irrtümer und Missdeutungen vergangener Zeitalter fortschreibt, sondern auch die emotionale Basis, die pseudoethische und die pseudotheologische Rechtfertigung des traditionellen Vorurteils und der Feindseligkeit gegen die Juden unangetastet lässt.

Womit wir uns ‑ als Juristen ‑ befassen, ist in erster Linie das zu keiner Zeit und nirgendwo lebendiger und schrecklicher als beim Prozess Jesu bewiesene Phänomen, dass die Wirkung von Gerichtsverfahren hinsichtlich der öffentlichen Denkweise sowie der öffentlichen Reaktion nicht so sehr von ihrem Wesen oder davon abhängt, was tatsächlich in ihrem Verlauf geschehen ist, sondern von der Art und der Intention der Berichterstattung dar­über.

Je älter oder heiliger die Autorität, desto unanfechtbarer der Bericht; je länger Menschen an seine Wahr­heit geglaubt haben und je größer die Zahl der Menschen, die von seiner Aufrichtigkeit überzeugt sind, desto leichter und stärker wird er sich dem Denken folgender Generationen als unumstößliche Wahrheit aufdrängen.

In juristischen Fragen ungeübte oder uner­fahrene Leser, und dies gilt in besonderer Weise für die Vergangen­heit, hegen gewöhnlich nicht den leisesten Verdacht hinsichtlich der Genauigkeit eines Berichts, der die ‑ sei es günstige oder kata­strophale ‑ Wende hervorhebt, die ein Geschehen durch öffent­liche Reaktionen erfuhr.

Die ersten Berichterstatter waren, sofern wir notwendigerweise die spärlichen und zweideutigen Äußerungen, die Petrus und Pau­lus zugeschrieben werden, außer Acht lassen, die Evangelisten. Weder sie noch ihre Leser kümmerten sich um die juristischen oder praktischen Einzelheiten des Prozesses oder um den recht­lichen Gehalt der beschriebenen Ereignisse. Ihr Ziel war theologi­scher und missionarischer Natur, und ihre Berichte zielten darauf ab, den römischen Statthalter von aller Verantwortung für die Kreuzigung freizusprechen, obgleich es kein Ausweichen vor der anfänglichen Prämisse gab, dass er ihre Durchführung befohlen hatte, und diese Verantwortung statt dessen fest und unumstößlich auf die Schultern der Juden zu laden.

Was tatsächlich geschehen war, durfte ‑ oder sollte ‑ in Vergessenheit geraten. Was als Ereignis ungenau und auf tendenziöse Weise berichtet worden war, wurde zur Wahrheit des Evangeliums und erhob historischen Anspruch.

Jesus wurde nicht deshalb gekreuzigt, weil er ‑ sei es von den Juden oder vom römischen Statthalter ‑ ordnungsgemäß verurteilt worden war, sondern weil die Juden sich gegen ihn verschworen hatten, um ihn zu töten.

Nach dieser Darstellung, die auf die Behauptung eines Justizmords hinausläuft, ist der Prozess Jesu als die schlimm­ste »Perversion des Rechts« gebrandmarkt worden, die sich je er­eignet habe.

Wenn Jesus sich im Sinne der vor Pilatus gegen ihn vorgebrachten Anklage als schuldig be­kannte, dann nicht unbedingt, weil er tatsächlich schuldig war oder man dies glaubte. Was auch immer ihn dazu veranlasste, sein bewusst formuliertes Schuldbekenntnis reichte, vom rechtlichen Stand­punkt aus betrachtet, als Rechtfertigung seiner Verurteilung aus.

Während man der »Perversion des Rechts« im Zusammen­hang von Prozess und Kreuzigung Jesu zugeschrieben hat, ist bisher der Tatsache nicht genügend Aufmerksamkeit zuteil geworden, dass die Perversion von Wahrheit und Gerechtigkeit in den Berichten über den Prozess die erste und fortdauernde Ursache nicht nur zahlloser Justiz‑ oder Quasijustizmorde und Quäle­reien, sondern eines Massenmordes und einer Verfolgung un­gekannten Ausmaßes wurde. Ich wage zu behaupten, dass die Berichterstatter selbst, sich niemals hätten vor­stellen können, welche unermesslichen, unsagbaren Leiden sie durch ihre fiktiven Berichte heraufbeschworen.

Vorurteile und Hassgefühle, die zu Verfolgungen und unge­setzlichen Diskriminierungen führen, sind, besonders heute ‑ angesichts des wachsenden Bewusstseins für die Menschenrechte und die Verwerflichkeit rassischer und religiöser Voreingenom­menheit ‑ für den Juristen ebenso ein Untersuchungsgegenstand wie für Pädagogen und Soziologen.

Die Frage, welche Rolle der Sanhedrin ‑ wenn überhaupt ‑ gerade im Zusammenhang dieser Geschehnisse spielte, ist für den Histori­ker des jüdischen Rechts von höchstem Interesse. Dass der Prozess vor dem römischen Statthalter nach römischem Recht und gemäß römischen Verfahrensvorschriften geführt wurde, erhöht noch das Interesse an den damit angesprochenen Problemen. Doch so verspätet diese Untersuchung auch erfolgen mag ‑ weder die damit verbundenen Schwierigkeiten noch ihre Ergebnisse haben ihre Aktualität eingebüsst.

Hunderte Generationen von Juden sind in der ganzen christ­lichen Welt für ein Verbrechen bestraft worden, dass weder sie noch ihre Vorfahren begangen haben, obwohl es reine Wahrheit ist, dass ihre Vorfahren keinen Anteil daran hatten, sondern alles Menschen­mögliche unternahmen, um Jesus, den sie von Herzen liebten und als einen der Ihren verehrten, vor seinem tragischen Ende durch die Hände der römischen Unterdrücker zu bewahren. Wenn man überhaupt einen Funken an Trost für diese Perversion der Gerech­tigkeit finden kann, dann in den Worten Jesu selbst: »Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinet­willen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden« (Mt 5, 10-12).

[Eingangsseite zur Rubrik "Frag' den Rabbi"...]
haGalil onLine 15-01-2008



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