Eindrücke einer Palästinareise Unpolitische Pilgerfahrt eines
kontemplativen Zeitgenossen Tel Aviv:
Die erste rein jüdische Großstadt
Da war ich also in Tel Aviv, der ersten rein jüdischen Stadt, Zelle
und Zeichen eines jüdischen Staates. Man kommt mit eigentümlichen,
nicht immer wohlwollenden Vorstellungen nach Tel Aviv. Und man
bemerkt, je länger, je mehr, dass es in einer hundertprozentigen
Judenstadt auf die natürlichste Weise der Welt zugeht.
Nichts in den
Strassen unterscheidet sich von einer europäischen Stadt, nur dass
alle Stadtviertel geichmässig neu, modern, blitzblank sind.
Vielleicht zu modern und nicht nach Jedermanns Geschmack, mit lauter
hochmodernen Wohnhäusern. Vielfach merkt man noch das
Experimentieren des Architekten, das Suchen, einander an originellen
Konstruktionen zu übertreffen. Sehr viele Bauten tragen aber auch
das Gepräge strenger Sachlichkeit und diskreter Schönheit, so zum
Beispiel das von zwei jungen Architekten, Pariser und Bass,
erstellte Redaktionsgebäude der grossen Tageszeitung "Haarez".
Anderseits kann man nicht künstlich lauschige Winkel und gotische
Rathäuser hinstellen. Und es ist dies auch nicht notwendig. Empfand
nicht sogar der Klassiker und Romantiker Goethe unvoreingenommen den
Hauch einer neuen Zeit, als er ausrief:
Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, der alte.
Hast keine
verfallenen Schlösser
Und keine Basalte.
Ja, Tel Aviv ist amerikanisch, in seiner sachlichen und nüchternen
Anlage, in seinem atemraubenden Rhytmus, in seinem Unternehmergeist,
im zweckmässigen Aufbau aller Wirtschaftszweige. Tel Aviv ist der
Pulsschlag des ganzen Landes, sein natürliches Wirtschaftszentrum,
das sich in dem Masse rapid entwickelt, als das ganze Land wächst
und aufblüht. Neue Industrien wurden von emigrierenden Juden
eingeführt und haben einen ungeahnt günstigen Boden gefunden. Die
Pelzindustrie zum Beispiel, die für die warmen Länder nicht in Frage
zu kommen schien, hat einen erstaunlichen Aufschwung genommen. Meine
Jugendfreunde Scharf, die vor zehn Jahren ein bescheidenes Atelier
eröffneten, ohne selbst an einen Erfolg zu glauben, haben jetzt
Könige und Prinzen aus dem Morgenlande als Kunden.
Tel Aviv ist aber auch eine Stadt der Kultur. Prachtvolle Schulen,
Bibliotheken, Fortbildungsklubs. Bildungskurse aller Art, für alle
Bevölkerungskreise, für alle weltanschaulichen Richtungen werden das
ganze Jahr über abgehalten, der Bildungshunger ist ungeheuer, und
selbst im Sommer sind die Lehr- und Vortragssäle voll besetzt.
Alle
Verlagshäuser und Druckereien des Landes sind in Tel Aviv
konzentriert; sie bilden eine Hauptindustrie, denn es werden
erstaunlich viele Bücher, drei im Tage, religiösen und historischen
Inhalts, auf dem Gebiete der Fach- und der schönen Literatur, im
Original oder aus Fremdsprachen übersetzt, herausgegeben. Es besteht
eine Reihe von Theatern, voran die weltberühmte Habima in ihrem
neuen prächtigen Sitz im Zentrum der Stadt, gefolgt von der
Kammerbühne "Oheb", den Cabaretts vom Schlage des "Cornichon",
Konzertsäle. Das Repertoir ist überaus reich, Opern und Schauspiele,
werden aus allen Sprachen übertragen und aufgeführt. Auch die
leichte Muse wird gepflegt, und man hört Chansons auch in
hebräischer Sprache singen.
In regelmässigem Turnus besuchen die
Ensembles die kleineren Städte und Dörfer, um die Kunst dem ganzen
Volke zugänglich zu machen. Es wird das ganze Jahr über gespielt,
von Shakespeare bis Capek, immer vor vollen Häusern. Man kommt in
Hemdsärmeln, aber man kommt. Und mehr und mehr gewinnt die Stadt an
Umfang, und Bedeutung.
Es ist kein künstliches Wachstum, sondern ein Ergebnis der
wachsenden wirtschaftlichen Entwicklung des ganzen Landes. Die
Wohnungsnot ist gross, während des Krieges wurde nicht gebaut und
der Strom der Zuwanderer schafft immer neue Probleme. Diese werden
aber mit unermüdlicher Initiative gemeistert, und sind so das beste
Zeugnis dafür, dass die Juden Palästinas für die Selbstverwaltung
reif sind.
Vor wenigen Jahrzehnten eine Sandwüste, vor zwanzig
Jahren ein Städtchen von dreissigtausend Einwohnern, zählt Tel Aviv
jetzt ihrer zweihunderttausend, und nichts deutet auf ein Anhalten
dieses Wachstums hin. Die arabische Nachbarstadt Jaffa träumt auf
einem malerischen Hügel weiter dahin wie seit Jahrhunderten, während
vor ihrer Nase, gleich einer Fata Morgana, eine moderne Stadt aus
der Wüste ersteht. Wer möchte glauben, dass diese zementierten
Prachtstrassen mühsam dem Sand aufgezwungen wurden? Nur wenn
irgendwo in der Stadt ein Fleckchen Erde noch nicht bebaut ist, ahnt
man, was da geleistet wurde.
Die Allenbystrasse, welche die Stadt vom Bahnhof bis zum Meer
durchquert, erinnert (ausser dem Bahnhof) mit ihren eleganten an
Waren reich versehenen Geschäften, an die Bahnhofstrasse in Zürich.
Ueberhaupt erinnert manches, was Fleiss und Regsamkeit betrifft, an
die Schweiz; mindestens aber erinnerten sich die Leute gern an sie.
Die meisten haben sie einmal, sei es in guten Zeiten als Touristen
oder Studenten, sei es in bösen Zeiten als Emigranten, kennen
gelernt. Auch diese denken mehr an das Positive, das sie hier
erfahren haben, als an die Fehler und Irrtümer, die ihnen gegenüber
begangen worden sind.
Von Schweizer jüdischen Persönlichkeiten war zur Zeit meines Aufenthalts besonders Saly Mayer
populär. Die hebräische Presse brachte nämlich, im Zusammenhang mit
Darstellungen über die letzten Zuckungen des Naziregimes,
ausführliche Berichte über die Verhandlungen Saly Mayers mit der
Gestapo, durch die es ihm gelang, die beabsichtigte Deportation von
einigen Hunderttausend ungarischen Juden zu verzögern und dadurch
vor dem sicheren Untergang zu retten. Solche und ähnliche Tatsachen
erwirken, dass in Palästina der Begriff "Schweiz" Alles in Allem mit
der Vorstellung einer Rettungsinsel verbunden wird.
In dieser jüdischen Grosstadt Tel Aviv hat der heimkehrende Jude gar
keine Zeit, sich ob dieser Tatsachen Rechenschaft abzulegen und sich
sentimentalen Gefühlen hinzugeben. Man ist reserviert, sachlich, ja
kurz angebunden. Alles arbeitet, kämpft um das tägliche Brot; aber
wenigstens mit den gleichen Chancen wie jeder Mitbürger, ohne Furcht
vor Benachteiligung aus nationalen oder religiösen Gründen. Das
religiöse Leben, beherrscht keineswegs das Stadtbild und ist eine
private Angelegenheit; als ich mich am Sabbat Nachmittag in einem
Lehnstuhl am Strande niederlassen will, kommt prompt der Wächter und
will seine paar Grusch einkassieren, ohne sich durch meine
vorwurfsvollen Blicke gekränkt zu fühlen. Das nächste Mal werde ich
mich mit ihm am Freitag über den Faltstuhl einigen.
Wenn nun das religiöse Moment auch nicht vorherrschend ist, so ist
es doch vorhanden und selbst in jenen stark verwurzelt, welche de
rituellen Formen abgestreift haben. Während des sabbatlichen
Gottesdienstes stürzt ein Mann in Hemdsärmeln und barhäuptig in die
Synagoge und fleht um eine Kopfbedeckung, um den Raum nicht zu
entweihen und darin verweilen zu können. Er hatte draussen einen
tätlichen Zwischenfall mit einigen Nachbarn hervorgerufen und
schliesslich vor der empörten Menge im Gotteshaus Zuflucht gesucht.
Seine Verfolger werden an der Türe zurückgewiesen: "Jesch lo
sechut", "Freistatt!" ruft man ihnen
entgegen. Und sie respektieren den Ort, auch wenn er für sie selbst
kein Heiligtum ist.
— Aber die Quelle des religiösen Lebens, die
Seele des jüdischen Volkes kennen lernen kann man nur in Jerusalem.
Dorthin zog es mich unwiderstehlich, und nach wenigen Tagen
Aufenthaltes in Tel Aviv, als ich vom Pulsschlag dieser Stadt noch
halb betäubt war, machte ich mich auf den Weg nach dem Berge Zion.
weiter...
COLLECTION MIGDAL
Jüdisches Wissen für Jedermann
Hintergrund:
EIN
TRAURIGER SIEG
Am 8. Mai 1945
geht in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende. Millionen Menschen
jubeln und feiern. In die Freude der Juden mischt sich dagegen große
Trauer. Zu diesem Zeitpunkt ist schon bekannt, dass Millionen Juden
von den Nazis ermordet wurden...
DIE
ILLEGALE EINWANDERUNG
Im Sommer 1945,
nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wird die illegale jüdische
Einwanderung in großem Umfang wieder aufgenommen. Inzwischen ist
dafür nur noch ein einziges Organ zuständig, »das Zweite
Alija-Büro«, eine Abteilung der Haganah...
DIE
AMERIKANER GREIFEN EIN
Nach Ende des
Zweiten Weltkriegs strömen Zehntausende von Holocaust-Überlebenden
in die Lager für »Displaced Persons« in Deutschland. Um sich ein
Bild von ihrer Situation zu machen, schickt US-Präsident Truman
seinen Vertreter, Earl Harrison, nach Deutschland...
DER
HEBRÄISCHE AUFSTAND
Die »Bewegung des
hebräischen Aufstands« wird Ende 1945 gegründet und ist bis Juli
1946 aktiv. Dabei handelt es sich um einen von den
Jischuw-Einrichtungen gebildeten militärischen Dachverband unter
Leitung der Haganah, dem sich auch Etzel und Lechi anschließen... |