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Antisemitismus in Frankreich (IV):
Antisemitismus und die französische Mehrheitsgesellschaft

Von Bernard Schmid

Feindprojektionen auf "Juden" sind keine originär "islamischen" oder "migrantischen" Mechanismen, die vorrangig in der muslimischen Einwanderungsbevölkerung entstanden wären. Tatsächlich waren sie in Frankreich nicht nur vorhanden, sondern virulent, bevor es zu einer zahlenmäßig stärkeren Einwanderung aus den damaligen nordafrikanischen Kolonien kam.

Der israelische Historiker Zeev Sternhell - ein eminenter Spezialist der französischen faschistischen und präfaschistischen Bewegungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert schrieb zu Ausgang des vorletzten Jahrhunderts hätte man die Metropole des europäischen Antisemitismus, wo sich eine brisante Mischung aus "nationaler" und "sozialer Frage" zusammenbraute, wohl in Paris und nicht in Berlin angesiedelt (1). Im Zuge der sogenannten Dreyfus-Affäre, in deren Verlauf die Anhänger und Gegner einer Amnestierung des unschuldig wegen "Spionage" verurteilten Militärs ­ jüdischer Abstammung ­ Alfred Dreyfus zusammenstießen, mobilisierte eine antisemitische Massenbewegung in den Sälen und auf der Straße.

Doch von dieser Zeit ab hat es in der französischen Gesellschaft auch mächtige Gegenbewegungen gegeben, und der politisch organisierte Antisemitismus hat wichtige Niederlagen einstecken müssen. Den ersten bedeutenden Rückschlag musste er in der Debatte um das Dreyfus-Urteil einstecken. Als erste griffen anarchistische, libertär-sozialistische Gruppen auf militante Weise antisemitische Veranstaltungen an. Nach einigem Zögern warf die organisierte sozialistische Arbeiterbewegung unter Jean Jaurès ihr ­ bereits erhebliches ­ Gewicht in die Waagschale, und verbündete sich mit den liberalen Republikanern gegen die antisemitische Bewegung, die drohend die Dritte Republik herausforderte. Bürgerliche und fortschrittliche Intellektuelle, wie Emile Zola (mit seiner berühmten Schrift "J¹accuse") engagierten sich und spielten eine Schlüsselrolle in der politisch-moralischen Debatte.

Die GegnerInnen des Antisemitismus hatten Erfolg: Das Urteil gegen Dreyfus wurde aufgehoben, und am Ende der innenpolitischen Auseinandersetzung stand die 1905 beschlossene Trennung von Kirche und Staat. Der bis heute institutionell festgeschriebene französische Laizismus ist ein direktes Ergebnis des Ausgangs der Dreyfus-Affäre. Eine zweite erhebliche Niederlage für die antisemitische Massenagitation bedeutete die Wahl des französischen Juden Léon Blum zum Premierminister der linken Front populaire-Regierung (2) im Mai 1936. Der sozialistisch orientierte Jurist war zuvor zur Zielscheibe einer systematisch angelegten antisemitischen Massen- und Hasskampagne geworden. In deren Verlauf wurde u.a. behauptet, Blum heiße in Wirklichkeit Karfunkelstein und stamme aus Bessarabien, insgeheim sei er reich und man wisse nichts von der Herkunft seines Vermögens. Die rechte Massenpresse bezeichnete ihn nach einem klassischen antisemitischen Topos als juif errant, also wurzellosen und "umher irrenden (oder streunenden) Juden". Dennoch ist der Name Léon Blums bis heute im Massenbewusstsein eher mit positiven Dingen verbunden, namentlich mit der erstmaligen gesetzlichen Einführung von Jahresurlaub.

Der staatliche Antisemitismus, wie er wenige Jahre später in Vichy zum Programm wurde ­ und zur NS-Vernichtungsmaschinerie beitrug -, ist hingegen eng mit der deutschen Besatzung und ihren Kollaborateuren verbunden, und daher zumindest im Nachhinein in weitesten Kreisen fraglos diskreditiert. Dagegen lebt er natürlich in Kreisen der extremen Rechten fort. Doch innerhalb der extremen Rechten existieren (wie zu anderen ideologischen Fragen) verschiedene Standpunkte nebeneinander her. Denn ein Teil des politischen Rechtsextremismus hat in den 50er Jahren, weniger aus Ablehnung des Antisemitismus als vielmehr aufgrund außenpolitischer und internationaler Konstellationen, pro-israelische Positionen angenommen.

Exkurs: Die extreme Rechte, Israel und der Antisemitimus - Ein komplexes Verhältnis

Hintergrund dieser Tatsache ist, dass der Staat Israel damals eng mit Frankreich verbündet war, als dieses seine Kolonialkriege gegen arabisch-nordafrikanische Länder führte, vor allem in Algerien (1954 bis 1962) sowie gegen Ägypten (mit der "Suezexpedition" 1956), da im nasseristischen Kairo die Ursache für die vermeintlich sonst unbegreifliche Rebellion gegen die französische Herrschaft gesucht wurde. Dem ultrakolonialen Lager verpflichtete Rechte, die selbst aus antisemitischer Tradition kamen ­ und die mit der innenpolitischen Aufheizung während des Algerienkrieg wieder aus ihren Schlupflöchern und Vichy-nostalgischen Zirkeln hervor an die Öffentlichkeit kamen - , wurden in dieser Situation dennoch (in außenpolitischer Hinsicht) zu Unterstützern Israels.

Sie schafften es, das nicht in Widerspruch zu ihrer antisemitischen Grundhaltung zu bringen: Sie gingen davon an, nunmehr die "jüdische Frage" in Europa dadurch lösen zu können, dass die jüdische Bevölkerung künftig geschlossen nach Israel gehen solle. "Ethnische Reinheit" sollte so mit militärischen Allianzen im kolonialen "Hinterhof" des Landes einhergehen. Kulminationspunkt dieser Entwicklung ist die "Suezexpedition" im Oktober 1956 (Frankreich, Großbritannien und Israel greifen zusammen Ägypten an, nachdem dieses den Suezkanal nationalisiert hat). An ihr nimmt Jean-Marie Le Pen als freiwillig dienender Unteroffizier teil, bevor er drei Monate später in Algerien an Folterungen teilnimmt. Später hat Le Pen seinen Biographen von der Faszination erzählt, welche die israelischen Truppen in diesen Tagen auf ihn ausgeübt hätten. (3)

Ein Teilbereich der extremen Rechten setzt diese Parteinahme bis heute in ähnlicher Form fort: Ihm gilt Israel, ähnlich wie in ihren Augen Europa, als "Insel im Meer der barbarischen Dritten Welt". Diese müsse auf ähnliche Weise verteidigt werden, wie Europa sich muslimischer Zuwanderer zu erwehren habe. Die Sympathie für eine israelische Politik, der militaristische Positionen und eine reine Strategie der Stärke "empfohlen" werden, beruht also im Wesentlichen auf einer Projektion ­ gemeint ist vielmehr Europa selbst und "seine" Abwehr afrikanischer oder asiatischer Einwanderer. Oftmals schwingt bei dieser Variante der extremen Rechten der Gedanke mit, dass "die jüdische Lobby" (im Land oder auf internationaler Ebene) angeblich so stark sei, dass man sich besser nicht ­ oder noch nicht! ­ mit ihr anlegen möge.

Solche Positionen nahm etwa der nationalkonservative Flügel des FN ein, der eine Brücke zum rechten Flügel den bürgerlichen Parteien hätte bilden können und der Ende der 80er Jahre mehrheitlich absprang. Einer seiner Köpfe war damals Olivier d'Ormesson, der vor allem einen der führenden Südafrika-Lobbyisten (also Pro-Apartheid-Politiker) in Frankreich bildete. Er kehrte dem FN Ende 1987 den Rücken; Jean-Marie Le Pen würde ihn später öffentlich als "israelischen Agenten" bezeichnen (in "National Hebdo" vom 27. Februar 1997).

Später, zu Anfang dieses Jahrzehnts hat der vom FN abgespaltene Teil unter Bruno Mégret, der mit geringem Erfolg eine eigene Partei (den MNR, Mouvement national républicain) gründete, diese Haltung vor allem nach dem 11. September 2001 eingenommen. Und dabei ziemlich lautstark bekundet, "gemeinsame Positionen mit den jüdischen Organisationen Frankreichs" zu teilen, was allerdings auf kein Gegenecho stieß. Aus verschiedenen Gründen, u.a. dem Mangel einer charismatischen "Führer"figur (Mégret ist ein harter Ideologe, doch wirkt er wie ein blasser Technokrat, und mit 1,62 Meter Körpergröße verkörpert er nicht den "starken Mann" nach dem Geschmack eines autoritären Publikums) ist der MNR heute so gut wie tot. Im benachbarten Belgien nimmt der Vlaams Blok vorwiegend diese Position ein, namentlich in seiner Hochburg Antwerpen, wo er auf eine Stillhaltetaktik gegenüber der starken örtlichen jüdischen Gemeinde setzt.

Dagegen hat ein anderer Teil der extremen Rechten in den letzten Jahrzehnten verstärkt aus dem Fundus antisemitischer Verschwörungstheorien geschöpft, an den Jean-Marie Le Pen ab Mitte der 80er Jahre mehr oder minder offen anknüpfte. Oftmals (aber nicht immer) geht dies auch mit außenpolitischer Ablehnung Israels einher, so beim offenen Neonazi-Flügel innerhalb und am Rande des FN. Er wird vor allem durch die - am 6. August 2002, nach dem Attentat eines jungen Mitglieds auf Präsident Chirac, verbotene - Gruppierung Unité Radicale verkörpert, die nach ihrem gesetzlichen Verbot vom vorigen Jahr im März 2003 eine (bisher erheblich schwächere) Nachfolgeorganisation gegründet hat, den "Bloc identitaire". Diese, einige hundert Aktivisten zählende, Fraktion ruft mitunter bei Demonstrationen auch Slogans wie "In Paris wie in Gaza, Intifada". Anlässlich einer Tagung ihrer Kader im September 2001 wurde etwa großsupurig verkündet: "Die Palästinenser sind unsere objektiven Verbündeten (gegen die Israelis). Wir gehen ein Stück Weges mit dem objektiven Verbündeten, und danach verpassen wir ihm eine Kugel in den Kopf." (4)

Innerhalb des Front National, der unbestritten führenden Partei auf der extremen Rechten, koexistieren heute beide Positionen - ähnlich, wie es auch Unterstützer kroatischer (namentlich auf dem katholisch-fundamentalistischen Flügel des FN) und serbischer Ultranationalisten (namentlich in den "nationalrevolutionären" Fraktionen) nebeneinander gibt. Allerdings entwickelte sich zwischen 1985 und 1995 der damalige Mainstream der extremen Rechten (deren Kader- und Intellektuellenpotenzial nach der Parteispaltung Le Pen/ Mégret von 1999 abgenommen hat) weg von in den 80er Jahren noch Ton angebenden pro-amerikanischen und pro-israelischen Positionen, hin zu völkisch-antiwestlichen.

Das ist auch mit der damaligen persönlichen Entwicklung von Parteichef Le Pen verknüpft. Dieser war noch im Februar 1987 mit Vertretern des Jewish World Congress zusammengetroffen, unter ihnen Vertreter der rechten Herut-Partei in Israel (die heute dem weit rechts stehenden Wahlbündnis "Israel unser Haus" angehört); das Treffen hatte Jack Torcyner organisiert. (5) Nachdem es anscheinend zufrieden stellend verlaufen war und beide Seiten sich in Augenschein genommen hatten, war Jean-Marie Le Pen offensichtlich fest davon überzeugt, nun mit den "Strippenziehern" einer weltweiten "jüdischen Macht" am Tisch gesessen zu haben, und sich bei ihnen seinen Frieden erkauft zu haben. Als seine Auschwitz relativierenden Äußerungen im französischen Fernsehen (Stichwort: "die Detail-Affäre" vom September 1987) sieben Monate später in Frankreich für einen politischen Skandal sorgten, da fühlte Le Pen sich schmählich verraten. Hatte er doch felsenfest geglaubt, nun mit der jüdischen Weltverschwörung eine Art Stillhalteabkommen geschlossen zu haben. Besonders in den darauf folgenden Jahren erging Jean-Marie Le Pen sich also öffentlich in Verschwörungs-Thesen und Kritik an einem "Big brother", der von der "amerikanischen Ostküste" aus die französische Politik dirigiere und der auch dafür verantwortlich sei, dass die bürgerliche Rechte seine Bewegung nicht für bündnisfähig erachte.

Später hat die Parteispaltung die ideologische, programmatische Arbeit in den Hintergrund treten lassen. Denn in ihrer Folge kümmerten sich die verschiedenen Fraktionen der extremen Rechten zunächst vorwiegend darum, sich gegenseitig Schaden zuzufügen, wobei ideologische Positionen in diesem Sinne instrumentalisiert wurden. Selbst der scharfe Anti-Einwanderungs-Diskurs (der normalerweise beim FN im Mittelpunkt steht) wurde dabei vorübergehend relativiert und abgeschwächt, um der anderen Fraktion - in diesem Fall dem MNR - in der Öffentlichkeit "Rassismus" vorwerfen zu können. Diese Phase dauerte in ihrer zugespitztesten Form das gesamte Jahr 1999 über an. Die extreme Rechte hat sie später überwunden und sich neu strukturiert, doch spielt die Persönlichkeit von Le Pen heute ein viel zentralere Rolle (bzw. die langfristige ideologische Arbeit der Kader heute eine geringere Rolle) als vor der Spaltung. Das Parteileben des FN hat sich vorwiegend auf seine Wahlkandidaturen konzentriert. Daher ist die Bedeutung ideologischer Orientierungspunkte heute geringer als noch in den Neunziger Jahren, und Jean-Marie Le Pen erlaubte sich geradezu eine ideologische Beliebigkeit in weltpolitischen Fragen. So bezog sich Le Pen in den Tagen vor der französischen Präsidentschaftswahl im April 2002 zugleich positiv auf Ariel Sharon (seine eigene Algerien-Erfahrung lehre ihn ja, dass man im Kampf gegen den Terrorismus eine harte Hand haben müsse) und auf "seinen Freund" Saddam Hussein (die beiden Männer haben sich im November 1990 und im Mai 1996 getroffen). Auf politische Stimmigkeit kam es dabei nicht so sehr an, sondern im Grunde vor allem darauf, möglichst alle Ressentiment-Potenziale - sowohl das gegen Juden als auch jenes gegen arabische Einwanderer - auszuschöpfen.

Zugleich bestehen an den aktivistischen Rändern der extremen Rechten Strömungen, die ein klares und unverwechselbares ideologisches Profil haben, auch in der Frage "Antisemitismus oder antiarabischer Rassismus zuerst?". Aus beiden Strömungen heraus gab und gibt es ­ begrenzte ­ Bemühungen, Mitglieder jeweiliger Communities als Ansprech- oder zumindest als Vorzeige- und Sparringspartner zu gewinnen. Einerseits gab es in den letzten Jahren eine, vor kurzem durch die Gerichte unterbundene, Kooperation zwischen den Webpages französischer Rassisten und französisch-jüdischer sowie israelischer Rechtsextremisten. Insgesamt umfasst dieses Spektrum rund 30 Websites, die in den meisten Fällen im Laufe des 2003 gerichtlich zum Abschalten gezwungen wurden. Das bekannteste Beispiel ist die gegenseitige Verlinkung zwischen den beiden Homepages SOS Racaille ("SOS Gesocks") und www.amisraelhai.org ("Das Volk Israels lebt"). Beide Internet-Sites verwiesen aufeinander, auf beiden wurden arabische Menschen als "Ratten", "Abfälle" und Ähnliches tituliert. Ihrem Treiben wurde jedoch durch die Justiz ein Ende gesetzt, und der Hauptbetreiber von www.amisraelhai.org Alexandre Attali stand am 30. September dieses Jahres in Paris vor Gericht, wo noch an den Toren des Justizpalastes geladene Zeugen durch Extremisten bedroht wurden. Am folgenden Tag wurde sein flüchtiger Webmaster in Nordfrankreich verhaftet.

Die Aktivisten dieses Milieus kommen aus zwei Richtungen. Einerseits aus dem Umfeld (vor allem) der Ligue de Défense Juive (LDJ, Jüdische Verteidigungs-Liga), dem französischen Ableger der extremistischen Kach-Bewegung des Rabbi Kahane. Diese ist in den USA sowie in Israel verboten, vier ihrer Webpages wurden vor wenigen Tagen in den USA auf die Liste terroristischer Organisationen aufgenommen. Andererseits stammen sie aber auch aus rechtsextremen französischen Gruppen (nicht-jüdischer Franzosen), denen es bei dieser begrenzten Kooperation vor allem darum geht, mit allen erdenklichen Mitteln die Spannungen zwischen Communities zu verstärken, um dem "globalen Rassenkrieg" den Weg zu ebnen. (6)

Aus ihren Reihen stammt etwa Florian Schekler (mit richtigem Namen Jean-Florian Trouchaud), der am 24. September dieses Jahres in Paris zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, weil er ein - vereiteltes - Selbstmordattentat auf die Pariser Zentralmoschee im 5. Arrondissement geplant hatte. Er war im Februar dieses Jahres rechtzeitig verhaftet worden.

Umgekehrt bemühten sich vor allem im Herbst 2000, kurz nach Beginn der zweiten Intifada, französische Neonazis und Rechtsextremisten darum, mit jungen arabischstämmigen Einwandererkindern in den Banlieues in¹s Gespräch zu kommen. Laut einem Polizeibericht, der im November 2000 durch das Wochenmagazin "Le Point" zitiert wurde, gediehen die Bemühungen aber in der Praxis nicht sehr weit.

Neben den militanten, aktivistischen Flügeln innerhalb verfügt auch der "parlamentarische Arm", der "respektable" Teil der rechtsextremen Großpartei, sowohl über seine Alibi-Juden als auch daneben über seine "Arabes de service". Zu ersteren zählt etwa der (aus Altersgründen nicht mehr aktive) Robert Hemmerdinger, der in den Neunziger Jahren im Regionalparlament des Großraums Paris saß und sogar ehemaliger Résistance-Teilnehmer war; er ist mittlerweile aus Altersgründen nicht mehr aktiv, nachdem er 1992/94 eine gewisse Rolle bei der Aufdeckung von Korruptionsskandalen der Parteigänger Jacques Chiracs gespielt hatte. Zu zweiteren gehört der derzeitige Pariser Regionalparlamentarier Farid Smahi. Die Hauptgründe für die Betätigung dieser Personen auf der extremen Rechten liegen in beiden Fälle in einer Vorgeschichte in Gestalt des Algerienkriegs begründet.

Dieser Krieg (1954 - 62) brachte eine Reihe ehemaliger Résistance-Angehöriger, im Namen der Verteidigung der Republik und ihres Kolonialreichs, im Rahmen neuer politischer Konstellationen an die Seite von Rechten und extremen Rechten. Zugleich brachte der Algerienkrieg eine Hilfsarmee von pro-französischen Kolonialsubjekten hervor, die damals auf Seiten der "Metropole" (des kolonialen "Mutterlands") gegen die algerische Unabhängigkeitsbewegung kämpften: Die "Harkis". Die Motivationen dieser Harkis waren unterschiedlicher Natur: Manche kämpften aus persönlicher Vorteilsuche als Hilfstruppe für die französische Armee (als eine Art Kollaborateure im klassischen Sinne). In anderen Fällen dagegen sind die Ursachen in den inneren Brüchen der traditionellen algerischen Gesellschaft selbst zu suchen, welche die Kolonialmacht sich zunutze machen konnte. Bspw. in Phänomenen von (lang zurückreichender) Rache zwischen verschiedenen algerischen Familien, die etwa einen Teil eines Dorfs auf die Seite der französischen Armee brachte, weil andere Teile des Dorfes am Kampf für die Unabhängigkeit teilnahmen. Ein Teil dieser "Harkis" ließ sich Verbrechen wie etwa die Teilnahme an Folterungen und persönliche Vorteilnahme bei Plünderungen zuschulden kommen, andere sind im Endeffekt eher als Opfer des Konflikts zu betrachten. Ein Teil der nach 1962 in Algerien verbliebenen Harkis wurden bei Racheakten getötet oder massakriert, während andere an anderen Orten unbehelligt blieben. Die in größerer Zahl nach Frankreich geflüchteten Harkis wiesen später oft Eingliederungsschwierigkeiten in die französische Gesellschaft auf. Vor diesem Hintergrund, verbunden mit einer Art Minderwertigkeitskomplex gegenüber der französischen Gesellschaft (und dem Willen zu einem unbedingten, extremen Loyalitäts- oder französischen Identitätsbeweis), wurden einige Harkis beim Front National aktiv. Manche von ihnen auch an führender Stelle. Sie sollten Jean-Marie Le Pen als öffentlichen Nachweis demokratischer Reinheit dienen: Wie könne man seine Partei denn als rassistisch oder faschistisch bezeichnen, wo doch "Araber und Juden bei ihr Mitglied" seien - ein klassisches Alibi-Argument.

 

Anmerkungen:

(1) Einleitung zu in "La droite révolutionnaire. Les origines françaises du fascisme", Paris, Editions du Seuil, 1978.
(2) Die deutsche Übersetzung mit "Volksfront" ist mehr als nur ungenau, da die französische Bezeichnung populaire wenig mit dem deutschen "Volks-" oder "volkstümlich"-Begriff gemeinsam hat. Er bezeichnet eine, wenngleich vergröberte, soziale Kategorie ­ in etwa die "Unterschichten".
(3) Gilles Bresson und Christian Lionet: "Le Pen. Biographie." Paris, Seuil, 1994. Vgl. besonders S. 148, 156/157, 280.
(4) Zitiert nach "Le Monde" vom 17. 07. 2002.
(5) Vgl. Lothar Baier: "Firma Frankreich", Berlin 1988, S. 71. Übereinstimmende Angaben machte der ehemalige Kommunikations-Beauftragte von Jean-Marie Le Pen, der 1994 aus dem FN ausgetreten war, Lorrain de Saint-Affrique, im Interview mit dem Verfasser dieser Zeilen (am 19. März 1997 in Paris).
(6) Bezeichnend bzw. erhellend ist dabei, dass im deutschsprachige Raum gerade "antideutsche" Sekten, die sich aus ehemaligen Linken rekrutieren, dieses Bündnis affirmieren und, wenngleich mit einigen rhetorischen Vorbehalten, unterstützen. So jüngst Justus Wertmüller in der wichtigsten Sektenzeitschrift dieses Milieus, "Bahamas", Nummer 42 ("Französische Zustände. Antirassisten machen mobilŠ"). Dort streitet er zunächst die Existenz solcher Kontakte ab, um sie dann im weiteren Verlauf des Artikels aber (mit ein paar Abstrichen) zu affirmieren. So attestiert er dem Neo- bzw. Altfaschisten Jean-Marie Le Pen, zwar wohl rassistische Äußerungen abzugeben, aber auch "vernünftige Einwände gegen die ungebremste Islamisierung". Ferner konstatiert er, Le Pen vertrete eigentlich richtige "Kritik" gegen eine "irre gewordene Gesellschaft", wenngleich sie auf "widerwärtigem Niveau" bleibe (denn um ein gutes Niveau zu erreichen, muss man schon Wertmüllers Gruppierung beitreten). Ferner begeistert sich Wertmüller förmlich für die Gewalttaten der LDJ. Das muss nicht verwundern, denn für diese sehr deutschen "Antideutschen" bildet die Berufung auf den von ihnen angeblich geführten Kampf gegen Antisemitismus oftmals nur die ideologische Legitimation für ihre lebensgeschichtliche Abrechnung mit der Linken, und für die ungehemmte Übernahme mitunter rassistischer Thesen. So wird das Buch eines Autors aus Wertmüllers Blättchen, Karl Selent u.a. mit folgendem Werbetext angekündigt: "Den Kosovo-Palästinensern dagegen würde er gerne mal Arkan den Tiger zeigen." (ça ira-Verlag Freiburg) Besagter Arkan war der Anführer paramilitärischer Banden in Serbien, an der Schnittstelle zwischen politischer Gewalt und Organisierter Kriminalität, der im Jahr 2000 von Konkurrenten aus dem Weg geräumt wurde, nach Jahren des Raubens und des Mordens. Den in Israel lebenden Menschen wird durch solche rechtsradikalen Gewaltfantasien deutscher, vorgeblicher Philosemiten mit Sicherheit kein Gefallen erwiesen.

hagalil.com 19-11-2002


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