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La France
Special - - Zur Lage in Frankreich 2003

Letzter (VII) Teil der
Serie zum Antisemitismus in Frankreich:

Die Linke, die Migranten und der Antisemitismus

Von Bernard Schmid

Die politische Linke, die seit Jahrzehnten gegen Kolonialismus sowie rassistische Diskriminierung und ebenfalls den Antisemitismus kämpfte, sieht sich natürlich auch mit dem Anwachsen von Kommunitarismus und den daraus begründeten Spannungen und Gewaltphänomenen konfrontiert. Daraus erwächst für sie ein Spannungszustand zwischen ihren Ansprüchen, einerseits die reale israelische Politik gegenüber der israelischen Bevölkerung deutlich zu kritisieren, andererseits aber nicht solchen kommunitarstischen Aufheizungen nachzugeben oder sie gar zu nähren.

Man muss vorausschicken, dass der Kontext, in dem die Debatten der französischen Linken angesiedelt sind, ein völlig anderer ist als der derzeitige deutsche Kontext. Letzterer wird allem durch die deutsche nationale Selbstfindungsdebatte geprägt, durch die "Erwachende Nation", die wieder souverän geworden ist und die (auch moralischen) Fesseln ihrer Vergangenheit abzustreifen sucht. Der Nahost-Konflikt ist dabei vor allem Spiegel- und Projektionsfläche, auf der ein neues positives "nationales" Selbstbild hergestellt werden soll. Seine deutsche Rezeption dient daher in erster Linie dem Streben nach Entlastung der "eigenen Nation", etwa durch geschichtsrelativierende Vergleiche (mit der NS-Vernichtungspolitik) oder durch den impliziten Hinweis darauf, dass "die" (die Juden und/oder Israelis) ja "auch nicht besser" seien. An allererster Stelle steht hier also eine Form von Selbstgerechtigkeit. Ohne diesen Hintergrund lässt sich weder die deutsche Debatte insgesamt verstehen, noch jene in den Resten der deutschen Linken, die sich zum Teil scharf von jener der us-amerikanischen, israelischen, französischen oder sonstigen Linken unterscheidet.

Hintergrund und Projektionsfläche - da Projektionen aus der oder auf die innergesellschaftlichen Zustände sich wohl nie gänzlich vermeiden lassen - in Frankreich sind bspw. völlig andere als in Deutschland. Denn hier wird die Wahrnehmung etwa israelischer Militäroperationen in den palästinensischen Gebieten durch einen anderen Perzeptionsfilter hindurch wahrgenommen, nämlich jenen der französischen Kolonialkriege und insbesondere des Algerienkriegs und der Suezexpedition (siehe oben unter 4a.) Das gilt sowohl für größere Teile der konservativen Rechten und einen Teil der extremen Rechten, die aus diesem Grund für diese Militäroperationen eintreten - als auch für den größten Teil der Linken, welcher sie ablehnt. Nicht zuletzt bestärkt hat diese Wahrnehmung übrigens auch der israelische Premierminister Ariel Sharon, der selbst den Vergleich zwischen seiner Militärpolitik und dem Algerienkrieg gezogen hat - um darauf hinzuweisen, er werde es Frankreich nicht gleichtun, das sich aus Algerien zurückgezogen hat (Interview im konservativen Wochenmagazin "L'Express" vom 27. Dezember 2001).

Wie alle Perzeptionsflächen, beeinflusst auch diese die Wahrnehmung, während sie den Informations-EmpfängerInnen zugleich eine (wie auch immer geartete) Interpretation ermöglicht. Vergleiche erleichtern stets das Verstehen, und engen es zugleich ein. Nun gibt es zumindest einen wichtigen Unterschied zwischen dem Frankreich der 50er und 60er Jahre, und dem heutigen Israel: Im französischen Fall grenzte das "Mutterland" nicht unmittelbar an die beherrschten Territorien an. Daraus erwachsen gewichtige Unterschiede im Hinblick auf das (objektive / subjektive) Sicherheitsbedürfnis. Frankreich konnte seine Präsenz, falls es hart auf hart kam, vollständig aus der Region - etwa Nordafrika - zurückziehen, während Israel immer noch in der Nachbarschaft bleibt, wenn es sich aus den palästinensischen Territorien zurückzieht. (Dieser Hinweis taucht auch am Ende des Sharon-Interviews im "Express" von Ende 2001 auf. Dennoch bleibt für das französische Publikum dort vor allem die gezogene Parallele zum Algerienkrieg stehen, zumal diese in Titel und Einleitung des Interviews aufgegriffen wird.)

Dennoch sorgt die vorhandene Projektions- oder Wahrnehmungsfläche zumindest für Eines: Sie verhindert im Regelfall, dass die GegnerInnen der aktuellen militärischen Militäroperationen sich zuvörderst in "nationaler" Selbstgerechtigkeit ergehen und in Projektionen, die (gegenüber den Israelis) die Reputation der eigenen Nation weißwaschen sollen. In der französischen (linken) Wahrnehmung schließt die Kritik an dieser Militärpolitik auch die scharfe Kritik an der Vergangenheit der eigenen Nation, an ihren Kolonialkriegen und der einstigen Siedlungspolitik in Algerien (das ja französische Besiedlungskolonie war) mit ein. Damit ist diese Kritik auch wenig in Versuchung, eine globale Ausgrenzung oder gar Vernichtung der Bevölkerung Israels als solcher - im Extremfall nach dem Motto "Die Juden ins Meer" - zu wünschen oder gutzuheißen.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Die wichtigsten Strömungen der radikalen Linken wurden nach dem Zweiten Weltkrieg, und besonders im Vorfeld des Mai 1968, von jungen Juden und Jüdinnen begründet oder in führender Position geleitet. D.h. vor allem Parteien und Gruppen der trotzkistischen und der libertären, anarchokommunistischen Linken (der Maoismus, der oft wesentlich verrücktere und fanatischere Formen angenommen hat, spielt bereits seit 1973/75 in Frankreich kaum noch eine Rolle, während er in Westdeutschland bis Anfang der 80er Jahre einflussreich blieb). Namen wie Daniel Cohn-Bendit, Alain Krivine, Daniel Bensaid sind über die Jahrzehnte hinweg geblieben. Alle drei genannten sind noch in der Politik aktiv, wobei die letzteren beiden noch zur radikalen Linken in Form der 1968 gegründeten Ligue Communiste (heute LCR) gehören. Andere junge Juden und Jüdinnen spielten um den und im Mai 1968 eine wichtige Rolle, entschieden sich aber später für andere Karrieren, wie Alain Geismar oder Alain Finkielkraut. Auch in der Kommunistischen Partei und der CGT fanden sich jüdische Personen an führender Stelle, auch wenn sie (sowohl ihre Organisationen als auch sie selbst) eine andere Rolle spielten, etwa der frühere CGT-Vorsitzende Henri Krasucki.

Einen Sonderfall spielte freilich die so genannte Ultraradikale (ultragauche). Es handelte sich um eine kleine aber wortgewaltige Strömung, die sich in ihrem super-radikalen Abgrenzungsbestreben von allen anderen Strömungen durch das Bestreben auszeichnete, jeglichen Unterschied zwischen faschistischen und autoritären Regimen (den NS eingeschlossen), bürgerlicher Demokratie in all ihren Erscheinungsformen und Stalinismus bzw. Realsozialismus einzuebnen. Im Kern sei alles dasselbe, tönte diese Strömung, die Anfang der 60er Jahre in Italien entstanden war, und die künstlich aufgeblähten Unterschiede zwischen ihnen nur dazu, ihren Herrschaftskern vor den Augen der Beherrschten zu verschleiern.

Ein besonders verrückter Kern dieser Strömung, der sich Anfang der Siebziger Jahre um die Buchhandlung "La Vieille Taupe" (Der alte Maulkwurf) herum scharte, begann daraufhin damit, den Holocaust zuerst zu relativieren und später sogar seine "offizielle Version" öffentlich in Frage zu stellen. Ihr zufolge diente "Auschwitz oder das große Alibi" (so der Titel einer programmatischen Schrift) in seiner gesellschaftlichen Funktion nur dazu, von der Barbarei des täglichen Kapitalismus abzulenken und diesen als weniger schlimmer erscheinen zu lassen, folglich die Revolution zu verhindern. Diese paranoide Sekte - die über die Jahre hinweg auf wenige Köpfe schrumpfte - handelte zunächst nicht aus antisemitischen Motiven, sondern aus einem ideologischen Delirium heraus. Doch wurden die Reaktionen ihrer Wortführer im Laufe der Zeit tatsächlich antisemitisch, da sie nach den Gründen suchten, warum man sie (unverständlicherweise) angriff - und sie im Jude-Sein einiger ihrer Kritiker fanden. Das gilt besonders für Dominique Michel, der 1998 auch zeitweise für die Front National-Wochenzeitung "National Hebdo" schreiben sollte. Der Überrest dieser Sekte veröffentlichte zum Jahreswechsel 1995/96 die geschichtsrevionisistische Schrift des abgehalfterten Philosophen Roger Garaudy ("Les mythes fondateurs de la politique israelienne", Die Gründungsmythen der israelischen Politik) und löste damit einen Skandal au, der auf ihre Existenz aufmerksam machte. (1)

Die besondere Bedeutung dieser politisch aktiven Generation junger Juden und Jüdinnen, die teilweise als Kinder den Häschern des Vernichtungsprogramms entgingen (wie der zweijährige Alain Krivine) und teilweise kurz darauf geboren waren (wie Daniel Cohn-Bendit), erklärt sich aus ihrer unmittelbaren Konfrontation mit der familiären Geschichte. Aus ihr zogen sie den Schluss, nie wieder passiv gegenüber der Unterdrückung und Bedrohung von Menschen in der Welt sein zu dürfen. Ein israelischer Autor namens Yair Auron hat ihnen übrigens, 30 Jahre nach dem Mai 1968, ein höchst spannendes Buch gewidmet (2).

Über die Familiengeschichten vermittelt, war die Geschichte der radikalen Linken in Frankreich so oft auch mit jener Israels verknüpft, da viele französische Aktivisten dort auch einen Teil ihrer Familie hatten (und haben). In seinem autobiographischen Roman "Rouge, c'est la vie" schildert der damalige Aktivist, und jetzige Krimi-Autor, Thierry Joncquet etwa seine eigene Geschichte (er durchlief mehrere Parteien der radikalen Linken, vor allem Lutte Ouvrière und die LCR) und die seiner Frau Léa, die in sozialistisch-zionistischen Organisationen und in Kibbuzen aktiv war.

Zugleich war die radikale Linke aber auch mit den Anfängen der palästinensischen Nationalbewegung, vor allem der frühen Siebziger Jahre, verbunden. Oft gingen damals beide Dimensionen noch miteinander einher. Denn politischer Vertreter der PLO in Frankreich war ab 1973 ein im Untergrund der französischen Résistance geborener Jude, Ilan Halévy, der 1943 (in einem Lyoner Postamt, das dem Untergrund als Versteck diente) als Kind arabisch-jüdischer Eltern das Licht der Welt erblickte. (3) Damals glaubten die meisten Linken noch an die Möglichkeit problemloser Koexistenz - zu jener Zeit meist in der Regel in Form eines binationalen Staats, der später meist der Vorstellung von einer Zwei-Staaten-Lösung Platz machte.

Heute ist diese Vorstellung sicherlich problematischer als damals, u.a. aufgrund der Zunahme von Kommunitarismus oder Chauvinismus und allgemein reaktionärer Tendenzen in der Welt (darunter der Islamismus, auch über Palästina hinaus). Der Mainstream innerhalb der Linken hält dennoch an der Vorstellung von Koexistenz fest, die heute zumeist in Gestalt der Zwei-Staaten-Lösung gedacht wird. Zugleich hat sich innerhalb des parteikommunistischen Spektrums die schematische Weltsicht von früher, die meist durch die Außenpolitik der Sowjetunion geprägt war, auch im Hinblick auf den einstmals sowjetischen Antizionismus aufgeweicht.

So hat die französische KP im Jahr 1996 zum ersten Mal die russischen Parteikommunisten nicht mehr zu ihrem Kongress eingeladen, und zwar aufgrund der unverkennbar antisemitischen Sprüche von deren Chef Gennadi Sjuganow. Insofern scheint auch den französischen Parteikommunisten jetzt der oftmals antisemitische Unterton des früheren osteuropäisch-realsozialistischen Staats-Antizionismus vor Augen getreten zu sein. (Ärgerlich hingegen ist, dass die gewendete KP nunmehr in der Weise auf "Realpolitik" zu machen sucht, dass sie oft auf eine stärkere Einmischung der EU als "neutrale Dritte" und "Schlichterin"im Nahostkonflikt zu drängen versucht. Davon ist m.E. wenig Positives zu versprechen, da es dabei in der Praxis zuvörderst um die Wahrnehmung von Großmacht-Interessen gehen würde.)

In der Praxis der Linken, die seit Herbst 2000 verstärkt gegen die israelische Militär- und Palästinapolitik demonstriert hat, dominiert daher immer noch das Bemühen, die Aussicht auf eine künftige Koexistenz zu fördern. So vergeht auch keine Veranstaltung, zu der nicht auch israelische RednerInnen oder KünstlerInnen eingeladen würden, die ihrerseits gegen die aktuelle Regierungspolitik eintreten. So wurden beim jüngsten Pariser Großkonzert "für Palästina und für den Frieden" am 27. September 2003 unter anderen die aus Israel stammende Künstlerin Sara Alexander und der Vater eines seit 14 Monaten in Haft sitzenden israelischen Militärdienstverweigerers, Mathematikprofessor an der Universität von Jerusalem - die sich durchaus nicht zu "Alibijuden" machen ließen - auch von der Immigrantenjugend beklatscht.

Das schützt vor Dummheiten und groben Fehlhandlungen nicht immer. So beging der anarcho-syndikalistische Bauerngewerkschafter José Bové im April 2002 einen gravierenden Fehler (wenngleich er ihn einige Wochen später öffentlich bedauert hat). Auf der Rückkehr von einer Beobachtermission in den palästinensischen Gebieten erklärte er, die damals gerade begonnene Welle von Gewalttaten gegen jüdische Einrichtungen in Frankreich sei vielleicht auf das Interesse und Wirken des israelischen Geheimdienst Mossad zurückzuführen. Diese vollkommen daneben liegende Äußerung erklärt sich nicht aus einem Weltbild, das auf einer "jüdischen Weltverschwörung" basieren würde. (Dafür findet sich in seinen sonstigen Aktivitäten und Stellungnahmen keinerlei Anhaltspunkt: Sie basieren klar auf internationalistischen und rationalen Vorstellungen, wobei die EU ebenso für ihre weltwirtschaftliche Rolle kritisiert wird wie die USA. Und Bové zählt zu jenen, die die Anbiederungsversuche sich modern gebender Islamisten im Vorfeld des Europäischen Sozialforums vom kommenden November in Paris klar zurückwiesen.) Vielmehr basiert es auf dem Wunsch nach einfacher und eindeutiger Parteinahme, die oft zu Schwarz-Weiß-Positionierungen führt. Dennoch war es eine grobe Eselei, die belegt, dass auch derjenige manchmal besser den Mund hält, dessen sonstige Aktivitäten oft unterstützenswert sind.

In anderen Fällen sind vereinfachende Dritte-Welt-Romantik, auch gegenüber den Migranten im eigenen Land, und holzschnittartige Einteilungen der Welt in Nord und Süd (als scheinbar monolithische Blöcke) die Ursachen für Tendenzen, die blind für reale Gefahren machen. Ich erinnere mich an einen Streit, den ich mit einem Lehrer aus Strasbourg hatte, der offensichtlich Sympathisant aus dem Umfeld der LCR war und von einer Beobachtermission aus Palästina zurückkehrte. Frei von der Leber weg berichtete er darüber, er habe auch an Ausstellungen und Veranstaltungen der Hamas-Bewegung teilgenommen und dabei nichts Problematisches feststellen können. Ein Austesten seiner Arabischkenntnisse ergab, dass er kein Wort Arabisch spricht - somit hatte er es leicht, nichts Problematisches zu bemerken. Und mitunter werden von - manchmal unbedarften - Linken hässliche Tendenzen bei Migranten, die andernorts leicht als reaktionär gebrandmarkt würden, auf geradezu paternalistische Weise mit deren Misere entschuldigt. Auf ein Beispiel bei Indymedia Frankreich wurde bereits oben (unter 1.) hingewiesen.

Die jüngst wieder aufgebrochene "Kopftuch-Debatte" hat seit einiger Zeit dafür gesorgt, dass auch in der Linken und radikalen Linken verstärkt kontrovers über die Einschätzungen bezüglich Kommunitarismus, islamistischen Einflüssen und auch Judenfeindschaft (unter Migranten) diskutiert wird. Es wäre zu wünschen und zu befördern, dass diese Diskussion künftig verstärkt zu Klarstellungen führt, die auch Abgrenzungen beinhalten müssen.

Anmerkungen:
(1) Für Hintergründen zu den "ultralinken" Auschwitz-Relativierern und Leugern siehe: "Der Job der Maulwürfe", in "Jungle World" vom 09.06.1999.
(2) Yair Auron (französische Ausgabe): "Les juifs d'extrême gauche en mai 68". Paris, Albin Michel, 1998. Der Untertitel des Buches lautet: "Eine Generation, die durch die Shoah geprägt wurde".
(3) Sein Portrait findet sich u.a. in "Libération" vom 17. September 2003.

Special - - Zur Lage in Frankreich 2003

hagalil.com 07-12-2003


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