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Antisemitismus in Frankreich (III):
Antisemitismus, "Antifeujs" oder ein anderer Begriff?

Von Bernard Schmid

Erweist sich der Begriff des Antisemitismus als angemessen, um das zu beschreiben, was in jüngerer Zeit in Teilbereichen der französischen Gesellschaft vorging? Oder ist er deswegen untauglich dafür, weil er diese Erscheinungen "essenzialisieren" würde, d.h. ihnen durch ein Begriff, der unweigerlich sehr starke Erinnerungen und historische Erfahrungen transportiert, einen umfänglichen Bezugs ­ und Interpretationsrahmen überstülpen würde?

Diese Debatte existiert unter JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, die den Gewalt- und anderen Phänomenen einen Begriff zu geben suchen. Sie existiert vor allem auch unter französischen Juden selbst. Vergröbert ließe sich feststellen, dass derjenige Teil der kommunitären Sprecher und Institutionen, die für eine verstärkte Bindung an den Staat Israel eintreten (d.h. die oft auch die konkrete israelische Politik verteidigen), und / oder die das Land Israel als potenziellen Lebensort für sich betrachten, stärker zur Verwendung des Begriffs "Antisemitismus" neigen. Umgekehrt neigen jene, die für eine "republikanische", universalistische Perspektive eintreten und das Judentum vor allem als Bestandteil einer multiplen französischen Gesellschaft sehen, eher zur Benutzung anderer Begriffe, geht es um die Ereignisse der letzten drei Jahre.

Exemplarisch wird dies an der Debatte zwischen Theo Klein, der zwischen 1983 und 1989 Präsident des CRIF ­ des jüdischen Zentralrats in Frankreich ­ war, und dem Rechtsanwalt Arno Klarsfeld. Sie wurde im Januar 2002 im Wochenmagazin "Le Point" dokumentiert. Arno Klarsfeld meint in diesem Zusammenhang: "Wenn man einen Rabbi angreift und eine Synagoge beschmiert, ist das eine antisemitische Handlung. Man sollte nicht versuchen, sie zu rechtfertigen, indem man sagt, dass ihre Urheber Opfer des Gesellschaftssystems seien" (wie dies für die, am unteren Rand der Gesellschaft stehende, maghrebinische Bevölkerungsgruppe tendenziell zutreffen mag). Die Taten entsprechen seiner Ansicht nach einem ideologischen Klima, "in dem eine Kampagne von linken Intellektuellen Israel zu diabolisieren versucht". Hingegen argumentiert Theo Klein: "Ich habe das traurige Privileg gehabt, in den 30er Jahren den wirklichen Antisemitismus zu erleben, der im Juden-Statut vom Oktober 1940 gipfelt. Ich denke, dass die aktuellen Ereignisse keine direkte Verbindung zu jenem Antisemitismus aufweisen. Ich bestreite nicht, dass es gegen Juden gerichtete Angriffe gibt. Aber diese gewalttätigen Elemente sind die gleichen, die auch Polizisten angreifen, Feuerwehrleute (Anm.: die tatsächlich manchmal bei Löscharbeiten in besonders krisenhaften Trabantenstädten attackiert wurden) und Lehrer! Diese Taten sind Bestandteil einer allgemeinen Gewalt, die in diesem Teil der Jugend ­ sei sie nun maghrebinischstämmig oder nicht ­ weit verbreitet ist. Sie wird aber vielfach von gewissen Predigern angefacht, die einen allgemeinen Kampf gegen die westliche Gesellschaft im Namen des Islamismus führen wollen."

Auf andere Weise haben die jüdische Studentenunion UEJF und die Antirassismus-Organisation SOS Racisme das Problem der Benennung gelöst. Im März 2002 gaben sie gemeinsam ihr "Weißbuch" (Livre blanc) heraus, in dem sie auf 236 Seiten mehrere hundert verbale und physische Aggressionen auflisten, die zwischen September 2000 und Ende Januar 2002 gegen jüdische Menschen in Frankreich begangen wurden.

Ihm gaben sie den schlichten Titel Les antifeujs. Der Begriff, den die Herausgeber neu geprägt haben, übernimmt einen Terminus der Jugendsprache in den Trabantenstädten, die systematisch die Silbenfolge der Wörter umdreht. In ihr werden folglich aus juifs (Juden) feujs, so wie auch Frauen (femmes) zu meufs werden oder Bullen (flics) nurmehr keufs heißen.

Damit deuten sie einerseits auf eine spezifische gesellschaftliche Lokalisierung der Urheber solcher Taten hin, die ja nun (in der Regel) tatsächlich nicht aus der sprichwörtlichen "Mitte der Gesellschaft" kommen, deren Beifall oder zumindest stumme Zustimmung den Hass auf eine Minderheit erst zum veritablen Vernichtungsprogramm werden lassen kann. Andererseits umgehen sie das Bennungsproblem, indem sie sowohl auf eine spezifisch gegen Juden gerichtete Dimension der Taten (und der dahinter stehenden ideologischen, oder alltagsideologischen, Versatzstücke) hinweisen als auch den historisch mit konkreten Erscheinungsformen verbundenen Begriff "Antisemitismus" vermeiden.

"Frankreich ist kein antisemitisches Land, und jene, die das Gegenteil behaupten, lügen, und zwar bewusst", schreiben Patrick Klugman - der Enkel polnischer Juden - und Malek Boutih, der Sohn maghrebinischer Eltern, in ihrem gemeinsamen Vorwort. Aber, fahren der Vorsitzende der UEJF und jener von SOS Racisme fort, "die Wiedergeburt eines Antisemitismus ist eine Tatsache"; an dieser Stelle führen sie den Begriff also dennoch ein. Doch Patrick Klugman fügte auf der Pressekonferenz im März 2002, anlässlich derer das Buch der Öffentlichkeit präsentiert wurde, fort: "Man muss sich vor einer Gefahr hüten: Diesen unorganisierten Verhaltensformen eine ideologische Bedeutung zu verleihen, eine spontane Gewalt in eine theoretische Form zu gießen." Gleichzeitig warnen die beiden Autoren in ihrem Vorwort auch davor, die Jugend "ignoriere vielleicht, wie leicht die Hände, die "Tod den Juden" an die Wand schreiben, dazu übergehen können, Juden zu töten."

Zugleich publiziert die UEJF am selben Tag eine Befragung französischer Jugendlicher zwischen 15 und 24 Jahren, die sich - anonym - zu Ihrer Sichtweise gegenüber Juden und Jüdinnen äußern sollten. Die Ergebnisse sind nach Ansicht des Verbands global ermutigend. 89 Prozent hätten kein Problem damit, einen Juden oder eine Jüdin als LebenspartnerIn zu haben, und 87 Prozent finden die Übergriffe auf französischem Boden schlicht "skandalös², während 11 Prozent der jüdischen Bevölkerung einen Anteil von Mitschuld geben. Allerdings: Zwar finden nur 5 Prozent der Befragten die Ansicht "richtig", die Juden hätten zu viel Einfluss in der Finanzwelt, und 7 Prozent "in den Medien". Aber 17 bzw. 14 Prozent können dieser Auffassung "teilweise" etwas abgewinnen. Doch diese Ziffer entspricht dem, was seit längerem als Sockel antisemitischer Urteile in der Gesamtbevölkerung festgestellt werden kann (die abrufbar sind, aber nicht jederzeit in akutes Handeln umschlagen) - nicht aber einer Zunahme solcher ideologischen Elemente seit dem Herbst 2000.

Auch die Jugendlichen maghrebinischer Herkunft - die getrennt befragt wurden - teilen diese Geisteshaltung grundsätzlich. Auch wenn bei ihnen, das ist der auffälligste Unterschied zur übrigen französischen Jugend, nur 68 Prozent mit einem Juden oder einer Jüdin als Paar zusammenleben möchten - was allerdings eher Ausdruck kommunitärer Mechanismen ist (man heiratet innerhalb der Community, oder jedenfalls der eigenen Religionsgruppe), die es genau so auch in anderen Bevölkerunsgruppen gibt. Doch auch 95 Prozent unter den maghrebinischstämmigen (und 98 Prozent der französischstämmigen) Jugendlichen sind der Ansicht, in Frankreich solle jedermann eine Kippa ohne Belästigung tragen können, da dies keine Provokation, sondern ein selbstverständliches Recht sei.

Eine Minderheit freilich sieht dies anders. Ihre Handlungen können ausreichen, um das Klima zu vergiften.

hagalil.com 12-11-2003


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