Aus dem
Nahostlexikon
von Gernot Rotter und Schirin Fathi, erschienen im Herbst 2001 beim Palmyra
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PLO
(Arab. Munazamat at-Tahrir al-Filastiniya, Palestine Liberation
Organisation, Palästinensische Befreiungsorganisation)
1964 gegründeter Dachverband politischer und
militärischer palästinensischer Gruppierungen, die die Befreiung »» Palästinas
und die Errichtung eines unabhängigen palästinensisch-arabischen Staates im
ehemaligen Mandatsgebiet Palästina - oder in Teilen davon - zum Ziel haben.
Auf der ersten arabischen Gipfelkonferenz 1964 in
Kairo wurde unter »» Nassers Einfluss die Errichtung einer unabhängigen
palästinensischen Nationalbewegung beschlossen. Der Palästinensische
Nationalrat, der sich damals aus Repräsentanten der seit 1948 verstreuten
palästinensischen Gesellschaft zusammensetzte, gründete daraufhin auf seiner
ersten konstituierenden Versammlung in Ostjerusalem die PLO. Der Nationalrat
bildete als Legislative der PLO das oberste politische Gremium und fungierte bis
zur Wahl des Palästinensischen Legislativrats (»» Palästinensische
Nationalbehörde) 1996 als Parlament im Exil. Die Delegierten setzten sich - nach
1969, als die PLO umorganisiert wurde - offiziell etwa zur Hälfte aus ernannten
Mitgliedern der Guerilla-Gruppen zusammen, de facto aber waren auch die meisten
Vertreter der Gewerkschaften, Frauen- und Studentenorganisationen sowie der
Berufsverbände den Guerilla-Organisationen angeschlossen. Die Mitglieder des
Nationalrats wählen das Exekutivkomitee, das oberste Führungsgremium der PLO.
Diesem unterstehen verschiedene Bereiche, die u.a. für Finanzen, Auswärtiges und
Soziales zuständig sind. Die PLO entwickelte sich somit zu einer gewichtigen
nationalen Institution, die sich nicht nur dem Befreiungskampf widmete, sondern
sich auch zum Nukleus eines palästinensischen Staates mit militärischen, aber
auch wirtschaftlichen, sozialen und bildungspolitischen Aufgaben heranbildete.
Die PLO blieb bis 1967 unter der direkten
Kontrolle des ägyptischen Staatspräsidenten, der sich ihrer als Instrument im
Konflikt um den arabischen Hegemonialanspruch bemächtigte. Erst die Niederlage
im »» Junikrieg und die Erkenntnis der Palästinenser, daß sie allein für die
Erlangung ihrer Rechte verantwortlich sind, gab der PLO ein eigenes Gewicht.
Ahmed Shuqairi, der erste, von »» Ägypten eingesetzte Vorsitzende, mußte
seinen Rücktritt einreichen, und nach einer kurzen Übergangsphase unter Yahya
Hamouda übernahm »»
Yassir Arafat 1969 den Vorsitz.
Seitdem besteht der Palästinensische Nationalrat nicht nur aus regionalen
Delegierten, sondern vor allem auch aus Vertretern der ideologisch
unterschiedlich ausgerichteten Organisationen und paramilitärischen
Gruppierungen des palästinensischen Widerstands, dominiert von Arafats
Al-Fatah. Erst unter Arafats Führung wurde die PLO zu einer unabhängigen
nationalen palästinensischen Vertretung, die sich vom arabischen Nationalismus
abwandte, politische Institutionen schuf und die eigene palästinensische
Identität nicht nur im Bewusstsein der Palästinenser selbst, sondern auch in
der Weltöffentlichkeit verankerte.
Die größte Untergruppe der PLO, die Al-Fatah, war ideologisch nie festgelegt
und versuchte, sich durch ihre flexible Haltung als ein Sammelbecken
unterschiedlicher Strömungen zu etablieren. Ihre Gründer stellten
jahrzehntelang den inneren Führungskreis der PLO. Dazu gehörten und gehören
neben Yassir Arafat, Khalil al-Wazir (Abu Jihad), den der israelische
Geheimdienst 1988 ermordete, Salah Khalaf (Abu Iyad), der 1991 von einem
palästinensischen Dissidenten erschossen wurde, und Faruk Kaddumi (Abu Lutf).
Eine weitere wichtige Gruppierung innerhalb der PLO ist die Volksfront für die
Befreiung Palästinas (Jabha Shabiya H-Tahrir Filastin; Popular Front for the
Liberation of Palestine, PFLP) unter George Habash, die aus der Arabischen
Nationalbewegung (Harakat al-Qawmiyun al-Arab; Arab National Movement, ANM)
hervorgegangen ist. Die PFLP ist stark ideologisch geprägt und für eine Anzahl
spektakulärer Aktionen verantwortlich. Von ihr spaltete sich 1969 die
Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (Jabha Dimuqratiya li-Tahrir
Filastin; Democratic Front for the Liberation of Palestine, DFLP) um Nayef
Hawatmeh ab, die sich wie die PFLP als marxistisch versteht.
Hinzu kommt eine Reihe anderer Gruppierungen: die syrisch kontrollierte Saiqa,
das PFLP-Generalkommando von Ahmed Jibril, die vom Irak unterstützte Arabische
Befreiungsfront, die Palästinensische Befreiungsfront sowie die
Palästinensische Volkskampffront.
Ein Teil der PLO-Gruppierungen gründete 1974 die Ablehnungsfront als Antwort
auf die von Arafat immer stärker propagierte mögliche Teilstaatlösung. 1983
verließen einige Organisationen zusammen mit den Al-Fatah-Rebellen die PLO, um
gegen Arafats Bruch mit »» Syrien zu protestieren. Schon 1974 wurde die
terroristische Gruppe um Sabri al-Banna (Abu Nidal) aus der PLO
ausgeschlossen, da sie unter anderem auch Anschläge gegen PLO-Mitglieder
verübt hatte.
Arafats Al-Fatah, die schon früh den bewaffneten Kampf gegen Israel
aufgenommen hatte, wurde für die PLO zum bestimmenden Faktor. Im Juli 1968
wurde als Programm eine neue Palästinensische Nationalcharta (Mithaq
al-Watani) angenommen, die u.a. den bewaffneten Kampf als den einzigen Weg zur
Befreiung Palästinas propagierte und »» Israel jegliches Existenzrecht
absprach. Diese Charta war jahrelang ein Haupthindernis für die Aufnahme von
Verhandlungen mit Israel und den »» USA. Die umstrittenen Passagen waren bis
Dezember 1998 gültig, als sie vom Palästinensischen Nationalrat im Rahmen des
»» Wye-Abkommens annulliert wurden.
Der Kampf der PLO gegen Israel war in den Jahren 1967 bis 1974 durch
kompromisslose Ablehnung des Staates Israel, durch weltweite Gewalt- und
Terroraktionen und spektakuläre Flugzeugentführungen gekennzeichnet.
Finanziell wurde die PLO von den reichen Ölstaaten der arabischen Halbinsel
gefördert. Die militärischen Aktionen wurden jedoch aus den Anrainerstaaten »»
Jordanien und »» Libanon ausgeführt, was schwerwiegende Konflikte mit diesen
Gastländern zur Folge hatte. In Jordanien entwickelte sich die PLO Ende der
sechziger Jahre zu einem Staat im Staate und stellte ganz entscheidend die
Legitimität des jordanischen Regimes in Frage. Dies führte zu
bürgerkriegsähnlichen Zuständen und gipfelte 1970 im sogenannten Schwarzen
September, der blutigen Zerschlagung und Vertreibung der Fedayin aus
Jordanien. Daraufhin ließen sich die PLO-Verbände im Libanon nieder, wo im
Süden des Landes (»» Südlibanon) das Fatahland entstand und eine
Guerilla-Armee von 20.000 Mann stationiert wurde. Die Präsenz der PLO und ihre
übergreifenden Aktionen schürten den »» Libanesischen Bürgerkrieg, der dadurch
eine neue, regionale Dimension erhielt. Im Zuge der israelischen Invasion des
Libanon (»» Libanonkrieg) wurden die PLO-Kommandos 1982 aus dem Südlibanon und
Westbeirut vertrieben. Ein Jahr später verlor Arafat sein letztes
Einflussgebiet um Tripolis, als er den syrisch gesteuerten Al-Fatah-Rebellen
militärisch unterlag. Danach verlegte die PLO ihr Hauptquartier nach Tunis. Im
April 1996 versammelte sich der Palästinensische Nationalrat erstmals in Gaza.
Internationale Aufwertung von einer lediglich als Terrororganisation
angesehenen Gruppierung erfuhr die PLO, nachdem die arabische Gipfelkonferenz
in Rabat sie im Oktober 1974 zur einzig legitimen Repräsentantin des
palästinensischen Volkes erklärt hatte und Arafat im November des gleichen
Jahres seine berühmte Rede vor der UN-Vollversammlung hielt. Daraufhin wurden
in vielen westlichen Hauptstädten Vertretungsbüros eingerichtet, die PLO
erhielt Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen (»» UN), und Arafat wurde
zunehmend wie ein Staatschef behandelt, der seitdem zu einem Hauptakteur
innerhalb der arabischen Politik avancierte.
Grundlegend für diese Aufwertung war auch die Abkehr vom Terrorismus und eine
pragmatischere Haltung, die die PLO - allen voran die Al-Fatah - seit Mitte
der siebziger Jahre einnahm.
Der »» Oktoberkrieg hatte nämlich die Möglichkeit der Akzeptanz einer
Teilstaatlösung für die Palästinafrage eröffnet. Da die PLO nicht mehr auf der
Befreiung des gesamten Gebiets Palästina beharrte, wurde es möglich,
Verhandlungen auf der Basis der »» UN-Resolution 242 aufzunehmen. Konkret hieß
dies, jedes Stück befreites Land zu akzeptieren, um darauf einen
palästinensischen Staat zu errichten; allerdings wurden diese befreiten
Gebiete anfangs noch als Etappenziele auf dem Weg zur vollständigen Befreiung
ganz Palästinas betrachtet. Trotzdem wurden ihre Verfechter, allen voran die
Al-Fatah und die DFLP, von den Maximalisten in der PLO des Verrats und der
Kapitulation bezichtigt. Die PLO drohte auseinanderzubrechen, und erst die
Unterzeichnung des »» Camp-David-Abkommens von 1978 vereinte die
unterschiedlichen Gruppierungen wieder.
Die Politik des Ausgleichs mit Israel, die endgültig in die »»
Friedensverhandlungen mündete, verlief nicht linear. Vielmehr ist sie von
mehreren Rückschlägen gekennzeichnet, u.a. der Vertreibung der PLO aus dem
Libanon, aber auch der Ausbruch der »» Intifada 1987 stellte die Führungsrolle
der PLO innerhalb der besetzten Gebiete kurzfristig in Frage. Und letztendlich
schwächte die proirakische Haltung der PLO im »» Golfkrieg die
palästinensische Widerstandsbewegung dramatisch, da die Golfstaaten ihr einen
Großteil ihrer finanziellen Mittel entzogen und sie gleichzeitig mit einer
erneuten Flüchtlingswelle (»» Flüchtlinge) konfrontiert wurde.
Auf der anderen Seite brachte erst die Aufgabe des jordanischen Anspruchs auf
das »» Westjordanland 1988 der PLO die Möglichkeit, tatsächlich als einzige
Vertretung aller Palästinenser aufzutreten. Im November 1988 rief sie auf der
19. Sitzung des Palästinensischen Nationalrats in Algier einen unabhängigen
Palästinenserstaat aus, und einen Monat später schwor Arafat vor der
Vollversammlung der Vereinten Nationen (die aufgrund der amerikanischen
Weigerung, Arafat ein Einreisevisum zu erteilen, in Genf tagte) dem
Terrorismus ab.
Trotzdem behielt Israel seine ablehnende Haltung bei und akzeptierte die PLO
und ihre rechtmäßige Rolle erst im September 1993, vier Tage vor
Unterzeichnung der »» Osloer Prinzipienerklärung. Derzeit (Juni 2001) besetzen
PLO-Gefolgsleute, hauptsächlich aus der Al-Fatah, die Mehrheit der Posten
innerhalb der Palästinensischen Nationalbehörde. Diese Vormachtstellung wird
ihnen jedoch in zunehmendem Maße von der »»
Hamas streitig gemacht.
s.
auch: [abu mazen] [arafat] [hamas]
[plo]
Stand 30-06-2001
»» verweist auf Einträge im
Nahostlexikon...
Gernot Rotter / Schirin Fathi:
Nahostlexikon
Der israelisch-palästinensische
Konflikt von A-Z
Seit über einhundert Jahren ist der Nahe Osten die
brisanteste Krisenregion der Erde. Der Nahostkonflikt – in seinem Kern die
israelisch-palästinensische Auseinandersetzung um das Land Israel/Palästina –
ist somit im wahrsten Sinne ein »Jahrhundertkonflikt«...
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