"Nicht weil ihr zahlreicher seid als alle Völker, hing der Ewige an
euch und erwählte euch; denn ihr seid das geringste unter allen Völkern.
Sondern weil der Ewige euch liebte, und zwar deshalb, weil Er den Eid halten
wollte, den Er euren Vätern geschworen, hat der Ewige euch mit starker Hand
herausgeführt und dich aus dem Sklavenhaus befreit, aus der Gewalt Pharaos,
des Königs von Ägypten" (Dew. 7, 7-8).
Eine feindlich gesinnte Umwelt sorgte während zweitausend Jahren durch
Verfolgung und Mord dafür, dass wir nie "zu zahlreich" wurden, gipfelnd im
Holocaust, dem mit 6 Millionen Juden ein Drittel unseres Volkes zum Opfer
fiel.
Die Botschaft der Tora, welche Gott durch das jüdische Volk verkünden
ließ, die Zehn Gebote und letztendes die Grundlagen abendländischer
Zivilisation, dies alles fand sein Sprachrohr in der Existenz eines relativ
kleinen, aber um so mutigeren und von seiner Aufgabe überzeugten Volkes. So
wie die Urväter Awraham, Jizchak und Jakow als einzelne ihren Weg inmitten
einer geistig fremden Umgebung machten, und das Wissen um die Existenz eines
einzigen Gottes verbreiteten, so ging Am Jisrael (das Volk Israel) unbeirrt
seinen Weg durch die Geschichte, erfolgreich, wie es die zwei aus ihm
hervorgegangenen monotheistischen Weltreligionen bezeugen.
Doch verführte seine "Auserwähltheit" das Volk nicht zu Überheblichkeit.
Unsere Weisen haben den oben zitierten Passuk der Parascha so gedeutet:
"Der Heilige, gepriesen sei Er, sprach zu Israel: Ich hänge an euch,
denn selbst wenn Ich euch Größe angedeihen lasse, haltet ihr euch klein vor
Mir.
Ich verlieh Awraham Größe, und er sprach vor Mir:
Ich bin Erde und Asche.
Mosche und Ahron, und sie sprachen:
Wir sind nichts.
David, und er sprach:
Ich bin ein Wurm und kein Mensch.
Anders aber die Völker der Welt.
Ich verlieh Nimrod Größe, und er sprach:
Wohlan, wir wollen uns eine Stadt bauen (Bawel).
Dem Pharao, und er sprach:
Wer ist der Herr?
Sancheriw, und er sprach:
Wer unter allen Göttern der Völker, der ihr Land aus meiner Hand retten
könnte?
Newuchadnezar,. und er sprach:
Ich steige auf der Wolken Höhen.
Chiram, dem König von Zor, und er sprach:
Einen Göttersitz bewohne ich inmitten des Meeres."
(Chulin 89a).
Der politische, wirtschaftliche und militärische Erfolg stieg all den
erwähnten biblischen Herrschern in den Kopf und verführte sie zu maßloser
Überheblichkeit. Dagegen zeichneten sich die Geistesfürsten jüdischer
Geschichte stets durch innere und nicht äußere Größe aus. Innere Größe,
welche in Bescheidenheit und Zurückhaltung ihren Ausdruck fand.
In einer Fülle von Aussprüchen findet sich diese Haltung unserer Weisen
im Talmud widerspiegelt.
"Rabbi Esra, nach anderer Meinung Rabbi Elasar trug vor: Komm und
sieh, wie verschieden die Handlungsweise des Heiligen, gepriesen sei Er, von
der Handlungsweise eines Menschen aus Fleisch und Blut ist. Die
Handlungsweise eines Menschen ist, dass der Hohe den Hohen beachtet, nicht
aber beachtet der Hohe den Niedrigen; anders aber ist die Handlungsweise des
Heiligen, gepriesen sei Er, Er ist hoch und beachtet den Niedrigen, denn es
heisst (Tehilim 138, 6): 'Denn erhaben ist der Herr und sieht auf den
Niedrigen'.
Rabbi Chisda, nach anderer Meinung Mar Ukwa sagte: Wenn einem Menschen
Hochmut innewohnt, so spricht der Heilige, gepriesen sei Er: Ich und er
können nicht zusammen auf der Welt wohnen. Es heisst (Tehilim 101, 5): "Wer
seinen Nächsten heimlich verleumdet, den vernichte Ich, wer stolzen Blickes
und aufgeblasenen Sinnes ist, den mag Ich nicht'; und man lese nicht: den
mag Ich nicht, sondern: mit dem mag Ich nicht" (Sota 5a).
Rabbiner Dr. D. Hoffmann gewinnt der Betonung des relativ kleinen
Zahlenumfangs des jüdischen Volkes einen aktuellen Aspekt ab. Er verweist
auf die dem oben erwähnten Zitat vorangehenden Sätze, in denen die Torah die
Eheschließung mit Nichtjuden verbietet:
"Du sollst dich mit ihnen nicht verschwägern; deine Tochter sollst du
nicht seinem Sohn geben, und seine Tochter sollst du nicht für deinen Sohn
nehmen. Denn er würde deinen Sohn von Mir abtrünnig machen, und sie würden
fremden Göttern dienen." (Dew. 7, 3-4).
Wohlgemerkt, hier ist nicht die Rede von einem heute jedermann
freistehenden halachisch gültigen Übertritt zum Judentum. Auch heute wird
manchmal, besonders in den USA, die folgende, von Rabbiner Dr. D. Hoffmann
so dargestellte Auffassung vertreten:
"Diese Bemerkung (Vers 7) will dem Gedanken begegnen, dass es doch
Gott wohlgefällig sein könnte, wenn Israel durch die Verbindung und
Verschmelzung mit den Kenaanitern an Volkszahl wachse und so ihr Gott eine
bedeutend größere Nation Sein Eigentum nennen könnte. Allein Gott hat sich
nicht ein großes, sondern das geringste Volk erwählt."
Mischehen und die Forderung, auch einen jüdischen Vater allein für die
Zugehörigkeit zum jüdischen Volk als ausreichend zu erklären, stärken nicht,
sie schwächen das jüdische Volk und seine Torah. Seine Stärke ist nicht auf
Quantität begründet, sondern auf der unbeirrbaren Treue zu Gott und zur
Torah -- auf der Glaubenskraft, Gottes Wort tagtäglich durch Mizwot und
Studium der Lehre zu realisieren, als einzelne, als Gemeinschaft und als
Volk im eigenen Staat und Land, in Israel.