Herausgegeben von Eveline
Goodrnan-Thau und Christoph Schulte, übersetzt und mit Anmerkungen versehen
von Timotheus Arndt
Aus dem Vorwort
zur deutschen Erstausgabe des Werkes von
Abraham Isaak HaCohen Kook
Die Lichter der Tora
Die Rückkehr nach Zion
Die Rückkehr nach Zion, die das
jüdische Volk in seiner Generation erleben durfte, war für Rav Kook kein
normales Ereignis im Kontinuum des langen Leidenswegs des jüdischen Volkes,
sondem eine Art 'Bruch der Geschichte', der alle Hoffnungen der
Vergangenheit auf einen Punkt brachte: die Realität hat sich radikal
geändert, das Exil hat den Anfang seines Endes erlebt, und das Volk Israel
steht, wie am Anfang seiner Geschichte, auf der Schwelle einer neuen
Wirklichkeit und Selbstverwirklichung in Palästina. Dies gilt nicht nur für
das Volk als Ganzes, sondern auch für jedes Individuum auf allen Ebenen
seiner Existenz. Aber für Rav Kook steht nicht nur das Schicksal des
jüdischen Volkes auf dem Spiel, sondern das Schicksal der ganzen Welt, die
durch die Erneuerung des Volkes Israel, in dem Gottes Geist pulsiert, belebt
werden soll.
Rav Abraham Isaak HaCohen Kook war
eine besondere Figur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft seiner Zeit und
innerhalb der jüdischen Tradition überhaupt. Ein Einzelgänger, Rabbiner,
Mystiker, Philosoph, Dichter und Politiker. Ein Mann, der einerseits in
seinem Amt als Oberrabbiner ganz hautnah mit den meist alltäglichen
Ereignissen des Lebens verbunden war, aber andererseits von den höchsten
Höhen der menschlichen Erfahrung des Göttlichen zu schreiben weiß. Einer,
der sich tragen läßt — al Kanfej haSchechinah — auf den Flügeln der
Einwohnung Gottes; ein Mensch auch, der in den tiefsten Tiefen der
menschlichen Verzweiflung den göttlichen Funken zu erlösen sucht.
Der Mensch ist es, so Rav Kooks
Lehre, der als kleinster Teil dieser Welt das Ganze zusammenhält. Dies ist
möglich, da der Mensch, zu Gottes Ebenbild geschaffen, das Heilige mit dem
Profanen zu verbinden vermag. Die Trennung des Menschen und der Welt von
Gott ist für Rav Kook der Grund des Schmerzes, und die Sehnsucht nach der
Erlösung findet so ihre Quelle in der Hoffnung auf die Einheit, auf die
Wiedervereinigung von Gott und Mensch, von Gott und seiner Schöpfung. Dieses
Element macht ihn zum Mystiker, der die Synthese sucht und den Abgrund, der
sich in der Welt immer wieder auftut, in jeder Hinsicht zu überbrücken
versucht. So ist sein Schicksal das Schicksal der Welt und des jüdischen
Volkes — wie auch das Schicksal der Welt und des Volkes sein Schicksal ist.
Alles ist durch den Menschen verbunden, das Oben und das Unten, das Innen
und das Außen, der Himmel und die Erde. Hauptpunkt für den religiösen
Zionismus Rav Kooks ist seine Überzeugung, daß das Land Israel — als Erez
(Erde) Israel — der Ort ist, an dem alle Gegensätze aufgehoben sind und die
Lebenskräfte in einer großen Symphonie zusammenwirken:
,,Höre auf mich, mein Volk",
heißt es in einem Fragment, das Bergsons élan vital mit religiösem Zionismus
mischt, "aus meiner Seele rede ich mit euch, aus der Seele meiner Seele
aus dem Bund des Lebens, mit dem ich mit euch allen verbunden bin und ihr
alle mit mir verbunden seid. Aus dem Gefühl, welches ich tiefer als alle
anderen Gefühle meines Lebens spüre, das ihr, nur ihr, der Inhalt meines
Lebens seid.
In euch lebe ich, in euch, in der alles-übergreifenden Einheit von euch
allen hat mein Leben diesen Inhalt, der 'Leben' heißt. Ohne euch habe ich
nichts. Alle Hoffnungen, alle Strebungen, der ganze Lebenswert, dies alles
finde ich in mir nur mit euch, und ich muss mich mit allen euren Seelen
verbinden, ich muss euch mit unendlicher Liebe lieben, ich kann kein anderes
Gefühl ertragen, alle kleinen und großen Liebesgefühle in meinem Lebenslauf,
alle sind sie aufgehoben in der Liebe zu euch, in der Liebe eurer
Gesamtheit, in der alle eure Einzelheiten da sind und leben.
Jeder einzelne von euch, jede einzelne Seele aus eurer Gesamtheit, ist ein
großer und bedeutender Funken aus der Fackel des Weltlichtes, der mir das
Lebenslicht gibt. Ihr gebt mir Inhalt für das Leben, für die Arbeit, für die
Tora, für das Gebet, für die Dichtung, für die Hoffnung. Durch das Rohr
eures Daseins spüre ich Alles, liebe ich Alles, auf den Geistesflügeln eurer
Zuneigung werde ich erhoben zur Gottesliebe und sie wird mir so zur Pflicht,
wird mir so deutlich, flammt so auf in meiner Seele, funkt in meinem Denken.
Mit euch, mein Volk, meine Nation, mein Mutterland, Quelle meines Lebens,
mit euch erhebe ich mich in den Weiten der Welt, mit eurer Ewigkeit lebe ich
ein ewiges Leben, mit eurer Pracht werde ich mit Ehre und Pracht erfüllt,
mit eurer Anmut bin ich voll Schmerz, mit dem Leid in eurer Seele bin ich
voll Bitterkeit, mit dem Wissen und der Einsicht, die in euch ist, bin ich
mit Wissen und Einsicht erfüllt. Jeder Rhythmus, jedes Gesetz eures Gehens
ist mir eine Schatzgrube des Lebens.
Euer Land, das Land eurer Hoffnung, ist mir heilig, sein Himmel eine Quelle
der Wonne, Quelle der Weltpracht, sein Karmel und sein Scharon eine Quelle
der Hoffnung, Quelle des Segens, Quelle der Lebensfreude, seine Küste und
sein Wald zeichnen sich vor mir ab in ihrer ewigen Huld und Pracht".4
Aus dieser romantisierenden Passage
spricht mehr als religiöser Enthusiasmus, mehr als Fieber und Leidenschaft
oder Liebe für den Boden von Erez Israel, die Heimat der neugeborenen
Nation, und für ein Volk, das nach zweitausend Jahren der Wanderung in sein
Land zurückkehrt. Es spricht in erster Linie ein Mensch, der sein
Mensch-Sein, seine Existenz als Teil seines Volkes, im weiteren Sinn als
Teil der Menschheit, in diesem Land und in diesem Volk vor Gott bestätigt
findet. Die Sehnsucht, mit jedem einzelnen Mitglied der jüdischen
Gemeinschaft verbunden zu sein, zielt nicht auf Ausschließlichkeit, sondern
ist für Rav Kook die Quelle der menschlichen Existenz auf Erden überhaupt:
Nur mit dem Mitmenschen findet der Mensch zu Gott. Das Erwachen von Juden
zum Bewusstsein einer besonderen Aufgabe im heiligen Land, welches sich vor
seinen Augen vollzog, war für ihn nicht nur Ausdruck der Aufgabe, die das
jüdische Volk im Laufe der Jahrhunderte in der Diaspora immer gehabt hatte,
nämlich ein Licht für die Völker zu sein. Vielmehr und vielleicht in erster
Linie bedeutete dies für Rav Kook, daß das Volk den Weg zu seiner
Authentizität wiederzufinden hatte — einen Weg, der die Verbindung des
Einzelnen mit der Gemeinschaft und mit dem Zeitgeist voraus setzt. Aus
dieser Sicht ist auch Rav Kooks Arbeit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft
in Erez Israel zu verstehen, sein Bemühen, zwischen verschiedenen
Gruppierungen und zwischen den verschiedenen Interpretationen des Judentums
Verbindungen aufzuzeigen und herzustellen. Das Volk erlebt so seine
Geschichte als Herausforderung an seine Existenz — eine Herausforderung, die
einerseits als Lösung seiner gegenwärtigen Existenzprobleme, aber auch als
Wegweiser zu seiner endgültigen Erlösung empfunden werden sollte. Grundlage
dafür ist die Liebe, die, so Rav Kook, ein Jude zu seinem Volk und so zu
jedem einzelnen empfindet; eine Liebe, die ihre Quelle in der Tiefe seiner
Seele hat, und die daher von ihm als eine tiefe Sehnsucht empfunden wird.
Nur im gemeinsamen Schaffen von Mensch und Mensch, von Mensch und Gott, kann
die Welt zur Erlösung gelangen.
- Anmerkungen zur
Übersetzbarkeit religiöser hebräischer Texte
- Rav
Kooks einmalige Stellung in der jüdischen Geistesgeschichte des 20.
Jahrhunderts
- Die Rückkehr nach Zion
- Lebenslauf des Rav
Kook
- ...
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Akademie Verlag
Moses Mendelssohn Zentrum
für Europäisch-Jüdische Studien
Universität Potsdam
ISBN: 3-05-002515-8
Gb, € 44,80 , DM 87,62
Aus der Reihe
"Jüdische Quellen"
Herausgegeben von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte
Band 4: Abraham
Isaak HaCohen Kook
Die Lichter der Tora
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