Avraham Burg im Interview:
Das zionistische Ghetto verlassen
Ari Shavit ist einer der angesehensten israelischen
Publizisten. Berühmt sind vor allem seine "großen" Interviews, die er für
die links-liberale Tageszeitung "Haaretz" führte.
Deutsche Ausgabe:
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Seine Anhänger schätzen sein hartnäckiges "nicht locker
lassen und immer wieder nachhaken". Kritiker werfen ihm einen manchmal
"verhörartigen" Interviewstil vor, bei dem es ihm eher darum gehe den
Interviewten dazu zu bringen, das zu sagen, was er, Shavit, gerne hören und
schreiben möchte.
Sein jüngstes Interview mit Avraham
Burg**, verursachte eine der lebhaftesten Debatten des Sommers 2007.
In der Knesseth wurden Anträge diskutiert, dem früheren
Parlamentspräsidenten die letzte Ruhestätte am Herzl-Berg zu versagen, Burg
sei ein Verräter. Andere meinen Burg habe nur angesprochen, was viele in
Israel bewege. Man müsse nicht in Gänze mit ihm übereinstimmen, doch es
nütze nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und jede Kritik als Verrat und
Antizionismus zu diffamieren. Eine offene und sachliche Debatte sei längst
überfällig und persönliche Beleidigungen würden nur von der Situation, die
zweifellos ernst sei, ablenken, Kritiker mundtot zu machen und die Probleme
des Landes unbesprochen und damit unbehandelt zu belassen.
Anlass für das Interview war das Erscheinen von Burgs
neuestem Buch "Lenazeach
et Hitler" (Hitler besiegen),
welches zur "Woche des Hebräischen Buches" in Jerusalem vorgestellt wurde.
[Hebräisch
bei haaretz.co.il] [English
bei haaretz.com]
Get Krituth -- Leaving the Zionist Ghetto
Ari Shavit interviewt Avraham Burg,
übersetzt von G. Strauss
Vorwort von Ari Shavit
Wir trafen uns vor 25 Jahren. Genau vor 25 Jahren. Avraham
- Avrum - Burg und ich hatten uns einer kleinen Gruppe von Reserve-Soldaten
und –Offizieren angeschlossen, die sich öffentlich gegen den Libanon-Krieg
wandten.
"Soldaten gegen das Schweigen" wurden wir genannt. Und dann wurde Avrum sehr
schnell aus unserer Mitte genommen. Während der großen Demonstration* mit
400,000 Leuten wurde er zum Star und widmete sich umgehend der Politik.
*) Gemeint ist die Friedensdemonstration am Tel Aviver
Kikar Rabin, damals Platz der Könige Israels. Die Teilnehmer forderten nach
dem Massaker in Sabra und Schatilla (Beirut), im September 1982, eine
Untersuchungskommission.
Am Anfang war er einer der brillanten jungen Männer im Stab von Shimon
Peres. Bald entwickelte er sich zur großen Hoffnung der Jungen Garde der
Labor Party; es folgten der Vorsitz des Sochnuth, der Jüdischen Agentur
(Jewish Agency), dann wurde er Knessetsprecher, später ein Kandidat für den
Parteivorsitz der Labor Partei.
Vor drei Jahren dann erhob sich Burg ganz plötzlich und ging. Wollte sich
ein Vermögenspolster schaffen; wurde in eine problematische und erfolglose
Privatisierungs-Geschichte verwickelt; Zeitungen verleumdeten ihn, vom
staatlichen Rechnungshof wurde er unter die Lupe genommen; Polizei
ermittelte gegen ihn. Und während dieser ganzen Zeit schrieb er ein Buch.
Während dieser gesamten Zeit arbeitete er seine kühnen Einsichten für das
Buch "Lenazeach et Hitler", "Defeating Hitler" oder "Hitler besiegen" aus.
Burg wird es nicht zugeben, aber er sieht sein Buch, das er
jetzt, zeitgleich zur "Woche des Hebräischen Buches" herausgibt, als
prophetisches Buch. Ein Buch das dem Königreich eine Weissagung stiften
soll. Für andere wird dieses Buch nicht leicht definierbar sein. Es enthält
tiefe Einsichten über Israel und den Zionismus, einen ausgedehnten Vergleich
zwischen Israel und Deutschland, pointierte Kritik an der Hinrichtung
Eichmanns durch Erhängen, Reflexionen über Judaismus im Zeitalter der
Globalisierung und Erinnerungen an die ursprüngliche Heimat Josef Burgs, des
Vaters des Autors.
Josef Burg, dem Flüchtling aus Dresden, verdankt das Buch eine gewisse
Sanftmut, die keinen Widerhall in den wütenden Worten seines Sohnes findet.
Wohl versucht der Optimist Avrum gegen Ende seinen Totengesang in eine Hymne
zu verwandeln, aber der Versuch überzeugt nicht vollends. Das Israel in
"Defeating Hitler" ist ein sehr harscher Ort. Brutal und imperialistisch,
auf Konfrontationskurs und insular. Ein oberflächlicher Ort, verroht, ohne
spirituelle Dimension.
Das Buch empörte mich. Ich empfand es als eine Abwendung von unserem
gemeinsamen israelischen Selbstverständnis durch einen israelischen
Kollegen. Ich empfand es als eine eindimensionale und gefühllose Attacke
gegen die von uns geteilte Erfahrung, ein Israeli zu sein.
Dennoch war das Gespräch mit Avrum fesselnd. Wir wurden aufeinander wütend,
es wurde dabei ziemlich laut, und wir umkreisten einander mit dem Argwohn
zweier verwundeter Gladiatoren in der Arena. Man kann nicht umhin, Avrum
seine Vorzüge zu zugestehen. Man muss ihm seine Bildung lassen, die
Fähigkeit gut zu artikulieren oder den Finger auf die schmerzenden Wunden zu
legen. Das ist vielleicht gerade der Grund, warum er einen zur Weißglut
bringt. Freund und Räuber - Bruder und Deserteur.
Das Interview:
Teil 1 - Zionismus
Teil 2 - Israel heute
Teil 3 - Universalismus und Exil
Teil 4 - Privates und Politisches
**)
Avraham (Avrum) Burg kam 1955 in Jerusalem zur
Welt. Hier studierte er und begann seine politische Laufbahn.
Hier
wurde er am 8.2.1983 beim Anschlag auf die Demonstration der
Friedensbewegung "Schalom akhshav" durch die Handgranate verletzt, die
Emil Gruenzweig ermordete.
1985 berief ihn Schim'on Peres zum Berater des Premierministers in
Angelegen-heiten der jüdischen Diaspora. Später wurde er zum Abgeordneten
der Kneseth, zum Vorsitzenden des Präsidiums der "Jewish Agency" und der
zionistischen Weltorganisation, zum stellvertretenden Vorsitzenden des
jüdischen Weltkongresses, zum Vorsitzenden des israelischen Parlaments, der
Kneseth, und zum kommissarischen Präsidenten des Staates Israel. Während
seiner gesamten Laufbahn verband Burg das Öffentliche mit dem Geistigen.
Heute ist er Privatmann, doch
noch immer ist er ein gefragter Vortragsredner und einer der berühmtesten
Israelis weltweit, in der akademischen Welt, in den internationalen
Forschungsinstituten, in den jüdischen Gemeinden, in den israelischen und
internationalen Medien.
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