Zionismus:
Herzl oder Achad haAm?
Deutsche Ausgabe:
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Teil 1 des großen Interviews von Ari
Shavit mit Avraham Burg
Avrum, bist du noch ein Zionist?
Avrum Burg, ich habe Dein neues Buch, "Defeating Hitler"
als einen Abschied vom Zionismus interpretiert. Liege ich falsch? Bist du
noch ein Zionist?
"Ich bin ein Mensch, ich bin ein Jude und ich bin ein Israeli. Zionismus war
ein Instrument, um mich von einem jüdischen Seinszustand in einen
israelischen Seinszustand zu versetzen. Ich denke es war Ben-Gurion, der
sagte, dass die zionistische Bewegung das Baugerüst zur Errichtung des
Wohnhauses sei und dass es nach der Etablierung des Staates abgebaut werden
sollte. "
Dann bestätigst Du, dass Du kein Zionist mehr bist?
"Schon beim Ersten Zionistischen Kongress, siegte
Herzls Zionismus über den Zionismus von Achad Ha'am. Ich denke, dass das
einundzwanzigste Jahrhundert das Jahrhundert von Achad Ha'am sein sollte.
Wir müssen Herzl hinter uns lassen und auf Achad Ha'am zugehen."
zionismus.info/grundlagentexte/gruender/herzl.htm
zionismus.info/grundlagentexte/stroemungen/ahad-haam.htm
Bedeutet dies, dass Du die Vorstellung eines jüdischen
Staates nicht mehr akzeptabel findest?
"Es kann nicht mehr funktionieren. Den Staat Israel als einen Jüdischen
Staat zu definieren, ist der Schlüssel zu seinem Ende. Ein Jüdischer Staat
ist explosiv. Er ist Dynamit."
Und ein jüdisch-demokratischer Staat?
"Die Leute finden das sehr angenehm. Es ist entzückend. Es ist schmalzig. Es
ist nostalgisch. Es ist retro. Es verursacht die Wahrnehmung von Fülle. Aber
'jüdisch-demokratisch' ist Nitroglycerin."
Müssen wir die Nationalhymne ändern?
"Die Hymne ist ein Symbol. Ich kann mir vorstellen bei einer Wirklichkeit
mitzumachen, in der alles in Ordnung und allein die Hymne das Verdrehte
ist."
Müssen wir das Rückkehrgesetz abändern?
"Wir müssen die Diskussion darüber eröffnen. Das Rückkehrgesetz* ist ein
Gesetz der Rechtfertigung. Es ist das Spiegelbild von Hitler. Ich möchte
nicht, dass Hitler meine Identität definiert."
*) Das Rückkehrgesetz (hebr. חוק השבות Chok haSchwuth)
ermöglicht allen Juden die Einwanderung nach Israel und die Erlangung der
Staatsangehörigkeit des Staates Israel. Das Gesetz wurde von der Knesset,
dem israelischen Parlament, am 5. Juli 1950 als erstes Gesetz nach der
Staatsgründung 1948 angenommen, fünf Jahre nach Ende des Holocausts. Es
besagt, dass Juden nieweiedr schutzlos der Verfolgung preisgegeben sein
werden und stets einen Zufluchtsort finden werden, an dem sie willkommen
sind, eben im Staat Israel.
Sollte die Jewish Agency abgeschafft werden?
"Damals als Vorsitzender der Jewish Agency* schlug ich vor, deren Namen von
'Jüdische Agentur für das Land Israel' zu 'Jüdische Agentur für die
Israelische Gesellschaft' zu ändern. Es gibt Spielraum für humanitäre
Instrumente. Aber im Wesen ihrer Handlungsebene müsste sich die Agentur um
alle Bürger Israels kümmern, also auch um die Araber."
*) Die Jewish Agency ist heute nur noch die offizielle
Einwanderungsorganisation des Staates Israel. Gegründet wurde die Jewish
Agency - hebräisch: haSochnuth hajehudith (הסוכנות היהודית) - am 11. August
1929 auf dem 16. Zionistenkongress. Die Jewish Agency war die im
Völkerbundsmandat für Palästina vorgesehene Vertretung der Juden und diente
dem britischen Mandatsherrn als Ansprechpartner. Die Jewish Agency war aber
ebenso verantwortlich für die internen Angelegenheiten der in Palästina
lebenden Juden, des Jischuw, insbesondere für die Organisation der
Einwanderung, der Eingliederung und der Vorbereitung der Staatsgründung.
Du schreibst in Deinem Buch, wenn Zionismus ein
Katastrophen-Zionismus ist, dann bist Du nicht nur Post-Zionist sondern
Anti-Zionist. Und ich sage, dass das Element der Katastrophe seit den
1940ern ein integraler Bestandteil des Zionismus geworden ist. Folglich bist
Du ein Anti-Zionist.
"Achad Ha'am warf Herzl vor, dass sein gesamter Zionismus den Ursprung im
Antisemitismus hatte. Achad Ha'am hatte etwas anderes im Sinn: ein Israel
als geistiges Zentrum. Diese Auslegungsart starb nie aus und ihre Zeit ist
gekommen. Ein Zionismus wie unserer, der auf Konfrontationskurs gegen die
Welt geht, ist verhängnisvoll."
Aber es geht nicht nur um den Zionismus. Dein Buch ist
antiisraelisch im tiefsten Sinne. Es ist ein Buch, das Abscheu gegen die
Israeliuth, das Israelisein, das israelische Selbstverständnis ausströmt.
"Als Junge war ich ein Jude. In der Redeart die hierzulande dominiert: ein
Judenjunge. Ich ging zur Heder [religiöse Schule]. Es unterrichteten mich
ehemalige Jeschiwa-Schüler. Und dann, nahezu während meines gesamten Lebens
war ich ein Israeli. Sprache, Zeichen, Gerüche, Geschmackserlebnisse, Orte.
Alles. Heute genügt mir das nicht mehr. Zum heutigen Zeitpunkt in meinem
Leben bin ich über das Israelische hinausgewachsen. Aus den drei
Identitäten, die mich formen - menschlich, jüdisch und israelisch – empfinde
ich das israelische Element als etwas, das die anderen beiden um etwas
beraubt."
Fortsetzung folgt...
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