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Weltgebetstag der Frauen 2003 - Libanon
Dokumentation Teil 5

Brief von Dr. Ulrike Bechmann vom 15. Januar 2003:
An die Vorbereitungsgruppen zum Weltgebetstag der Frauen

Sehr geehrte Damen, liebe Weltgebetstagsfrauen,

in der regionalen Vorbereitung zum Weltgebetstag der Frauen wurde ich mit den Vorwürfen konfrontiert, die gegenüber dem Gottesdienst der Frauen aus dem Libanon erhoben wurde: Der Text enthalte "recht offenen Antisemitismus". Begründet wird das damit, dass mit Israel "das erste und einzige Mal im ganzen Gottesdienst ein Grund für Leid und Unrecht im Libanon konkret benannt" sei und der Eindruck erweckt werde, alle Unrechtserfahrungen "seien allein von Israel ausgegangen". Der Vorstand des Deutschen Weltgebetstags-Komitee hat selbst schon Stellung genommen.

Sie alle, die die Gottesdienstordnung wie in jedem Jahr mit Sorgfalt erarbeitet haben, wissen, dass der Vorwurf, nur Israel sei als Akteur des Unrechts benannt, nicht stimmt. Die Frauen nennen die vielfältigen Ursachen, von denen eine die Besetzung durch Israel und seine Verlegung von Landminen ist. Insofern ist dieser Vorwurf leicht zu entkräften. Schwerer wiegt der Vorwurf des "recht offenen Antisemitismus".

1. Ich finde es verheerend, wenn mit dem Vorwurf "Antisemitismus" so leichtfertig und undifferenziert umgegangen wird wie hier. Der Gottesdiensttext enthält nichts, was auf Antisemitismus deutet. Nicht umsonst ist in vielen Studien und Arbeiten zum Thema Antisemitismus eine Differenzierung erarbeitet worden. Antisemitismus, Antijudaismus, Israelfeindschaft und Kritik an der Politik Israels sind verschiedene Dinge. Sie liegen auf unterschiedlichen Ebenen, haben unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Bezugsgruppen sowie unterschiedliche Argumentationen.
Meines Erachtens verharmlost und banalisiert man den Begriff Antisemitismus, wenn jetzt alles und jedes mit diesem Etikett belegt wird. Antisemitismus ist etwas, dem unzählige Menschen mit ihrer Existenz zum Opfer gefallen sind. Es entwertet deren Leiden, wenn z.B. Kritik an der Politik Israels mit diesem Etikett belegt wird. Ich halte dies für unverantwortlich der Vergangenheit gegenüber, aber auch unverantwortlich für die Zukunft. Aus eigener Beschäftigung mit der Erinnerung an die Shoah frage ich mich, wie auch an zukünftige Generationen diese so weitergegeben werden kann, dass sie auch weiterhin mahnend gegen Rassismus und Antisemitismus wirken kann. Ohne Differenzierung ist diese Erinnerung gefährdet, sie verliert den Schrecken und das Erschrecken über millionenfachen Mord.
Wie sollen denn die Anzeichen echten Antisemitismus erkannt und bekämpft werden, wenn der Begriff so verwässert ist, dass es am Ende vielleicht niemand mehr ernst nimmt? Wir alle kennen die Geschichte mit dem Wolf, vor dem fälschlicherweise so lange gewarnt wird, bis niemand ihn bekämpft, als er wirklich kommt.

2. Kritik an der Politik Israels ist kein Antisemitismus. Für Israel gilt das Gleiche wie für andere Nationen: Die Politik wird an geltendem internationalen Recht, der Einhaltung der Menschenrechte und an den Merkmalen der Demokratie gemessen, die Israel zu sein beansprucht. Die reale Politik muss sich weiterhin an diesem Grundprinzip messen lassen.
Der Konflikt im Nahen Osten hat eine gewaltvolle Geschichte. Sich intensiv damit auseinanderzusetzen ist etwas, was zur Weltgebetstagsarbeit immer dazugehört. Israelfeindschaft heißt, grundsätzlich gegen die Existenz eines Staates Israel zu sein. Kritik an der Politik Israels heißt, eine politische Position in der (auch innerisraelischen) Diskussion zu vertreten und zu stützen bzw. ein Kriterium wie Menschenrechte oder Gerechtigkeit in die Bewertung der Politik einzubringen. Die Politik des Staates Israel ist naturgemäß kein Einheitsblock, weil Israel eine Demokratie ist und folglich auch viele verschiedene politische Positionen existieren und schon in der Regierung vertreten waren. Eine dieser Positionen zu vertreten gehört zur politischen Auseinandersetzung mit dem Konflikt in dieser Region.

3. Der Vorwurf trifft nicht nur die Frauen, die in Deutschland Weltgebetstag vorbereiten, er trifft insbesondere die libanesischen Frauen. Diese üble Nachrede empört mich am meisten. Die Teilnehmenden am Seminar in Berlin, die den Brief verfassten, haben – neben dem "Übersehen" der anderen Stellen, die sie widerlegen - den wichtigsten Grundsatz in der Analyse von Texten außer Acht gelassen: Sie haben weder den Kontext noch die Art des Textes (liturgischer Text) beachtet. Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin nicht der Meinung, dass ein Kontext Antisemitismus rechtfertigen würde. Aber die unberechtigte Kritik trifft doppelt. Denn im Libanon waren alle Konfessionen und Religionen beteiligt am Konflikt – wenn auch nicht unbedingt die einzelnen Mitglieder persönlich. Diese Frauen haben es geschafft, die immer noch vorhandenen Brüche zwischen den christlichen Konfessionen zu überwinden. "Das Thema hat uns inspiriert", so sagten die Frauen uns. "Wir hätten selbst nicht gedacht, dass wir das schaffen, aber der Heilige Geist hat uns weit über das hinausgetragen, was bisher möglich war". Und dazu gehört auch, dass die Frauen selbst als Christinnen Verantwortung übernehmen für den Teil, den die christlichen Konfessionen am Libanonkonflikt haben. Sie sind die ersten, die überhaupt hier Verantwortung übernehmen und Schuld eingestehen, obwohl sie persönlich nicht daran beteiligt waren. Um dies zu tun, muss man sich ehrlich der Vergangenheit stellen. Nur so können sie diesen gewagten Schritt gehen und damit mehr als alle anderen ihre Arbeit am Frieden und an der Versöhnung bezeugen. Ich habe hohen Respekt vor diesen Frauen. Wieder einmal haben Frauen getan haben, woran andere noch lange nicht denken.

4. Schließlich bleibt noch die Anfrage an den epd, der diese Verleumdung verbreitet hat, offensichtlich ohne zu überprüfen, ob die Vorwürfe stimmen. Der journalistische Standard ist eigentlich, zwei Quellen für eine Nachricht zu haben. Es gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht, nicht jede Anklage fraglos in die Welt zu streuen, sondern erst zu prüfen, ob dies auch haltbar ist. Immerhin verletzt so ein Vorwurf die Integrität und Glaubwürdigkeit der Autorinnen und die Weltgebetstagsbewegung insgesamt, die von ihrer Geschichte wie von ihrem Ansatz her als weltweite ökumenische Frauenbewegung für Frieden und Versöhnung eintritt.

Ich fordere alle Frauen auf, in Solidarität die große Versöhnungsleistung der Frauen aus dem Libanon zu würdigen. Wir können dies im Bewusstsein tun, dass nichts in ihrem Text uns daran hindert, sie zu Wort kommen zu lassen und ihnen die Ehre zu geben, dass wir uns in schwesterlicher Verbundenheit auf ihr Gebet einlassen, ihre Bitten vor Gott bringen und dies in Kenntnis der konfliktreichen Geschichte ihres Landes tun.

Mit herzlichen Grüßen
Ulrike Bechmann

Dr. Ulrike Bechmann war bis 1999 theologische Referentin und Geschäftsführerin des deutschen WGT. Sie hat im Zuge der Vorbereitungen zum diesjährigen Weltgebetstag der Frauen den Libanon bereist und die Frauen kennengelernt, die die Liturgie verfaßt haben.

Weitere Beiträge der Dokumentation zum Weltgebetstag 2003:

hagalil.com 12-02-03

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