Für das Jahr 2003 haben Frauen aus dem Libanon die
Ordnung des Weltgebetstags der Frauen entworfen und darin ihre Situation als
Christinnen in einem seit Jahrzehnten von Gewalt und Krieg, Leid und Unrecht
bestimmten Land zur Sprache gebracht. Die Art und Weise in der dies
meditierend und betend geschieht, beeindruckt und berührt. Leider finden
sich aber an durchaus zentralen Stellen Ausführungen, die offenkundig
einseitig antiisraelisch geprägt sind und dazu führen, die in unserm Land
sich wieder breit machenden antijüdischen und antisemitischen Strömungen zu
fördern.
Das betrifft vor allem folgende Punkte:
1) Unter dem Stichwort "informiertes Beten" verbreitet der Text der Liturgie
offensichtliche Desinformation und zwar ausgerechnet im Rahmen der emotional
besonders besetzten Selbstzeugnisse.
Die erste der "Stimmen aus dem Libanon" Yasmina erzählt von einem aus dem
Süden des Libanon stammenden neunjährigen Mädchen, dem im Juni des letzten
Jahres beide Beine amputiert werden mussten, weil sie beim Spielen in den
Feldern auf eine Landmine getreten war. Die diesem Bericht angefügte
Information suggeriert, dass es sich um eine der "mehr als 139 000 Minen
handelt, die die israelischen Militär hinterlassen haben, nachdem sie 22
Jahre unser Land besetzt hatten."
Hier wird dreierlei verschwiegen:
a) einmal, dass die am 24. Mai 2000 vollständig aus dem Südlibanon
abgezogene israelische Armee unmittelbar nach dem Rückzug dem Oberkommando
der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) detaillierte Karten
übergeben hat, in der die von der israelischen Armee im Südlibanon gelegten
Minenfelder lokalisiert sind;
b) ferner, dass über viele Jahre hinweg große Mengen an Minen, Paketbomben
und anderen Sprengkörpern von den Terrorgruppen namentlich der Hisbolla
ausgelegt wurden und diese nie markiert, kartographiert oder gemeldet
wurden;
c) schließlich, dass die libanesischen Behörden die betroffenen Gebiete nie
abgezäunt haben, um so Schäden an Zivilisten zu verhindern.
Bis heute stellen diese Sprengkörper zweifellos eine ernsthafte Bedrohung
für die Bevölkerung des Südlibanon dar. Dafür kann aber die israelische
Seite keineswegs allein verantwortlich gemacht werden.
Die vierte "Stimme aus dem Libanon stammt von einer Palästinenserin. Sie
trägt den Namen "Nakba". Dieser Frauenname ist zugleich die arabische
Bezeichnung für die "Katastrophe", worunter die palästinensische Erfahrung
der Auswirkungen und Folgen des israelischen Unabhängigkeitskrieges von 1948
verstanden wird.
Nakba erzählt: "Ich bin Palästinenserin und lebe seit meiner Geburt in einem
Flüchtlingslager im Libanon. 1948 mussten meine Eltern Palästina verlassen
und suchten Schutz in diesem freundlichen Land. Ich bin den Menschen im
Libanon dankbar für die Bereitschaft, uns aufzunehmen. Doch seit mehr als 50
Jahren fordern wir die Rückkehr in unsere rechtmäßige Heimat. Zu lange
warten wir schon."
Auch hier wird nicht nur informiert, sondern zugleich desinformiert. Die aus
ihrer Heimat vertriebenen bzw. geflüchteten Palästinenser sind weder im
Libanon noch sonst in einem der arabischen Länder "freundlich" aufgenommen
worden. Man hat sie weithin über 50 Jahre lang in den Flüchtlingslagern
isoliert belassen und die Möglichkeiten zu einer Integration bis heute
geradezu systematisch unterbunden.
Das an den Palästinensern begangene Unrecht der Vertreibung darf und soll
nicht verschwiegen werden, aber dass dieses Flüchtlingsschicksal über 50
Jahre instrumentalisiert wird, sollte auch nicht verschwiegen werden.
Das deutsche Weltgebetstagskomitee hat diese Tendenz sogar noch verstärkt,
indem es im Arbeitsheft zur Gestaltung des Gottesdienstes vorschlägt, "an
Hand von Symbolen, mit denen die Mitte/der Altar geschmückt wird, ...
wichtige kurze Landinformationen" mitzuteilen, und in diesem Zusammenhang
die Hausschlüssel erwähnt, die in den Familien palästinensischer Flüchtlinge
noch heute aufbewahrt werden. - Man stelle sich das Schlüsselsymbol einmal
auf dem Altar (!) eines Gottesdienstes über die Bundesrepublik Deutschland
vor, in dem das Schicksal der nach 1945 vertriebenen Sudetendeutschen bzw.
ihrer Nachkommen angesprochen wird.
Es ist gewiss nicht einfach im Rahmen von "informiertem Beten" berechtigte
Emotionen und echte Informationen miteinander zu verbinden, aber in der
Liturgie eines christlichen Gottesdienstes, der weltweit den Nahostkonflikt
vor das Angesicht Gottes bringt, sollten die Sachinformationen stimmig sein
und nicht einseitige Stimmung wecken.
2. Nicht minder bedenklich ist, wenn in der Sprache des
Gebets Aussagen gemacht werden, die sich beim genauen Zusehen als politisch
ebenso relevant wie brisant erweisen. Welchen Reim soll man sich darauf
machen, dass in einem der Gebete, von Jesus gesprochen wird, der mit seinen
Jüngern und Jüngerinnen "durch unser Land gegangen" ist, und in diesem
Zusammenhang dann nicht nur die libanesischen Städte Sidon und Tyrus genannt
werden, sondern auch Kana, das bekanntlich in Galiläa liegt. Ist das nur ein
Stück überschwänglicher Frömmigkeitssprache oder kommen hier unter der Hand
politische Aspirationen zum Ausdruck?
Die gleiche Frage stellt sich auch im Blick auf die der Liturgie
vorangestellten Kurzinformationen, wenn dort von "der israelischen Besetzung
ihres Landes" die Rede ist und dabei ohne Unterschied auf die Ereignisse der
50er, 60er und 70er Jahren verwiesen wird. Sollte den Verfasser/inne/n einer
solchen Feststellung entgangen sein, dass sie damit eine Position einnehmen,
die darauf hinausläuft, das Existenzrecht des 1948 gegründeten Staates
Israel in Frage zu stellen? Vermutlich haben sie nicht soweit gedacht, aber
Gedankenlosigkeit ist keine Entschuldigung, gerade dann nicht, wenn es sich
um so hoch sensible Sachverhalte handelt.
Das Arbeitsheft zum Weltgebetstag bietet an vielen Stellen eingehende,
ausführliche und auch abgewogene, sachbezogene Informationen und
Erläuterungen. Es wäre ein leichtes gewesen, auch in Sachen Israel, im Blick
auf den israelisch-palästinensischen Konflikt so zu verfahren. Dies ist
leider unterblieben. Noch bedauerlicher ist, dass auch im Nachhinein aus dem
Kreis des Deutschen Weltgebetstags-Komitees auf entsprechende Hinweise und
Vorhaltungen in erster Linie apologetische oder gar contra-polemische Töne
laut geworden sind. Christliche Theologie und Frömmigkeit, die diesen Namen
verdient, darf und kann nicht Israel-vergessen sein, und das gilt auch im
Blick auf den Staat Israel als Heimstätte des jüdischen Volkes.
Dass die diesjährige Liturgie des Weltgebetstags darüber hinaus auch weit
entfernt ist von dem, was in unseren Kirchen in den letzten 40 Jahren als
Ergebnis des christlich-jüdischen Dialogs kritisch bedacht und theologisch
gesagt worden ist, sei nur noch am Rande vermerkt. Das betrifft vor allem
das in der Liturgie für alle am Gottesdienst Teilnehmenden vorgesehene Gebet
zu Jesus als dem Herrn: "Wir danken dir, denn du bist unser Gott, und wir
kennen keinen anderen Gott als dich." Eine solche Formulierung ist biblisch
und theologisch unhaltbar. Weder im Arbeitsheft noch im Rahmen der
Gottesdienstordnung wird auf die Problematik dieser Gebetsaussage auch nur
hingewiesen. Hier schlägt die oben schon erwähnte Israel-Vergessenheit
durch. Ein der Bibel gemäßes christliches Reden von Gott stellt die
bleibende Gottesbeziehung Israels und des jüdischen Volkes nicht in Frage,
sondern schließt sie ein.
Die Weltgebetstagsliturgie kann nicht umgeschrieben werden. Vor einem
unkritischen Umgang mit ihr, der vielerorts festzustellen ist, ist aber
dringend zu warnen. Eigeninitiative der Arbeitsgruppen ist hier geboten. Der
Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische
Zusammenarbeit und die Konferenz der landeskirchlichen Arbeitskreise
Christen und Juden rufen nachdrücklich dazu auf.
Der von der Pfarrerin Kira Busch-Wagner aus der Ev. Landeskirche in Baden
den Weltgebetstagsgruppen für den Gottesdienst am 7. März 2003 gemachte
Vorschlag, die Liturgie durch eine Fürbitte zu ergänzen, die Israel nicht
nur im Blick auf Schuld erwähnt, sondern auch in ein Gebet um Frieden
aufnimmt, ist ein gelungener Versuch, dem gerecht zu werden, und sei daher
im folgenden vorgestellt.
"Ewiger Gott,
vor dich bringen wir unsere Sorge, unsere Angst.
Wir bitten dich: nimm von uns Misstrauen und Menschenfurcht.
Stärke unsere Zuversicht, Gräben zwischen Menschen, Gruppen und Nationen zu
überwinden.
Stärke die Bereitschaft, dass wir einander zuhören und verstehen.
Wir bitten dich um Frieden im Libanon und der ganzen Region.
Wir bitten dich um Frieden für Israel und für seine Nachbarn.
Wir bitten dich um Frieden für Palästinenserinnen und Palästinenser, wo
immer sie leben.
Lass uns Wege finden, dass nicht Menschenleben geopfert werden im Streit,
dass nicht Verderben unser Leben begleite,
nicht Lüge unsere Gedanken, nicht Hass unsere Rede.
Dies bitten wir durch Jesus Christus,
empfangen durch den Geist, geboren von Maria
in deinem Volk Israel. Amen."
Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise "Christen und Juden"
P. Ricklef Münnich
(Vorsitzender)
Deutscher
KoordinierungsRat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Prof. Dr. Berndt Schaller
(Evangelischer Präsident)
Eisenach/Göttingen
14. 2. 2003