Weltgebetstag der Frauen 2003 -
Libanon
Dokumentation Teil 13
Anfragen von Pfarrer Hölzer:
"Arbeitsheft"und zur "Diaserie zum Weltgebetstag 2003"
Von Pfr. Thomas Hölzer,
Siegen, 24.02.2003
In diesen Tagen vor dem 7. März - dem diesjährigen "Weltgebetstag der
Frauen" - bereiten viele kirchliche Gruppen hierzulande "ihren"
WGT-Gottesdienst vor. Das deutsche WGT-Komitee hat zu ihrer Unterstützung
ein umfangreiches Arbeitsheft herausgegeben, das eine Fülle von "Ideen und
Informationen" (so der Titel) enthält. Neben vielen hilfreichen Anregungen
beinhaltet dieses Heft auch ernste Probleme, worauf besonders Iris Noah in
einem eindrücklichen Artikel hingewiesen hat.
Im folgenden möchte ich auf weitere Probleme aufmerksam machen und zu einer
kritischen Benutzung dieses in vielen Teilen durchaus hilfreichen
Arbeitshefts und der "Dia-Serie zum WGT" anregen. Zugleich bitte ich das
deutsche WGT-Komitee freundlich um eine - auch öffentlich zugängliche -
Stellungnahme.
Die Erläuterung des deutschen WGT-Komitees zu "Nakbas" Gebetsruf
In einer umstrittenen Passage der diesjährigen WGT-Ordnung ruft eine
Palästinenserin namens "Nakba" die christliche Ökumene zum Gebet auf. Die
vielfach geäußerten Einwände zu diesem Votum werden auch durch eine
Erläuterung des WGT-Komitees in der Arbeitshilfe bestätigt:
"Der arabische Name 'Nakba’ bringt die 'Katastrophe der Vertreibung’ der
PalästinenserInnen aus ihrem Land durch die israel. Staatsgründung und
Siedlungspolitik zum Ausdruck. Die quasi ‚formelhafte’ Antwort/Reaktion auf
die schlimmen Ereignisse und Erfahrungen, von denen die 5 Stimmen aus dem
Libanon berichten, sind kein Wegwischen/Zudecken dieser Ereignisse. Sie sind
ein lebendiger Gebetsruf, ein ‚liturgischer Aufschrei’, sie bieten
Sicherheit; manches, was hier erzählt wird, ist so schlimm, dass die einzig
mögliche Reaktion ist, sich an Gott zu wenden und Gott um Hilfe zu bitten!"
(S. 172)
Ich möchte dieser Erklärung gern wohlwollend unterstellen:
-
Sie will das
referierte palästinensische Verständnis der Ereignisse von 1948
lediglich zur Kenntnis geben ohne es sich selbst zu eigen zu machen.
-
Sie will den
LeserInnen nicht nahelegen, die "israel. Staatsgründung" (warum diese
Abkürzung?) als Wurzel allen nahöstlichen Übels und als "schlimmes
Ereignis" zu verstehen.
-
Sie will die
Unantastbarkeit der israelischen Staatsgründung und Existenzgrundlage
nicht auf eine Ebene mit durchaus bestreitbarer und in Israel selbst
umstrittener Siedlungspolitik stellen.
-
Sie will nicht,
daß das Wortpaar "wegwischen/zudecken" in diesem hoch sensiblen Kontext
furchtbare Assoziationen auslösen kann.
Mit vielen Menschen in den Vorbereitungsgruppen bin ich irritiert und
erschrocken darüber, daß das Gegenteil jeder dieser wohlwollenden
Unterstellungen nicht nur vom Wortlaut der mehr als unglücklich formulierten
Erklärung gedeckt wäre, sondern auch durch den einseitig für die
palästinensische Sache Partei ergreifenden Kontext eher nahegelegt als
eindeutig ausgeschlossen scheint. Es ist darum dringend geboten, daß das
deutsche WGT-Komitee diese zumindest tief mißverständliche Erläuterung
eindeutig klarstellt.
Gottesdienstliche Regieanweisungen zu "Nakbas" Gebetsruf
Kreativ gestaltete Gottesdienste gehören seit jeher zu den großen und
bereichernden Stärken des WGT. In der Arbeitshilfe finden sich zahlreiche
Anregungen zur kreativen Gestaltung, darunter auch Regieanweisungen, die
deutlich machen, wie das deutsche WGT-Komitee sich den Auftritt "Nakbas" im
Gottesdienst vorstellt:
"Nakba: hebt kämpferisch oder Hilfe suchend beide Arme in die Höhe". Sie ist
wie die übrigen Darstellerinnen der "Stimmen aus dem Libanon" in ein rotes
Gewand gehüllt.
Ein Alternativvorschlag lautet:
Ihr Gewand ist "weiß; sie steht in Schrittstellung, Arme am Körper
angewinkelt, vor der Brust zusammenkommend, leicht fragend nach oben (Enge,
Angespanntsein, Wut)" ( S. 197).
Ist die wütende Pose einer in blutrot oder unschuldweiß gekleideten
"Nakba-Darstellerin" eine vertretbare gottesdienstliche Gebetshaltung? Ist
ein kämpferisch inszenierter "Ruf zum Gebet" geeignet, dem anschließend
ausdrücklich erbetenen Frieden zu dienen?
Ich sehe nicht, wie ein in dieser Inszenierung erbetener Friede den hier
Angeklagten noch einschließen könnte. Diese "ganzheitlich" inszenierte
"Nakba-Klage" verwandelt den Gottesdienstraum in einen Gerichtssaal: Der
Beschuldigte wird in absentia und ohne Chance zur Verteidigung angeklagt.
Gott wird nicht wie es biblischer Klage entspräche als Richter angerufen,
sondern als Zeuge der Anklage in Anspruch genommen. Zu erwarten bleibt das
Urteil der Menschen. Aber sind die tatsächlich als RichterInnen zum
WGT-Gottesdienst gekommen und nicht vielmehr als BeterInnen, die sich Gottes
Urteil unterstellen und an dem Wort des Bergpredigers orientieren wollen:
"Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet" (Mt 7,1)?
Mit theologischen und politischen Irritationen (von Geschmacksfragen
abgesehen) weckt diese hoch suggestive Inszenierung auch Zweifel, ob das
deutsche WGT-Komitee die in früheren Jahren oft beschworene "doppelte
Solidarität" nicht zugunsten einer einseitigen Parteinahme verlassen hat.
Verstärkt werden solche Zweifel auch durch den
Entwurf eines Vorbereitungsabends zum Thema: "Der Nahost-Konflikt und
seine Auswirkungen auf den Libanon (S.227)
Als gut gewähltes didaktisches Globalziel wird eine "Förderung von
differenzierter Betrachtung und Verstehen des Nahostkonflikts" benannt. Die
Skizze des inhaltlichen Ablaufs läßt einzelne Lernschritte und Feinziele
erkennen. Einer der Lernschritte lautet:
"Welche Vorschläge gibt es zu dem Thema z. Zt. aus der jeweiligen
(Landes-)Kirche?
(Hier sollten die unterschiedlichen Positionen und die Spannungen deutlich
gemacht werden: Philosemitismus <> Antisemitismus; Rede von der ‚doppelten
Solidarität’)".
Unterschiedliche Positionen und Spannungen hierzulande ernst zu nehmen, ist
in der Tat ein löbliches Lernziel. Aber ist es ein von gründlicher
Sachanalyse gedecktes kognitives und/oder affektives Feinziel, wenn hier die
jahrzehntelangen Bemühungen um eine Erneuerung des christlich-jüdischen
Verhältnisses und damit auch aus diesem Kontext stammende kritische
Positionen zum WGT unter der diskreditierenden Kategorie "Philosemitismus"
an die Frau gebracht werden sollen?
Auch das pragmatische Lernziel dieser Bildungsveranstaltung muß sich die
Frage nach seiner sachlichen Angemessenheit gefallen lassen: Die
Teilnehmenden sollen "Positionen von in der Kirche engagierten Frauen"
kennenlernen. Dagegen ist gewiß nichts einzuwenden. Tiefer blicken läßt
freilich die einzige Konkretion: "Forderung nach Aussetzung des
EU-Assoziierungsabkommens mit Israel seitens des Christinnenrates oder der
ev. Frauen aus Württemberg".
Zu einem didaktischen Entwurf gehört schließlich eine Kontrolle der
gesetzten Ziele, und es sollte gefragt werden: Kann das Globalziel einer
differenzierten Betrachtung des Nahostkonflikts als erreicht gelten, wenn am
Ende dieses Vorbereitungsabends - zum Libanon! – die Forderung nach
Wirtschaftssanktionen - gegen Israel! – schwarz auf weiß nach Hause getragen
werden kann?
Wenn man schon EU-Assoziierungsverträge untersuchen und kritisieren will,
wäre es an einem speziell dem Libanon gewidmeten Vorbereitungsabend durchaus
sinnvoll und notwendig, den noch recht frischen
EU-Libanon-Assoziierungsvertrag vom 17.06.2002 daraufhin zu überprüfen, ob
er den gegenüber Israel eingeklagten Menschenrechtsmaßstäben gerecht wird.
Bei dieser Prüfung kann das "Arbeitsheft" selbst mit seiner Darstellung der
prekären Menschenrechtssituation im Libanon (S. 69ff) gute Dienste leisten.
Nur nebenbei sei bemerkt, daß diese Darstellung des Arbeitshefts der
Gebetsordnung klar widerspricht, die in einem Gebetsruf behauptet: Die
"Menschenrechte[sc. im Libanon] werden wieder respektiert" (S. 4).
Gespannt sein darf man in diesem Zusammenhang auch auf die Stellungnahme
z.B. des Christinnenrates zu den derzeit noch verhandelten
EU-Assoziierungsverträgen mit Syrien und dem Iran sowie zu der in Brüssel in
diesen Tagen umstrittenen Frage nach der Einsetzung einer
Untersuchungskommission für geschlossene EU-Abkommen mit der
Palästinensischen Autonomiebehörde. Wer den EU-Israel-Vertrag hohen
moralischen Ansprüchen unterwirft, wird diese gegenüber Israels politischen
Feinden sicher nicht ermäßigen wollen.
Nachlese zum "WGT 1994 aus Palästina" (S. 278-281).
Im Arbeitsheft finden sich Nachbetrachtungen zu früheren Weltgebetstagen,
die der guten Einsicht folgen, daß das im Gottesdienst begonnene
"informierte Gebet" sich in der persönlichen Fürbitte der BeterInnen
fortsetzt und diese zugleich befähigt, das als richtig Erkannte in "betendem
Handeln" zu bewähren. Dieser Einsicht folgt auch eine Nachlese zum "WGT 1994
aus Palästina", die drei ausführliche Texte vorstellt, deren Anordnung an
das Sprichwort erinnert: "Wer A und B sagt, muß auch C sagen". Im einzelnen
sieht das so aus:
Information A läßt die
palästinensische Christin Viola Raheb mit einem bedrückenden
Erfahrungsbericht zu Wort kommen (S. 278f).
Information B gibt eine
dpa-Reportage wieder, die israelische Militäraktionen im Westjordanland
scharf verurteilt und über "Verzweiflung, Hass und Hunger" unter
PalästinenserInnen ausführlich berichtet. Mehrere palästinensische Stimmen
werden zitiert, die u.a. feststellen: "'Israel hat eine Situation
geschaffen, die den langsamen Tod der palästinensischen Bevölkerung
bedeutet'". Der Schlußsatz des Artikels lautet: "'Nur eines ist für die Lage
verantwortlich, und das ist die israelische Belagerung und Besatzung, der
wir ausgesetzt sind'" (S. 279f).
Niemand wird die Notwendigkeit bestreiten, palästinensische Stimmen zu hören
und ihr Leid wahrzunehmen. Aber sollten die an umfassend "informiertem Beten
und Handeln" interessierten LeserInnen nun nicht auch wenigstens eine ebenso
ausführliche Information zu einer israelischen Sicht der Dinge erwarten
dürfen? Wer hier mit "Ja" antwortet, wird enttäuscht, denn der nächste
Textbeitrag zieht die
Konsequenz C und läßt den bereits
vom Informationsabend bekannten Aufruf zur Aufhebung des
EU-Assoziationsvertrags mit Israel seine Argumente darlegen. Ein Nachsatz
merkt zwar an, daß "dieser Aufruf... in kirchlichen und
entwicklungspolitischen Organisationen" kontrovers diskutiert wird (S.281).
Doch statt Gegenargumente zu Wort kommen zu lassen listet das Arbeitsheft
lediglich einige eMail–Adressen auf - ein schwaches Alibi, das auch durch
den Fettdruck des Nachsatzes nicht stärker wird.
Eine Liste von Internetadressen (S. 280f), in der sich u.a. auch Links zu
israelischen Friedensinitiativen und zur Botschaft des Staates Israel in
Berlin finden, kann und soll gewiß nicht die ganze Verantwortung für die den
vielen BeterInnen "vor Ort" geschuldete umfassende Information tragen, die
in den Textbeiträgen schmerzlich vermißt wird.
Beobachtungen zur Dia-Serie des Weltgebetstags
Die vom deutsche WGT-Komitee herausgegebene Dia-Serie zum Libanon enthält zu
jedem Bild ausführliche Begleittexte, die z.T. recht umfassend informieren,
z.T. aber auch eklatanten Einseitigkeiten Vorschub leisten. Zwei Beispiele:
a) Der Text zu Dia 19 "Süd-Libanon, Grenze zu Israel" (S. 17) stellt
Israel als brutale Besatzungsmacht vor, die sich menschenverachtender
Kollaborateure bedient hat usw., während die "Freude übergroß" war, als die
"Kämpfer der Hisbollah...sich diesen Sieg [sc. den Rückzug Israels] auf die
Fahnen" schreiben konnten usw.
Hier wird ohne erkennbare Differenzierung aus der Perspektive der Hisbollah
"informiert". Es findet sich kein Wort zu legitimen israelischen
Sicherheitsinteressen, kein Wort zu den Opfern des "zermürbenden
Guerillakrieg[s] ...jenseits der Grenze", der eben nicht nur "gegen die
israelischen Soldaten" sondern auch gegen die israelische Zivilbevölkerung
geführt wurde und mit Duldung der libanesischen Regierung weitergeführt
wird. Es findet sich schließlich auch kein Wort über das erklärte
Hisbollah-Ziel der völligen Zerstörung Israels einschließlich der
Vertreibung aller nach 1947 ansässig gewordenen Jüdinnen und Juden.
b) Es duldet keinen Zweifel, daß die Massaker in Sabra und Schatila von
1982 (Dia-Serie S.16) einer umfassenden Information bedürfen. Und es
spricht auch alles dafür, wenn die Rolle des damaligen israelischen
Verteidigungsministers Ariel Scharon in diesem Zusammenhang benannt wird.
Nur wenn man schon ins Detail geht und den Namen eines Mitverantwortlichen
namentlich aufführt, dann müßten im Sinne umfassender und sachgerechter
Information auch weitere Details und wenigstens auch die Hauptschuldigen
namentlich genannt werden – aber davon findet man nichts.
Warum erfährt man hier z.B. nicht, daß der Befehlshaber der falangistischen
Mörder,
Elie Hobeika, für seine Bluttaten nie belangt wurde und statt im
Gefängnis in den 90er Jahren auf dem Ministerstuhl für "Wasser- und
Elektrizitätsversorgung" gesessen hat und – welch bittere Ironie der
Geschichte – schließlich auch als "Minister of State for Social Affairs and
the Handicapped" tätig war?
Man muß wahrhaftig kein Befürworter der heutigen israelischen
Regierungspolitik sein, um eine solche einseitige Darstellung als tendenziös
abzulehnen.
Ein Ausblick
Man kann die Angemessenheit des gegen die Gebetsordnung aus dem Libanon
erhobenen Antisemitismusvorwurfes mit guten Gründen bestreiten. Das ändert
aber nichts daran, daß die problematischen Stellen der Gebetsordnung sowie
Einseitigkeiten und zum Teil tief mißverständliche und/oder unausgewogene
Informationen des Begleitmaterials einer öffentlichen Diskussion bedürfen.
Ich schließe in der Hoffnung, daß sich KritikerInnen und BefürworterInnen
der diesjährigen WGT-Ordnung trotz und mit allen Differenzen in den Worten
eines palästinensischen Christen wiederfinden können, die mir aus dem
Zusammenhang des umstrittenen "WGT 1994 aus Palästina" in Erinnerung
geblieben sind:
"Betet nicht nur für Muslime und Juden, für Palästinenser und Israelis,
bittet vielmehr für euch selbst, daß ihr sie nicht auseinanderreißt in euren
Gebeten, sondern sie zusammenhaltet in euren Herzen."
Weitere Beiträge der Dokumentation zum Weltgebetstag 2003:
hagalil.com
25-02-03
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