Sh'ChITAH
in 'Die Fleischerei' 1-2/1997 - alle
Urheberrechte liegen beim Autor Jan F. Turner
Nachdem in Deutschland lebenden
Moslems das betaeubungslose Schlachten verboten wurde, importieren sie
geschaechtetes Fleisch aus den Nachbarlaendern
Zum ersten Mal trafen sich im vergangenen
Dezember Fachleute verschiedenster Richtungen, um die Folgen des
Schaechtverbotes fuer Moslems zu diskutieren. Auf Einladung der
Wirtschaftsvereinigung Deutsches Lammfleisch und des Deutschen
Bauernverbandes kamen auch Vertreter der rund zwei Millionen Menschen
starken tuerkischen Bevoelkerung in Deutschland in die Akademie der
deutschen Landjugend nach Bonn.
Hans Wuest, Geschaeftsfuehrer der
Lammschlachterei und Fleischgrosshandel Wuest in Speyer ist auf 180:
''Zwischen 30 bis 40 Prozent ging unser Umsatz zurueck, seitdem im Juni 1995
das islamische Schaechten in Deutschland verboten wurde. Dabei ist dieses
Thema fuer uns von grosser Bedeutung angesichts des wachsenden moslemischen
Bevoelkerungsanteils in Deutschland.'' Applaus bei den Seminarteilnehmern in
der Deutschen Landjugend-Akademie (DLA) in Bonn. Sie alle waren Anfang
Dezember gekommen, um sich unter dem Motto ''Schaechtverbot fuer Laemmer -
wie geht es weiter?'' mit der entstandenen Wettbewerbsverzerrung sowie mit
dem kulturellen und wirtschaftlichen Hintergrund des Verbots des
betaeubungslosen Schlachtens zu beschaeftigten. Eingeladen hatten die DLA,
der Deutschen Bauernverband (DBV) und die Wirtschaftsvereinigung Deutsches
Lammfleisch (WDL). Seitdem bekannt ist, dass die deutschen Bundeslaender
Ausnahmegenehmigungen fuer das betaeubungslose Schaechten durch Moslems
nicht mehr verlaengern, klagen insbesondere Schafzuechter ueber eine
ruinoese Wettbewerbsverzerrung. Inzwischen kaufen in Deutschland lebende
Moslems islamisch geschaechtetes Fleisch in Laendern, wie Holland und
Frankreich, die mit dem betaeubungslosen Schaechten kein Problem haben. Wie
bei der sogenannten Herodes-Praemie fuer Kaelber entstehen dadurch vermehrt
Lebendtier-Transporte.
''Viele meiner frueheren moslemischen
Kunden fahren ins franzoesische Strassbourg, um sich dort mit islamisch
geschaechtetem Fleisch einzudecken'', sagt Lammschlachter Hans Wuest.
''Heute verkaufen deutsche Zuechter Laemmer nach Frankreich, die nach dem
Schaechten wieder nach Deutschland importiert werden - vorbei an meinem
Betrieb.''
Loesungen finden
Auf dem Seminar in Bonn sollten
Vorschlaege zum Loesen der entstandenen Probleme aufzeigt und diskutiert
werden. Das Podium der Veranstaltung zeichnete sich durch eine besondere
Zusammensetzung aus. Anwesend waren unter anderem Vertreter der moslemischen
Bevoelkerung in Deutschland, vom Bundesministerium fuer Landwirtschaft, vom
Deutschen Tierschutzbund, von der Bundesanstalt fuer Fleischforschung in
Kulmbach, der Schafzuechterverbaende und zwei Bundestagsabgeordnete.
Schlachten in Waeldern und Wohnungen
Lammschlachter Hans Wuest fand starke
Worte. Er sieht einen verstaerkten Zulauf zu den Direktvermarktern, die
nicht den Auflagen der gewerblichen Schlachtung unterliegen. Ihnen warf er
vor, trotz des Verbotes fuer Moslems zu schaechten - illegal. Aber auch die
Moslems selbst wuerden zunehmend in Waeldern und Wohnungen schlachten. Wuest
forderte eine EU-weite Regelung des Schaechtens, damit die
Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der deutschen Wirtschaft verschwinde.
Untersuchungen von Professor Stori von Universitaet Zuerich haetten
ausserdem gezeigt, dass richtig gemachtes Schaechten keine Schmerzen beim
Tier verursache. Auch das Mitglied des Bundestages Norbert Schindler (CDU)
habe bereits gefordert, das islamische Schaechten wieder zuzulassen.
Ismael Sandal, Geschaeftsfuehrer des
Karlsruher Grosshandelsunternehmen Helal El, konnte diese Meinung nur
bestaetigen. Der glaeubige Moslem beschrieb, wie laut den islamischen
Vorschriften geschaechtet wird. Das Tier muss bei vollem Bewusstsein und
koerperlich unversehrt sein. Der Schaechtschnitt muss mindestens die
Speiseroehre und beide Halsschlagadern durchtrennen. Das geschlachtete Tier
muss vollstaendig ausbluten. Nur wenn sich ein Moslem in einer Zwangslage
befindet, die sein Leben und sein Gesundheit bedroht, sind Ausnahmen
gestattet. Ziel des Schaechtens ist, dass das Tier schmerzfrei und
stressfrei stirbt. Daher wird das Messer auch fuer jedes Tier neu
geschaerft. Besonders der Tierschutz gehoert im Islam zur Glaubenslehre und
gilt verbindlich fuer alle Menschen, nicht nur fuer Moslems. Ismael Sandal
wies auch darauf hin, dass es auch unter Moslems Suender gibt, die diese
Gesetze brechen. Aber wegen ihnen generell das islamische Schaechten zu
verbieten, sei der falsche Weg.
Ein sensibles Thema
Dr. Helmut Born, Generalsekretaer des
Deutschen Bauernverbandes (DBV), machte deutlich, dass nur fachkundige
Personen schlachten oder schaechten duerften. Er forderte die Einfuehrung
eines Sachkundesnachweises. Seiner Meinung nach habe Schaechten in
Deutschland nur dann eine Chance, wenn Betaeubung damit einhergehe. Von der
islamischen Minderheit forderte er Toleranz in diesem Punkt, wobei er sich
auf die christliche Tradition berief. Auch sollten Tiertransporte in
heutiger Zeit der Vergangenheit angehoeren. In diese Richtung argumentierte
auch Dr. Gerhard Baumgartner, Referatsleiter Tierschutz beim
Bundesministerium fuer Landwirtschaft (BML). Laut der Geistlichen Zentrale
des Islam an der Al-Azhar-Universitaet in Kairo ist fuer Moslems die
sogenannte reversible Betaeubung vor dem Schlachten zulaessig. So lehnt die
Bundesregierung jedes Schaechten ohne Betaeubung ab. Damit schliesst sie
sich den Forderungen des Deutschen Tierschutzbundes an, der generell das
Schlachten mit Betaeubung und ein Verbot des Schlachten ohne vorherige
Betaeubung fordert. Das rituelle Schlachten ist von dieser Regelung
ausgeklammert, da hier der Artikel vier des Grundgesetzes
(Religionsfreiheit) greift. Baumgartner wies ausdruecklich darauf hin, dass
Schaechten fuer den Export nicht zulaessig ist. Obwohl das juedische
Schaechten waehrend dieser Veranstaltung nicht extra angesprochen wurde, sah
Baumgartner keinen Grund, warum Juden nach wie vor betaeubungslos schlachten
duerften. ''Inwiefern das Bundesverwaltungsgericht hier entscheidet steht
noch offen'', sagte der Referatsleiter. Den Moslems in Deutschland riet
Baumgartner, bestehende Regelungen mit Kurzzeit-Betaeubung zu akzeptieren.
Wer illegal schaechtet zeige kein nachbarschaftliches Verhalten gegenueber
dem Gastland (Anm. d. Red.: Inzwischen sind viele in Deutschland
aufgewachsene Tuerken deutsche Staatsbuerger geworden, die dieses Land als
ihre Heimat ansehen. In Zukunft wird man von deutschen Moslems sprechen.)
Seine Erfahrungen mit dem moslemischen
Schlachten nach dem Verbot des Schaechtens schilderte Dr. Hummel von der
Senatsverwaltung fuer Gesundheit und Soziales in Berlin. Mit einer
Kurzzeit-Betaeubung von zwei Sekunden werden die Schafe fuer etwa 25
Sekunden betaeubt, dann geschlachtet. Anschliessend bekommt das Fleisch den
amtlichen Veterinaerstempel und den Helal-Stempel. Dieses Fleisch ist
innerhalb der moslemischen Bevoelkerung umstritten. Hans Wuest berichtete,
dass Moslems, die dieses Fleisch kaufen von anderen Glaubensbruedern
benachteiligt und als schlechte Moslems bezeichnet wuerden.
Schaechten mit Bolzen?
Auf die tiermedizinischen Aspekte der
Schaechtens im Vergleich zu anderen Schlachtmethoden ging Matthias Moje,
Tierarzt bei der Bundesanstalt fuer Fleischforschung in Kulmbach, ein. Er
koenne sich vorstellen, dass Schlachttiere erst geschaechtet und
anschliessend per Bolzenschuss getoetet werden. Dieses Verfahren werde
bereits am Wiener Schlachthof praktiziert. Anhand von wissenschaftlichen
Untersuchungen stellte Moje fest, dass durch die Betaeubung mit
Elektroschock Muskelblutungen und Bluterguesse beim Tier verursacht werden
koennen. Darueber hinaus seien heftige Muskelkontraktionen, ein Anstieg der
Koerpertemperatur, unvollstaendige Saeuerung und eine gesteigerte
Adrelanin-Ausschuettungen moeglich, die jedoch auch durch eine Fixierung vor
der Schlachtung entstehen koennten. Der Tierarzt schrieb der
Elektrobetaeubung auch eine erhoehte Entblutung durch den hohen Blutdruck
zu. Muskelblutungen entstuenden nur bei einer Betaeubung am Kopf. Dazu
zaehlen die sogenannten Blutpunkte durch die Elektroden, Blutungen in
Zwerchfell-, Bauchwand und Herzmuskulatur. Keine Probleme mit der
Elektrobetaeubung gebe es, wenn keine Doppelbetaeubung vorgenommen wird und
das Tier inerhalb der 25 Sekunden andauernden Betaeubung geschlachtet wird.
Neuseeland stempelt Helal trotz E-Schock
Moje schilderte den Betaeubungszwang seit
1969 in Neuseeland. Die dort geschlachteten Tiere bekommen auch einen
Helal-Stempel trotz vorherigen Betaeubung durch Elektro-Schock. Fuer die
Betaeubung bei Schafen wird der ''V-Restrainer'' verwendet, der zwei fast
parallele Elektroden in Form von Spitzen hat. Er wird zwischen den Ohren des
Tieres angesetzt. Der Änderungsentwurfs der Fleisch-Verordnung sieht zwei
Sekunden als Minimum fuer die Betaeubung vor. In Neuseeland wird bereits mit
einer Betaeubungszeit von 0,8 bis einer Sekunde erfolgreich gearbeitet.
Auch fuer Dr. Dirk Stegen von der
Bundesarbeitsgemeinschaft fuer das Schlacht- und Viehhofwesen in Karlsruhe
sind die Blutungen ein grosser Nachteil der Elektro-Betaeubung. Werden die
Tiere auf diese Art betaeubt stuerzen sie um, die Reflexe fallen aus und es
folgt ein epileptischer Anfall. Nach kurzer Zeit erlangt das Tier wieder das
Bewusstsein (reversibel). Fuer ihn liegen die Vorteile dieser Betaeubung
darin, dass keine Verletzungen und kein Stress auftreten. Das Tier wird
nicht getoetet und es gibt keine Ausfaelle. Ismael Sandal wandte dagegen
ein, dass Sunniten als eine grosse Gruppe innerhalb des islamischen Glaubens
nicht mit der Elektro-Betaeubung vor dem Schlachten leben koennen. Sein
Kompromiss ging vor einer anderen Abfolge aus: erst fixieren, dann der
Helal-Schnitt und dann die Betaeubung durch Elektroschock.
Heiss diskutiert
Nach den Fachvortraegen durch die
geladenen Referenten fand eine lebhafte Podiumsdiskussion statt. Auf dem
Podium sassen die Bundestagabgeordneten Cem Özdemir (Buendnis '90/Die
Gruenen) und Peter H. Carstensen (CDU) sowie Samuel Dombrowski vom Deutschen
Tierschutzbund, Ismael Sandal, Guenther auf der Horst, Vorsitzender der
Wirtschaftsvereinigung Deutsches Lammfleisch, und Dr. Stefan Voell, deren
Geschaeftsfuehrer. ''In einem Land, dass auf den Export angewiesen ist,
sollte auch tierschutzgerecht geschaechtet werden'', sagten Peter H.
Carstensen. ''Wenn nach geschaechtetem Fleisch verlangt wird, sollte dieser
Bedarf gedeckt werden ohne das Schaechten generell zu verbieten und nicht in
die Religionen einzugreifen.'' Cem Özdemir, selbst bekennender Vegetarier,
wies darauf hin, dass laut dem Amt fuer religioese Angelegenheiten in der
Tuerkei die Betaeubung mit Elektroschock im Koran nicht ausdruecklich
verboten sei. Aus den Reihen er Schafzuechter wandte Friedrich Vollbach,
Vorsitzender des hessischen Schafzuchtverbandes, ein, dass das nationale
Gesetz die heimische Landwirtschaft benachteilige und viele Betriebe in den
Ruin treibt. In Deutschland duerften keine Hormone verwendet werden, aber
Fleisch aus solcher Aufzucht wird nach Deutschland importiert. In
Deutschland darf nicht geschaechtet werden, aber geschaechtetes Fleisch wird
importiert. Diese Wettbewerbsverzerrung wird auf dem Ruecken der heimischen
Landwirtschaft ausgetragen; bedingt durch die strengste deutsche
Tierschutz-Gesetzgebung.
In seinem Schlusswort bemerkte Guenther
auf der Horst, dass Schaechten nur deshalb in Verruf gekommen ist, weil es
nicht von Fachleuten durchgefuehrt wird. ''Wir sollten fuer fachgerechtes
Schlachten sorgen'', sagte der WDL-Vorsitzende. ''Der Deutsche
Tierschutzbund ist die federfuehrende Kraft gegen Schaechten. Er nimmt aber
nicht zur Kenntnis, dass Schaechten nach wissenschaftlichen Untersuchungen
tiergerecht ist.''
jft
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