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Antisemitismus in Europa:
Erinnerungen an die OSZE-Antisemitismuskonferenz in Berlin

Von Prof. Gert Weisskirchen
(Erster von drei Teilen)

Prof. Gert Weisskirchen (MdB, SPD) ist OSZE-Beauftragter zum Thema Antisemitismus. Hier Auszüge eines Beitrags als eine Art Rückblick auf die Konferenz der OSZE in Berlin im April 2004, die nächsten Stationen der OSZE waren Paris und Cordoba.

Mitten unter uns geschieht es. In den drückenden Tagen des heißen Sommers, im Jahr 2003, in Berlin, Reinickendorf. Die Schaufenster des Lebensmittelgeschäfts „Israel-Deli“ werden zertrümmert, nicht nur einmal. Jugendliche spucken Gästen ins Essen. Neonazis beschimpfen den Besitzer als „Judensau“, zerstechen die Reifen seines Autos. Nächte der Angst.

Der Besitzer quält sich. Die Anwohner der Straße sind anfangs auf seiner Seite. Mehr und mehr aber, nachdem auch sie eingeschüchtert werden, verstummen sie. Der Besitzer sieht keinen Ausweg mehr, resigniert, schließt seinen Laden.

Hatten wir nicht gehofft, es wäre uns gelungen, den Antisemitismus wegzusperren, zu versiegeln, ihn unschädlich zu machen? Nun zeigt der Wiedergänger seine böse Fratze. Nach all dem Furchtbaren, was der Hass auf die Juden ausgelöst hat: Wie kommt es nur, dass er wieder eindringen kann in Köpfe und ihre Fähigkeit zu denken zerstört? Wissen wir nicht mehr, wie er sich breit zu machen versucht? Warum nur haben wir vergessen? Er kommt wie der Mörder in der Nacht. Er fällt die Gefühle an. Er vergiftet sie.

Das Gewissen siecht dahin, am Ende zerfällt es

Antisemitismus - eine soziale Krankheit, so hieß das Buch, das Theodor W. Adorno und Max Horkheimer 1946 veröffentlichten. Ernst Simmel leitete es ein: „Der Antisemit hasst den Juden, weil er glaubt, dass der Jude an seinem Unglück schuld ist. Er verfolgt den Juden, weil er sich von ihm verfolgt fühlt.“ „Die gewaltigste Energie“, schreibt Simmel, „die die Zivilisation mit Zerstörung bedroht“, liegt „im Inneren des Menschen.“

Wird sie nicht eingedämmt, höhlt sie die Regeln des menschlichen Zusammenlebens von Innen aus. So zerstört sie die Demokratie. Die Diktatur der Gewalt triumphiert. Hitler hat in den Namen Deutschlands die Shoa eingebrannt, bis ans Ende aller Tage. Und heute? Heute richtet sich der Antisemitismus nicht mehr allein gegen Juden als Individuen. Mortimer Zuckerman, Sonderbotschafter Clintons für den Nahen Osten, schreibt im US News and World Report im November 2003 in seinem Artikel „Graffiti auf den Wänden der Geschichte“: Israel „taucht heute als der kollektive Jude unter den Nationen auf“.

Im Guardian, Observer, New Statesman, im Nouvel Observateur, in La Stampa und L´Osservatore Romano - überall in Europa findet Zuckerman antisemitischen Journalismus. Mikis Theodorakis hat jüngst erklärt, die Juden seien an allem schuld. „Ich kann nichts Historisches denken, ohne Auschwitz mit zu denken“, hat Rolf Hochhuth einmal gesagt. Diese Erkenntnis darf nicht verloren gehen. Wo Juden bedroht werden, ist keine andere Minderheit sicher.

Antisemitismus heute

Im OSZE-Raum sind die traditionsreichen Demokratien des Westens zu bei­den Seiten des Atlantik versammelt. Sie binden gelingende neue Demokratien an sich, die nach dem Ende des Warschauer Paktes ihre Souveränität wieder­erlangen konnten. Beide Staatengruppen eröffnen darüber hinaus sol­chen aus dem Zerfall der Sowjetunion neu entstandenen Staaten eine Chance, deren demokratischer Charakter noch prekär ist, zuweilen Defekte aufweist oder gar retardierende Momente.

Antisemitismus ist in allen Teilnehmerstaaten der OSZE präsent. In unter­schiedlicher Färbung, Intensität, Aggressivität und gesellschaftlicher Wirk­samkeit setzt er sich fest. Längst haben antisemitische Akteure sich globali­siert und nutzen die neuesten Kommunikationstechniken. Immer aber dominiert in allen Formen des neuen alten Antisemitismus eine Grundform: die Behauptung der jüdischen Weltverschwörung. Juden kontrollierten, heißt es, die Finanzströme, steuerten die Medienmacht, flüsterten den politisch Füh­renden ein und lenkten das Weltgeschehen.
Diese Grundform des Antisemitismus „erklärt“ weit auseinander liegende Ereignisse und Entwicklungen.

Mit der Leugnung des Holocaust soll der Kampf um das Geschichtsbild ge­wonnen und die historische Opferrolle ins Gegenteil verkehrt werden. Die „Auschwitz-Lüge“ soll dem Existenzrecht des jüdischen Staates Israel die Basis entziehen. An dieser Stelle wird die Bruchlinie deutlich, die den alten Rechtsextremismus mit dem neuen Islamismus verbindet. Der „arabische Antizionismus“ fällt dort auf einen Resonanzboden, wo global organisierte Kommunikationstechniken die Gedankenwelt junger Muslime weltweit zu kolonisieren versuchen.

Ein strategisches Zwischenstück bildet der Teil der politischen Linken, der sich, zumeist naiv, an die Seite des palästinensischen „Freiheitskampfes“ stellt. Der „neue“ Antisemitismus saugt kritische Einstellungen gegenüber Israel auf und versucht sie mehrheitsfähig zu machen. Heraus kommt der alte Antisemitismus: der Hass auf jüdisches Leben.

Um drei Typen des neuen alten Antisemitismus gruppieren sich seine gegenwärtig virulenten Erscheinungsformen: um den Antijudaismus, den jüngeren Antisemitismus und den Antizionismus.

  • 1. Der Antijudaismus verbreitet die Lüge ritueller Morde, die Juden von christlichen Ideologen unterstellt wurden. Dabei wird auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ angespielt und behauptet, das Judentum wolle die Weltherrschaft erobern.
  • 2. Der jüngere Antisemitismus gipfelte in der Nazi-Diktatur, die alle Juden und alles Jüdische zu exterminieren suchte und in der Ungeheuerlichkeit des fabrikmäßig organisierten Völkermords endete.
  • 3. Der Antizionismus nährt sich aus dem Konflikt zwischen Israel und Pa­lästina. Falsch verstandene Solidarität mit den „Schwächeren“ und maßlose Kritik an den „Stärkeren“ fordern Juden im OSZE-Raum zur Parteinahme heraus und können Potenziale von Vorurteilen ihnen ge­genüber befördern.

Alle drei Formen des Judenhasses, die traditionelle, deren Bedeutung gesunken ist, die im 20. Jahrhundert gefährlichste und die jüngste, gehen in der Nachfolge der zweiten Intifada brisante Mischungsverhältnisse ein. Sie bestätigen ihre jeweiligen historischen Vorgänger und bringen die ihnen inne­wohnenden Aggressionsanteile ans Licht.

Jede Gesellschaft weist ein gewisses Maß an frei flottierenden Gewaltpotenzialen auf. Je stärker diese Gesellschaften integriert sind, desto schwächer fallen diese Potenziale aus. Modernisieren sie sich, öffnen sich Flanken der Unsicherheit, in die Gewalt hineinstoßen kann.

Je schneller das Tempo der Modernisierung ansteigt, desto größer wird der Bedarf, die innere Stabilität auszubalancieren. Die Entwicklung sich modernisierender Gesellschaften wird dann von zerstörerischer Gewalt angefallen, wenn ihre Kräfte schwinden, die Demokratie immer wieder neu als Form der universellen Selbstregierung zu entdecken und zu stärken. Setzen sich im Innern sich modernisierender Gesellschaften organisierte Gruppen fest, die der Demokratie ihren universellen Charakter rauben wollen, dann ist ihre humane Zukunft aufs Äußerste gefährdet. Jene Form des Islamismus, der sich die westliche Lebensart zu seiner Todfeindin stilisiert hat, verwirkt den Anspruch auf Toleranz.

Die historisch älteren Formen des Antisemitismus konnten im rechten Extremismus lokalisiert werden. Die Sozialdemokratie und die demokratische Linke kämpften, seit es sie gibt, überall im OSZE-Raum gegen den Antisemitismus. Für Freiheit, für Gleichheit, für Brüderlichkeit - das hieß auch: Die Jagd auf Menschen soll beendet werden. Noch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts hoffte die Sozialistische Internationale, sie werde einer Kultur den Weg ebnen, die niemanden mehr erdrückt. Im Zeitalter der Extreme wurde diese Hoffnung erstickt.

Die Gefahr der neuen Formen des Antisemitismus ist auch von Gruppen der Linken nicht rasch genug erkannt worden. Michael Lerner spricht vom „socialism of fools“, von dem Teil der Linken, der in die Irre geht, weil er den Terrorismus der Palästinenser mit einem Freiheitskampf verwechselt. Die wirkliche Auseinandersetzung mit dem neuen alten Antisemitismus steht uns noch bevor. Sie wird das Fundament der Demokratien berühren, auf dem die Institutionen des Zusammenlebens der europäischen Gesellschaften stehen.

Wir müssen neue Antworten finden auf die Frage, ob unsere Kräfte ausreichen werden, damit wir die Globalisierung positiv gestalten. Und: Welche Kräfte können wir neu dafür mobilisieren, damit die Modernisierung unserer Gesellschaften gelingt? Schließlich: Wird unser Vorrat an Toleranz hinreichen, den gegenläufigen kulturellen Lebensentwürfen Räume zu öffnen, in denen sie sich entfalten können? Ist uns wirklich bewusst, was Gesellschaften brauchen, die zukunftsfest bleiben wollen: eine neue Politik der kulturellen und sozialen Anerkennung? Eine, die den Mut zur Integration immer neu aufbringt? Dabei darf Toleranz nicht auf eine passive Rolle verkürzt werden.

Integration versus Fremdenhass

Mehr noch: die kulturellen Ansprüche dürfen nicht jeweils beziehungslos nebeneinander stehen. Das wäre missverstandene Multikulturalität. Toleranz muss aktiv werden. Das Andere in den Kulturen will ich in seinem eigenen Wert erkennen, weil ich nur so das Gefängnis der Identität verlassen kann. Wer Modernität will, wird den Irrtum hinter sich lassen, die Identität der Person sei gebunden an den Ort der Herkunft. Globalität heißt: Wir leben in einer zivilisatorischen Gemeinschaft der Gemeinschaften der Zivilisationen.

Die Mauern, die die kleine Welt geschützt haben, werden abgetragen. Die Grenzen werden durchsichtig. Der Andere wird präsent in meinem Leben und in meinen Gefühlen. Solange er von mir getrennt war, konnte ich ihn ignorieren, wenn ich ihn nicht ablehnen wollte. Der Fremde aber ist der, der heute kommt und morgen bleibt. Der Hass auf ihn ist der Zwillingsbruder des Hasses auf mich selbst. Dem Hass erliegt, wer selbst gedemütigt worden ist. Der dem Zwang erlegen ist, seine Identität immerfort zu reinigen. Der nicht wahrhaben will, wie reich seine Identität wird, wenn er sie über die Schranken der Nation hinaus öffnet, bis er die Grenzen der Identität zum Band der Solidarität aufschließt, das alle Menschen miteinander verbindet.


Teil 2 - Antisemitismus in Europa:
Die OSZE-Antisemitismuskonferenz

Erinnerungen von Prof. Gert Weisskirchen...

Teil 3 - OSZE-Antisemitismuskonferenz:
Einwanderung und Antisemitismus

Deutschland war immer ein Einwanderungsland, wie alle Länder der EU es waren und künftig noch ausgeprägter sein werden. Die westlichsten Staaten der OSZE, die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada, sind erst durch die Einwanderer geworden, was sie heute sind...


Persönlichen Beauftragter des OSZE Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus:
Gert Weisskirchen (SPD) bestätigt
"Den Kampf gegen den Antisemitismus führen wir nicht allein, um Menschen jüdischen Glaubens zu schützen. Wir führen diesen Kampf auch, weil wir uns selbst vor einem neuen Absturz in die Barbarei schützen wollen"...

NGO Forum Berlin:
Kampf gegen Antisemitismus im Koalitionsvertrag verankern

Die zukünftige Regierung soll in ihren Koalitionsvertrag aufnehmen, den Kampf gegen Antisemitismus fortzusetzen: Dies forderte gestern morgen auf einer Pressekonferenz ein breites Netzwerk von nicht-Regierungsorganisationen...
Zu diesen offiziellen Empfehlungen kommen noch einige von haGalil eingebrachte Anregungen, die nicht in den gemeinsamen NGO-Forderungskatalog aufgenommen wurden.

Im April 2004 wurde in Berlin eine Serie von drei OSZE-Konferenzen zu Toleranz und Antidiskriminierung eröffnet. Die zweite Veranstaltung in Paris befasste sich in vier Sitzungen mit dem Zusammenhang zwischen Internetpropaganda und Hassdelikten, Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Initiativen und über bewährte Praktiken zur Nutzung des Internets zur Erziehung zu Toleranz und Verständnis.
Die Abschlusskonferenz fand in Cordoba statt.

OSCE Meeting in Paris:
The relationship between racist, xenophobic and anti-Semitic propaganda on the Internet and hate crimes

The Internet can be used to counter hate speech and to promote tolerance:
The discussion should not aim on what is morally desirable, but should instead focus on what can actually be done.
[Soundfile from Paris RA]
David Gall, haGalil onLine - 17 June 2004 - Session 4 - Promoting Tolerance on and through the Internet – Best Practices to Educate Users and Heighten Public Awareness.

What can be done should be done:
The Fight Against Anti-Semitism on the Internet
[SoundFile (English) - Session 4 / David Gall]
[GERMAN] [FRENCH] [ENGLISH]

*) Anm. d. Red.: Es ist also schon so weit, dass antisemitische Gewalttäter im Schatten einer schweigenden Mehrheit - in aller Öffentlichkeit - wieder Existenzen ruinieren können. Bedenkenswert ist auch, dass die im Zusammenhang mit dem "Israel-Deli" beschriebenen Vorfälle erst publik wurden, nachdem haGalil online immer wieder darüber berichtet hatte. Auch nach mehrmaligen Berichten in haGalil blieb die Berliner Presse stumm, als erste wandten sich die Frankfurter Rundschau und das Magazin Kontraste an uns, erst danach mussten auch die Berliner Redaktionen reagieren.
Der Mechanismus war ganz ähnlich wie im Falle der antisemitischen Rede des ehem. MdB Hohmann. Auch hier wurde erst reagiert, nachdem haGalil onLine Ende Oktober 2003 darauf hingewiesen hatte, dass mittlerweile auch stundenlange antisemitische Tiraden auf öffentlichen Veranstaltungen einer demokratischen Volkspartei widerspruchslos hingenommen werden.

Dass solche Ereignisse ohne die ehrenamtliche Arbeit eines jüdischen Onlinedienstes gar nicht erst ins öffentliche Bewusstsein gelangt wären, macht das ganze Ausmaß von Gleichgültigkeit und Verdrängung deutlich.


Keine Sehnsucht mehr nach Deutschland:

Warum Dieter Tamm nach Israel auswanderte?
Sein Name ist Dieter Tamm. Ein waschechter Berliner mit einem dicken Berliner Akzent. Dieter Tamm lebt nicht mehr in Berlin. Dieter Tamm hatte einen Fehler gemacht: er hatte sie geglaubt, die vielen schönen Reden von der Rückkehr jüdischen Lebens nach Deutschland und wie sehr sich die Deutschen doch darüber freuten...

Bespuckt, Beleidigt, Boykottiert:
Ein deutscher Jude gibt auf

Die Geschichte von Dieter T. ist keine laute Geschichte, sie ist keine Sensationsstory, keine die große Schlagzeilen macht. Die Geschichte von Dieter T. beginnt und endet hier an seinem koscheren Geschäft, einem Lebensmittelladen im bürgerlichen Berlin-Tegel...

[antisemitismus.net]
1. Theorie - wissenschaftliche Erklärungsversuche für ein irrationales Phänomen der Moderne. 2. Holocaust - Die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten 1933-1945. 3. Umstrittene Vergangenheit - Debatte um die Lehren und Konsequenzen aus der NS-Vergangenheit. 4. Deutschland heute - Aus einem Land, das ständig von Rückkehr zur Normalität redet... 5. Antisemitismus in der Linken - Verkürzter Antikapitalismus und Solidarität mit alten Vorurteilen. 6. Religiöser Antisemitismus - Christliche und islamische Judenfeindschaft. 7. Antizionismus - Antisemitische Mobilmachung gegen Israel und die jüdische Nationalbewegung.

hagalil.com 12-12-2005

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