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Weltgebetstag der Frauen 2003 - Libanon
Dokumentation Teil 9

Kommentar zur Arbeitshilfe:
Gottesmörder-Vorwurf und christlicher Absolutheitsanspruch in neuem Gewand

Von Iris Noah

Das deutsche Weltgebetstagskomitee hat eine Arbeitshilfe für den Weltgebetstag 2003 herausgegeben, die zu einem besseren Verständnis der Situation von Frauen im Libanon beitragen soll. In einem Vorschlag zur Gruppenarbeit auf Seite 234 gibt es einen Text für ein Anspiel zum Thema "Verstrickungen der Religionen", in dem drei Frauen jeweils für eine Religionsgemeinschaft Statements abgeben:

J. Ich bin das Judentum!
C: Ich bin das Christentum!
I: Ich bin der Islam!
J: Ich bin die älteste monotheistische Religion. Ich habe Recht, auf mich müsst Ihr hören!
C: Du hast unseren Messias ermordet!
I: Es gibt keinen Gott außer Allah - und Mohammed ist sein Prophet.
J: Alle Eure Wurzeln sind bei mir!
C: Ich bin der einzige richtige Glaube.
I: Mit uns ist die Heilsgeschichte abgeschlossen.
J: Wir sind zu Recht in dieses Land zurückgekehrt.
C: Unser Heiland ist der Eckstein
I: Unser Kampf ist heiliger Krieg

Hier wird dem Judentum die Aussage in den Mund gelegt: "Ich habe Recht, auf mich müsst Ihr hören!". Ist das eine jüdische Aussage? Nach jüdischem Selbstverständnis gilt für Nichtjuden, daß jeder, der die sieben noachidischen Gebote befolgt, ein Gerechter ist. Man muß nicht Jude werden, um zum Heil zu kommen. Jedoch versuchten Christen über Jahrhunderte anderen ihre Vorstellungen vom Heil aufzuzwingen und waren überzeugt, daß ihre Religion für alle die einzig richtige ist. Für Muslime und Juden hatte das oft tödliche Folgen, wie an den Kreuzzügen zu sehen ist.

Im übernächsten Statement wird dem Islam ebenso ein verabsolutierendes Statement in den Mund gelegt: "Es gibt keinen Gott außer Allah - und Mohammed ist sein Prophet". Juden, die in islamischen Ländern gelebt haben, haben eine völlig andere Geschichte und Kultur des Zusammen- und Nebeneinanderlebens entwickeln können, als die Juden in Mittel- und Osteuropa unter christlicher Herrschaft und der damit verbundenen Verfolgungsgeschichte. .

Dazwischen sagt das Christentum zum Judentum: "Du hast unseren Messias ermordet!". Dieser Satz kommentiert sich selbst und man fragt sich, was er in einer solchen Gruppenarbeit zu suchen hat. Auch im Jahr 2003 erleben es jüdische Kinder, daß christliche Klassenkameraden zu ihnen sagen: "Ihr Juden habt Jesus umgebracht". Dieser Vorwurf ist also nicht Geschichte, sondern ragt bis in die Gegenwart hinein.

Die nächste Aussage des Judentums ist: "Alle Eure Wurzeln sind bei mir!" Auch das ist kein jüdischer Diskurs, sondern ein christlicher. Immer wieder wenn Christen ihr Bedauern ausdrücken, daß Juden sich nicht in stärkerem Maße am christlich-jüdischen Dialog beteiligen oder wenn Christen begründen, warum sie ein ausgeprägtes Interesse an jüdischen Inhalten haben, dann verweisen sie auf die jüdischen Wurzeln des Christentums. Juden interessiert diese Sicht meist nicht, sondern es wird eher als nervend empfunden, daß Christen Judentum durch die Brille sehen, was die "jüdischen Wurzeln" für das Christentum hergeben. Und oft sind es gerade Juden, die dann auf die Realität hinweisen, daß nicht alle Wurzeln des Christentums jüdisch seien, sondern das Christentum noch eine Reihe anderer Wurzeln habe, für die sich Christen nicht im selben Ausmaß interessieren. In jedem deutschsprachigen jüdischen Internetforum wiederholen sich diese Diskussionen mit schöner Regelmäßigkeit.

Diese beiden Zuschreibungen "Ich habe Recht, auf mich müsst Ihr hören!" und "Alle Eure Wurzeln sind bei mir!" spiegeln christliche Sichtweisen, die auf das Judentum projiziert werden und sind deshalb als unangemessen und vereinnahmend zurückzuweisen..

Der Lösungsvorschlag spiegelt entsprechend das Bewußtsein der christlichen Dominanzkultur mit der folgenden Handlungsanweisung:

"Zu der völlig miteinander verstrickten Gruppe tritt nun eine Frau mit einem Heilig-Geist-Symbol (Rose, rotes Tuch, Licht). Sie Lässt die drei "Verstrickten" an diesem Symbol teilhaben (an Rose riechen; mit der Kerze oder dem Tuch umkreisen); daraufhin verändern sich die verbissene Miene und der aggressive Tonfall zunehmend, während die drei Folgendes sprechen und dabei auch das Seil wieder entwirren und sich befreien"

Es ist das christliche Konzept - hier repräsentiert durch das Heilig-Geist-Symbol, das "Erlösung" bringt. Das christliche Konzept bzw. diejenigen, die dahinterstehen, wissen wie es geht und wie Frieden zwischen die Religionen / Kulturen kommt. Es ist nicht etwa ein Dialog oder ein gemeinsames Handeln, das zum Frieden führt. Selbst wenn Christen darauf verweisen mögen, daß hier das Heilig-Geist-Symbol einen Aspekt des Göttlichen für sie repräsentiert, so ist es für einen solchen Dialog untauglich, da es eine spezifisch christliche Sichtweise repräsentiert und gerade das Konzept der Trinität sowohl im Judentum als auch im Islam zu Diskussionen führte, ob und inwieweit das Christentum als monotheistische Religion gesehen werden kann.

Aus jüdischer Sicht ist es befremdlich, daß das Kommen des Friedens durch eine Symbolhandlung repräsentiert wird, die alle beteiligten Menschen zur Passivität verurteilt und das er-lösende Geschehen nach außen verlegt. Gerade die jüdische Tradition betont immer wieder die hohe Bedeutung, die das Handeln des einzelnen für die Heilung und Ganzwerdung der Welt (tikkun olam) hat.

Diese Passage ist auch sehr aussagekräftig im Hinblick auf den Umgang mit Differenzen zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen aus der Sicht der christlich geprägten Mehrheitskultur. Zwar wird in den letzten Jahren von christlicher Seite immer wieder das Miteinander sowie das Akzeptieren der Unterschiede betont. Die Handlungsanweisung in diesem Rollenspiel repräsentiert aber ein christliches Konzept, von dem oft - von Christen - behauptet wird es sei überwunden.

Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Birgit Rommelspacher bezeichnet dieses Verhalten als repräsentativ für die "Dominanzkultur", der die christliche Mehrheitsgruppe angehört. Diese gibt die Spielregeln vor, die für alle gelten sollen. Birgit Rommelspacher beschreibt in ihrem neuen Buch, in dem es um den Umgang mit Minderheiten geht, das Muster, das in diesem Anspiel inszeniert wird als "assimilatorischen Egalitarismus" (1): Alle werden für formal gleich erklärt: "Dieses Konzept ist egalitär in Bezug auf die gesamte Menschheit, vorausgesetzt die Menschen unterwerfen sich seinem Wahrheitsmonopol" (2). Der Egalitarismus verkehrt sich aber geradezu in sein Gegenteil, denn "indem einseitig bestimmt wird, in welcher Hinsicht die Anderen gleich zu sein haben, wird Ungleichheit hergestellt. Entscheidend ist also, wer die Macht hat zu bestimmen, was unter Gleichheit zu verstehen ist" (3). Und die Macht wird in dieser Spielanweisung durch ein christliches Konzept nämlich das christliche Heilig-Geist-Symbol repräsentiert. Aushandlungsprozesse über Werte oder Verfahrensweisen dieser "Erlösung" finden nicht statt und brauchen nicht stattzufinden, denn die Mehrheitsgruppe kann ihre Wertvorstellung durchsetzen. Sie wird sogar noch über religiöse Konzepte (Heiliger Geist) als "göttlich" definiert und erfährt dadurch eine Legitimierung, die über innerweltliche Dimensionen hinausgeht: Der alte christliche Absolutheitsanspruch in neuem Gewand!

Dieses Anspiel aktualisiert also nicht nur in der Aussage "du hast unseren Messias ermordet" ein altes antisemitisches Stereotyp, sondern es transportiert zugleich Grundmuster von rassistischer Strukturen in unserer Gesellschaft und stabilisiert diese, denn es enthält keinen Diskussionsansatz, der zu einer Handlungsweise außerhalb der beschriebenen Struktur führen könnte. Dies wird dann auch in der Schlußsequenz dieses Rollenspiels deutlich, indem die einzelnen Religionsgemeinschaften ihre Abschlußstatements geben:

I: Wir glauben doch alle daran, dass Abraham unser väterlicher Ahne ist.
C: Wir wohnen doch alle schon lange im Heiligen Land.
J: Wir wollen alle hier weiterleben.
I: Wir wollen alle eine Zukunft.
C: Wir haben alle Schuld auf uns geladen.
J: Wir sind alle Gottes Volk.
I: Wir haben alle zum Konflikt beigetragen.
C: Wir haben doch alle Sehnsucht nach Frieden.
J: Freiheit und Gerechtigkeit gibt es nicht umsonst!

Hier wird eine Gemeinsamkeit konstruiert, die monolithisch ist. Das "ALLE", das in jedem Satz vorkommt (Hervorhebung von mir) ist vereinnahmend, stimmt in einer Reihe von Aussagen faktisch nicht und gibt keinen Raum für Diskussionen, sondern würgt diese eher ab. Das Heilige Land hätte überhaupt nicht den Platz für alle - seien sie nun Juden, Christen oder Muslime.

Zum Weiterlesen:
Marianne Grohmann: feministische Theologie und jüdisch christlicher Dialog
Antijudaismus in der feministischen Theologie
zum Beispiel Schlangenbrut: Nachruf auf Pnina Nave-Levinson

Antisemitismus ist Teil dieser Kultur -
Interview mit Prof. Dr. Julius Schoeps

(1), (2) und (3): Rommelspacher Birgit, Anerkennung und Ausgrenzung, Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, Frankfurt 2002, Seite 65

Weitere Beiträge der Dokumentation zum Weltgebetstag 2003:

hagalil.com 14-02-03

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