Weltgebetstag der Frauen 2003 -
Libanon
Dokumentation Teil 102. Offener
Brief von TheologiestudentINNen aus Berlin vom 13.Februar 2003
Humboldt-Universität zu Berlin
Theologische Fakultät
Feministische Theologie/ Theologische Frauenforschung
PD Dr. phil. habil. Ursula Rudnick
Humboldt-Universität zu Berlin ( Theologische Fakultät
Anna-Louisa-Karsch Str. 1
D-10178 Berlin-Mitte
Fax (030) 2093 - 5778
Sehr geehrte Mitarbeiterinnen des deutschen Komitees des Weltgebetstages,
aufgrund der vielen – auch vehementen – Reaktionen, die unser
erster offener Brief
vom 19.12.2002 hervorgerufen hat, möchten wir unsere Position noch
einmal verdeutlichen.
Wir nehmen mit Bedauern wahr, dass unser Anliegen nicht
verstanden wurde und sich die Diskussion auf die Verwendung des Begriffes
"Antisemitismus" beschränkt hat.
Antisemitismus sehen wir als gesellschaftlichen Code an,
der vor 60 Jahren zur Shoah geführt hat und nicht mit ihr gleichgesetzt
werden darf. Die Shoah ist kein Leid, das mit anderem Leid verglichen werden
kann, sie ist Zivilisationsbruch. Gerade in Deutschland muss unseres
Erachtens die Perspektive auf Israel eine von Auschwitz bestimmte sein, die
für Verzerrungen sensibel ist. Ein wichtiges Kriterium hinsichtlich der
Frage, was Antisemitismus konstituiert, ist unserer Meinung nach das
Empfinden von Betroffenen: also von Juden und Jüdinnen bzw. Israelis. Vor
dem Hintergrund der Berücksichtigung – für uns nachvollziehbarer - jüdischer
Perspektiven benutzten wir den Ausdruck "Antisemitismus."
In dem Abschnitt "Stimmen aus dem Libanon" wird allein
Israel namentlich als Urheber von Leid der Menschen im Libanon benannt. Die
Komposition von Texten und Stimmen, die sowohl explizit – wie auch
unterschwellig- zu einer politisch einseitigen, verzerrten Darstellung
hinsichtlich der Rolle Israels, im Libanon, führen, bezeichnen wir als
antisemitisch. Das Schuldbekenntnis zu Beginn der Liturgie kann diese
Einseitigkeit nicht ausgleichen.
Die Verwendung des Namens Nakba (Katastrophe – meint die
Vertreibung der PalästinenserInnen aus Israel) erscheint uns nicht zufällig.
Wir kritisieren dies in doppelter Hinsicht: Die Aussage beschönigt erstens
die schwierige Stellung der meisten PalästinenserInnen im Libanon und
impliziert zweitens die Rückkehr aller PalästinenserInnen, welche faktisch
die Auflösung des Staates Israel bedeuten würde. Wir möchten mit Nachdruck
auf die Möglichkeit eines solchen Verständnisses hinweisen.
Gerade als Liturgie stellt der Text für uns ein Problem
dar, da Mitbeten bekenntnishaften Charakter hat. Inhaltliche Distanzierung
ist beim Mitsprechen einer Liturgie nicht möglich, anders als z.B. bei
politischen Kundgebungen.
Inhaltliche Kritik an der Ordnung der diesjährigen
Liturgie haben eine Reihe von Personen und Institutionen auf differenzierte
Weise geäußert, so u.a.
Pfr. Thomas Hölzer,
Prof. von der Osten-Sacken, der
Denkendorfer Kreis
und die KLAK (Konferenz landeskirchlicher Arbeitskreise „Kirche und
Judentum"). Diese Stellungnahmen wurden entweder nicht beantwortet oder die
angeführten Argumente konnten von Ihnen nicht nachvollzogen werden. Es
drängt sich uns vielmehr die Folgerung auf, dass Sie – in unserem Fall - den
Antisemitismusvorwurf nutzen, um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu
gehen.
Bei dem Vorwurf, die libanesischen Frauen in ihrer Arbeit
nicht zu würdigen, handelt es sich unseres Erachtens um eine
Fehlinterpretation unserer Kritik, die primär die deutsche Rezeption der im
Libanon erarbeiteten Liturgie im Auge hat.
Solidarität kann nicht bedeuten, fremde Perspektiven fraglos zu übernehmen.
Feministisch theologisches Denken heißt, als Subjekt Verantwortung für das
eigene Leben zu übernehmen. Deshalb halten wir eine kritische
Auseinandersetzung für unabdingbar.
Wir würden uns über eine Berücksichtigung unserer Anliegen
und eine Antwort auf unsere Briefe freuen.
Mit freundlichen Grüßen
(es folgen die Unterschriften der Studentinnen und Studenten des Seminars)
Weitere Beiträge der Dokumentation zum Weltgebetstag 2003:
hagalil.com
15-02-03
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