"... ein Fehler der Weltgeschichte"? -
Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht
Rudolf Steiners
Von Ralf Sonnenberg
Biografischer Abriss
Rudolf Steiner, am 25. Februar 1861 in
Kraljevec im kroatisch-ungarischen Grenzgebiet der Habsburger
Doppelmonarchie geboren, verlebte einen Teil seiner Kindheit und
Jugend in Ortschaften Niederösterreichs. Zwischen 1879 und 1883
studierte er Mathematik, Physik und Naturwissenschaften an der
Technischen Hochschule Wiens und belegte nebenbei Vorlesungen in
Germanistik, Geschichtswissenschaft und Philosophie. Anschließend
besorgte Steiner die Herausgabe der Naturwissenschaftlichen
Schriften Goethes in Kürschners "Deutscher National-Literatur" und
trat später auch als Herausgeber und Kommentator der Werke
Schopenhauers und Jean Pauls hervor. Zwischenzeitlich verdingte er
sich als Privatlehrer in einer jüdischen Familie, die dem Wiener
Mittelstand zugehörte. 1891 promovierte Steiner als Mitarbeiter des
Weimarer Goethe- und Schiller-Archivs über ein
erkenntniswissenschaftliches Thema. Seit 1897 edierte er in Berlin
das "Magazin für Literatur" sowie die "Dramaturgischen Blätter"
(zunächst zusammen mit Otto E. Hartleben). Steiner unterrichtete
nebenher an der von Wilhelm Liebknecht begründeten
Arbeiter-Bildungsschule und wirkte in verschiedenen literarischen
Zirkeln sowie dem "monistisch" orientierten Giordano Bruno-Bund.
(5)
Diese Etappe in der Entwicklung des Naturwissenschaftlers und
umtriebigen Philosophen endete 1902 mit der für seine Umgebung
unerwarteten Übernahme des Amtes eines Generalsekretärs der
deutschen Sektion der sich damals neu konstituierenden
Theosophischen Gesellschaft. Die Theosophical Society mit Hauptsitz
in Adyar (Madras) war 1875 in New York von Helena P. Blavatsky
(1831-1891) und Henry S. Olcott (1832-1907) begründet worden.
Obgleich rassentheoretische Klassifikationen einen nicht
unerheblichen Stellenwert in Schriften Blavatskys und denen ihrer
Anhänger einnahmen, betrachtete es die hinduistischen und
buddhistischen Anschauungen zugetane Theosophische Gesellschaft als
eine ihrer vorrangigen Aufgaben, den "Kern einer allgemeinen
Menschenverbrüderung zu bilden, die keinen Unterschied der Rasse,
des Glaubens, des Geschlechts und der Farbe kennt."
(6)
In einem Brief an den damals
einflussreichen Theosophen Wilhelm Hübbe-Schleiden (1846-1916) ließ
Steiner durchblicken, dass er im Rahmen seiner künftigen Aktivitäten
innerhalb der Theosophischen Gesellschaft die von ihm goutierte
christlich-rosenkreuzerische Variante esoterischer Schulung
beizubehalten gedenke. Im Unterschied zu vielen anderen Theosophen
vertrat der an den Werken Goethes, Fichtes und Hegels geschulte
Urheber einer "Anthroposophie" genannten Lehre die Ansicht, der "Weg
ins spirituelle Reich des Geistes"führe für den modernen westlichen
Menschen allein "durch das intellektuelle Reich".(7)
Infolge der
Krishnamurti-Affäre, die Charles Leadbeater und Annie Besant mit
ihrer Ernennung eines 14jährigen Hindu-Jungen zum Fahrzeug des
wiederkehrenden "Weltlehrers" lostraten, wurde 1913 die deutsche
Sektion, deren Mitglieder dem Generalsekretär mehrheitlich Loyalität
erwiesen, aus der Theosophischen Gesellschaft ausgeschlossen. Den
Vorsitz über die daraufhin begründete Anthroposophische Gesellschaft
sollte Steiner jedoch erst zehn Jahre später übernehmen.(8)
Innerhalb anthroposophischer Kreise galt und gilt er auch heute noch
als weithin unangefochtene Autorität, als spiritus rector
zahlreicher Initiativen und Einrichtungen, von denen die
Waldorfschulen die bekanntesten sein dürften. Als Rudolf Steiner am
30. März 1925 starb, hinterließ er ein umfangreiches Textkorpus, das
esoterische Erkenntnisse zur Kosmo- und Anthropogonese neben
zahlreichen Kommentaren zu Philosophie, Medizin, Pädagogik,
Landwirtschaft, Kunst- und Religionsgeschichte versammelt.
Begegnungen mit dem Wiener Antisemitismus –
Die "Homunkulus"-Rezension von 1888
Die Dreyfus-Affäre
Kritik des Zionismus und des
Antisemitismus – Herausgeber des "Magazins" und Autor der
"Mitteilungen" des Berliner Abwehr-Vereins
Das Judentum als Katalysator und
kulturelles "Zersetzungsferment"
"Die Bedeutung des semitischen
Impulses in der Welt"
War Rudolf Steiner ein "völkischer
Antisemit"? Kritische Kurzbibliografie und Resümee
Anmerkungen:
(5)
Zur Person vgl. Christoph Lindenberg: Rudolf
Steiner. Eine Chronik 1861-1925, Stuttgart 1988; ders.:
Rudolf Steiner. Eine Biographie, 2 Bde., Stuttgart 1997 und
Gerhard Wehr: Rudolf Steiner. Leben, Erkenntnis, Kulturimpuls,
München 1987.
(6)
Programm der Theosophischen Gesellschaft. Zitiert
nach: Theosophische Nachrichten. Mitteilungen aus der
Theosophischen Gesellschaft in Europa (Deutschland), Nr. 1,
November 1897, S. 1.
(7)
Brief Steiners an W. Hübbe-Schleiden vom 16. August
1903. Zitiert nach Lindenberg: Rudolf Steiner. Eine Chronik,
S. 198.
(8)
Eine umfassende und quellengesättigte Orientierung
zur Geschichte der theosophisch-anthroposophischen Bewegung legt
Helmut Zander in seinem bereits erwähnten Werk Anthroposophie in
Deutschland vor.
hagalil.com
08-11-2009
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