"... ein Fehler der Weltgeschichte"? -
Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht
Rudolf Steiners
Von Ralf Sonnenberg
Die Dreyfus-Affäre
Ab 1897 setzte sich Steiner, der
seinen Wohnort von Weimar nach Berlin verlegt hatte, als Herausgeber
des "Magazins für Literatur" mit der damals die europäische
Öffentlichkeit in zwei feindliche Lager spaltenden Dreyfus-Affäre
auseinander. Alfred Dreyfus, ein französischer Offizier
elsässisch-jüdischer Abstammung, war zu Unrecht der deutschen
Spionage verdächtigt, des Landes verwiesen und zu lebenslanger
Festungshaft auf der Teufelsinsel (Karibik) verurteilt worden. Im
Verlauf dieser Affäre gewannen zunächst antisemitische Kreise in
Frankreich die Oberhand, welche die nationalistische und klerikale
Presse für ihre Interessen instrumentalisierten. 1899 kassierte der
oberste Gerichtshof Frankreichs das Hochverratsurteil. Aber erst
1906 wurde der nachweislich zu Unrecht verurteilte Dreyfus von
derselben Instanz endgültig rehabilitiert. Rudolf Steiner äußerte
sich nun in fünf zwischen 1897 und 1898 erschienenen Beiträgen zu
der Affäre um Alfred Dreyfus, bezüglich dessen Unschuld er keine
Zweifel hegte.(38) Die Begründung einiger
deutscher Journalisten, man dürfe sich nicht in die inneren
Angelegenheiten eines fremden Staates einmischen, da diplomatische
Beziehungen damit aufs Spiel gesetzt würden, ließ Steiner nicht
gelten. Die Einforderung von elementaren Menschenrechten könne nicht
vor den Grenzen anderer Staaten Halt machen: "Es ist empörend, wenn
das Gefühl für einfache, banale Gerechtigkeit verloren geht, weil
die Staatsnotwendigkeit fordern soll, dass man diesem Gefühle nicht
freien Lauf lasse!"(39) Charakteristisch
für die von Steiner kritisierte Haltung war etwa die Position des
bekannten Publizisten Karl Kraus, welche dieser in der von ihm
herausgegebenen Zeitschrift "Die Fackel" vertrat. Kraus schrieb im
August 1899: "… und die Frage wird beantwortet werden müssen, wie es
möglich war, dass für oder gegen die Schuld eines unbedeutenden
Menschen, dessen persönliche Qualitäten so gering sind als seine
Stellung im gewaltigen Heereskörper Frankreichs, eine Agitation
entfesselt werden konnte, die Frankreich drei Jahre lang beunruhigt
und die ganze Welt in Mitleidenschaft gezogen hat." (40)
Auffällig an den Kommentaren Steiners
zu dieser Affäre ist die Tatsache, dass darin die jüdische Herkunft
Dreyfus' sowie der antisemitische Hintergrund der Verurteilung des
Offiziers durch das Pariser Kriegsgericht keine ausdrückliche
Erwähnung finden. Dies entsprach jedoch den Usancen eines Teils der
konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Presse Berlins,
die auf die jüdische Abstammung des französischen Hauptmanns nicht
explizit Bezug nahm. In einigen Fällen mag für dieses Verhalten die
dubiose Befürchtung ausschlaggebend gewesen sein, mit einer
indirekten Verurteilung des Antisemitismus der Agitation der
judenfeindlichen Presse, welche das "gallo-jüdische
Dreyfus-Syndikat" geißelte, unfreiwillig Nahrung zu geben. So warf
etwa Maximilian Harden in der Zeitschrift "Die Zukunft" den
französischen Juden vor, diese hätten mit ihrer Verteidigung
Dreyfus' erst recht die Wut der Antisemiten entfacht.(41)
Neben dem von Steiner redigierten "Magazin für Literatur"
beschäftigten sich verschiedene Zeitungen und Zeitschriften der
preußischen Metropole mit diesem Vorfall. Genannt seien hier das
"Berliner Tageblatt", die "Berliner Morgenzeitung", die "Vossische
Zeitung", das sozialdemokratische Blatt "Vorwärts" sowie die
kaisertreue "Neue Korrespondenz", deren Leitartikel Steiner zum Teil
studiert haben dürfte.(42) Die Meinungen
über Schuld oder Unschuld des elsässischen Offiziers sowie über die
Frage der Priorität seiner Verteidigung gingen in den genannten
Periodika auseinander. Der Fall Dreyfus blieb Jahrzehnte hindurch
umstritten.(43)
Kritik des
Zionismus und des Antisemitismus – Herausgeber des "Magazins" und
Autor der "Mitteilungen" des Berliner Abwehr-Vereins
Das Judentum als Katalysator und
kulturelles "Zersetzungsferment"
"Die Bedeutung des semitischen
Impulses in der Welt"
War Rudolf Steiner ein "völkischer
Antisemit"? Kritische Kurzbibliografie und Resümee
Anmerkungen:
(38)
Rudolf Steiner: Die Instinkte der Franzosen, in: "Magazin für
Literatur" 49 (1897), in: ders.: Gesammelte Aufsätze,
S. 221-224; ders.: Emile Zola an die Jugend, in: "Magazin für
Literatur" 7 (1898), in: ebenda, S. 225-229; ders.: Zolas Schwur
und die Wahrheit über Dreyfus, in: "Magazin für Literatur" 9
(1898), in: ebenda, S. 230-231; ders.: Literatenklugheit
und Teufelsinsel, in: "Magazin für Literatur" 37 (1898), in:
ebenda, S. 276-277; ders.: Dreyfus-Briefe, in: "Magazin für
Literatur" 41 (1898), in: ebenda, S.277-281.
(39)
Steiner: Emile Zola, S. 227.
(40)
Die Fackel,
Nr. 14, August 1899, S. 1 ff.
(41) Jaques Le Rider: Die Dreyfus-Affäre
in den Augen der assimilierten Juden Wiens und Berlins: Karl Kraus'
"Die Fackel" und Maximilian Hardens "Die Zukunft". In: Julius H.
Schoeps/ Hermann Simon (Hg.): Dreyfus und die Folgen,
Berlin 1995, S. 139-155, hier 149-153.
(42) Eckhardt Fuchs/ Günther Fuchs: Die Affäre
Dreyfus im Spiegel der Berliner Presse, in: Schoeps/ Simon:
Dreyfus, S. 51-80.
(43) Zur Wirkungsgeschichte der Affäre insgesamt
vgl. Vincent Duclert: Die Dreyfus-Affäre. Militärwahn,
Republikfeindschaft, Judenhass, Berlin 1994.
hagalil.com
08-11-2009
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