Professor Jeschajahu Leibowitz
war bis zuletzt einer der bedeutendsten Denker Israels, ein scharfsinniger Kritiker der Tagespolitik und ein engagierter Kämpfer für den Frieden.
Raziti lischol otkha, Prof. Leibowitz...:
Die Verkörperung des jüdischen Genius
Jeschajahu Leibowitz war - zusammen mit seiner
Schwester
Nechama
- einer der herausragendsten Vertreter gelehrter Kreise, die sich bemühten
Torah, Weisung im weitesten Sinne des Wortes, unter's Volk zu bringen. Aufgrund
seiner regen Einmischung in öffentliche Angelegenheiten sind sein Name und sein
Ruf in weiten Kreisen der Bevölkerung bekannter als die Namen vieler seiner
Kollegen.
Michael Schashar
schrieb über Leibowitz: "Wir haben hier die Verkörperung des jüdischen Genius
(ein Begriff dessen Berechtigung Leibowitz oft abstritt) in konzentrierter und
prägnanter Form vor uns, wie er uns in den letzten Generationen in den
Lehrhäusern Ost-Europas begegnete und wie wir ihn in unserer Generation auch an
einigen wissenschaftlichen Akademien antreffen können.
Seine weitverzweigten Tätigkeiten regten das
kulturelle und geistige Leben an, so wie wir es aus Taten, Gedanken und
Schriften der bedeutenden jüdischen Weisen der Vergangenheit kennen". Schashar
wünschte sich im Nachwort zum Buch "Gespräche
mit Jeschajahu Leibowitz - über Gott und die Welt": "Auf dass wir noch
lange von seiner Lehre zehren können, die für so viele von uns ein Lebenselixier
darstellt".
Leibowitz starb im August 1994. Bis zuletzt war er einer der bedeutendsten
Denker Israels, ein scharfsinniger Kritiker der Tagespolitik und ein engagierter
Kämpfer für den Frieden. Noch immer erscheinen jährlich neue Bücher die aus der
Fülle seiner Gedanken Anregungen geben für die Gegenwart. 1999 erschien "Raziti
lischol otkha, Prof. Leibowitz..." ("Ich wollte Sie fragen, Prof.
Leibowitz..."), eine Sammlung von Briefen an und von Jeschajahu Leibowitz.
Biographisches
Der israelische Intellektuelle,
Wissenschaftler und Philosoph Jeshajahu Leibowitz wurde 1903 in Riga geboren. Er
erhielt in seinem Elternhaus eine jüdische Erziehung und besuchte zusätzlich das
allgemeine Gymnasium in Riga. 1919 ging Leibowitz nach Deutschland. An der
Berliner Universität studierte er Chemie und Philosophie und erhielt 1924 den
Doktortitel für Philosophie.
In den Jahren 1926 bis 1930 war Leibowitz an der
Kaiser-Wilhelm-Akademie in Berlin als Assistent des Biochemikers Karl Neuberg
und später an der physiologischen Abteilung der Universität Köln tätig. 1929
nahm er das Medizinstudium in Köln und Heidelberg auf. 1934 erhielt er an der
Universität Basel den Titel eines Doktors der Medizin. Im gleichen Jahr wanderte
er nach Eretz Israel aus, wurde in den Lehrkörper der Hebräischen Universität
Jerusalem berufen und 1961 zum ordentlichen Professor für organische Chemie und
Neurophysiologie ernannt. Er unterrichtet ebenfalls Wissenschaftsgeschichte und
-philosophie sowie weitere allgemeinere Themenbereiche.
Leibowitz' Forschungsgebiete liegen innerhalb der
Chemie im Bereich der Zucker und Enzyme, in der Biologie hauptsächlich auf dem
Gebiet der Neurophysiologie. Leibowitz arbeitete als Redakteur für den
naturwissenschaftlichen Bereich der »Hebräischen Enzyklopädie« vom ersten Band
ab und als Chefredakteur seit 1953. Er verfaßte für die Hebräische Enzyklopädie
zahlreiche Artikel auf seinen Spezialgebieten und war auch wesentlich für
Artikel der Judaistik und der Geisteswissenschaften verantwortlich.
Auf der Basis seiner Auffassung vom Judentum nahm
Leibowitz zu dem Problem der Religion innerhalb der jüdischen Gesellschaft in
Eretz Israel Stellung. Er wies - noch vor der Gründung des Staates Israel - auf
die Frage der religiösen Bedeutung hin, die einer nationalen Befreiung zukomme,
wenn es in ihrer Folge zu einer Gesetzgebung nach der Halacha zur Gestaltung des
Staates kommen werde. Leibowitz war Offizier der »Hagana« in Jerusalem, und im
»Poel hadati« tätig, der religiösen Gruppierung innerhalb der Histadrut, deren
erster Kandidat er für die Wahlen zur legislativen Versammlung (Knesset) wurde.
Aufgrund seiner völligen Ablehnung des Parteiensystems in Israel, einschließlich
der »religiösen Parteien« mit ihren wirtschaftlichen und rabbinischen
Institutionen, trat Leibowitz nach der Staatsgründung für eine absolute Trennung
der jüdischen Religion vom Staat ein. Seit 1959 fordert Leibowitz diese Trennung
verstärkt. Bisweilen gelangt Leibowitz aufgrund seines weltanschaulichen Systems
zu weitreichenden Konsequenzen in aktuellen Fragen. 1962 gehörte er dem Komitee
zur Entmilitarisierung des Nahen Ostens von Atomwaffen an. Mitte der fünfziger
Jahre gehörte er der »Shurath haMitnadwim« an, die gegen die Korruption im
israelischen Regierungssystem vorging. Seit 1967 äußert Leibowitz heftigen
Widerstand gegen die Annexion der im Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebiete. Ziel
dieses Widerstandes ist es, die Errichtung einer israelischen Gewaltherrschaft
über ein anderes Volk und die Untergrabung des jüdischen und demokratischen
Charakters des Staates Israel zu verhindern.
Auf diesem Hintergrund erlangt seine konsequente
und kompromisslose ideologische Einstellung weitverbreitete Zustimmung, stößt
jedoch auch auf heftigen Widerstand in religiösen und nationalistischen Kreisen.
In religiösen Kreisen trifft man auf die unterschiedlichsten Einstellungen
Leibowitz gegenüber. Auf der einen Seite hält man ihn für den größten lebenden
jüdischen Philosophen, auf der anderen Seite betrachtet man ihn als einen
»Ketzer, der die Mitzwot beachtet«.
haGalil onLine 10-09-2000 |