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Judentum und Israel
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Ein grosser britischer Historiker bezeichnete die Geschichte der Menschheit einmal als ''Die Geschichte einer nicht abreißenden Folge von Massakern, Kriegen, Unrecht und Gewalt''.

Jeshajahu Leibowitz wandelte diesen Satz ab: ''Die Geschichte der Menschheit ist in der Tat die Geschichte einer nicht abreißenden Folge von Massakern, Kriegen, Unrecht und Gewalt, sie ist aber auch die Geschichte des nicht abreißenden Bemühens eines anderen Teils der Menschen - gegen Massaker, Kriege, Unrecht und Gewalt''.

Der Staat Israel und das Judentum der Welt:
Die national-religöse Zumutung

II.Teil aus dem Buch: Gespräche über Gott und die Welt
Kap.: Zionismus und der Staat Israel
Jeschajuahu Leibowitz mit Michael Shashar

Im vorherigen Teil fragte Michael Shashar Prof. Leibowitz, ob er zur Zeit vor der Staatsgründung zur West-Mauer (Klagemauer) gegangen sei.

Leibowitz bejaht dies, unterscheidet jedoch zwischen der Zeit vor der Staatsgründung und nach der Besetzung der Gebiete von Jehudah und Schomron (Westbank).

Schon zu jener Zeit (der Zeit vor der Staatsgründung) nannten Sie Ben-Gurion »Jerobeam ben Newat« (israelitischer König der biblischen Epoche, der heidnische Kulte in Israel eingeführt hat).

Niemals habe ich Ben-Gurion so genannt. Aber wenn mir schon jemand diesen Namen für Ben-Gurion in den Mund legt, dann frage ich: Ist Jerobeam ben Nebat nicht ein integraler Bestandteil der Geschichte des jüdischen Volkes? Der Staat Israel verliert mehr und mehr seine Bedeutung für die existentiellen Probleme des jüdischen Volkes und des Judentums. Überhaupt hat Israel aufgehört, ein Staat für das jüdische Volk zu sein. Israel ist nunmehr zu einem Machtmittel zur Erhaltung einer Gewaltherrschaft über ein anderes Volk geworden. 

Die Probleme des jüdischen Volkes werden heute im Rahmen des Staates Israel nicht behandelt; derartige Probleme finden ihre Lösung eher in Brooklyn, in den »chassidischen Höfen«. Diese Verlagerung der Probleme nach Brooklyn wird auf die Dauer nicht gut sein, das weiß ich wohl, aber dort ist es vielleicht noch möglich, derartige Dinge anzusprechen und zu lösen, nicht aber in Israel. 
Hier muss man alle zur Verfügung stehenden Kräfte - nicht nur die materiellen, sondern auch die seelischen - für die Herrschaft über Bethlehem und Jericho einsetzen. Israel ist kein Staat, der eine Armee unterhält, es ist eine Armee, die einen Staat besitzt. Die Welt bringt heute dem Staat Israel keinerlei Achtung und Wertschätzung mehr entgegen, von aufrichtiger Sympathie erst gar nicht zu sprechen, so wie es in den ersten Jahren nach der Staatsgründung in weiten Kreisen üblich war.
Aber noch viel entscheidender ist, dass der Staat Israel den meisten Juden selbst immer fremder wird - und gerade nicht den schlechtesten unter ihnen, weil der Staat in seinem heutigen Zustand wirklich keinen Lorbeerkranz für das jüdische Volk darstellt. Das haben wir getan, als wir nach 2000 Jahren Exil unsere nationale Unabhängigkeit wiedererlangt haben.

Vor nicht allzu langer Zeit kam ein junger Offizier zu mir, ein Kind der "Hitjaschwuth ha'Owedeth", der Kibbutzbewegung, der im Rahmen der humanistischen Erziehung seines Kibbutz aufgewachsen und erzogen worden ist und Werte erhalten hat, die ihm wirklich aufrichtig in Fleisch und Blut übergegangen sind. Er erzählte mir, er sei gerne zur Armee gegangen und habe auch an einem Offizierskurs teilgenommen, um dem Volk mit all seiner Kraft dienen zu können. Nun aber sei er nicht zur Landesverteidigung in den Libanon geschickt worden, sondern zusammen mit seinen Kameraden in eine der Städte auf der West-Bank. Ihre Aufgabe bestünde darin, jeden Morgen in den Straßen Ram-Alahs zu patrouillieren, ausgerüstet mit den besten amerikanischen Waffen - "und wir", so erzählte er, "fühlten die Feindschaft, mit der man uns betrachtete und auch den Schrecken und die Angst der Einwohner. Ich fragte mich: Was tue ich hier? Wozu sind wir eigentlich hier?!"
Dann sei es eines Tages zu einer Demonstration (der arabischen Bevölkerung) gekommen - selbstverständlich eine illegale, denn die israelische Demokratie verbietet den Arabern zu demonstrieren - und eben jener Offizier und seine Kameraden hätten den Auftrag erhalten, diese Demonstration zu zerstreuen. Sie hätten natürlich die Anweisung erhalten, ein Blutvergießen zu vermeiden. Aber die Demonstranten hätten sich geweigert, sich zu zerstreuen, ja einer von ihnen habe sogar eine palästinensische Flagge gehisst. Da sei der Befehl gegeben worden, Warnschüsse in die Luft abzugeben, worauf alle Demonstranten geflohen seien. Am Ort sei ein verletztes Kind zurückgeblieben. Natürlich sei das Kind sofort in ein Krankenhaus gebracht worden - aber, so erzählte mir der Offizier - dies habe ihm doch das Herz gebrochen. Plötzlich habe er verstanden, dass alles Lüge sei; die gesamte Erziehung, die er erhalten habe, und alle Slogans, die er gehört habe, alles Lüge! Er fragte mich, ob es richtig sei, in dem Moment, in dem er die Uniform ablege, aus Israel auszuwandern. (Anm. M.Shasar: Alles dies hatte sich noch vor Ausbruch der Intifada abgespielt).

Wenn ihm die politische Unabhängigkeit des jüdischen Volkes wichtig sei - so antwortete ich ihm, dann müsse er im Lande bleiben und versuchen, einen Aufstand gegen die gegenwärtige Regierung zu organisieren. Als einzelner könne er sicherlich nichts erreichen (aber er sagte, es gäbe viele, die wie er empfinden), doch er solle einen Aufstand organisieren! Wenn ihm die Unabhängigkeit des jüdischen Volkes nichts bedeute, oder wenn er nicht Kraft und Mut habe, in Israel etwas verändern zu wollen, dann könne ich ihm auch keinen Grund nennen, das Land nicht zu verlassen.

Und wie erging es dem jungen Mann letztendlich?

Ich weiß nicht. Ich denke, er blieb hier; denn er sagte mir dies alles in großer Aufregung und mit innerer Erschütterung. Es ist ja bekannt, dass heute viele Menschen aus den Kibuzim und Moschawim, ja selbst aus den religiösen Kibuzim, das Land verlassen. Ich nehme an, Sie haben über die Offiziere a.D. aller Rangstufen gelesen, die heute in der ganzen Welt umherwandern und an den schmutzigsten Geschäften beteiligt sind, die man sich denken kann; einige dieser Offiziere haben zwanzig Jahre und mehr in der israelischen Armee gedient!

Traurig.

Ja, aber verständlich. Nachdem wir nunmehr keine anderen Wertinhalte haben als die jüdische Faust!

Begehen Sie mit dieser Idealisierung nicht ein Unrecht? Auch in der Zeit des »Palmach« (freiwillige militärische Organisation vor der Gründung des Staates Israel) stand nicht alles zum besten.

Absolute Tugend gibt es grundsätzlich nicht, aber damals war die Welt trotzdem eine andere.

Tatsächlich?

Ja, ich idealisiere die ersten 19 Jahre des Staates Israel keineswegs, aber damals gab es Möglichkeiten und Chancen; es gab die Möglichkeit, ein Staat für das jüdische Volk zu sein. Damals konnte man noch hoffen, dass der Staat die Arena werden wird, in der die entscheidenden jüdischen Kämpfe ausgetragen werden können; aber seit 1967 ist entschieden, dass Israel ein Mittel der Gewaltherrschaft darstellt. 

Vielleicht resultiert das aus der Zusammensetzung der Bevölkerung aus Menschen mit unterschiedlicher Herkunft - Aschkenasim und Sephardim? Heute ist die politische Teilung doch eindeutig: Im rechten Lager stehen hauptsächlich die Sephardim, die den "Likud-Block" unterstützen, und im linken Lager wird der "Maarach" (Arbeitspartei) hauptsächlich von den Aschkenasim unterstützt. 

Da leben Sie aber in einer schönen Traumwelt. Auch die Gruppen des »Lechi« (rechtsorientierte Widerstandsgruppe vor der Staatsgründung) und des »Izel« (national-militärische Organisation und Widerstandsgruppe vor der Staatsgründung) setzten sich allein aus Aschkenasim zusammen.

Ja, aber damals war der Einfluß der radikalen Kräfte nebensächlich, weil die Mehrheit der Juden in Palästina aschkenasisch war. 

Der Einfluß war keineswegs nebensächlich und gering, und nach 1967 wurde diese Ideologie praktisch von fast der gesamten Öffentlichkeit übernommen.

Und zwar nachdem diese Öffentlichkeit vom demographischen Gesichtspunkt aus heute in ihrer Mehrheit sephardisch ist.

Nein. Nein, nachdem Israel ein System der Gewaltherrschaft geworden ist! Wer hat denn den Anfang aller dieser Probleme in dem Ausspruch, es gäbe kein palästinensisches Volk, gesetzt? Golda Meir! Golda Meir war doch der aschkenasische Mensch par excellence, oder nicht? Kann es aber wirklich unsere Angelegenheit sein, ja, sind wir dazu überhaupt befugt, zu entscheiden, ob das palästinensische Volk in der Vergangenheit existierte oder ob es heute existiert? 
Gibt es nicht genug Historiker, Soziologen und andere In tellektuelle - in aller Welt und selbst in Israel, die die Existenz eines jüdischen Volkes bestreiten! Auf jeden Fall wissen wir recht gut, was der Slogan »Es gibt kein palästinensisches Volk« bedeutet — das ist Völkermord! Nicht im Sinne einer physischen Vernichtung des palästinensischen Volkes, sondern im Sinne der Vernichtung einer nationalen und/oder politischen Einheit. Zu der Zeit, als diese Linie festgelegt wurde, ging die Initiative dazu nicht von den Sephardim, nicht von den jemenitischen oder den marokkanischen Juden aus, sondern von den aschkenasischen Nationalisten! Kommen Druckmann und Waldmann (Vertreter der national-religiösen Bewegung) etwa aus sephardischen Gemeinden?! Sammelt » Gush-Emunim « (außerparlamentarische national-religiöse Bewegung, die in der Annektion der West-Bank und des Gaza-Streifens die Erfüllung des Zionismus sieht) seine Anhänger etwa unter den Sephardim?! Schade, dass auch Sie von dieser propagandistischen Lüge infiziert worden sind!

Die Aschkenasim bilden den Generalstab, aber wenn es die Soldaten nicht gäbe dann würden die Generäle nicht an die Macht gelangen.

Aber die Aschkenasim haben doch dieses Volk und die Massen zum Nationalismus erzogen. Glauben Sie wirklich, dass die Mehrheit der marokkanischen Juden, der kurdischen oder jemenitischen, sich von selbst für die Eroberung von Jenin und Ramallah begeistern, oder dass die Problematik eines »Groß-Israel« überhaupt in ihrem Bewusstsein existiert? Die Behauptung, die Idee eines »Groß-Israel« sei wesentlicher Bestandteil des Zionismus, ist eine absolute Lüge!
Eine Verbindung mit Eretz Israel im historischen Sinne besteht bei den Leuten und Gemeinden der »Neturei Karta« (kleine Gruppe von extrem antizionistischen ultra-orthodoxen Gemeinden, die den Staat Israel ablehnen). Sie sind die strengsten Nationalisten im traditionellen Sinne.

Es scheint mir, dies ist auch der Standpunkt der National-Religiösen.

Mehr zum Buch...Nein, hier handelt es sich um einen Nationalismus, der in ein religiöses Gewand gekleidet worden ist. Allein schon der Ausdruck "national-religiös" ist eine Zumutung, schlimm und abstoßend!

...wird fortgesetzt

haGalil onLine 11-09-2000


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