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Judentum und Israel
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Raziti lischol otkha, Prof. Leibowitz...:
Ich wollte dich noch was fragen, Professor Leibowitsch...

Jeschajahu Leibowitz war - zusammen mit seiner Schwester Nechama Leibowitz - einer der herausragendsten Vertreter gelehrter Kreise, die sich bemühten Torah, Weisung im weitesten Sinne des Wortes, unter's Volk zu bringen.

Gehen Sie manchmal zur West-Mauer (Klagemauer) in der Jerusalemer Altstadt?
Die West-Mauer in ihrem heutigen Zustand ist in meinen Augen abscheulich.

Sie vermeiden es also bewusst, zur West-Mauer zu gehen?
Manchmal finde ich Gelegenheit, in die Altstadt zu gehen. Dann sehe ich die West-Mauer aus der Ferne. Aber was dort geschieht, ruft in mir Ekel und Abscheu hervor.

> DisKotel

Gingen Sie vor der Staatsgründung zur West-Mauer?
Ja. Aber damals existierte wirklich eine reine Gefühlsbeziehung zu diesem Ort, und es gab daran nichts auszusetzen.

Michael Shashar: Tatsächlich?
Jeshajahu Leibowitz: Ja, ich idealisiere die ersten 19 Jahre des Staates Israel keineswegs, aber damals gab es Möglichkeiten und Chancen; es gab die Möglichkeit, ein Staat für das jüdische Volk zu sein. Damals konnte man noch hoffen, dass der Staat die Arena werden wird, in der die entscheidenden jüdischen Kämpfe ausgetragen werden können; aber seit 1967 ist entschieden, dass Israel ein Mittel der Gewaltherrschaft darstellt.

Michael Shashar: Vielleicht resultiert das aus der Zusammensetzung der Bevölkerung aus Menschen mit unterschiedlicher Herkunft - Aschkenasim und Sephardim? Heute ist die politische Teilung doch eindeutig: Im rechten Lager stehen hauptsächlich die Sephardim, die den «Likud-Block» unterstützen, und im linken Lager wird der «Maarach» hauptsächlich von den Aschkenasim unterstützt.
Jeshajahu Leibowitz: Da leben Sie aber in einer schönen Traumwelt. Auch die Gruppen des «Lechi» (rechtsorientierte Widerstandsgruppe vor der Staatsgründung) und des «Ezel» (national-militärische Organisation; Widerstandsgruppe vor der Staatsgründung) setzten sich allein aus Aschkenasim zusammen.

Michael Shashar: Welche Haltung nahmen Sie seinerzeit zu der Frage eines bi-nationalen Staates ein, wie er von Jehuda Magnes (1877-1948),
Jeshajahu Leibowitz: Reformrabbiner in den Vereinigten Staaten und erster Präsident der Hebräischen Universität Jerusalem) und Martin Buber vorgeschlagen worden ist?

Ich habe diesen Vorschlag abgelehnt. Was kann ein binationaler Staat von unserem Standpunkt aus bedeuten?

Michael Shashar: Sie haben den Vorschlag aus dem gleichen Grund wie heute abgelehnt: Entstehung einer arabischen Mehrheit in Israel?
Jeshajahu Leibowitz: Nein. Wer hätte sich damals träumen lassen, dass wir die Herrschaft erlangen könnten. Die Macht lag in den Händen der Briten.

Michael Shashar: Aber als man über einen bi-nationalen Staat sprach, meinte man kein britisches Protektorat.
Jeshajahu Leibowitz: Man sprach über so etwas wie ein britisches Dominion. Wer dachte damals an eine völlige Souveränität. Wer hätte auch nur in Erwägung gezogen, dass die Briten sich von hier zurückziehen und das Britische Empire zusammenstürzen könnte?

Michael Shashar: Haben Sie jemals Araber aus den besetzten Gebieten getroffen?
Jeshajahu Leibowitz: Nein. Einmal wurde ich allerdings von der für Erziehung zuständigen Abteilung in der in Israel gelegenen arabischen Stadt Um-El-Fachem eingeladen, über das jüdisch-arabische Problem zu sprechen. Das Gespräch wurde auf Hebräisch geführt, und ich war von den Hebräischkenntnissen meiner Gesprächspartner sehr beeindruckt.

Michael Shashar: Sicherlich waren sie weitaus besser als unsere Arabischkenntnisse.
Jeshajahu Leibowitz: Ja. Ich bedaure übrigens wirklich außerordentlich, dass ich kein Arabisch gelernt habe, als ich vor 50 Jahren als junger Mann ins Land gekommen bin. Ich habe mit den Leuten in Um-El-Fachem ehrlich und offen gesprochen und zu verstehen gegeben, dass ich ihre Probleme als Bürger eines Staates Israel, der das palästinensische Volk und seine Unabhängigkeit ablehnt, sehr wohl sehe. Diese Leute leben in einer schrecklichen Situation. Einerseits besitzen sie die israelische Staatsbürgerschaft, andererseits gehören sie selbstverständlich dem palästinensischen Volk an. Aber auch hier wäre eine Teilung die Lösung des Problems. Ich sagte meinen Gesprächspartnern in Um-El-Fachem, dass ich mir sogar vorstellen könnte - in der Theorie -, dass in einem palästinensischen Staat die jüdische Stadt Kiryath-Arba weiter bestehen bleibt, als eine hebräische Stadt unter palästinensischer Herrschaft, so wie Um-El-Fachem als eine arabische Stadt unter israelischer Herrschaft existiert. Auch der ehemalige Ministerpräsident Jitzchak Rabin hat einmal in einem Moment geistiger Erleuchtung gesagt: Warum ist es eine Katastrophe, wenn wir nach Etz-Zion (ein Block jüdischer Siedlungen in Westjordanien, zurzeit unter israelischer Herrschaft) mit einem jordanischen Visum fahren? Wenn wir das Land teilen, dann werden die Einwohner von Etz-Zion an ihrem Platz bleiben, mitsamt der großen Talmudschule, und es wird dort zahlreiche jüdische Siedlungen geben, so wie es arabische Dörfer in Israel gibt.

Michael Shashar: Kann man Ihren Worten entnehmen, dass Sie sich nicht grundsätzlich gegen jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten stellen?
Jeshajahu Leibowitz: Heute bin ich sicherlich gegen diese Siedlungen, denn sie verhindern die Teilung des Landes. Das ist ja auch Zweck und Absicht dieser Siedlungen. Aber wenn die Teilung durchgeführt ist, und beide Staaten in friedlicher Koexistenz leben, dann sehe ich durchaus die Möglichkeit für eine Errichtung von jüdischen Siedlungen jenseits der Grenzlinie. Ich meine, auch Yamit auf der Sinai-Halbinsel hätte als eine jüdische Stadt unter ägyptischer Regierungsgewalt weiterbestehen können. Ich weiß nicht, wer oder was das verhindert hat. Wollte Sadat nicht, oder wollen wir nicht?

Michael Shashar: Angenommen, Sie wären Aussenminister des Staates Israel, würden Sie dann für eine neutrale Aussenpolitik eintreten?
Jeshajahu Leibowitz: Heute ist es dafür zu spät. Es war Nachum Goldmann (1894-1982; Präsident der zionistischen Weltorganisation und Gründer des jüdischen Weltkongresses), der das vorgeschlagen hatte.

Michael Shashar: Was meinen Sie zu Moshe Dayan, der ja auch zu den Vätern der israelischen Politik in den besetzten Gebieten gehört hatte?
Jeshajahu Leibowitz: Dayan ist selbstverständlich eine sehr charakteristische Persönlichkeit für unsere gesellschaftlich-historische Realität. Ein Mann, dem alle menschlichen Werte fehlten, der sich frevelhaft benahm und öffentliches Eigentum stahl, selbst über eine besondere militärische Auszeichnung dieses Mannes weiß ich nichts.

Michael Shashar: Aber gerade er zeigte mehr als einmal Bedauern über das den Arabern zugefügte Unrecht und verwarnte auch die Leute vom Sicherheitsdienst. Darüber kann ich aus erster Quelle berichten.
Jeshajahu Leibowitz: Dayan repräsentierte zwanzig Jahre lang das Image des sich in diesem Staat erneuernden Volkes, des jüdischen Volkes im Staate Israel! Richtig ist, dass gegen sein Lebensende hin sein Ansehen und die Wertschätzung, die man ihm gegenüber aufrechterhalten hatte, abnahm. Es ist auch möglich, dass er selbst zu guter Letzt Reue empfand und den Eindruck bekam, er müsse zugeben, sein Weg sei ein Irrweg gewesen. Kann sein. Ich weiss es nicht mit Sicherheit, denn ich habe ihn niemals getroffen; ich spreche hier jedoch von meinem Eindruck einer gesellschaftlich-historischen Erscheinung. Es ist unheimlich, dass gerade er fast eine halbe Generation lang unsere Repräsentationsfigur war. Das allein kennzeichnet doch schon unsere gesamte Situation.

Michael Shashar: Was sehen Sie für die Zukunft des Staates voraus, wenn Sie bedenken, dass ein einseitiges Aufgeben der besetzten Gebiete heute für die Regierung nicht in Frage kommt?
Jeshajahu Leibowitz: Wenn wir den Weg, auf dem wir uns befinden, fortsetzen - dann wird das zum Untergang des Staates Israel führen, und zwar in einem Zeitraum von einigen Jahren, dazu braucht es noch nicht einmal Generationen. Im Inneren wird Israel ein Staat mit Konzentrationslagern für Menschen wie mich werden, sobald Vertreter der rechts-nationalen Parteien wie Kahana, Raful, Druckmann an die Macht kommen werden. Nach außen wird Israel sich in einen Krieg auf Leben und Tod mit der gesamten arabischen Welt von Marokko bis Kuwait verstricken. Das ist die Perspektive für die nahe Zukunft. Die eine und einzige Alternative ist die Teilung des Landes zwischen beiden Völkern; das gewährt natürlich noch keine Garantie, dass dann alles in Ordnung sein wird, denn in der historisch-politischen Realität gibt es grundsätzlich keine Garantie; aber es bestünde dann wenigstens eine Chance für die Zukunft. Auf den Grundlagen der Vergangenheit kann man niemals eine Prognose über die Zukunft abgeben: Das ist das Wesen der Geschichte. Aber wir sprechen nicht über die Zukunft, sondern über die Gegenwart. Solange der Staat Israel in abgrundtiefer Torheit verharrt und der Meinung ist, die amerikanische Unterstützung werde bis in alle Ewigkeit fortbestehen, ist er natürlich nicht am Frieden interessiert. Deshalb wird Israel wie Süd-Vietnam enden, das auch auf eine amerikanische Hilfe für ewig vertraute.

Michael Shashar: Und dies alles auf dem Hintergrund der besetzten Gebiete und der Beziehung zu den Arabern?
Jeshajahu Leibowitz: Ja. Das nationale Rowdytum schafft eine Atmosphäre, die von einer nach innen gerichteten Gewalt durchtränkt ist. Ich fürchte sehr, dass in Israel Konzentrationslager für jüdische «Verräter» entstehen werden und es zu Pogromen gegen nicht «national» eingestellte religiöse Juden kommen wird.

Michael Shashar: Aber schon vor 1967 drangen Mitglieder des «Shomer ha-Zair» (atheistische linke Jugendorganisation) mit Knüppeln in Mea-Shearim, das Wohnviertel der Ultra-Orthodoxen in Jerusalem, ein und verprügelten dort die Religiösen!
Jeshajahu Leibowitz: Aber damals hatten Nationalismus und Staat noch nicht den Stellenwert, den sie heute einnehmen. Heute fordere ich von jedem vernünftig denkenden Menschen, er möge mit mir zusammen erklären, dass er ein Dissident und Abtrünniger gegenüber der Regierungslinie ist.

Michael Shashar: Worin?
Jeshajahu Leibowitz: In Bezug auf die heute in diesem Land heiligen Werte!

Michael Shashar: Es reicht also nicht aus, sich zu weigern, in den Libanon zu gehen?
Jeshajahu Leibowitz: Der Libanon-Krieg war ein nicht zu vermeidendes Ergebnis aller vorangehenden Ereignisse. Wir werden auch noch in einen Krieg mit Syrien eintreten.

Michael Shashar: Sie haben Enkel in der Armee, auch in wichtigen Positionen. Sprechen Sie mit ihnen über dieses Problem?
Jeshajahu Leibowitz: Ja.

Michael Shashar: Was erhalten Sie zur Antwort?
Jeshajahu Leibowitz: Meine Enkel denken da ganz ähnlich. Das ist bei ihnen ein schrittweiser Prozess, aber gerade in den letzten Jahren identifizierten sie sich nahezu mit meiner Meinung.

Michael Shashar: Und Ihre Schwester Nechama - hatten Sie mit ihr in den letzen Jahren harte Auseinandersetzungen?
Jeshajahu Leibowitz: Ja. Über ganz unterschiedliche Aspekte. Sie hält den Staat Israel vom jüdischen Standpunkt aus für sehr wichtig.

Michael Shashar: Beinahe für den «Anfang der Erlösung»?
Jeshajahu Leibowitz: Nein. Sie ist zu klug, um die Dinge so aufzufassen. Darüber hatten wir keine harten Auseinandersetzungen - nur Meinungsverschiedenheiten.

Wie ein einsamer Komet am Himmel:
Yeshayahu Leibowitz zur Erinnerung

Der größte Teil der Öffentlichkeit versteht nun, was Leibowitz vom ersten Augenblick an verstanden hatte: dass die Siedlungen für Israel ein Unglück seien...

Jeshajahu Leibowitz: Der israelische Intellektuelle, Wissenschaftler und Philosoph Jeshajahu Leibowitz wurde 1930 in Riga geboren. Nachdem er das allgemeine Gymnasium besuchte, ging er 1919 nach Berlin, um an der Universität Chemie und Philosophie zu studieren. 1924 erhielt er den Doktortitel für Philosophie. 1929 nahm er das Medizinstudium in Köln und Heidelberg auf und erhielt 1934 an der Universität Basel den Titel eines Doktors der Medizin. Im selben Jahr wanderte er nach Israel aus, wo er sogleich in den Lehrkörper der Hebräischen Universität Jerusalem aufgenommen wurde. 1961 wurde er zum ordentlichen Professor für organische Chemie und Neurophysiologie ernannt. Leibowitz' Forschungsgebiete lagen im Bereich der Zucker, Enzyme und der Neurophysiologie. Als Chefredakteur verfasste er seit 1953 zahlreiche Artikel für die «Hebräische Enzyklopädie». Er war für seine Spezialgebiete wie auch für Artikel der Judaistik und Geisteswissenschaft verantwortlich. Leibowitz war Offizier der «Hagana» und im «Poel ha-dati» tätig, der religiösen Gruppierung innerhalb der Histadrut. Aufgrund seiner völligen Ablehnung des Parteisystems in Israel trat er nach Staatsgründung für eine absolute Trennung der jüdischen Religion vom Staat ein. 1962 gehörte er dem Komitee zur Entmilitarisierung des Nahen Ostens von Atomwaffen an. Seit 1967 äusserte Leibowitz heftigen Widerstand gegen die Annexion der im Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebiete. Leibowtz starb im Jahre 1998 in Israel.

Michael Schashar schrieb über Leibowitz: "Wir haben hier die Verkörperung des jüdischen Genius (ein Begriff dessen Berechtigung Leibowitz oft abstritt) in konzentrierter und prägnanter Form vor uns, wie er uns in den letzten Generationen in den Lehrhäusern Ost-Europas begegnete und wie wir ihn in unserer Generation auch an einigen wissenschaftlichen Akademien antreffen können. 

haGalil onLine 10-09-2000


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