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Juden in Spandau vom Mittelalter bis zur Zeit des Nationalsozialismus

Von Sascha Kindermann

Die erste Urkunde über die Anwesenheit von Juden in Spandau entstand 1307,3 doch weisen Inschriften auf Grabsteinen darauf hin, dass es schon 1244 einen jüdischen Friedhof, den "Judenkiewer", gab.4

Die Spandauer Gemeinde entwickelte sich im Mittelalter zur bedeutendsten zwischen Magdeburg und Breslau. Ihre überragende Bedeutung gegenüber der Berliner Gemeinde zeigt sich u.a. daran, dass sie über einen eigenen Friedhof,5 ein rituelles Bad und eine Synagoge verfügte. Noch heute wird auf der Spandauer Zitadelle die älteste und bedeutendste Sammlung mittelalterlicher jüdischer Grabsteine von Europa aufbewahrt.6 Von einer "Sammlung von europäischem Rang" sprechen Kaulen und Pohl.7

Der Straßenname "Jüdenstraße" bestand Bannasch zufolge seit spätestens 1537, was durch Aufzeichnungen, Stadtpläne, Katastereinträge u.ä. nachweisbar sei.8 Jauch datiert die Benennung auf "vor 1400".9 Damit gehört die Jüdenstraße zu den ältesten Straßen Spandaus.10

In ihr befand sich Berichten zufolge die Synagoge des Mittelalters, die zum ersten Mal 1342 in schriftlichen Zeugnissen erscheint.11 Möglicherweise wohnten viele Juden in der Umgebung des Gebäudes, denn sie "pflegten abgesondert von der ihnen meistens feindlich gesinnten christlichen Umwelt in enger Gemeinschaft zusammenzuleben." (Pohl) Es gibt jedoch allgemein für die märkischen Städte keinen Hinweis darauf, dass es ihnen vorgeschrieben gewesen wäre, ausschließlich in einem bestimmten Bezirk zu leben.12

Nach dem "Hostienschändungsprozess", der 1510 in der Mark Brandenburg durchgeführt wurde,13 richtete man auch Spandauer Juden hin. Anschließend wurden alle Juden aus der Mark vertrieben und darauf der erste jüdische Friedhof Spandaus zerstört.14 Mit diesem Vorgehen endete die Geschichte der Spandauer jüdischen Gemeinde des Mittelalters.15

Erst 1671 durften sich Juden erneut in Spandau ansiedeln, wobei sich jüdisches Leben erst wieder ab 1692 nachweisen lässt.16 Von Beginn des 18. Jahrhunderts an wurde eine neue Gemeinde aufgebaut.17 Ab 1806 - nach der Niederlage gegen das napoleonische Frankreich - erfolgte die "staatliche verordnete Emanzipation der Juden", die von "großen Teilen der Bevölkerung" (Pohl) abgelehnt wurde. Durch diese Maßnahme gelang es vielen Spandauer Juden, sozial aufzusteigen.18 1855 wurde die kleine Gemeinde auf Initiative der Regierung in eine Kreissynagogengemeinde eingegliedert.19 Aus dem Ortsverband dieser Kreisgemeinde ging bis 1894 wieder eine selbständige Gemeinde hervor,20 die sich in der Weimarer Republik auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung befand.21

Nicht lange nach dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, 1935, teilte der Berliner Oberbürgermeister den Bezirksbürgermeistern in einem Brief seine Absicht mit, "alle Straßen und Plätze Berlins umzubenennen, deren Bezeichnungen auf Juden zurückzuführen sind oder bei denen der Verdacht zu dieser Annahme besteht."22 Er forderte dazu auf, ihm Aufstellungen mit möglicherweise umzubenennenden Straßen zukommen zu lassen. In der Antwort Spandaus findet sich unter sechs Straßennamen auch die "Jüdenstraße".23

Etwa zwei Monate vor der Reichspogromnacht, am 17.9.1938, strichen die Nazis den Namen "Jüdenstraße" aus dem Spandauer Stadtbild und nannten die Straße "Kinkelstraße".24 Steinke hat den Prozess, der zur Umbenennung führte, untersucht und resümiert: "Die Umbenennung der [...] Jüden- in Kinkelstraße hat [...] eindeutig antisemitischen Charakter."25 Dies bezeugt auch der folgende Zeitungsartikel, der neun Tage nach der Namensänderung erschien.


Quelle: Spandauer Zeitung vom 26.9.1938.

In Grothes populärwissenschaftlichem Buch "Spandau im Wandel der Geschichte" erscheint die Umbenennung trotz ihres Zeitpunktes und der vorherrschenden antisemitischen Ideologie schlicht als rationalisierender Verwaltungsakt: "Um doppelte Straßennamen in Berlin zu vermeiden, wurde am 17. September 1938 die Jüdenstraße in Kinkelstraße [...] umbenannt."26 Vom antisemitischen Wahn der Nationalsozialisten findet sich hier keine Spur.27

Am 9.11.1938 wurde auch die Synagoge am Spandauer Lindenufer in Brand gesetzt. Die "Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik" (SGK) beschreibt diesen antisemitischen Zerstörungsakt mit einem Wort, das an den eher friedlichen Prozess des Verbrennens einer Leiche erinnert: Die "Synagoge [...] wurde am 9. November 1938 eingeäschert" (Thamm).28

Im selben Jahr wurde die Gemeinde aufgelöst.29 Der zweite jüdische Friedhof Spandaus musste 1940 aufgegeben werden, wobei die Bestatteten nach Weißensee überführt werden konnten.30 Die Gemeindemitglieder emigrierten oder wurden verfolgt und ermordet.31 Nur etwa 85 Spandauer Juden überlebten die Vernichtungspolitik,32 eine neue Gemeinde entstand nicht.33

Verlauf der Rückbenennungsdiskussion

Merkmale der Rückbenennungsdiskussion

Tag der Rückbenennung: 1. November 2002

Diskussion nach der Rückbenennung

Resümee

Verwendete Quellen

Anmerkungen:
3 Vgl. o.V.: Der Juden-Kiewer in Spandau. In: Hilker-Siebenhaar, Carolin (Hg.): Wegweiser durch das jüdische Berlin. Geschichte und Gegenwart. Berlin 1987, S. 285-287, hier S. 285.
4 Vgl. Jauch, Joachim: Wegweiser zu Berlins Straßennamen - Spandau. Berlin 1996, S. 218.
5 Die Berliner Juden setzten bis ins ausgehende Mittelalter ihre Toten in Spandau bei.
6 Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
7 Vgl. Kaulen, Alois / Pohl, Joachim: Juden in Spandau - vom Mittelalter bis 1945. Berlin 1988, Buchrückseite.
8 Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
9 Vgl. Jauch 1996, S. 218.
10 Vgl. Gäding, Marcel: Festakt nach "Juden raus"-Rufen beendet. In: Berliner Zeitung v. 2.11.2002c.
11 Vgl. Pohl, Joachim: Die jüdische Gemeinde zu Spandau im Mittelalter. 1988a. In: Kaulen / Pohl 1988, S. 14-32, hier S. 14ff. - Abweichend wird laut Jauch die Synagoge am Südende der Straße erstmals 1488 erwähnt. Vgl. Jauch 1996, S. 218f.
12 Vgl. Pohl 1988a, S. 14ff.
13 Vgl. Nachama, Andreas et al. (Hg.): Juden in Berlin. Berlin 2001, S. 13.
14 Vgl. o.V. (Der Juden-Kiewer in Spandau) 1987, S. 285.
15 Vgl. Pohl 1988a, S. 31.
16 Vgl. Pohl, Joachim: Juden in Spandau von der Wiederaufnahme in Brandenburg-Preußen bis zum Ende der Weimarer Zeit. 1988b. In: Kaulen / Pohl 1988, S. 33-76, hier S. 33.
17 Vgl. o.V. (Der Juden-Kiewer in Spandau) 1987, S. 287.
18 Vgl. Pohl 1988b, S. 35ff.
19 Vgl. ebd., S. 43.
20 Vgl. ebd., S. 45f.
21 Vgl. ebd., S. 65. - 1929 wurde eine umfassende Arbeit über die jüdische Gemeinde zu Spandau von Kohstall vorgelegt. Vgl. Kohstall, Franz: Aus der Chronik der Spandauer Jüdischen Gemeinde. Berlin 1929.
22 Zit. n. Steinke, Ulrich: Wie die Jüdenstraße in Spandau ihren Namen verlor. In: Jugendgeschichts-werkstatt Spandau (Hg.): Wie die Jüdenstraße in Spandau ihren Namen verlor und nicht wiedererhielt [?]. Schriftenreihe der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau, 97/I, Berlin 1997, S. 3-6, hier S. 3.
23 Vgl. ebd.
24 Zu Kinkel siehe unter 4.
25 Steinke 1997, S. 5.
26 Grothe, Jürgen: Spandau im Wandel der Geschichte. Die heimliche Hauptstadt des Havellandes. Berlin-Brandenburg 2000, S. 109. - Steinke zeigt zudem auf, dass auch damals üblicherweise Straßennamen, die mehrfach existierten, - wenn überhaupt - nur schleppend beseitigt wurden. Vgl. Steinke 1997, S. 5.
27 An anderer Stelle äußert sich dagegen ein besonderes Talent des Autors für die Schöpfung drastischer Sprachbilder. Die allgemeine, nicht verfolgte Bevölkerung erscheint als Opfer der "Schwingen des Krieges" und der "Krallen der Zeit, die auch Spandau trafen." Grothe 2000, S. 55.
28 Thamm, Rainer: o.T. In: forum (der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik Berlin) v. Oktober 2002,
http://berlin.spd.de
/servlet/PB/show/1020004/SGK%20forum%
20Nr.47%20Oktober%202002.pdf
.
29 Vgl. Kaulen, Alois: Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Juden in Spandau unter dem Nationalsozialismus. In: Kaulen / Pohl 1988, S. 77-170, hier S. 166-169.
30 Vgl. o.V. (Der Juden-Kiewer in Spandau) 1987, S. 287.
31 Vgl. Kaulen 1988, S. 166-169.
32 Vgl. eigenes Interview mit Bannasch, Karl-Heinz, 4.5.2004 / 9.6.2004.
33 Vgl. Kaulen / Pohl 1988, Buchrückseite.

hagalil.com / 08-02-2004


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