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haAwodah - die Arbeit
- Eine Schule in Tel Aviv - Jeder Tag bringt neues
- Viele zusätzliche Aktivitäten - Rollstuhl-Training
haAwodah - die Arbeit:
Eine Schule in Tel Aviv
Vor vier Monaten habe ich in der Beit Sefer
ONN angefangen als ASF-Freiwilliger. Freudig wurde ich von den Kindern,
Lehrerinnen und den anderen Mitarbeitern aufgenommen.
Meine Aufgabe ist einerseits die Mitarbeit in der
Klasse, das heißt, soweit dies meine sprachlichen Kenntnisse erlauben,
die SchülerInnen zu unterstützen beim Rechnen, Schreiben, Malen .... In
Mathe geht das natürlich noch recht gut, in Bibel-Kunde jedoch gar
nicht. Die Lehrerinnen und die russische Assistentin bemühen sich sehr,
mich einzubinden und mir alles zu erklären. Sei es bei der Gestaltung
des Klassenzimmers oder der Einzelunterstützung im Unterricht.
Der Grad der Behinderung der sieben SchülerInnen
weicht sehr voneinander ab. Drei können mit mehr oder weniger starken
motorischen Schwierigkeiten gehen, lesen, schreiben und auch sprechen.
Die anderen vier sitzen im Rollstuhl. Drei davon von Kindheit an, jedoch
können sie lesen, sprechen und mit Hilfe von Computer oder elektrischer
Schreibmaschine auch schreiben. Dem letzten im Bunde hat das Schicksal
vor drei oder vier Jahren übel mitgespielt: Meningococcen Enzephalitis
(Gehirnhautentzündung). Im Gegensatz zu vielen anderen, hat der heute
15jährige diese heimtückische Krankheit und die Behandlung überlebt.
Seitdem ist er an den schwersten Rollstuhl der ganzen Schule gefesselt,
spricht sehr röchelnd und hat immer einen philippinoschen Helfer dabei,
der sich um seine (künstliche) Ernährung und die Maschine kümmert, die
ständig Atmung usw. kontrolliert. Er fehlt auch recht häufig wegen
diverser Untersuchungen und Operationen.
In fast jedem Klassenzimmer gibt es einen mehr oder
weniger alten PC mit den üblichen Programmen und vielen Spielen. Oded
hat sich zum wahren Rennmeister in der Formel 1 hochgespielt. Mir bleibt
da meist die Spucke weg, da ich von Computerspielen nie viel verstanden
habe. In der Hitliste steht aber an oberster Stelle Amir. Das ist der
Name eines völlig an den Rollstuhl gefesselten Jungen. Er spricht gut
Englisch und hat mir alles gezeigt. Selber hat er noch nie gespielt,
jedoch spielt Oded häufig unter seinem Namen...
Jeder Tag bringt neues
Kein Tag folgt auf den anderen, ohne, daß nicht etwas neues
passiert oder etwas zumindest total anders erlebbar wurde. Auffallend
hilfsbereit sind die SchülerInnen zum Beispiel untereinander. In
"meiner" Klasse äußert sich das folgendermaßen: Avi, ein schmächtiger
Kerl (Epileptiker) macht den im Rollstuhl sitzenden mitdenkend die Türen
auf, oder auch Bücher, was eigentlich die Aufgabe der Assistentin wäre.
Oder der Tag nach dem Tode King Husseins: eine breite traurige
Stimmung, in mehreren Klassen wurde die Beerdigung gesehen. Die Kollegen
meinten danach nur, daß es fast schon an Rabins Beerdigung erinnere. Und
tags darauf hing in einigen Klassen sein Konterfei an der Wand. Einige
Zeitungen hatten es in Posterformat geliefert. Für die Israelis zählt
King Hussein zu den großen Friedensstiftern im Nahen Osten. Dieser hat
den Sprung vom Feind im Kriege, vor allem im Sechs-Tage-Krieg 1967, zum
Freund geschafft. Dies verdankt der Mann seiner Menschlichkeit. Denn
nachdem ein jordanischer geisteskranker Soldat mehrere israelische
Kinder bei einem Schulausflug am Jordan erschossen hatte, kam der König
persönlich zu den Familien, um ihnen sein Mitgefühl auszudrücken. Das
hat die Israelis tief bewegt.
Viele zusätzliche Aktivitäten
Die schulischen Aktivitäten reichen sehr weit. Dazu gehören
auch regelmäßige Besuche von "normalen" SchülerInnen in Beit Sefer ONN.
Damit soll den anderen gezeigt werden, was bei uns so läuft und wie
unsere Kinder lernen und leben.
Mitte März haben ein Dutzend ONN-SchülerInnen eine Schule in Ramat
HaSharon besucht, einer Stadt nördlich von Tel Aviv. Gemeinsam mit den
SchülerInnen, die eine Woche vorher bei uns waren, haben sie alle
Klassen über unsere Schule und cerebrale Lähmung informiert. Das Gehirn
der Kinder wurde durch Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr vor oder
während der Geburt nachhaltig und unregenerierbar geschädigt.
Ausgesprochen interessiert haben die SchülerInnen dort zugehört und auch
ein paar Fragen gestellt. Im Schulhof fand danach zu meiner Überraschung
ein kleines Konzert mit einem ziemlich bekannten Musiker Israels statt,
von dem danach alle ein Autogramm haben wollten. Am Ende waren die
Kinder nur enttäuscht, daß die Zeit dort schon um war.
Rollstuhl-Training
Meine zweite Aufgabe besteht darin, einzelnen SchülerInnen
anderer Klassen physio- oder ergotherapeutisches Spezialtraining
angedeihen zu lassen. Dazu möchte ich diesmal Nomi vorstellen: Sie ist
14 Jahre alt, kann nicht sprechen und nur einen mißfallen ausrückenden
weinerlichen Laut und einen eher freudigen zustimmenden von sich geben.
Um zu verstehen, wie sie sich fühlt und was sie machen möchte, muß man
ihr Fragen stellen, die sie mit ja oder nein beantworten kann. Dazu hebt
sie die rechte (ja) oder linke (nein) Hand etwas hoch.
Wie man hoffentlich auch auf dem Photo erkennt, sitzt sie immer im
Rollstuhl und ist für alles auf Hilfe angewiesen. Mit ihr gehe ich
spazieren, daß heißt sie fährt einen elektrischen Rollstuhl und ich gehe
nebenher und passe auf, daß nichts passiert, keine Blumentöpfe
umgeworfen oder andere Kinder angefahren werden.
Da
Nomi keine größere Bewegung ausführen kann, dienen mehrere Button als
Hilfestellung. Rechts und links am Kopf und jeweils über den Händen
werden die Button angebracht. Wenn sie die rechte Hand leicht anhebt und
den Button berührt, fährt sie geradeaus. Mit der anderen Hand nach links
und an der rechten Kopfseite nach rechts. Je nachdem wie lange und wie
fest sie drückt, desto weiter fährt sie. Die Geschwindigkeit und Kraft
läßt sich extern regeln. Das ist auch notwendig, da Nomi sonst die Rampe
vom Vorplatz in das Hauptgebäude nicht überwinden könnte. So einfach
darf man sich das jedoch nicht vorstellen. Es muß schon etwas
revolutionäres für das Kind sein, wenn es sich plötzlich selbständig
bewegen kann. Den restlichen Tag sitzt sie rum und ist auf andere
angewiesen, um auch nur den Standort um fünf Zentimeter zu verlegen.
Etwas eigensinnig benimmt sie sich schon und ich muß ihr gut zureden,
bis sie sich zumindest in die Richtung bewegt, wohin ich sie haben will.
Da alle Schritte sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, muß ich vor allem
darauf achten, keine Durchgangswege zu besetzen, da man nie weiß, wie
schnell sie in der Lage oder gewillt ist, den Stau aufzulösen. Da sie
sich ja nicht mitteilen kann, bleibt ihre Gedankenwelt unergründlich.
Manchmal bleibt sie auch während eines Spazierganges stehen, scheint
andere Kinder zu beobachten oder zu träumen, irgendwie abwesend. Auch
die Therapeutinnen stehen vor einem Rätsel. Doch wenn man Nomi genauer
kennenlernt, stellt man fest, daß sie recht smart ist. Mir scheint, daß
ich einen recht guten Zugang zu ihr gefunden habe. Das hängt vor allem
auch mit der Sprache ihres Elternhauses zusammen, denn dort wird wohl
fast ausschließlich Französisch gesprochen.
Nachdem ich dies erfahren hatte, habe ich begonnen, mit ihr
Französisch zu reden und hab dadurch wenigstens eine leichte Steigerung
feststellen können, was die Umsetzung der von mir gestellten Aufgaben
anbelangt. So kommt es mittlerweile manchmal vor, daß mich die
Assistentinnen ihrer Klasse bitten, ihr Fragen zu stellen oder sie zum
Essen zu bewegen. Nach unserem Training möchte sie meistens nicht mehr
zurück in die Klasse und mir bleibt es überlassen, zu überlegen, was sie
gerne machen würde. Irgendwann meinte sie, daß sie jetzt gerne etwas
spielen würde. Einfacher gesagt, als getan, denn sowohl Basketball, als
auch Fußball hat sie lachend abgelehnt. Aber nachdem mich die
Sportlehrerin aufgefordert hatte, zu überlegen, wie man mit Nomi etwas
spielen könne, hab ich etwas gefunden: Einen großen aufgeblasenen Ball,
den sie vor sich her schubsen beziehungsweise schieben kann. Sie hat das
gleich begeistert ausprobiert und zeigte sich etwas enttäuscht, daß es
nun schon wieder vorbei sei. Wenn ich die von der Therapeutin
vorgegebene Zeit von ungefähr 20 Minuten auch schon um das zwei bis
dreifache überschritten habe, läßt ihre Konzentration nach einiger Zeit
ziemlich nach. Mittlerweile gehöre ich zu den wenigen Leuten, die von
ihr mit einem Lächeln begrüßt werden. Nomi scheint sich meist sehr auf
die Bewegung zu freuen. Mich fordert das jedesmal aufs neue heraus, zu
versuchen sie zu motivieren. Auch macht es mich sehr zufrieden, zu
sehen, wie sie sich amüsiert und teilweise königlich lacht über meine
Kommentare, Diskussionen mit ihr oder anderen Kindern...
Diese kindliche unbeschwert scheinende Freude macht das Leben hier
fröhlicher. Insgesamt muß ich sagen, daß soviel wie in der Schule selten
irgendwo gelacht wird, und dass das Lachen immer einen positiv-freudigen
Charakter hat, Schadenfreude kennen die Kinder nicht.
Tobias, Tel Aviv
Politik:
Ein kleiner Ausflug die Demokratie und die Wahlen
haGalil
onLine - Freitag 09-04-99 |