Katholischer
Antisemitismus in Auschwitz
"Po-lin" bedeutet "Hier nächtige!"
Mit diesem hebräischen Wort für
Polen beginnt im Talmud der Satz: "Hier wollen wir nächtigen, bis Gott
die Verstreuten abermals sammeln läßt."
Auschwitz liegt mitten in Polen. da, wo vor
dem Krieg die größte Diaspora Europas lebte, über drei Millionen Juden.
Sie kamen in das "Land
Kanaan an der Weichsel", weil sie im Westen Europas ihres
Lebens nicht mehr sicher waren. Sie kamen aus dem Zarenreich, wo
Überfälle auf Juden das später in aller Welt gebräuchliche Wort "Pogrom"
entstehen ließen. Die polnischen Fürsten und Könige aber boten über
Jahrhunderte hin Schutz. Daß die Mörder ihnen aus dem Westen nachsetzen
würden und daß sich das "Land Kanaan" in den größten Friedhof der Juden
verwandeln würde, das hatte niemand geahnt.
Im Zweiten Weltkrieg ermordeten die Deutschen
fast alle Juden Polens. Als 1946 der Mob in
Kielce auf das Gerücht "Die Juden ermorden unsere Kinder"
42 Überlebende des Holocaust tötete, entschuldigte der Primas Polens,
Kardinal Hlond, den Haß der Katholiken: "Mehr als ein Jude verdankt den
Polen und den polnischen Priestern ihr Leben. Daß dieses gute Verhältnis
nun kaputtgeht, haben die Juden selbst zu verantworten, da sie den Polen
eine Staatsform aufzwingen wollen, die diese ablehnen". Juden waren für
Hlond keine Polen.
Als die kommunistische Regierung das
ehemalige KZ Auschwitz als "Museum" wiedereröffnete, hatte sie jede
Erinnerung an die polnischen Juden getilgt. In den Gaskammern waren nach
offizieller Lesart über vier Millionen Polen und Menschen andere
Nationen umgekommen. In ihren Predigten schlossen sich die katholischen
Priester Polens dem Sprachduktus der Kommunisten an. Auschwitz wurde zum
Symbol des Märtyrertums der Polen.
Der
Streit um das Kreuz in Auschwitz geht auf diesen Pakt der
Katholischen Kirche mit den Kommunisten zurück. Noch zum 50.Jahrestag
der Befreiung des KZs wußten einer Umfrage zufolge nur acht Prozent
aller Polen, daß in Auschwitz vor allem polnische Juden umgekommen
waren. Die meisten Befragten waren überzeugt, daß die Nazis in Auschwitz
vor allem polnische Katholiken ermordet hatten. Als 1984 deutsche und
belgische Katholiken für die "Festung Gottes" in Auschwitz sammelten und
das Karmeliter-Kloster höchst erfolgreich als "Unterpfand der Bekehrung
unserer verirrten Brüder" anpriesen, protestierten Juden in aller Welt
gegen die "Christianiserung der Shoa". Die Katholiken in Polen und
Westeuropa mimten die Unschuldigen: "Was können die Juden gegen das
Gebet von ein paar Nonnen haben?" Und daß diese ausgerechnet im
ehemaligen Lagerhaus der SS für das Giftgas Zyklon B sowohl für Täter
wie Opfer beten wollten, fanden die Christen auch korrekt: "Ja, wenn es
die Nonnen nicht stört."
Juden wollen nicht, daß Christen für das
Seelenheil von Juden beten. Schließlich beten sie auch nicht darum, daß
die Christen endlich ihrem Irrglauben an den falschen Messias
abschwören. Doch den Hierarchen in Polen ist nicht an einer Versöhnung
mit den Juden gelegen. Sie führen - als habe der Holocaust nie
stattgefunden - ihren antisemitischen Kampf aus der Vorkriegszeit und
den Jahrhunderten der "Judenmissionierung" bis heute fort. Als die Juden
in Polen Schutz suchten vor den Verfolgungen im Westen, da erhob sich
auch dort wieder der altbekannte Gegner: die katholische Kirche. Richtig
Erfolg hatte diese aber erst in der Zeit der Teilungen, als Polen am
meisten unter den orthodoxen Russen und den protestantischen Preußen zu
leiden hatte. Damals enstand das Stereoptyp "Pole = Katholik". Das Wort
"narod" - "Volk" begann sich zu differenzieren: "my"-"wir", das waren
die polnischen Katholiken, und "oni"-"sie", das waren die anderen, die
Preußen, die Russen, die Östereicher und - die polnischen Juden. Im 19.
Jahrhundert, mit der Industrialisierung Polens, kommt die "Jüdische
Frage" auf. Die "Lösungsvorschläge" ähneln denen in Deutschland:
Assimilierung, Emigration und "Madagaskar".
Nach dem ersten Weltkrieg läßt der
Franziskaner-Pater Maximilian Kolbe in zwei katholischen Massenblättern
gegen Juden hetzen. Da Polen das "biologische Hauptreservoir" des
Weltjudentums sei, das "sich wie ein Krebsgeschwür in den Volkskörper
frißt", gebe es nur eine Lösung: "Die Juden müssen emigrieren". 1982
sprach Papst Johannes Paul II. Pater Kolbe heilig. Dieser war als
"Märtyrer" in Auschwitz für einen anderen Katholiken in den Tod
gegangen.
Die katholische Kirche Polens hat sich
gegenüber ihren Gläubigen nie von antisemitischen Predigten distanziert.
Die Annahme, daß ein "Antisemitismus ohne Juden" keinen Schaden
anrichten könne, da die polnischen Juden ja entweder von den Deutschen
ermordet oder ins Ausland emigriert sind, erweist sich als falsch: Er
schadet der katholischen Kirche selbst.
Gabriele Lesser Warschau,
14.8.1998
Hintergrund:
Radio Maryja
Einer der Protagonisten der
'Kreuz-Kampagne' ist Tadeusz Rydzyk, Priester und Chefredakteur von Radio
Maryja
Das Etikett „Liberalenhammer“ hat sich Pater
Tadeusz Rydzyk selbst gegeben. Als Chefredakteur von „Radio Maryja“ hat
er sich vorgenommen, bei jeder Gelegenheit auf die Liberalen, die
Freimaurer, Atheisten, Juden und Kommunisten einzuschlagen. In seinen
landesweit ausgestrahlten Kommentaren, die das Programm aus Gebeten und
Kirchenliedern unterbrechen, will er dazu beitragen, das Vaterland vor
bösen Einflüssen vor allem aus dem Westen zu schützen. Mit dem
Schlachtruf „Alleluja, volle Kraft voraus!“ hat Rydzyk zur Wallfahrt zur
Gedenkstätte Auschwitz aufgerufen, um den Nationalkatholiken
beizustehen, die dort mehrere Dutzend Holzkreuze aufgestellt und somit
Proteste jüdischer Organisationen hervorgerufen haben.
Rydzyk und sein Sender, dessen Lizenznehmer
der Orden der Redemptoristen in Thorn ist, erreichen täglich drei bis
vier Millionen Polen; Untersuchungen zufolge sind die meisten im
Rentenalter und wenig gebildet. Aber sie machen rund ein Fünftel der
Wähler aus. Rydzyk ist somit der vielleicht einflußreichste Priester in
Polen geworden. Denn seine Zuhörer verehren ihn als Missionar, der
Wahrheiten ausspricht, vor denen sich der hohe Klerus drückt. Er sieht
seine Mission gerade auch in der Politik: Über den Sender hat er die
„Polnische Familie“ gegründet. Diese Vereinigung organisiert
beispielsweise Rosenkranzandachten vor den Wohnungen liberaler
Abgeordneter, die gegen das Verbot der Abtreibung stimmten (Rydzyk:
„Verbrecher, denen man den Kopf scheren sollte wie den Nazi-Liebchen
nach dem Krieg“), und gibt Wahlempfehlungen ab. Nach den letzten
Sejm-Wahlen bekannten sich zwei Dutzend Abgeordnete der konservativen
Wahlaktion Solidarität (AWS) zur „Familie“ des Paters. Da der ebenfalls
der AWS angehörende Premier Jerzy Buzek ihnen zu liberal ist und
außerdem evangelisch, haben einige von ihnen bereits die Fraktion
verlassen. Sollten weitere nachfolgen, so ist die liberalkonservative
Koalition in Warschau ernsthaft gefährdet.
Der Ordenspriester, vor 53 Jahren im
südpolnischen Olkusz geboren, versteht sich als Vox populi – keineswegs
zu Unrecht. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, namentlich auf dem
Lande, gehört jenem „anderen düsteren Polen“ an, frönt einem obskuranten
Klerikalismus, ist antisemitisch und fremdenfeindlich eingestellt. Neben
den Juden hat Rydzyk es besonders auf die Deutschen abgesehen – wohl
aufgrund seiner Erfahrungen im Schwäbischen, wo er fünf Jahre als
Aushilfspfarrer arbeitete, bis die deutschen Behörden 1991 seine
Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängerten. Zurück in der Heimat gründete
er „Radio Maryja“, das als Privatsender firmiert. Zunächst erhielt er
viel Lob vom Episkopat. Mittlerweile aber hat sich die Kirche offiziell
von ihm distanziert, nicht zuletzt auf Druck des Vatikans. Als Rydzyk
vergangenes Jahr in Erwartung einer Privataudienz bei Johannes Paul II.
an der Spitze einer Pilgerschar nach Rom fuhr, empfing ihn nur ein
Sekretär des Papstes und beschied ihn: „Die Sprache des Senders ist
unchristlich.“ Die Ermahnungen fruchteten allerdings nicht. Rydzyk
hämmert weiter.
Thomas Urban - SZ IM PROFIL vom
10.08.1998

haGalil onLine -
Samstag, 14. Dezember 2013 |