Geschichtlicher Überblick:
Jüdisches Leben in München gestern und heute
Die Quellenlage ist nicht ganz zweifelsfrei, jedoch ist
unter Historikern unbestritten, dass sich in München bereits kurz nach der
Stadtgründung 1158 auch Juden ansiedelten. Jüdisches Leben scheint schon für
das Jahr 1210 beurkundet; Herzog Max genehmigte den Bau einer Synagoge im
"Judengäßlein". Die erste namentliche Erwähnung ist "Abraham der Municher"
und datiert auf das Jahr 1229.
Im 14. und 15. Jahrhundert wechselten sich Wachstum der
jüdischen Gemeinschaft und Pogrome ab, bis 1442 jüdisches Leben aus ganz
München und Oberbayern vertrieben wurde. Urkundlich sind Pogrome und
Vertreibungen für die Jahre 1285, 1345, 1349, 1413, 1442 und 1715
dokumentiert.
Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siedelten sich Juden wieder
in der Stadt an. Ihre Stellung in der Gesellschaft verbesserte sich unter
dem Einfluss der "Judenemanzipation" nach der Französischen Revolution aber
nur sehr langsam. Von 1806 an, unter der Regentschaft des Wittelsbachers Max
I. Joseph, änderte sich die Situation für die jüdische Gemeinschaft. Die
Vorschriften, unter denen Juden im Königreich Bayern lebten, waren zwar
restriktiv und rigide, sie schufen jedoch endlich eine Rechtssicherheit, die
ein geregeltes Leben möglich machte. Dementsprechend stark wuchs die
jüdische Gemeinschaft in Bayern.
Ein Meilenstein im jüdischen Leben war 1815 die Gründung der "Israelitischen
Kultusgemeinde München". Ein Jahr später erhielt die Gemeinde die Erlaubnis
zur Anlage eines Friedhofs und 1824 wurde mit dem Bau einer Synagoge an der
Westenriederstraße 7 endlich ein lang ersehntes Ziel der Jüdischen Gemeinde
erreicht. Die Synagoge sollte die über das Stadtgebiet verstreuten privaten
Beträume ablösen, die in den Augen der Behörden unkontrollierbare
"Winkelzusammenkünfte" darstellten. Die Verbannung an den Stadtrand
verhinderte jedoch einen repräsentativen Kultbau in der Innenstadt, mit dem
die Juden ihre Emanzipation hätten dokumentieren können.
Jahre der Entwicklung 1872 – 1920
Den entscheidenden Impuls für jüdisches Leben in Bayern
lieferte im Jahr 1872 die rechtliche Gleichstellung aller jüdischen
Bürgerinnen und Bürger. Die Jüdische Gemeinde in München entwickelte sich
nun mit hoher Geschwindigkeit. Auf Betreiben König Ludwigs II. wurde 1882
ein Grundstück gegenüber der Maxburg für den Neubau einer Hauptsynagoge zur
Verfügung gestellt.
Dieser beeindruckende, nach Plänen von Albert Schmidt an der
Herzog-Max-Straße im Stil der Neuromanik konzipierte Langbau wurde am 16.
September 1887 feierlich mit zahlreichen offiziellen Gästen eingeweiht. In
unmittelbarer Nähe zur Frauenkirche im Zentrum Münchens gelegen, galt die
neue Hauptsynagoge bis zu ihrer Zerstörung als einer der schönsten
Synagogenbauten Europas und war gleichzeitig drittgrößte Synagoge
Deutschlands. Der Prachtbau stand anderen Sakralbauten in nichts nach und
verlieh der Gemeinde ein neues Selbstbewusstsein: Endlich musste man sich
nicht mehr verstecken oder in der Vorstadt versammeln. Dieser zentrale Ort
dokumentierte gleichzeitig die Akzeptanz und die Bedeutung der Juden im
gesellschaftlichen und politischen Leben Münchens. Die Zeit der Integration
schien angebrochen.
Aufgrund zahlreicher Pogrome setzte zeitgleich eine starke
Zuwanderungsbewegung aus dem östlichen Europa ein, so dass die Zahl der
jüdischen Bevölkerung Münchens nach der Jahrhundertwende rapide anstieg. Im
Jahr 1910 gehörten von etwa 590.000 Einwohnern der Stadt 11.083 dem
jüdischen Glauben an – also knapp zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Eine
große Zahl jüdischer Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Kaufleute
und Politiker bereicherte das kulturelle Leben und trug entscheidend zum
internationalen Ruf Münchens bei.
Persönlichkeiten wie Lion Feuchtwanger, Bruno Walter, Hermann Levi, Max
Reinhardt, Julius Spanier, Max Littmann, Otto Bernheimer, Kurt Eisner und
viele andere mehr lebten und wirkten in der Stadt.
Repression, Vertreibung, Tod 1920 – 1945
Doch bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts
begann das Leben für Juden schwieriger zu werden. Die Spannungen nahmen zu,
es kam zu rücksichtslosen Ausweisungen polnischstämmiger Juden. Die Trupps
der SA organisierten Übergriffe gegen jüdische Geschäfte und Personen. Im
Januar 1933 begannen massive, staatlich verordnete Repressionen, die später
in den Rassegesetzen mündeten und der Vernichtung der Juden Europas den Weg
bereiteten. 1936 hatte die jüdische Gemeinde noch 9000 Mitglieder, zwei
Jahre später war die Zahl bereits um die Hälfte gesunken.
In ihrer Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Hauptsynagoge an der
Herzog-Max-Straße am 5. September 1937 sah sich die Israelitische
Kultusgemeinde zu den Worten veranlasst: "Die 50. Wiederkehr dieses Tages
festlich zu begehen, ist heute nicht die Zeit." Kaum ein Jahr später wurde
das Symbol der Präsenz der Juden in München zerstört. Adolf Hitler
persönlich gab am 7. Juni 1938 den Befehl, die Hauptsynagoge abzubrechen.
Bereis am Morgen des 9. Juni 1938 wurde mit den Arbeiten begonnen. "Ein
Schandfleck verschwindet", kommentierte das Propaganda-Blatt "Der Stürmer"
hämisch die Zerstörung der Hauptsynagoge, die "aus verkehrstechnischen
Gründen" einem Parkplatz weichen musste. Die zum Synagogenkomplex gehörenden
Gebäude sollten ursprünglich ebenfalls abgebrochen werden, wurden dann
jedoch von der SS übernommen und ausgerechnet vom "Lebensborn e.V." genutzt.
Die "Reichspogromnacht" am 9. November 1938 nahm ihren Anfang mit einer
Hetzrede von Joseph Goebbels im Alten Rathaus in München. Die Synagoge "Ohel
Jakob" an der Herzog-Rudolf-Straße brannte aus, die Synagoge in der
Reichenbachstraße blieb aufgrund der engen Nachbarschaft und dichten
Bebauung des Gärtnerplatzviertels von der Brandschatzung verschont. Von
diesem Zeitpunkt an fehlten im Adressbuch Münchens sämtliche Synagogen und
Einrichtungen der Israelitischen Kultusgemeinde. Auf dem Papier hatten die
Juden Münchens damit bereits aufgehört zu existieren. Es folgten Jahre der
Diffamierung, Vertreibung, Deportation und Vernichtung.
Neubeginn 1945 – heute
Doch das jüdische Leben kehrte nach der Befreiung
Deutschlands von der Nazi-Diktatur in die einstige "Hauptstadt der Bewegung"
zurück. München war Auffangstation für so genannte "displaced persons",
Juden und Verfolgte des Nazi-Regimes. Nur ein Bruchteil davon war aus
Konzentrationslagern befreit worden, ein größerer Teil stammte aus Osteuropa
dazu kamen noch zahlreiche jüdische Flüchtlinge aus allen Teilen Europas.
Für viele sollte München nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach
Palästina, in die USA oder andere Länder sein. Bereits im März 1946 zählte
die Jüdische Gemeinde Münchens dennoch wieder rund 2800 Mitglieder.
Allmählich wurde auch München für Juden wieder zur Heimat. Die am 19. Juli
1945 neu gegründete Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern
(IKG) konnte am 20. Mai 1947 die wiederhergestellte Synagoge in der
Reichenbachstraße 27 einweihen. Bis zum heutigen Tage ist hier, im
ehemaligen jüdischen Altersheim, der Sitz der IKG.
Bis Ende der 1980er Jahre stieg die Mitgliederzahl der Jüdischen Gemeinde
wieder auf rund 4000. Im Lauf einer weiteren Dekade verdoppelte die Gemeinde
die Zahl ihrer Mitglieder auf knapp 8000 – in diesem Jahr wurde die Schwelle
von 9000 Mitgliedern überschritten.
Die Gemeinde verfügt über alle Institutionen und die nötige Infrastruktur,
um den Erhalt der jüdischen Tradition sowie die Religionsausübung der
Münchner Juden zu gewährleisten. Die IKG unterhält dazu in der Stadt drei
Synagogen, zwei Mikwaot (rituelle Tauchbäder), eine koschere Metzgerei, ein
koscheres Restaurant, einen Kindergarten, eine Grundschule mit Hort, ein
Jugend- und Kulturzentrum, ein Seniorenheim, eine Bibliothek, eine
Integrationsabteilung für Neuzuwanderer aus den Staaten der ehemaligen
Sowjetunion, eine Sozialabteilung und zwei Friedhöfe.
Die Israelitische Kultusgemeinde umfasst als Einheitsgemeinde jüdische
Mitglieder jeglicher religiöser Ausrichtung und wird gemäß den Regeln der
Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, geführt.
Da alle Einrichtungen der IKG über die Stadt verteilt sind, sehen sich die
Verantwortlichen vor große finanzielle und sicherheitstechnische Aufgaben
gestellt. Gebäude und Räumlichkeiten, die dem umfangreichen Tätigkeitsprofil
der IKG nicht entsprechen, sind ein großes Problem für die stark wachsende
Gemeinschaft.
Für das urbane, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Stadt wie für die
Gemeinde selbst ist die Errichtung des neuen Zentrums, bestehend aus
Hauptsynagoge, Jüdischem Museum und Jüdischem Gemeinde- und Kulturzentrum,
ein Impuls von historischer Bedeutung. Der Bau des Jüdischen Zentrums
inmitten der Stadt am Jakobsplatz wird jüdischem Leben in München wieder den
Stellenwert schaffen, den es vor seiner Vernichtung hatte.
9. November 2006:
Feierliche Eröffnung der neuen
Hauptsynagoge München
In Münchens Mitte, am Jakobsplatz, entsteht das
Jüdische Zentrum München, ein offenes Ensemble aus Hauptsynagoge,
Gemeindehaus und Jüdischem Museum...
12. November 2006:
"Tag der Begegnung" im
Jüdischen Zentrum am Jakobsplatz
Die Münchner Jüdische Gemeinde ist nach 68 Jahren wieder sichtbar ins Herz
der Stadt München zurückgekehrt. Dies wird gefeiert. Mit einem vielseitigen
Programmangebot werden alle interessierten Münchner willkommen geheißen...
Geschichte verpasster Gelegenheiten:
Jüdisches München
"Vom Mittelalter bis zur Gegenwart" verfolgen die Autoren des Bandes
"Jüdisches München" die Geschichte und Geschichten der Münchner Juden – von
ersten Zeugnissen einer Ansiedlung im frühen 13. Jahrhundert über die
Emanzipation seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und die daran anschließende
Vertreibung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten bis hin zur
Neugründung der Gemeinde gleich im Juli 1945 und ihrer Fortentwicklung bis
heute...
Leseprobe:
Jüdisches München
Natürlich war München nie jüdisch, so wie es etwa katholisch, bayerisch oder
bierselig ist. (...) Dennoch gab es ein "jüdisches München" in dem Sinne,
daß in den letzten beiden Jahrhunderten Menschen jüdischer Herkunft das Bild
der Stadt entscheidend mitgestaltet haben...
Die Reichenbachschul:
Die älteste Münchner
Synagoge
Am vergangenen Samstag wurde in der Synagoge in der Münchner
Reichenbachstrasse der letzte G'ttesdienst gefeiert. Am kommenden Wochenende
wird die neue Synagoge am Jakobsplatz eingeweiht...
Große Herausforderung:
Die
Integrationsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde München
Die nunmehr seit 15 Jahren andauernde Zuwanderung der Juden aus der
ehemaligen Sowjetunion stärkt die Israelitische Kultusgemeinde nicht nur
quantitativ. Die Menschen, die nach München kommen, bereichern das
Gemeindeleben und bringen große Potentiale für das gesellschaftliche Leben
in Deutschland mit...
Jüdische Grundschule:
Die Sinai-Schule der
Israelitischen Kultusgemeinde München
Die Sinai-Schule ist eine konfessionelle, staatlich anerkannte Grundschule.
Sie wurde vor 30 Jahren gegründet und unterrichtet etwa 150 Schüler in zwei
Zügen...
Begegnungsstätte:
Das Jugend- und
Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München
Das Jugend- und Kulturzentrum besteht in seiner heutigen Form seit 1983.
Vorläufer war das 1957 in der Möhlstraße 14 eröffnete "Heim der jüdischen
Jugend", hebräisch "Maon Hanoar" genannt...
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