Youssouf Fofana gefasst:
Chef der "Gang der Barbaren" festgenommen
Von Bernhard Schmid, Paris
In der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag
konnten die Kriminalpolizei des westafrikanischen Staats Côte
d'Ivoire (Elfenbeinküste) den mutmaßlichen Chef der "Gang der
Barbaren", Youssouf Fofana, festnehmen. Der wahrscheinliche
Gruppenguru und Anstifter jener Vorstadtgang, die den jungen
französischen Juden Ilan Halimi entführt, festgehalten und gefoltert
hatte, hatte sich in der Vorwoche in das Herkunftsland seiner Eltern
abgesetzt. Sein Fluchtversuch wurde jedoch vereitelt, da die
Behörden der Côte d'Ivoire trotz bestehender zwischenstaatlicher
Spannungen mit Frankreich in dieser Frage einwandfrei
kooperierten.
Fofana wurde in einem Unterschichtsviertel der ivoirischen
Wirtschaftsmetropole, Abidjan, aufgegriffen und den beiden
Ermittlern der französischen Kriminalpolizei übergeben, die seit
Montag abend in dem westafrikanischen Land unterwegs sind. "In den
nächsten Stunden", so der französische Premierminister Dominique de
Villepin, ist mit seiner Rückführung nach Frankreich zu rechnen.
Seiner Aussage wird kapitale Bedeutung dabei zugemessen, die genauen
Hintergründe und Motive der Tat zu durchleuchten.
Der französische Staatspräsident Jacques Chirac wird am Donnerstag
Abend an der Gedenkzeremonie für Ilan Halimi teilnehmen, die in der
Grande Synagogue de la Victoire dem größten jüdischen Gotteshaus
der Hauptstadt in Paris stattfindet. Damit erhält die Zeremonie
"nationalen Charakter", wie der öffentliche Rundfunksender Radio
France Info formulierte. Zeitgleich wird in der Pariser Vorstadt
Bagneux, wo Ilan Halimi in einer Hochhauswohnung und später im
Heizungskeller desselben Gebäudes festgehalten worden war, ein
Schweigemarsch stattfinden.
Unterdessen geht die Mobilisierung für die Demonstration am Sonntag
Nachmittag weiter; zu ihr rufen inzwischen zahlreiche Vereinigungen
(Antirassismusgruppen oder die dereinst anlässlich der
Dreyfus-Affäre gegründete "Liga für Menschenrechte" LDH u.a.) wie
auch politische Parteien die konservative Regierungspartei UMP,
die Sozialdemokraten und die Kommunistische Partei auf. Der
Zentralrat der französischen Juden, CRIF, ruft von Anfang an
ebenfalls zur Teilnahme auf. Im Laufe der Demonstration, die an der
ehemaligen Arbeitsstätte Ivan Halimis im 11. Pariser Arrondissement
vorbei führen soll, wird es zu einer Kranzniederlegung kommen.
Französische offizielle Stellen sprechen, ebenso wie die Presse
(etwa der Leitartikel von "Le Monde" in ihrer Donnerstagsausgabe)
inzwischen unverhohlen von antisemitischen Beweggründen der Tat.
Anfänglich hatten sie sich in dieser Hinsicht zurückhaltend
verhalten. Dies hatte mehrere Gründe: Erstens hatte es in jüngerer
Vergangenheit mehrfach "Fehlalarm" über Taten mit vermeintlichem
antisemitischem Hintergrund gegeben, welch letzterer sich dann aber
als fingiert herausstellte. Besonders im Gedächtnis geblieben ist
die "Affäre des (Vorortzugs) RER D" vom Juli 2004, in der eine junge
Frau angab, aus antisemitischen Motiven attackiert und verletzt
worden zu sein die Betroffene war jedoch eine (nicht jüdische)
Mythomanin und hatte als eine Art Trittbrettfahrerin die
Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen.
Zum Zweiten hatten die Behörden ursprünglich befürchtet, die
"interkommunitären" Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen
anzuheizen. Dazu trug die Überlegung bei, es könne möglicherweise zu
ungewollten Solidarisierungseffekten kommen, wenn von Anfang an "zu
deutlich" auf den mit rein kriminellen Motiven vermischten -
antijüdischen Hintergrund der Tat hingewiesen werde. Das allgemeine
Entsetzen, das sich seit dem vorigen Wochenende ausbreitete, hat
diese Befürchtung jedoch inzwischen in den Hintergrund gedrängt.
Ferner war die Furcht vor einem Anstieg "ethnisch-religiös "
motivierter Spannungen aber auch mit Ereignissen vom vorigen Sonntag
verbunden, über die Le Monde erstmals in ihrer Donnerstagsausgabe
ausführlicher berichtete. Am Rande des Schweigemarschs im östlichen
Pariser Zentrum, an dem vorigen Sonntag zwischen 1.000 und 2.000
Personen teilnahmen, hatten sich junge Anhänger rechtsextremer
jüdischer Bewegungen der "Jüdischen Verteidigungsliga" LDJ, des
Ablegers der (in den USA und Israel verbotenen) rassistischen
Kach-Bewegung hervorgetan. Sie hatten die Auslagen "arabischer"
Geschäfte verwüstet und einen schwarzen Passanten durch die Straben
gejagt. In ihren Augen reduziert sich die Mordtat der "Gang der
Barbaren" auf folgende Komponente: "Junge Araber und Schwarzen haben
einen Juden getötet".
In Wirklichkeit war die Gang aber "ethnisch gemischt" und wies
Mitglieder unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft von Franzosen
westafrikanischer und maghrebinischer Abstammung bis zu "Weiben"
französisch-christlicher Herkunft auf, wie dies in vielen
Vorstadtbanden üblich ist. Es besteht keine Ursachenzusammenhang
zwischen der "ethnischen" Herkunft einzelner Gangmitglieder und dem
Verbrechen, ebenso wie keinerlei Zusammenhang zu den Unruhen in den
französischen Banlieues vom November 2005 besteht. In Bagneux, wo
Ilan Halimi gefangen gehalten worden war, war es damals absolut
"ruhig" geblieben.
Die Publikationen der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich sind an
diesem Donnerstag zu groben Teilen der Mordaffäre Ilan Halimi
gewidmet. Die Wochenzeitung Actualité Juive übertitelt ihre Ausgabe
vom 23. Februar : "Antisemitische Barbarei: Unser Kind ermordet".
Die Organisationen der jüdischen Gemeinschaften zeigen sich umso
erschütterter, als die Mutter Ilan Halimis als Rezeptionistin im
jüdischen Gemeindezentrum Rachi in der Pariser rue Broca arbeitet,
wo sowohl der Zentralrat CRIF als auch der jüdischen Sozialfonds
FSJU untergebracht sind. Während der ganzen Dauer der Entführung
Ilan Halimis, bevor dieser am vorletzten Montag dem Tode nahe
aufgefunden wurde, konnte die Mutter ihrer Umgebung kein Wort über
das Drama mitteilen: Die Polizei hatte sie um absolutes Schweigen
gebeten, um die Ermittlungen nicht zu behindern. Zu diesem Zeitpunkt
glaubte man noch, die "Gang der Barbaren" sei Verhandlungen
zugänglich und handele wenigstens (zweck)rational genug, ihre Geisel
nicht zu foltern und zu töten.
Partout en France s’organisent des
rassemblements citoyens pour rendre
[HOMMAGE AU
JEUNE ILAN HALIMI]...
Fotostrecke:
Demonstration zum Andenken an
Ilan Halimi
Am Sonntag kamen zu einer Pariser Demonstration für das Andenken an
Ilan Halimi rund 50.000...
Der Mord an Ilan Halimi:
Geld vom Juden
Entführung, Folter, Mord: Das brutale Verbrechen
an einem jüdischen Jugendlichen in einer Pariser Vorstadt hat in
Frankreich Angst vor einer neuen Welle des Antisemitismus
ausgelöst...
Gesellschaftliche Verantwortung:
Der Judenmord
So wird der Foltermord zu etwas mehr als "nur"
einer Einzeltat. Er wird zu einer Tat, die eine ganze Gesellschaft
in die Verantwortung nimmt: Weil alle, die wussten, hätten wissen
können, schwiegen und so Komplizen wurden...
Der ehem. Botschafter Israels kondoliert:
Awi Pazner an Ruth Halimi
"Die KH-Familie trauert mit Ihnen"...
Zum Mord an Ilan Halimi:
"Marsmenschen" oder Juden?
Überlegungen zu einem Verbrechen an der Schnittstelle zwischen
moslemischem Judenhass und zunehmend barbarischer Jugendkriminalität
in Frankreich...
Mörderische Antisemiten?
"Geht und bettelt in euren Synagogen!"
Ilan Halimi (23), lebte in einem Pariser Vorort und war
Angestellter in einem kleinen Laden für Mobiltelefone. Er wurde
entführt und von seiner Familie wurden 450.000 Euro Lösegeld
gefordert. Eine so hohe Summe könnten sie unmöglich aufbringen,
antworteten die Angehörigen, worauf die Erpresser spotteten: "Geht
und bettelt in euren Synagogen!"...
Neue Entwicklung im Mordfall Ilan Halimi:
Untersuchungsrichter nehmen antisemitisches Tatmotiv auf
Staatspräsident Jacques Chirac rief am Dienstag persönlich die
Familienangehörigen des ermordeten Ilan Halimi an und versprach
ihnen volle Aufklärung des Verbrechens, besonders auch bezüglich der
Frage, ob es antisemitischer Natur sei...
Spektakulärer Mord bei Paris:
"Die Gang der Barbaren"
Ein außerordentlich brutales Verbrechen hält
Frankreich in Atem: Am Montag voriger Woche wurde an einem
Eisenbahngleis in der Nähe eines Vorstadtbahnhofs dreißig Kilometer
südlich von Paris der 23jährige Ilan Halimi nackt, gefesselt und
geknebelt aufgefunden...
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