Jerusalem – Kurz vor
Schließung der Wahlkabinen entsinnt sich Israels
Noch-Premierminister Ehud Barak seiner schärfsten Waffe: Ehefrau
Nava. Vom Gatten gesandt, sucht sie in den wenig verheißungsvollen
Tagen vor der Wahl am 6. Februar in allen Teilen des Landes
russische Immigranten auf. Ihr Auftrag: das Image vom arroganten und
unnahbaren Premierminister aufzuhellen, damit die größte Minderheit
Israels am kommenden Dienstag bei der Direktwahl das Amt ihres
Mannes sichert.
Die PR-Tour der First Lady
scheint jedoch eine „Mission impossible“ zu sein: Seitdem der Termin
der vorgezogenen Wahl feststeht, steht Barak wie der sichere
Verlierer da. Bis zu 20 Prozentpunkte liegt er hinter seinem
einzigen Herausforderer Ariel Scharon. Der unterkühlte Barak kommt
gerade bei den Russen schlecht an. Deshalb wurde Nava Barak in den
Kampf ums Votum mit einbezogen. Sie gab den drei russischen
Fernsehsendern und den insgesamt 13 russischen Tages- und
Wochenzeitungen in Israel in den vergangenen
Tagen ein Interview nach dem anderen. Selbst Fragen nach der Farbe
des Schlafanzugs ihres Mannes ließ sie sich gefallen.
Stimmenfang auf russisch
Dahinter steht die Hoffnung,
die Russen mögen noch einmal Gnade walten lassen und Barak ihre
Stimme geben. Die Aussichten allerdings sind düster. Jüngsten
Umfragen zufolge werden die meisten der rund eine Million Russen
Ariel Scharon vom rechts-konservativen Likud ihre Stimme geben.
Darin drückt sich nach Angaben des Wahlforschers Professor Yaron
Ezrahi von der Hebrew University in Jerusalem auch die
„Sehnsucht nach gesicherten Verhältnissen“ aus – ein Zustand also,
den Barak in den Augen vieler Russen nicht imstande war,
herzustellen. Die russischen Israelis hätten, so der Professor,
nicht ihre „unbeständige Heimat“ verlassen, um in einer Krisenregion
wie dem Nahen Osten dieselbe unsichere Situation vorzufinden.
Ohnehin tendierten Russen zu konservativem Wahlverhalten – Scharon
weiß das. Unermüdlich hat er in den vergangenen Wochen in russischen
Hochburgen wie Aschkelon und Tel Aviv antichambriert und ließ alle
Fernsehwahlspots russisch untertiteln.
Israel
ist ein Vielvölkerstaat, der sich aus fünf Millionen Juden und einer
Million arabischer Israelis zusammensetzt – und über hundert
verschiedenen Nationalitäten. Die meisten Israelis verbindet als
einziger gemeinsamen Nenner das Jüdischsein. Hinzu kommen eine
Million Araber, die sich bei der Staatsgründung 1948 gegen eine
Flucht und für den israelischen Pass entschieden haben. Sie sind
genauso wahlentscheidend wie die Russen – tendieren allerdings zum
linken Parteienspektrum.
Wer in Israel
zum Premierminister gewählt werden will, hat es mit keiner
überschaubaren Wählerklientel zu tun, die sich in ein rechtes und
ein linkes Lager aufspaltet. Die israelische Gesellschaft ist
vielmehr ein Sammelsurium aus Dutzenden unterschiedlicher Kulturen
und Weltanschauungen. Sie machen es jedem Anwärter auf das Amt des
Premierministers schwer, die Mehrheit für sich zu gewinnen.
Die Russen etwa hatten, in
der Hoffnung auf Stabilität und eine wirtschaftliche Zukunft, bei
der letzten Wahl im Mai 1999 mehrheitlich gegen den Likud gestimmt
und für Barak. Tatsächlich hat dieser aber in ihren Augen statt
Frieden nur Krieg gebracht. Kein Tag vergeht seit Ende September, an
dem nicht israelische Zivilisten angeschossen oder getötet werden.
Nun bleiben die Touristen aus, und ausländische Investoren halten
sich mit ihrem Engagement spürbar zurück, besonders in der
High-Tech-Industrie, in der viele Russen erfolgreich Existenzen
aufgebaut haben. Die Vertreter der russischen Parteien wie der
frühere Innenminister Nathan Scharansky empfehlen ihren Landsleuten
daher, das Kreuz bei Scharon zu machen.
Mitentscheidend für den
Ausgang der Wahl sind außerdem die arabischen Israelis. Sie muss
Barak am meisten fürchten: Wenige Tage vor dem 6. Februar erklären
ihre Knesset-Repräsentanten Barak für nicht wählbar – und Scharon
erst recht nicht. Dessen Reputation unter Arabern ist aufgrund
seiner Kriegs-Karriere und seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber
Palästinensern für immer ruiniert. Barak wiederum, so werfen die
Araber diesem vor, sei verantwortlich für die Tötung von 13
arabischen Israelis im vergangenen Oktober. Als die Unruhen in den
Palästinensergebieten aufgeflammt waren, hatten sich arabische
Israelis durch Demonstrationen und Steinewürfe solidarisch gezeigt
mit den Palästinensern. Die israelische Polizei hatte auf die
Unruhen mit scharfen Schüssen reagiert. Der Vorwurf arabischer
Knesset-Abgeordneter wie Achmed Tibi etwa lautet seitdem, die
israelische Polizei hätte nie mit derartiger Gewalt auf jüdische
Demonstranten geantwortet. Barak hat in den letzten Tagen versucht,
sich mit den Arabern in Israel gutzustellen
und ihnen das Gefühl zu nehmen, sie seien „Bürger zweiter Klasse“.
Verunsicherte Linke
Er traf sich zum Humus-Essen
mit dem Bürgermeister von Nazareth und beauftragte eine
Arbeitsgruppe, die Situation der arabischen Israelis zu verbessern.
Womöglich kommt dieses Engagement zu spät. Tibi sagt: „Barak hat uns
schon 1999 versprochen, unseren Schulen mehr Geld zu geben und die
arabischen Städte zu sanieren. Nichts hat er getan. Wieso sollen wir
ihm jetzt trauen?“
Die kommende Direktwahl
könnte nach Medienangaben auch als eine mit der niedrigsten
Beteiligung ausgehen – gerade im linken Spektrum der israelischen
Gesellschaft ist die Verunsicherung groß angesichts eines Kandidaten
Barak, der sich wie sein Vorgänger Netanjahu in die Hände von
ultra-orthodoxen Parteien begeben hatte und dadurch erpressbar
geworden war. Eine Mehrheit der Israelis ist nicht religiös, fährt
am heiligen Schabbat mit dem Auto und verlangt, dass Geschäfte auch
am Samstag geöffnet sind. Dieser Mehrheit hatte Barak nach seiner
Wahl Reformen versprochen. Darunter etwa das Recht auf zivile Heirat
und die Pflicht, dass auch ultra-orthodoxe Männer und Frauen in die
Armee einberufen werden. Beide Reformen hat Barak auf Druck seiner
religiösen Koalitionspartner nie verwirklicht. Viele Barak-Wähler
werden daher enttäuscht von seinem „Zickzack-Kurs“ nach
Radioumfragen gleich ganz zu Hause bleiben.
Scharon dagegen genießt in
konservativen und religiösen Kreisen geradezu den Ruf eines
Heilsbringers – obwohl er sich mit konkreten Äußerungen über eine
künftige Amtszeit sehr bedeckt hält. Scharon ist besonders beliebt
unter den Sephardim, den orientalischen Juden in
Israel, die sich vom links-europäischen Establishment und
dessen Repräsentanten Barak benachteiligt fühlen. Scharon lässt in
diesen Tagen keinen Obst- und Gemüsemarkt aus, wo Sepharden
traditionell einkaufen und arbeiten, und spricht jedesmal davon,
dass er die „Wunden der israelischen Gesellschaft heilen“ und
„Einigkeit“ bringen werde. Der Hummer-Liebhaber Barak dagegen macht
selbst beim Humus-Essen in der arabischen Stadt Abu Gosch nach
Angaben der Tageszeitung Haaretz einen „gequälten
Gesichtsausdruck“, der vermittele: „Was mache ich hier bloß?“
haGalil onLine
04-02-2001
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