In einer Woche
zwölf rassistische und antisemitische Homepages gesperrt:
Jagd auf die Hass-Seiten
Die Bürgerinitiative „Aktion Kinder des Holocaust“ kämpft mit Erfolg
gegen neonazistische Propaganda im Internet und wird entsprechend
angefeindet
Von Peter Bierl
Jude, hau ab nach Israel."
Nur dieser Satz steht auf dem mit Kot verschmierten Zettel, den Samuel
Althof aus dem Kuvert zieht. Der Brief ist an seine Praxis in Basel
adressiert. Anschrift und Telefonnummer seiner Privatwohnung hält er geheim,
an der Tür steht ein falscher Name.
Seine kleine Praxis kann der Psychologe aber nicht tarnen. Hier erreichen
ihn Drohanrufe und Schmähbriefe. Der 45-Jährige ist Sprecher der Schweizer
Gruppe „Aktion Kinder des
Holocaust“ (AKdH), die seit Jahren gegen Nazis im Internet kämpft.
„Bei den ersten Briefen bin
ich noch erschrocken“, sagt er, „inzwischen weiß ich, das gehört zu
den Gepflogenheiten dieser Leute. Manchmal werfe ich die Pamphlete
gleich weg, manchmal gebe ich sie meinem Anwalt.“ Und manchmal hat
Althof damit Erfolg. Im April verurteilte ein Gericht in Basel einen
ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS. Die Palette der Sprüche reicht
von „Kauft nicht bei Juden“ über „Gruß aus Buchenwald“ bis zu
„jüdische Ratten“, denen man die Häuser anzünden werde.
Naziseiten im Internet
aufzuspüren ist leicht. Man findet die Seite eines „Thüringer
Heimatschutzes“, der „Freiheit für Palästina“ fordert und für
Nazidemos wirbt. Von dort gelangt der Benutzer mit einem Mausklick
zur NPD, zum Ku-Klux-Klan oder zur „Deutschen Heidnischen Front“,
die mit dem Slogan „Wotan mit uns“ wirbt. Wie auf anderen deutschen
Seiten auch, werden die Besucher davor gewarnt, E-Mails mit
strafbaren Inhalten zu schicken.
Keltenkreuz und Rudolf Hess
Von den rechten Heiden aus
kommt man zu Nazimusik oder zur US-amerikanischen „Stormfront“, der
ältesten Naziseite im Internet, die 1995 eingerichtet wurde: Dort
wird vor allem Hass auf Schwarze und Juden gepredigt. Ein
Keltenkreuz mit der Parole „White Power World Wide“ verunziert den
Bildschirm. Die „Stormfront“-Homepage enthält wiederum viele Links:
zu einer Gedächtnisseite für Rudolf Hess, zur Homepage des
kanadischen Holocaustleugners Ernst Zündel oder zum Thule-Netzwerk.
Mit einen Klick auf die Seite der französischen „Front National“
kann man virtuell zurück nach Europa surfen.
Weltweit hat das Simon
Wiesenthal Center in Los Angeles mehr als 2000 Seiten gezählt, 80
Prozent werden in den USA ins Netz gestellt. Der deutsche
Verfassungsschutz rechnet mit etwa 500 Seiten von deutschen
Rechtsextremisten, viele davon sind anonym und laufen auf
US-Servern. Das
Internet
ist ein billiges Medium, die Propaganda kann viel weiter verbreitet
werden als mit Flugblättern. Die Nazis erreichen internetbegeisterte
Kinder und Jugendliche; indizierte Skinhead-Musik kann ohne großen
Aufwand heruntergeladen werden.
Entdecken Mitglieder der
Aktion eine neue Seite von Nazigruppen, beginnt die Arbeit: Sie
informieren die Firma, die den Server betreibt, und bitten, die
Webseiten und deren Gästebücher zu löschen. Manche Provider sind
einsichtig, bei anderen bedarf es eines Briefwechsels. Manchmal muss
die 15-köpfige Gruppe eine regelrechte Kampagne organisieren. Nimmt
ein Provider eine Seite vom Netz, suchen die Nazis einen neuen
Server, und die Arbeit beginnt von vorne. „Wir üben Druck aus, indem
wir an die Öffentlichkeit bringen, welches Gedankengut sie
anbieten“, sagt Althof. Im November waren er und seine Mitstreiter
mehrmals, wenigstens vorübergehend, erfolgreich: „Skinhead
Deutschland“, „Wolfsturm“, „Kraftland“, die „Kameradschaft Wels“ und
„Der völkische Sozialist“ müssen sich neue Server suchen.
Die Strategie der AKdH
besteht darin, die braunen Seiten von den großen Gratis-Providern zu
vertreiben, deren Geschäftsbedingungen so genannte Hass-Seiten
eigentlich ausschließen. Die AKdH veranlasste in einer Woche, dass
US-Provider ein Dutzend deutschsprachiger Naziseiten inklusive der
zugehörigen Gästebücher sperrten. Selbst die US-Firma Yahoo!
Geocities löschte mehrere Seiten. Übrig bleiben Provider, die
explizit Nazi-Seiten auf Abruf halten („hosten“) und deren
Identifikations-Nummern man sperren lassen könnte, sagt Althof.
Durch eine solche IP-Nummer ist jeder Rechner, also auch die der
Provider, identifiziert. Zu den braunen Schafen zählt nach
Einschätzung des deutschen Verfassungsschutzes der US-amerikanische
Provider Yoderanium.
Das Problem ist die Größe des
Internets. Deswegen ist es für die Rechten leicht, mit einem neuen
Account, also dem Zugriffsnamen, und über eine andere Firma
wieder ins Netz zu kommen. Seiten können auch „gespiegelt“ werden:
Die Homepage wird auf mehreren Servern abgelegt, auf der Seite sind
jeweils Querverweise auf die anderen Server eingetragen. Fällt ein
Server aus, erscheint die Seite ein paar Minuten später wieder.
Manchmal merkt der Benutzer gar nichts davon, weil er automatisch
umgeleitet wird.
Die AKdH versucht deshalb,
auch strafrechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen. Mit dem jüdischen
Onlinemagazin haGalil in München und Rechtsanwälten im In-
und Ausland hat die Gruppe ein
Meldeformular Rechtsextremismus entwickelt: Mehr als 90
Straftaten im Netz wurden damit in den vergangenen zwei Jahren
erfolgreich zur Anzeige gebracht. Die Verantwortlichen, soweit sie
in Deutschland, Österreich oder der Schweiz leben, wurden zu Geld-
oder Bewährungsstrafen verurteilt.
Mit Freunden und Bekannten
gründete Althof 1991 die „Aktion Kinder des Holocaust“, in der
Kinder von Naziopfern und des antifaschistischen Widerstandes
mitarbeiten. Althofs Mutter floh wegen ihrer jüdischen Herkunft am
30. Oktober 1933 aus Deutschland nach Palästina, nach dem
Krieg ging sie in die Schweiz. Das Datum ihrer Flucht kann der Sohn
sich leicht merken – es ist sein Geburtsdatum. „Die meisten aus
meiner Familie konnten sich in Sicherheit bringen. Drei Schwestern
meines Großvaters wurden vergast“, sagt er.
Der Kampf gegen den braunen
Müll im Internet begann für die Gruppe 1996 – damals fanden
Mitglieder der Aktion Texte der Kultband „Böhse Onkelz‘ auf einem
Server der Universität Ilmenau. Das Handwerkszeug haben sie sich
selber beigebracht. „Heute bauen wir eigene Seiten“, sagt Althof.
Seit einigen Monaten arbeitet er an einem „ Internetportal‘ zum
Thema Holocaust. Auf der Seite mit dem Namen
shoah.de
finden Leser unter alphabetisch sortierten Stichwörtern von Anne
Frank bis Zwangsarbeit kurze Informationen, Buchtipps, Biographien
von Nazis und Holocaustleugnern sowie 800 Links zu KZ-Gedenkstätten,
Archiven und Forschungseinrichtungen.
Der Name des Portals hat eine
Geschichte. Im Juni entdeckte die AKdH, dass eine Firma in Hamburg,
die Internet-Dienstleistungen anbietet, für ihre Selbstdarstellung
die Adresse shoah.de verwendete. Das hebräische Wort für den
Holocaust für Werbung zu benutzen sei geschmack- und gedankenlos,
schrieb die Gruppe an die Firma. Die reagierte sofort und
entschuldigte sich: ein Versehen. Man habe die Adresse vor zwei
Jahren reservieren lassen, als es um ein Projekt im Zusammenhang mit
dem Besuch des Regisseurs Steven Spielberg in Berlin ging. In einem
Akt tätiger Reue überließ die Firma der Aktion den Domain-Namen.
„Nebelgeschichten“ der Politiker
Im September verkündeten
Innenminister Otto Schily und seine Amtskollegen bei einem Treffen
der
Innenminister
der Alpenländer, man werde gemeinsam und entschieden gegen Rassismus
im Internet vorgehen. „Nebelgeschichten“ kommentiert Althof. „Allein
wir haben in einer Woche zwölf Seiten ,vertrieben‘, das ist ein
respektables Ergebnis. Würden dies in Deutschland noch 20 andere
Personen tun, sähe das Ergebnis vermutlich noch um einiges besser
aus.“
Seiner Meinung nach könnte
der Staat ohne große Gesetzesänderungen, gestützt etwa auf das
Copyright, gegen Naziseiten vorgehen. Beispielsweise können
Internetbenutzer von vielen dieser Seiten Hitlers „Mein Kampf“
herunterladen. Der Freistaat Bayern hat die Rechte an diesem Buch.
Bayern hat damit schon den Nachdruck des Buches in Schweden und
Portugal verhindert. Der US-Bücherversand Barnes & Noble.com
verzichtete auf die Auslieferung von „Mein Kampf“ in Deutschland,
erzählt Horst Wolf, Pressesprecher des bayerischen
Finanzministeriums. „Das lief allerdings auf politischer Ebene,
nicht über das Urheberrecht.“ In den USA kann der Freistaat kein
Copyright einklagen, weil der Zentralverlag der NSDAP die Rechte
bereits 1933 an einen amerikanischen Verlag übertragen hat. Es muss
ja nicht Hitlers Pamphlet sein. „Das Urheberrecht zu benutzen wäre
eine Behelfstaktik, um Provider über das Zivilrecht unter Druck zu
setzen", sagt Althof. In den USA wurde auf diese Weise eine
Naziversion der „Moorhuhnjagd“ gekippt. Der Computerspieler schießt
dabei nicht auf virtuelles Federvieh, sondern auf karikierte
Afrikaner und Juden.
SZ vom 19.12.2000 Politik
SFDRS tagesschau 18.12.00
"nazi-jagd
im internet"
haGalil onLine
18-12-2000 |