Eine geplante Eskalation
Wie die arabischen Staaten und Israel in den Sechstagekrieg
gerieten
von Henry Laurens
Der Sechstagekrieg vom Juni 1967 erweist sich im
Rückblick als entscheidende Weichenstellung in der Geschichte des
Nahostkonflikts. Der schnelle Sieg katapultierte die Israelis in die Rolle
der Besatzungsmacht, in der sie sich bis heute kompromisslos eingerichtet
haben. Die Identität der Palästinenser hat sich zwar durch die Erfahrung der
Okkupation gefestigt, aber ihr Ziel eines eigenen Staates konnten sie bis
heute nicht realisieren. Und der ungelöste israelisch-palästinensische
Konflikt ist mitverantwortlich dafür, dass in der arabischen Welt die Kräfte
der inneren Reform keine Chance hatten.
Anfang 1967 hielten die meisten Nahost-Experten einen
erneuten Waffengang zwischen Israelis und Arabern für nicht sehr
wahrscheinlich. Zwar waren die Spannungen zwischen dem jüdischen Staat und
seinen Nachbarn seit 1964 gewachsen, weil Israel das Wasser des Jordans auf
sein Territorium ableitete und Syrien dies seinerseits durch Umleitung
seiner Zuflüsse zu verhindern versuchte. Doch nach israelischen
Bombardements und nur lauwarmer Unterstützung Jordaniens und Libanons nahm
Damaskus Abstand von diesem Projekt.
Zugleich lieferten sich Israel und die Vereinigte Arabischen Republik
(VAR)(1) unter Gamal Abdel Nasser einen Rüstungswettlauf, der für beide
Länder eine hohe wirtschaftliche Belastung bedeutete. Aber man durfte
vermuten, dass Israel die Bedrohung durch Ägypten hochspielte, um endlich
von den USA umfangreiche Militärhilfe und Sicherheitsgarantien für den Fall
eines arabischen Angriffs zu erhalten.
Israels militärische Überlegenheit stand außer Zweifel, und die arabische
Welt war damals geprägt von der Auseinandersetzung zwischen den
"fortschrittlichen" prosowjetischen Kräften und dem "konservativen"
prowestlichen Lager. Der Konsens unter Nahost-Experten war damals, dass
Frieden zwar nicht möglich, aber Krieg dennoch unwahrscheinlich sei.
Im Nachhinein gab es für die kurze und heftige Nahostkrise vom 13. Mai bis
4. Juni 1967, die dem Sechstagekrieg vorausging, im Wesentlichen drei
Erklärungsversuche. Nach der ersten und mehr oder weniger einhellig
vertretenen Lesart hatte Ägypten in Verkennung der Kräfteverhältnisse
versucht, Israel zu vernichten. Das Gegenstück dazu war die Behauptung,
Israel habe seine Gegner in eine Falle gelockt, um sich gegenüber dem Westen
wie den arabischen Regimes diplomatisch günstig zu positionieren und dann
mit der zweiten Phase der zionistischen Expansion zu beginnen. Wie jede
Verschwörungstheorie beruht auch diese auf der Annahme, dass ein Spieler
gerissen genug ist, die anderen über den Tisch ziehen zu können. Der dritte
Erklärungsversuch dagegen ging davon aus, dass alle Beteiligten für die
Eskalation Verantwortung trugen, da jedem von ihnen diverse
Fehleinschätzungen unterlaufen seien.
1964 war die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) gegründet worden,
1965 verübte die Fatah die ersten bewaffneten Anschläge - damit hatten sich
die Palästinenser politisch wie militärisch zurückgemeldet. Die
kämpferischen Erklärungen einiger arabischer Regierungen deuteten darauf
hin, dass die palästinensische Führung sie zu einem neuen Krieg drängte.
Zwischen dem 1. Januar 1965, als die Fatah ihre erste Operation durchführte,
und dem 5. Juni 1967 kostete der bewaffnete Kampf der Palästinenser weniger
als 20 Israelis das Leben - die meisten von ihnen Angehörige des Militärs.
Eine enttäuschende Bilanz für die PLO, aber aus israelischer Sicht eine
Kampfansage und das erste Aufbegehren gegen den Staat, der sich im
Unabhängigkeitskrieg von 1948 bis 1949 durchgesetzt hatte.
Die linksradikalen Strömungen der 1963 in Syrien an die Macht gelangten
Baath-Partei unterstützten die Palästinenser und machten Front gegen ein
besonders umstrittenes und von der internationalen Gemeinschaft wenig
geschätztes Resultat des Krieges: die israelische Oberhoheit in der
entmilitarisierten Zone zwischen Syrien und Israel.(2) Israel antwortete
darauf mit einer aggressiven Militärpolitik: Jitzhak Rabin, damals Chef des
Generalstabs, verfolgte mit immer neuen Operationen das Ziel, den
israelischen Zugriff auf die entmilitarisierte Zone zu festigen und den
Druck auf Damaskus so lange zu erhöhen, bis Syrien die Unterstützung für die
Palästinenser aufgab. Rabin wollte damals keineswegs einen neuen
arabisch-israelischen Krieg. Er glaubte, mit Rückendeckung aus Washington
dem nun nicht mehr von Ägypten gestützten Syrien seinen Willen aufzwingen zu
können. Der Generalstab verfolgte eine Politik der Stärke: Er wollte die
Auseinandersetzung auf das Terrain des Gegners verlagern - eine rein
taktische Maßnahme zum Schutz des schwer zu verteidigenden israelischen
Staatsgebiets.
Israels ideale Grenzlinien Daraus folgte aber
auch, dass es im Falle der Eroberung arabischer Gebiete ohne einen
umfassenden Friedensschluss keinerlei Rückzug geben sollte und dass die
jeweiligen Waffenstillstandslinien als Verhandlungsmasse galten. Die für
Israels Sicherheit idealen Grenzlinien, die schließlich Ministerpräsident
Levi Eschkol verkündete, hatten Rabin und der Generalstab festgelegt: den
Litani im heutigen Südlibanon, das Jordantal und den Suezkanal. Eschkol war
eigentlich nur vom Zugriff auf den Litani wirklich überzeugt - schon damals
stand die strategische Bedeutung der Wasserressourcen außer Zweifel. Aber
alle wussten, dass dieses Ziel ohne internationale Unterstützung nicht
durchsetzbar war.
Noch 1956, in der Krise, die sich aus der von Nasser verfügten
Verstaatlichung der Suezkanalgesellschaft ergab, hatten die USA den
territorialen Status quo verteidigt und Israel zum Rückzug aus dem
Gaza-Streifen aufgefordert. Auch die wachsende Militärhilfe Washingtons für
Israel blieb zunächst an diese Bedingung geknüpft. Für das israelische
Militär ging es also nicht allein um die Eroberung neuer Gebiete - die Frage
war, ob der Staat diese auch politisch verteidigen konnte.
Wenige Monate vor dem Sechstagekrieg führte Israel zwei Militäraktionen
durch. Am 13. November 1966 griff die Armee das Dorf Samu im Süden des
Westjordanlands an, weil die Bewohner angeblich die Fatah unterstützt
hatten. Und bei einem Luftkampf am 7. April 1967 schossen israelische
Mirage-Jäger sechs syrische MiG-Kampfflugzeuge ab - eine Demütigung für das
Regime in Damaskus. Aus dem ersten Zwischenfall zog der jordanische König
Hussein den Schluss, dass Israel sein Land vernichten und ihm das
Westjordanland entreißen wollte. Der Luftkampf machte deutlich, dass Syrien
nicht auf Beistand aus Ägypten rechnen durfte.
Die israelische Militärführung verschärfte mit mehr oder weniger offener
Unterstützung der Regierung den Konflikt. Sie drohte dem Baath-Regime in
Damaskus mit neuen Angriffen, aber einen Krieg hatten Israels Generäle nicht
im Sinn. Am 13. Mai 1967 ließ die Sowjetunion ihren Verbündeten in Kairo und
Damaskus die Warnung zukommen, dass Israel in Kürze nach Syrien
einmarschieren werde. Diese Information beruhte offenbar auf Erkenntnissen
der Geheimdienste. Truppenbewegungen an der Grenze waren nicht zu
verzeichnen, aber das hatte nichts zu bedeuten: Israel konnte seine
Streitkräfte jederzeit und sehr schnell in Kampfbereitschaft bringen.
Vom 14. Mai an verlegte die ägyptische Armee Kampfverbände in den Sinai -
auf den ersten Blick eine Abschreckungsmaßnahme. Aber Nasser machte auch
innerarabische Politik: Er wollte Jordanien zwingen, seine Bindung an
Saudi-Arabien aufzugeben und ins ägyptische Lager zu wechseln, und er wollte
die Schmach von 1956 tilgen. Am 15. Mai forderte er den Abzug der Beobachter
der United Nations Emergency Force (Unef) von den international festgelegten
Grenzen. UN-Generalsekretär Sithu U Thant entschied sich für den
vollständigen Rückzug der UN-Beobachter aus dem Sinai und dem Gaza-Streifen
- Nassers Aufkündigung des Abkommens von Kairo hätte die UN-Soldaten de jure
zu Besatzungstruppen gemacht.
Israel musste also den Verlust einer seiner wichtigsten Errungenschaften aus
dem Krieg von 1956 hinnehmen.(3) Noch schwerer wog ein Zwischenfall vom 17.
Mai: Zwei ägyptische Aufklärungsflugzeuge überflogen, von Jordanien kommend,
den 35 Kilometer westlich des Toten Meeres gelegenen Atomreaktor von Dimona,
ohne dass die israelische Luftabwehr es verhindern konnte. Die Nuklearanlage
war also offenbar angreifbar, und die israelische Führung war überzeugt,
dass ein "Präventivschlag" aus der Luft gegen ihre Atomanlagen international
durchaus auf Verständnis, wenn nicht gar auf Zustimmung stoßen würde. Diese
Befürchtung hegte man bis zum Ende des Konflikts, sie war der Grund für eine
erste Einberufung von Reservisten. Das israelische Atomprogramm trug somit
wesentlich zur Eskalation des Konflikts bei und wirkte eben nicht als
Abschreckung.
Am 22. Mai ging Nasser noch einen Schritt weiter, indem er erneut die Straße
von Tiran (die Meerenge zwischen dem Golf von Akaba und dem Roten Meer) für
israelische Schiffe sperren ließ. Um die Folgen des Kriegs von 1956
rückgängig zu machen, nahm er das Risiko eines neuen Krieges in Kauf, und er
hielt seine Armee für stark genug, einen Angriff zu parieren. Einige
ägyptische Militärs schmiedeten sogar Pläne für eine Operation in der
Negev-Wüste, die eine territoriale Verbindung mit Jordanien ermöglichen
sollte. Nasser jedoch untersagte die Aktion - schließlich vertrat er
offiziell die Position, die "Reaktion" - also die Monarchien in Jordanien
und Saudi-Arabien und der persische Schah - stehe auf einer Stufe mit Israel
und dem Imperialismus.
Dabei glaubte Nasser allerdings, dass Israel einen Angriff nur mit
ausländischer Hilfe führen und sich außerdem keinen Zweifrontenkrieg
erlauben könne. Damals schien es, als dürfe Israel nicht mit dem Beistand
einer europäischen Macht rechnen, und schon gar nicht mit der Unterstützung
durch die USA, die in den Vietnamkrieg verstrickt waren. Ägypten dagegen
glaubte sich stark genug, um seine ehrgeizigen Pläne zu verfolgen, und
setzte auf sein Abschreckungspotenzial. Nasser erkannte nicht, dass Israel
nur die politische Rückendeckung durch Großbritannien und die USA brauchte,
auf deren militärische Beteiligung aber nicht angewiesen war.
Nach dem 22. Mai erreichte Nassers Popularität ihren Höchststand. Kairo
führte eine Propagandaschlacht gegen Israel, den Imperialismus und die
Reaktion und schaffte es, Jordanien auf seine Seite zu ziehen. Aber Nasser
ließ sich von seiner eigenen Propaganda mitreißen, die sich nicht auf ein
umgrenztes, realistisches Ziel bezog. Er selbst äußerte sich eher
zurückhaltend, sprach nie von Angriffsplänen, aber seine Rundfunksendung
"Stimme der Araber" verbreitete Parolen von der bevorstehenden Zerstörung
und völligen Vernichtung des Staates Israel, die in den Medien der
arabischen Welt aufgegriffen und schließlich im Westen auf die (niemals
ausgesprochene) Formel gebracht wurden: "Treibt die Juden ins Meer!" Nasser
mag es tatsächlich nur darum gegangen sein, die Ergebnisse des Suezkriegs
von 1956 rückgängig zu machen - in seiner politischen Rhetorik jedoch wirkte
es so, als solle der geopolitische Zustand vor 1948 wiederhergestellt
werden.
Für Israels Militär kam diese Entwicklung überraschend, und der Generalstab
drängte die Regierung zu einem militärischen Präventivschlag. Die
Geheimdienste hatten die Ereignisse schon deshalb nicht vorhersehen können,
weil die ägyptische Führung keine klare Strategie verfolgte, sondern sich
immer neue, oft widersprüchliche Maßnahmen einfallen ließ. Ministerpräsident
Eschkol setzte weiterhin auf Diplomatie, während die israelische Presse
bereits die Katastrophe beschwor und von einem "neuen Holocaust" sprach.
Man vertagte die Entscheidung und schickte Außenminister Abba Eban nach
Paris und Washington. General Charles de Gaulle erklärte, Frankreich werde
sich gegen jede Partei stellen, die einen Krieg beginne. In London und
Washington betrachtete man die Schließung der Straße von Tiran zwar als Akt
der Aggression, wollte aber einen Krieg verhindern - die Regierungen
schlugen stattdessen eine symbolische internationale Aktion für die Freiheit
der Schifffahrt im Golf von Akaba vor: eine Art "Regatta im Roten Meer".
US-Präsident Lyndon B. Johnson plädierte für einen Aufschub, um eine
politische Lösung zu ermöglichen, und ließ Israel am 26. Mai 1967 die
Nachricht zukommen, man werde das Land nicht allein lassen, solange es nicht
auf eigene Faust handele ("Israel will not be alone unless it decides to go
alone").
Nasser erhielt diplomatische Unterstützung durch die Sowjetunion, die
bislang in das Krisenmanagement nicht einbezogen worden war. Allerdings
ermahnte auch der Kreml in einer geheimen diplomatischen Botschaft die
Ägypter, sich zurückzuhalten und keine Kampfhandlungen zu beginnen. Nasser
sah sich jedenfalls durch die internationalen Stellungnahmen in seiner
Haltung bestärkt und glaubte, aus dem neuen Kräfteverhältnis auf dem Sinai
einen entscheidenden Vorteil ziehen und das "Lager der Reaktion" schwächen
zu können. Für ihn gab es kein Zurück. Nasser war überzeugt, die
Propagandaschlacht gewonnen zu haben: Ein militärisches Eingreifen der USA
schien undenkbar. Es hätte die gesamte Region in Aufruhr versetzt und den
Zusammenbruch der westlich orientierten Regimes bedeutet. So glaubte er, nur
abwarten zu müssen, bis Jordanien und Saudi-Arabien nachgeben würden und der
Iran isoliert wäre. Es ging längst nicht mehr nur um den Sinai, sondern um
die Vorherrschaft über die arabische Halbinsel mit ihren Ölvorkommen.
Kairo wies alle politischen Lösungsangebote zurück, die eine Wiederaufnahme
der israelischen Schifffahrt im Golf von Akaba einschlossen. In London und
Washington musste man einsehen, dass auch die "Regatta im Roten Meer" sich
nicht durchführen ließ. Es drohte nicht nur die Schließung des Suezkanals
und die Gefährdung der Erdölversorgung. Großbritannien fürchtete überdies
den Zusammenbruch seiner Währung, falls die arabischen Länder ihre Einlagen
aus den britischen Banken zurückziehen sollten. Vor dem Hintergrund des
Kalten Krieges gewann das Problem damit eine neue Dimension: Es ging um die
Frage, wer den Nahen Osten mit seinen Finanz- und Ölreserven kontrollieren
sollte - der Westen oder das sozialistische Lager. Jede noch so minimale
militärische Einmischung der Amerikaner oder Briten hätte die Sowjetunion in
den Augen der arabischen Öffentlichkeit aufgewertet.
Nassers Abschreckungsstrategie funktionierte - sie hatte allerdings ihre
Schwachstellen: Zum einen übersah die ägyptische Führung, dass Israels
Militär viel besser gerüstet war als 1956, zum anderen ignorierte sie in
unverantwortlicher Weise, wie ihre Propaganda im Westen und bei der
internationalen Öffentlichkeit ankam. Während Nasser immer radikalere Töne
anschlug, verstärkte die israelische Militärführung den Druck auf die
Regierung. General Ariel Scharon, damals Divisionskommandeur, dachte sogar
laut über einen Militärputsch nach. Die Situation verschärfte sich, als
Jordanien ganz auf den ägyptischen Kurs einschwenkte und Saudi-Arabien mehr
oder weniger gezwungen war, sich anzuschließen.
Für Israels Strategen schien ein Albtraum wahr zu werden: die völlige
Einkreisung durch eine Koalition arabischer Staaten. Am 1. Juni 1967 musste
Levi Eschkol nachgeben. Er bildete eine Regierung der Nationalen Einheit, in
der Mosche Dayan Verteidigungsminister wurde und der Führer der Rechten,
Menachem Begin zum Minister ohne Geschäftsbereich. Beide waren entschiedene
Befürworter einer territorialen Expansion Israels. Es ging eben nicht nur um
das Überleben des israelischen Staates, sondern auch darum, die 1948
verfehlten Ziele doch noch zu erreichen - vor allem die Eroberung des
Westjordanlands.
Die US-Regierung hatte die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung inzwischen
aufgegeben und war bereit, Israel Handlungsfreiheit zu gewähren - offiziell
distanzierte man sich allerdings, um sich in der arabischen Welt nicht zu
kompromittieren. Am 31. Mai war Meir Amit, Chef des israelischen
Auslandsgeheimdienstes Mossad, nach Washington gereist. Bei Gesprächen mit
der CIA-Führung und Verteidigungsminister Robert McNamara bezog er sich
geschickt auf die amerikanische "Domino-Theorie": Auch im Nahen Osten werde
die ganze Region, bis zur sowjetischen Grenze, unter arabische Vorherrschaft
fallen, sofern Nasser die Oberhand gewinne. Israel brauche darum nicht nur
aktuell Schutzgarantien gegen ein Eingreifen der Sowjetunion, sondern ein
langfristiges Engagement der USA. Seine Gesprächspartner signalisierten dem
Mossad-Chef eindeutig, dass sie mit seiner Analyse übereinstimmten.
Am 3. Juni teilte US-Außenminister Dean Rusk in einem telegrafischen
Rundschreiben den US-Botschaften in der arabischen Welt die Sichtweise der
US-Regierung mit: Der "Heilige Krieg" der Araber und die israelische
"Psychologie der Apokalypse" seien so unversöhnlich, dass keine vernünftige
Lösung des Konflikts mehr in Sicht sei. Die USA könnten Israel daher nicht
länger von Maßnahmen "abhalten", die das Land zur Verteidigung seiner
vitalen Interessen ergreifen wolle. Araber wie Israelis setzten auf eine
militärische Lösung. Eine Seite musste sich dabei verrechnet haben.
Am 4. Juni wagte Walt W. Rostow, Sicherheitsberater des US-Präsidenten, in
einem Memorandum eine Spekulation über die Zukunft. Dort heißt es, allen
"gemäßigten" Arabern - also allen Staaten, die Nassers Expansionspläne
fürchteten - sei es lieber, wenn Ägypten von Israel geschlagen würde und
nicht von ausländischen Streitkräften. Rostow gab sich alle Mühe, einen
Feldzug und Sieg Israels als rein hypothetisch darzustellen. Aber er erwog
die künftigen Möglichkeiten: eine gemäßigte Haltung der Staaten im Nahen
Osten und die stärkere Betonung der wirtschaftlichen Entwicklung und der
regionalen Zusammenarbeit. Und falls es auch noch gelänge, eine Lösung für
das Problem der palästinensischen Flüchtlinge zu finden, könnte Israel in
der Region akzeptiert werden - ein historischer Umbruch im Nahen Osten
schien in Reichweite. Nachdem Israel endlich grünes Licht aus Washington
bekommen hatte, musste die Regierung nicht länger zögern: Am 4. Juni wurde
der Angriff beschlossen.
Der Junikrieg von 1967 bleibt das Resultat von Fehleinschätzungen aller
beteiligten Parteien - das wird aus den später veröffentlichten Dokumenten
deutlich. Die Vereinbarungen von 1957 über den freien Schiffsverkehr im Golf
von Akaba und der Straße von Tiran erwiesen sich als so uneindeutig, dass
der Casus Belli kaum zu bestimmen war. Auch ließ sich kaum sagen, wer
eigentlich der Angreifer war - derjenige, der den ersten Schuss abgefeuert,
oder derjenige, der die Blockade verhängt hatte? Im arabischen Lager trieb
nicht nur der israelisch-arabische Konflikt, sondern auch die durch den
Kalten Krieg geförderte Konfrontation zwischen Saudi-Arabien und der
ägyptischen VAR die Entwicklung voran. Zugleich brachten sich die arabischen
Staaten durch ihre Haltung und ihre Propaganda in eine denkbar schlechte
Position gegenüber der internationalen Öffentlichkeit.
Hinzu kam, dass sich das linke arabische Lager weiter radikalisierte - nicht
zuletzt weil die in der Amtszeit von US-Präsident John F. Kennedy begonnene
enge militärische Zusammenarbeit zwischen Israel und den USA den
Propagandaparolen vom Komplott der Imperialisten, Reaktionäre und Zionisten
recht zu geben schien. Ihr stillschweigendes Einverständnis mit Israels
Angriff hatten die USA tatsächlich in der Absicht gegeben, Saudi-Arabien im
eigenen Lager zu halten. Die Vorstellungen von einem "Neuen Nahen Osten",
die - schon damals - in Washington kursierten, bezogen sich aber nur auf
Regimewechsel, nicht auf die Veränderung der Staatsgrenzen. Die
fortschrittlichen Kräfte in der arabischen Welt sahen darin allerdings nur
einen weiteren Beweis für die westliche Verschwörung. Auf die Idee, dass sie
ihre territoriale Integrität gegen eine militärische Besatzung nicht
verteidigen könnten, kamen sie damals nicht.
Anfang des Jahres 1967 mag die Ausweitung des Staatsgebiets nicht das
vorrangige Ziel gewesen sein, aber Israel hat, rechtlich betrachtet, seinen
Anspruch auf das gesamte frühere Mandatsgebiet Palästina nie aufgegeben.
Davon träumen viele noch heute, manche Israelis erheben die Forderung auch
öffentlich. Niemand erkennt dabei, dass der Krieg erheblich zur Rückkehr der
Palästinenser auf die politische Bühne beigetragen hat. Und damit wird der
Konflikt wieder auf seinen Kern zurückgeführt: den Kampf der beiden Völker
um das Heilige Land.
Fußnoten:
(1) Die Vereinigte Arabische Republik (VAR) entstand 1958 als
Zusammenschluss von Syrien und Ägypten, das diesen Namen bis 1971
beibehielt, obwohl Syrien nach dem Staatsstreich von 1961 die Verbindung
aufgekündigt hatte.
(2) Im Waffenstillstandsabkommen vom 20. Juli 1949 wurden zwei
entmilitarisierte Zonen entlang der Grenze zwischen beiden Ländern
festgelegt - die Frage der Oberhoheit dort blieb ausgespart.
(3) Nach dem Krieg von 1956 wurden in Gaza und Scharm-al-Scheich
UN-Beobachtermissionen installiert, die den freien Schiffsverkehr im Golf
von Akaba (vor allem den Zugang zum Hafen Eilat) garantieren sollten.
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt
Henri Laurens lehrt jüngere Geschichte der arabischen Welt am Collège de
France, er ist Autor von "La Question de Palestine", dessen dritter Band,
"L'Accomplissement des prophéthies, 1947-1967" im Juni bei Fayard in Paris
erscheint.
Le Monde diplomatique Nr. 8294 vom 8.6.2007, 573 Zeilen, Henry Laurens |