Zum jüdischen Neujahrsfest der Bäume:
Zionismus, Israel und
Naturschutz
Von Clemens Heni,
Tu biSchwat 5768
Ein Schwerpunkt eines 2006 erschienenen Bandes über "Naturschutz
und Demokratie" ist die Beziehung von Judentum und Naturschutz.[1]
Mehrere kleinere Beiträge widmen sich diesem Sujet und vor allem ist im Anhang
ein historisches Dokument über "Judentum und Naturschutz" aus dem Jahr 1932
erstmals wieder abgedruckt.
Die israelische
Landschaftsarchitektin Tal Alon-Mozes geht auf naturschützerische Wurzeln
vor der Staatsgründung Israels aus zionistischer Perspektive ein. Sie
untersucht drei wichtige Topoi: Erstens den "Mythos von Palästina als Wüstenland",
zweitens den "Mythos, die Wüste zum Blühen zu bringen" und drittens jenen
von der "Rückkehr zur Natur". Biblische als auch gegenwärtige Konzepte
standen/stehen dabei in Konkurrenz. Insbesondere wurde Landwirtschaft gerade
als Möglichkeit verstanden, Teil der Natur zu werden, ein moderner Gedanke.
Als ein weiteres Beispiel führt sie die Idee Yehoshua Margolins (1877-1947)
an, der dafür plädierte, Kindergärten innerhalb von Gärten einzurichten.
Margolin schrieb Bücher und Lehrpläne für Kindergärten bzw. Grundschulen für
den Bereich 'Naturstudien' und gründete das erste Hebräisch-Pädagogische
Institut im Jahr 1932.
Henning Eikenberg
schließt daran an und berichtet von der Geschichte des Naturschutzes im Staat
Israel. Es fällt auf, dass Naturschutz in Israel im Umweltministerium zu ca. ¾
nicht vom Staatshaushalt, vielmehr aus Eintrittsgebühren und vor allem Spenden,
nicht zuletzt der jüdischen Diaspora, finanziert wird. Das korreliert mit der
Genese des Naturschutzes, der sich bottom-up entwickelt hat und nicht vom Staat
initiiert wurde. Wichtig ist z. B. die NGO
Society for the Protection of Nature
in Israel (SPNI), welche 35 Jahre vor Gründung eines eigenständigen
Umweltministeriums (im Jahr 1988) gegründet wurde. Einer der Mitbegründer von
SPNI war der Zionist Heinrich Mendelssohn (1910-2002). Er war u.a. in der
Weimarer Republik Mitglied der zionistischen Studentenverbindung Kadimah und
emigrierte 1933 nach Palästina. Er war Zoologe und gründete die Tel Aviver
Universität mit. Mendelssohn "gilt heute als einer der Gründungsväter des
Naturschutzes in Israel".
Alois P. Hüttermann
ergänzt dies mit einer kurzen Darstellung von Naturschutz im antiken Israel.
Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer 70 n. Chr. waren die Juden in
wenig fruchtbare Gebiete vertrieben worden. Üblicherweise war es auf engem Raum
naheliegend, Kleinvieh zu halten, Schafe, Ziegen etc. Den Rabbinern jedoch war
das Kahlfressen der Erde mit der Folge der Desertifikation namentlich durch das
Weiden der Ziegen bewusst, weshalb beschlossen wurde, Juden das Halten von
Kleinvieh zu verbieten. So ist es demnach geschehen und die Verwüstung hat nicht
eingesetzt, was Hüttermann als mögliche Abwendung der Desertifikation heutiger
Zeiten vorschlägt (Beispiele Mauretanien, Iran, China).
Siegfried
Lichtenstaedter: "Naturschutz und Judentum" (1932)
Im Anhang des Bandes
ist der 48seitige Text Naturschutz und Judentum von Dr. Siegfried
Lichtenstaedter aus dem Jahr 1932 abgedruckt.[2]
Es ist ein sehr bedeutsames Dokument des deutschen Naturschutzes. Es handelt
sich im wesentlichen um einen Vortrag, den der Autor "im Rahmen der Lehrkurse
der jüdischen Gemeinde in München am 4. März 1931 hielt"[3].
Die Ausgrenzung der Juden im Naturschutz seit 1933, der Holocaust und das
Fortwirken der antijüdischen Naturschützer nach 1945 haben dazu geführt, dass
dieses Dokument bis heute einfach ignoriert wurde. Es ist Gert Gröning,
Professor an der Universität der Künste
in Berlin (UdK), Fachgebiet "Gartenkultur und Freiraumentwicklung", und einer
der Begründer kritischer Forschung zur Geschichte des Naturschutzes und der
Freiraumentwicklung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik
Deutschland, zu verdanken, dass es jetzt dem bewussten, ignoranten oder Juden im
Naturschutz derealisierenden Vergessen entrissen wird. Siegfried
Lichtenstaedter, Jahrgang 1865, war von 1898 bis 1932 Beamter und auch als
Publizist tätig. Von seinem Erstlingswerk Kultur und Humanität 1897, bis
in die Weimarer Republik, z. B. 1926 mit Antisemitica, publizierte er
wegen dem Antisemitismus, der im Kaiserreich nicht weniger verbreitet war wie in
der Weimarer Republik, häufig unter seinem türkischen Pseudonym "Dr. Mehemed
Emin Efendi".
Lichtenstaedter setzt
in Naturschutz und Judentum damit ein, dass der Naturschutz noch
nicht alt sei und der Yellowstonenationalpark in Nordamerika von 1872 der
erste große Naturschutzpark ist.[4]
Der antik-römischen Aversion den Alpen gegenüber - "foeditas Alpium" -
stünde heutige Naturliebe entgegen. Die ungemeine Ausbreitung von
Steinbrüchen oder die Ausrottung ganzer Tierarten, wie der erst 1741
entdeckten Steller`schen Seekuh ("Borkentier"), die schon 1768 ausgerottet
wurde[5]
und die Bedrohung von Pflanzen sind dem Verfasser Anlaß
zuerst die institutionelle Genese des Naturschutzes zu untersuchen. Neben
verschiedenen Gründungen von Organisationen erwähnt er z. B. bayerische
Bestimmungen gegen "verunstaltende Reklame" oder Naturschutzgesetze des
Mittelalters.[6]
Jedoch gelte bis heute: "Die theoretische Begründung ist ungenügend".[7]
Problematisch ist ohne Zweifel diesbezüglich sein Bezug auf den
schweizerischen Naturforscher Paul Sarasin, der sich für den Schutz
"bedrohte[r] Menschenrassen"[8]
einsetzte. Ähnlich
verhält es sich mit seiner Forderung nach einem "'linguistischen
Naturschutz'"[9],
denn es steht doch in Frage, warum Sprache, also menschliche Kultur, dem
Naturschutz unterliegen solle. Sehr interessant wird es, sobald
Lichtenstaedter auf
die jüdischen
Gesetze zu sprechen kommt. Das erste, welches er erwähnt und analysiert, ist
zugleich das wichtigste: das Sabbatjahr. Während in der christlichen
Vorstellung der siebte Tag lediglich als Ausruhen und Besinnen 'auf Gott'
verstanden wird, zeigt er wie universeller, pragmatischer und sinnvoller das
jüdische Gesetz des siebten Jahres sich anhört:
"'So ihr
in
das Land
kommt, das ich euch gebe, so feiere das Land eine Feier des Ewigen. 6 Jahre
besäe dein Feld und 6 Jahre beschneide deinen Weinstock und sammele seinen
Ertrag ein. Aber im 7. Jahre sei eine Sabbatfeier für das Land, eine Feier
des Ewigen; dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinstock nicht
beschneiden. Den Nachwuchs deiner Ernte sollst du nicht ernten und die
Trauben deiner ungepflegten Weinstöcke sollst du nicht lesen; ein Feierjahr
sei für das Land.'"[10]
Lichtenstaedter kommentiert, dass es zu bezweifeln ist, "ob ein ähnliches
Gesetz in irgend einer anderen Religion besteht oder bestand".[11]
Er erwähnt, dass in den 1890er Jahren Geldsammlungen außerhalb Palästinas
existierten, um jüdischen Siedlern das Sabbatjahr im Heiligen Land zu
ermöglichen. Es ist ein stolzes Judentum, das sich in Abgrenzung zu bloßem
uneingeschränktem Wirtschaften nachvollziehbar so ausdrückt:
"Um wie
viel höher steht unsere Thora als das Gewissen der sogenannten Kulturwelt!"[12]
Er analysiert ein
weiteres Gesetz aus dem Buch Mose, nachdem junge Vögel bzw. Eier, die mitsamt
einem Nest herabgefallen sind, angeeignet werden können, die Vogelmutter jedoch
solle frei gelassen werden. Darin handele es sich um einen Schutz der Gattung,
denn die ausgewachsene Vogelmutter könne alsbald neue Eier legen, während die
hinabgestürzten Jungen bzw. Eier ohnehin verloren seien:
"Wir
haben es also hier mit nichts anderem als mit zoologischem Naturschutz zu
tun – meines Wissens dem ersten derartigen Gesetze in der Religions- und
Kulturgeschichte der Menschheit, soweit uns bekannt."[13]
Sodann geht er auf das
Gesetz "'Bal taschchith'" ein, "'Du sollst nichts ruinieren'", womit
insbesondere militärische Belagerungen gemeint sind bzw. Eroberungen.[14]
Das nächste Gesetz, das "Vermischungsverbot" ist selbstredend abstrus, es
bezeichnet u.a. das Verbot "Kleidung von verschiedenen Stoffgattungen (Wolle und
Leinen)" zu tragen.[15]
Auch Lichtenstaedter erscheint das unsinnig, wie die orthodoxe Position,
nach welcher der im Jahr 1555 erlassene Codex "Schulchan Aruch" bis heute
bestimmend sei. Weder so ein "Versteinerungsstandpunkt" noch ein den Naturschutz
als unbedeutsam abwehrender "Verstümmelungsstandpunkt" der jüdischen Tradition
gegenüber seien hilfreich. Vielmehr gelte es ein "Zurück zur Thora'"
anzustreben, allerdings sieht Lichtenstaedter die Bedingungen für ein offensives
Eintreten der engen Beziehung von Judentum und Naturschutz ganz realistisch –
1932 - in einem traurigen Licht:
"Dabei
wollen wir durchaus nicht die Schwierigkeiten und Bedenken unterschätzen,
die einer Führerrolle des Judentums naturgemäß entgegenstehen. Wie nun
einmal die Verhältnisse sind, läge, wollten wir uns in den Vordergrund
drängen, der Gedankengang sehr nahe: Wie? Das Judentum predigt den
Naturschutz? Also gibt es nur eine Losung: Zerstören, was nur zerstört
werden kann, verwüsten, was verwüstet werden kann, vernichten, was
vernichtet werden kann! Hier heißt es also, gewisse Zurückhaltung zu üben,
mehr an engere, sittlich höhere Kreise als an die breitere Volksmasse,
namentlich zu Zeiten, in denen sie der Verhetzung und Verblödung zugänglich
ist, sich zu wenden. Aber das Wichtigste ist für uns überhaupt, dass wir
selbst im Geiste unserer Religion handeln."[16]
Lichtenstaedter
schließt seinen Vortrag, indem er sich ganz deutlich gegen die schon zu Weimarer
Zeiten allzu laut hörbaren völkischen 'Natur –und Heimatschützer' wendet und
sagt:
"Mit
absoluter Sicherheit darf man behaupten: Der weitverbreitete 'moderne',
'patriotische' oder 'völkische' Gedanke: 'Nur das eigene Volk oder die
eigene (anthropologische oder imaginäre, fingierte) Rasse ist wertvoll und
daher absolut existenzberechtigt' steht in unversöhnlichem
Widerspruche mit der jüdischen Sittenlehre."[17]
Die nicht-jüdischen,
deutschen Naturschützer gingen wie fast alle ganz normalen Deutschen ab 1933
einen anderen Weg. Nicht nur im Naturschutz 'fruchtete' die jahrelange Hetze
gegen Juden, 'Undeutsches' und Judentum.
"Am
25.6.1942 wurde Lichtenstaedter mit dem Transport II/9 von München nach
Theresienstadt deportiert. Von den 50 Personen aus denen dieser Transport
bestand, wurden 46 umgebracht, vier wurden befreit. Lichtenstaedter selber
wurde am 6.12.1942 in Theresienstadt ermordet."[18]
Anmerkungen:
[1]
Gert Gröning/Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.) (2006):
Naturschutz und Demokratie!? Dokumentation der Beiträge zur
Veranstaltung der Stiftung Naturschutzgeschichte und des Zentrums für
Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität
Hannover in Kooperation mit dem Institut für Geschichte und Theorie der
Gestaltung (GTG) der Universität der Künste Berlin, München: Martin
Meidenbauer.
[2]
Siegfried Lichtenstaedter (1932)/2006: Naturschutz und Judentum. Ein
vernachlässigtes Kapitel jüdischer Sittenlehre, Frankfurt am Main: Verlag J.
Kauffmann. Wiederabdruck in Gröning/Wolschke-Bulmahn (Hg.) (2006), Anhang,
48 Seiten.
[3]
Ebd.: Vorwort.
[4]
Ebd.: 4.
[5]
Ebd.: 6.
[6]
Vgl. ebd.: 8f.
[7]
Ebd.: 11.
[8]
Ebd.: 12.
[9]
Ebd.: 13.
[10]
III. Buch Mose 25, 2ff. zitiert nach ebd.: 21.
[11]
Lichtenstaedter 1932: 21.
[12]
Ebd.: 25.
[13]
Ebd.: 27.
[14]
Ebd.: 29.
[15]
Ebd.: 30.
[16]
Ebd.: 39.
[17]
Ebd.: 44.
[18]
Gert Gröning (2006a): Siegfried Lichtenstaedter: 'Naturschutz und Judentum.
Ein vernachlässigtes Kapitel jüdischer Sittenlehre' - Ein Kommentar, in:
ders./Wolschke-Bulmahn (Hg.) (2006), S. 137-150, hier S. 145.
Weitere Texte zum jüdischen Neujahrsfest der Bäume
Ein Fest für Mensch und Umwelt:
Der
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