Mitten im Wahlkampf:
Scharon hinterlässt ein Vakuum
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Scharons Ausfall, durch Tod oder ohne Chance, wieder seine
Amtgeschäfte aufnehmen zu können, passiert zu einem denkbar ungünstigen
Zeitpunkt. Er stand an der Spitze einer neuen Parteiliste, die noch kein
echtes Programm veröffentlicht hat und dennoch weit über vierzig Prozent
Zustimmung in der Bevölkerung erhielt. Ihr Programm hieß Ariel Scharon und
sonst nichts. Dem einst so
verhassten Scharon, als Kriegsverbrecher und Mörder verschrien, als "Vater
der Siedler" verachtet, folgten plötzlich Liberale, Linke,
pro-palästinensische Siedlungsgegner, Konservative und Progressive. Ein
Meretz-Mann der äußersten Linken ist über sich selbst überrascht. Stets
hielt er Scharon für einen "Lügner, der sein Wort nicht hält". Doch hielt
Scharon stets sein Worte, was ihm in der arabischen Welt schon seit Jahren
insgeheim großen Respekt eingebracht hat, nicht nur in Jordanien und Ägypten
und nicht erst seit dem Rückzug aus Gaza. Ausgerechnet der bei vielen
Arabern verhasste "Massenmörder von Sabra und Chattillah" war laut Präsident
Hosni Mubarak von Ägypten, "der einzige Israeli, mit dem man Frieden
durchzusetzen kann". Palästinensische Sprecher entdeckten ein paar Stunden
zu spät, "dass es neben Scharon keinen zweiten Israeli gibt, mit dem wir
verhandeln könnten". Entsprechend dem
Spruch, dass jeder Mensch ersetzbar sei, kommt eine beklemmende Ratlosigkeit
auf, bei der Frage, wie es nun weitergehen könnte. In der ganzen
Parteilandschaft Israels, durch Scharons Weggang vom Likud ohnehin
durcheinander geraten, ist weit und breit kein ebenbürtiger Politiker zu
entdecken, dem Scharons große Schuhe passen. Bei den Palästinensern,
ebenfalls inmitten eines chaotischen Wahlkampfes, verliert die
Autonomiebehörde die Kontrolle über den Gazastreifen. Die traditionelle
Fatah-Führung mit Arafats Gefolgsleuten wird von jungen Hitzköpfen mit der
Waffe in der Hand oder von der radikalen Hamas-Organisation ausgebootet. Die
Amerikaner verlieren mit Scharon ihr stabilstes und zuverlässigstes
Standbein in Nahost. Auch wenn Scharon
mit Rückzug, Zaun, Mauer und Abtrennungsplan den künftigen Weg Israels sowie
der Palästinenser weitgehend festgezurrt hat, nämlich der Entstehung eines
Palästinenserstaates jenseits von Grenzen, die Scharon gezogen hat, wird
dieser Plan wohl nur in ferner Zukunft umgesetzt werden können. Kein anderer
israelischer Politiker besitzt so viel Durchsetzungskraft und Charisma wie
Scharon. © Ulrich W. Sahm /
haGalil.com
Ein ganzes Land und ein Mann:
Von Schock zur Trauer
Die Einlieferung des Premiers in solch schwerem Zustand hat unseren
blank gelegten Nerv wieder aufgerissen, so Sima Kadmon in Jedioth
achronoth: Fünf Jahre hat sich ein ganzes Land um einen Mann
gedreht, um Arik, Ariel Sharon...
Endlose Lebenserwartung:
Er wollte keine Angiographie
In den letzten Tagen war Sharon unter sehr großem Druck. Vielleicht
so sehr, wie noch nie. Der Held der israelischen Feldzüge und
Absolvent vieler politischen Kämpfe, der nie zurückgeschreckt war,
nie gezögert hatte, nicht gezwinkert und nicht gefürchtet hatte,
hatte nun Angst...
Der letzte der Giganten:
Leb wohl, Generation von 1948
Während diese Zeilen geschrieben werden, kämpft Ariel Scharon um
sein Leben. Und man muss kein Neurologe sein um zu wissen, dass
seine Tage im Büro des Premierministers vorüber sind...
Israel im Schock:
Scharons lange Nacht
Einige verwendeten das unheimliche Wort "Anusch", was
so viel bedeutet wie "im Sterben liegen". Nur selten hat ein als
"Anusch" eingestufter Patient überlebt. Dann ist immer die Rede von
einem "medizinischen Wunder"...
Gesetzeslage:
Ehud Olmert kann alle
Entscheidungen treffen
Der stellvertretende Premierminister ist autorisiert,
alle Entscheidungen zu treffen, ob sie dringend sind oder nicht...
hagalil.com 06-01-2006 |