Antisemitismus im Internet:
Verhütung und Bekämpfung von Hassdelikten
Methoden zur Rechtsdurchsetzung und Erfahrungen
mit der strafrechtlichen Verfolgung antisemitischer /
rechtsextremistischer Hetze
Kurzfassung eines
früheren Beitrags von Rechtsanwalt Dr. Dan Maor
Aus einer Erklärung der Bundesregierung auf eine parlamentarische
Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke ging hervor, dass keine andere
Behörde, Organisation oder Gruppierung soviele Ermittlungsverfahren
wegen rechtsextremistischer Propaganda im Internet angestossen hat, wie
die mit haGalil onLine zusammenarbeitenden Rechtsanwälte.
Diese Erklärung war nicht überraschend, da die mit haGalil onLine
zusammenarbeitenden Rechtsanwälte nach eigenen Unterlagen wöchentlich
ca. zwei Strafanzeigen wegen antisemitisch / rechtsextremistischer
Hassdelikte erstatten. Diese Anzeigen gehen auf Hinweise über unser
Meldeformular für NS-Seiten, als auch auf eigene
anlassunabhängige Recherchen(1)
zurück.
Allerdings sind die in der Bundesstatistik verwendeten
Erfassungskriterien nicht bekannt. Antisemitische Volksverhetzung dürfte
z.B. stets unter die Definition der "rechtsextremistischen Propaganda"
fallen. Außerdem werden Verfahren nur selten im Jahr der Anzeige
abgeschlossen, z.B. weil in manchen Bundesländern die Auswertung einer
Festplatte noch immer 14 Monate (und länger) dauern kann. Im Übrigen
sieht die Strafprozessordnung leider nicht vor, dass dem
Anzeigeerstatter, wenn er nicht selbst Opfer der Tat ist, der
Richterspruch bekannt gegeben wird. Zwar teilen einige Staatsanwälte das
Endergebnis des Verfahrens erfreulicher- und zulässigerweise aus eigenem
Antrieb mit, die meisten ersparen sich jedoch diese Arbeit. So werden
Verurteilungen oft nur aufgrund Mitteilungen in der Presse bzw. durch
öffentliche Äußerungen der Täter bekannt.
Nazipropaganda - manchmal auch "gutbürgerlich" verpackt
Die erstatteten Anzeigen betreffen antisemitisch /
rechtsextremistische Webseiten, Foren und Forenbeiträge oder andere
Dateien volksverhetzenden Inhalts. Das Kaleidoskop der angezeigten
Webseiten reicht von durchgehend im NS-Propaganda-Stil gestalteten
Auftritten und versuchten Absprachen zur Waffenbeschaffung für
rechtsterroristische Zwecke (die Täter wurden ermittelt) bis hin zu
privaten Homepages, in denen hinter einer "bürgerlichen Fassade" neben
allerlei Harmlosem auch NS-Material angeboten wird. In den zuletzt
genannten Fällen verrät die in den Ankündigungen und Links zu diesen
Seiten verwendete Semantik dann oft, dass die Urheberin oder der Urheber
der Seite solchem Gedankengut durchaus zugetan ist und nicht aus
"Naivität" etwas ins Netz gestellt hatte, das für harmlos gehalten
wurde. Dies ist auch ein wichtiges Gegenindiz gegen ein bevorzugtes
Argument von Strafverteidigern.
Die von den Anzeigen erfassten strafrechtlich relevanten Dateien
betrafen unter anderem Spiegelungen des berüchtigten
"Nazi-Moorhuhn"-Spieles, in dem die Grafiken der abzuschießenden
Moorhühner durch Darstellungen von Figuren mit "jüdischen Attributen"
(gemeint sind Schläfenlocken und Kippoth) ersetzt wurden, oder
Textarchive, in denen die sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion"
abrufbar sind, oder auch das unter dem Pseudonym "Jan van Helsing"
veröffentlichte Machwerk "Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20.
Jahrhundert", das längst bundesweit beschlagnahmt ist und in dem
antisemitische Verschwörungstheorien in neuer Form wiedergekäut werden.
Auch in Zukunft ist mit etlichen weiteren Verurteilungen(5)
aufgrund der Aktivität von haGalil onLine zu rechnen - und zwar auch
gegen - der deutschen Strafverfolgung angeblich nicht zugängliche - auf
US-Servern gelagerte Seiten.
Ermittlungen und nicht frühzeitige Warnung des Urhebers sind das Ziel
Wir wenden uns nicht an die Provider rechtsextremer Seiten, es sei
denn, eine Strafverfolgung erscheint von vornherein aussichtslos(2).
Denn der Täter und sein Umfeld würden bei einer plötzlichen Löschung der
Inhalte durch den Provider gewarnt, etwa noch vorhandene Beweise könnten
oft mit einem Knopfdruck für immer vernichtet werden.
Die Täterermittlung wird von haGalil für wichtiger erachtet als die
Gefahr, daß rechtsextreme Webinhalte noch etwas länger im Netz stehen.
Denn: Eine Ermittlung des unmittelbaren Urhebers rechtsextremer Seiten -
im Gegensatz zur Verwendung von Missbrauchs-Formularen der Provider -
hat den Vorteil, dass der Täter bei Polizei und
Verfassungsschutzbehörden als rechtsextrem bekannt wird. Der Täter ist
abgeschreckt und wird seine Inhalte nicht gleich nach der Zwangslöschung
beim nächsten "Free-Provider" oder "Re-Director" anbringen. Und nach
einer Verurteilung wird seine Tat im Bundeszentralregister eingetragen.
Dies hat z.B. folgende Konsequenzen:
- Gewerbebehörden werden etwa beim Antrag auf eine
gaststättenrechtliche Erlaubnis genauer nachklopfen,
- Die zuständigen Stellen werden waffen-, sprengstoff- oder
jagdrechtliche Erlaubnisse nicht erteilen oder widerrufen,
- Im Zusammenhang mit der Einstellung/Fortsetzung der Beschäftigung im
öffentlichen Dienst liegt ein Anhaltspunkt für die mangelnde
Verfassungstreue vor,
- Sollte der Täter Mitglied eines Vereins, einer "Kameradschaft",
etc., sein, haben die Innenbehörden als Verbotsbehörden Beweismaterial
hinsichtlich der Betätigung der Mitglieder an der Hand.
Selbst wenn es nur bei einem Ermittlungsverfahren bleibt, geschieht in
der Regel folgendes:
- Öffentlich-rechtliche Arbeitgeber oder
berufsständische Einrichtungen (etwa Anwalts- oder Ärztekammern)
erfahren von dem Verdacht rechtsextremer Betätigung ihres Arbeitnehmers
oder Mitgliedes,
- Bei Jugendlichen werden die Jugendbehörden kontaktiert, die
vielleicht auch einmal einen Blick in's Elternhaus werfen,
- Bei Schülern werden die Schulleiter informiert, die dann über die
rechtsextremistische Betätigungen ihrer Schüler informiert sind,
- Die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden sowie die
Verfassungsschutzbehörden führen auch ein Register mit eingestellten
Fällen. Sollte der Täter erneut in Erscheinung treten, ist es
unwahrscheinlicher, dass noch einmal "Geringfügigkeit" angenommen wird.
Ermittlungen benötigen Zeit
Geht eine Mitteilung(3)
im
Meldeformular
ein, bedeutet dies also in den allermeisten Fällen nicht, dass die
betreffenden Seiten gleich vom Netz verbannt werden. Zunächst werden die
mit der Bearbeitung betrauten Rechtsanwälte, die sehr viel Zeit -
ehrenamtlich - in die Verfolgung rechtsextremer Internetinhalte
investieren, die Anzeige formulieren, was wegen der technischen und
rechtlichen Komplexität der Angelegenheit oft sehr aufwendig ist. Nach
der üblichen Eingangsprüfung und Erfassung bei der Staatsanwaltschaft
sind dann oft weitere, manchmal umfassende Ermittlungen und
Beweissicherungen nötig, bevor eine Löschung der Inhalte oder ein
"erster Zugriff" beim Verdächtigen erfolgen kann. Schließlich geht das
Interesse der Staatsanwaltschaften dahin, Beweise zu erlangen, die auch
vor Gericht Bestand haben.
Keine unnötige Belastung der Ermittlungsbehörden
Die über das Meldeformular erstatteten Anzeigen werden nicht, wie bei
einigen anderen Meldestellen, ungefiltert einfach an Behörden
weitergeleitet, sondern zunächst aufgrund profunder technischer
Kenntnisse und langjähriger Erfahrung mit dem Internet hinsichtlich der
strafrechtlichen Relevanz und der technischen Möglichkeit einer
Täterermittlung geprüft. Sodann werden, soweit dies ohne die besonderen
Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden möglich ist, eigene
Ermittlungen zur Person des Täters unternommen, wobei ausschließlich
allgemein zugängliche Quellen zur Verfügung stehen und ausgewertet
werden.
In vielen Fällen wird bereits im Zuge dieser eigenen Ermittlungen ein
Verdächtiger namentlich bekannt. Erst wenn die eigenen
Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, leiten die damit betrauten
Rechtsanwälte die Ergebnisse an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden
weiter, und zwar zusammen mit detaillierten Ausführungen zur Sach- und
Rechtslage, die es auch einem in den technischen Besonderheiten des
Internet eher unerfahrenen Staatsanwalt ermöglichen sollten, effektive
Strafverfolgung zu betreiben.
Beratung von Ermittlungsbehörden
Die Rechtsanwälte von haGalil teilen auf Anforderung ihre technischen
Kenntnisse mit den Verantwortlichen bei den zuständigen Behörden. Auf
Anregung von Behörden findet etwa eine - unentgeltliche - allgemeine
Beratung statt, bei der von haGalil onLine die gewonnenen Erfahrungen
bei der Täterermittlung mit den Behörden geteilt werden können(4).
Den Hund zum Jagen tragen?
Die Kooperation findet aber auch Grenzen. Entsteht der Eindruck, daß
Ermittlungsbehörden nicht oder nur schleppend tätig sind, werden die
zuständigen Aufsichtsbehörden eingeschaltet, damit diese in die Lage
versetzt werden, auf die zügige und effektive Erledigung hinzuwirken.
Schlußgedanke
Man sollte sich stets vor Augen halten, daß es sich bei rechtsextremen
Propagandadelikten und Angriffen auf die Menschenwürde, nicht etwa um
Lappalien handelt. Mit ihrem Gedankengut, dessen Verbreitung sie suchen,
stellen solche Täter eine unmittelbare Gefährdung für die Demokratie und
das Miteinander in der Gesellschaft dar, indem sie absichtlich das
gesellschaftliche Klima vergiften. Die notwendige soziale Kontrolle ist
daher eine Aufgabe nicht nur des Staates, sondern der gesamten
Gesellschaft.
- (1) -
Eigene Initiativermittlungen -
Sobald die mit haGalil zusammenarbeitenden Rechtsanwälte
aufgrund ihrer Ermittlungen Kenntnisse über einschlägige Tätergruppen
oder mehrfach im Netz vorhandene Veröffentlichungen gewinnen, nehmen sie
auch auf eigene Initiative weitere Ermittlungen vor. Auch die daraus
gewonnenen Erkenntnisse, soweit sie verwertbar sind, werden an die
zuständigen Behörden weitergeleitet.
- (2) - Medienstaatsvertrag -
Bei massivem Mißbrauch unter Nutzung bestimmter Internetangebote können
gegen betreffende Provider zudem aufsichtsrechtliche Mittel nach dem
Medienstaatsvertrag durchgeführt werden, die sich dann gegen den
Provider richten.
- (3) -
Schutz der Anzeigenerstatter wird großgeschrieben
- Das Meldeformular sieht die Angabe persönlicher Daten des
Anzeigenerstatters vor. Der Anzeigenerstatter soll ein "Feedback"
erhalten können, damit er sehen kann, daß sein Engagement gegen
Rechtsextremismus tatsächlich auch zu Ergebnissen führt. Sobald etwa
eine Eingangsbestätigung der zuständigen Staatsanwaltschaft vorliegt,
wird ihm auch die Geschäftsnummer des Verfahrens mitgeteilt. Sofern eine
Mitteilung über den Ausgang des Verfahrens gemacht wird, wird sie
ebenfalls an den Anzeigeerstatter weitergegeben. Dennoch besteht für ihn
keine Gefahr, unangenehmen "Besuch" zu erhalten: Die Strafanzeigen
werden von den Rechtsanwälten stets im eigenen Namen, nicht im Namen des
Meldenden, erstattet. Aus der Verfahrensakte ist daher nicht
ersichtlich, von wo die Information stammt. Diese Information ist zudem
rechtlich privilegiert, die Rechtsanwälte können und werden die Auskunft
über ihre Informationsquellen verweigern. Derartige Anfragen sind
allerdings noch nie gestellt worden und sind auch nicht zu erwarten.
- (4) - Informationsmaterial -
Ein mit haGalil zusammenarbeitender Rechtsanwalt hat die technischen und
rechtlichen Erfahrungen, die durch die bisherige Aktivität gewonnen
wurden, auch schriftlich zusammengetragen. Das so entstandene Papier,
das nur an Verfassungsschutz- und Strafverfolgungsbehörden weitergegeben
wird, stieß bei diesen Stellen auf deutliches Interesse.
- (5) - Beispiele abgeschlossener
Verfahren
- Ein Freiburger Student, der sich ebenfalls
in den haGalil-Foren als "Historiker"
ausgab und die Schoah leugnete, wurde zu einer Freiheitsstrafe (6 Monate
auf Bewährung)
verurteilt.
- Der auch in Verfassungsschutzberichten erwähnte Ex-NPD-Funktionär
Axel Möller aus Stralsund erhielt einen Strafbefehl, wonach er
wegen Volksverhetzung eine Geldstrafe zahlen sollte. Er legte gegen
diesen Strafbefehl Einspruch ein, allerdings erfolglos, die Anzahl der
Tagessätze wurde im Gerichtsurteil erhöht.
- Bei einem Mann, der unter dem Pseudonym "Fubbes" in den Foren von
haGalil sein Unwesen trieb, wurde bei einer Hausdurchsuchung eine über
dem PC des Täters hängende Hakenkreuzfahne, die wohl einen
inspirierenden Eindruck auf seine Aktivitäten im Internet entfaltete,
als auch rechtsextreme Literatur gefunden.
- Erwähnenswert ist auch ein gut situierter Weinbauer aus dem
Burgenland, der sich in den Foren von haGalil unter dem Pseudonym "Werwolf"
betätigte. Er wurde vom Landesgericht in Wien wegen eines Verstoßes
gegen das österreichische Verbotsgesetz zu einer bedingten
Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
- Gleichgültig? Unerfahren? Hilflos?
Antisemitismus im Internet
Über antisemitische Hetze in den mittlerweile nicht mehr
ganz so "neuen Medien" wurde im Laufe der letzten 10 Jahre viel
geschrieben, viel diskutiert, viel lamentiert. Viele Gründe wurden dafür
angeführt, weshalb man so wenig gegen diese Flut der Hetze unternehmen
könne...
-
Gegen Haßseiten im World Wide Web
scheint
kein technisches Kraut gewachsen
-
Über Hass und Hetze im Internet:
...
und was dagegen getan werden kann - und getan wird
- Wie macht man ein Forum kaputt?
Rechte Strategien für das Internet
-
Hass im WWW - Antisemitismus - Morddrohungen:
Das Internet als Spiegel der Gesellschaft
-
Es ist zum Schreien!
Düsseldorf und die Sonntagsredner
-
Hochkarätige Expertenkonferenz
demonstriert Hilflosigkeit:
Konkrete Vorschläge gibt es nicht
- Verantwortung, Information und Kommunikation:
Die Jugend ist ihren Lehrern weit voraus
- Die Zukunft des Internet:
Nazis und Kinderschänder?
haGalil onLine
14-03-2004 |