3. Die Realität des Wahns: Antisemitische Projektionen und bürgerliche
Gesellschaft
[ZUR
DISKUSSION IM FORUM]
Während der Feudalismus und selbst noch der entstehende Frühkapitalismus,
bei aller Brutalität der Ausbeutung, durch eine gewisse Übersichtlichkeit
und Beeinflussbarkeit der Lebenswelt geprägt gewesen sind, so zeichnet sich
die kapitalistische Moderne für die Einzelnen durch Unübersichtlichkeit und
Undurchschaubarkeit aus.
Die Auflösung traditioneller Bindungen, die real erfahrbare Machtlosigkeit
der vereinzelten Individuen führt zu einer Regression des Denkens. Zur
Akzeptanz dessen, was als gegeben geduldet wird, gehört zum Beispiel das
Hinnehmen des Verzichts auf die geistige Durchdringung. Im
Anti-Intellektualismus findet eine solche Haltung ihren adäquaten Ausdruck.
Komplexe soziale, wirtschaftliche oder politische Fragen werden seitens der
kulturindustriellen Massenmedien heruntergebrochen auf simple Schemata.
Diese finden ihr Vorbild in einer immer stärker standardisierten Produktion,
der ein stereotypes Denken und die Personalisierung auf der individuellen
Ebene entspricht. Stereotypie bietet durch ihre Vereinfachungen eine Form
der Orientierung. Ihre ‚Attraktivität’ liegt darin, dass Ereignisse wie
Börsencrashs, Kriege oder andere Geschehnisse derartig affektiv besetzt und
angsterzeugend sind, dass tiefergehende Interpretationen vom schwachen Ich
nicht zugelassen werden.
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