
11.Kislew 5699, Jerusalem (Schaali Srufah, p.133ff).
Es fragt Resch Lakisch: "Warum heißt es gerade beim Opfer des
neuen Monds, dass es ein Opfer sei der Sühne für Gott?" Und es antwortet
Resch Lakisch: "Gott spricht, es sei dieses Opfer Sühne dafür, dass ich den Mond
entmachtete".
Der Menschenfreiheit zuliebe hat Gott die Schöpfung unfertig, ja fehlerhaft,
gelassen. Nicht gegen Gott kehrt sich die deutsche Katastrophe als Vorwurf,
sondern gegen die Menschenfreiheit.
Klagen können wir mit Gott gemeinsam. Aber sühnen können nur wir.
Das ist die Antwort Gottes an uns. So lasset uns auf heiligem Boden (Anm.: in
Erez Israel) dem deutschen Judentum ein uns und unserem Gotte sühnendes Denkmal
errichten.
Verdoppeln wir die Treue zur Torah und helfen wir mit, ein geeintes, starkes und
leistungsfähiges Volk der Torah im Lande der Torah aufzubauen.
Vermag unser armes Volk sein schweres Leid zu Gottes Leid zu erhöhen, so
antwortet ihm Gott, wenn er ruft, und führt es zur Freiheit und Ehre.
Da riss das deutsch-jüdische Band entzwei:
Geschichte und Metageschichte
Von Isaac Breuer
Zur Erinnerung an das deutsche
Judentum
(Teil 2)
Geschichte und Metageschichte sind nicht notwendig Gegensätze. Sie
verhalten sich zueinander wie Physik zu Metaphysik. Immer wieder ist von den
jüdischen Propheten die Metageschichte als Ding an sich der Geschichte gelehrt
und verkündet worden.
In der Geschichte und durch die Geschichte soll das metageschichtliche Ziel, vom
Gott der Schöpfung gewiesen, verwirklicht werden.
Die nationalen Gemeinschaften als Rechtsgemeinschaften, Gott allein der Setzer
des Rechts: das metageschichtliche Sein des jüdischen Volks ist das
metageschichtliche Sollen aller Völker.
Und wer möchte leugnen, daß die
Ahnung dieses Sollens die Brust der führenden Geister des deutschen Volks
bewegte und in den unsterblichen Werken eines Lessing, Herder, Schiller,
Kant, Goethe oft erschütternden Ausdruck fand? War nicht ihnen allen zu
eigen, dass ihnen Geschichte ohne Idee der Geschichte schier unerträglich, Staat
als Selbstzweck geradezu verhasst war?
Das deutsche Volk war lange Zeit davor gefeit, sich an seine Geschichtsrealität
zu verlieren, denn diese Realität war unglücklicher als die aller anderen
europäischen Kulturvölker, und wurde in ihrem Unglück nur noch von der jüdischen
Geschichtsrealität übertroffen.
Als England und Frankreich schon seit Jahrhunderten zu Einheitsstaaten sich
entwickelt hatten, schmachtete das deutsche Volk noch immer unter dem Regime von
300 Despoten. Vor solcher Geschichtsrealität flüchteten die führenden Geister
der Nation in das Reich der Ideen, dessen konstituierender Faktor die Idee des
Rechts ist, die sie in einem erträumten "Naturrecht" auf Erden heimisch machen
wollten, da Gottes Recht ihnen nicht offenbart war. Diese metageschichtlichen
Elemente des deutschen Geisteslebens waren es, die auf Juden der sich öffnenden
Ghetti immer wieder eine ungeheure Anziehungskraft ausübten, und denen sie sich,
auf Flügeln der Sprachgemeinschaft, oft genug bis zur Selbstvernichtung,
zustürzten. -
Dann kam die furchtbare Reaktion. Dem deutschen Volk schlägt die Stunde
geschichtlicher, nicht metageschichtlicher, Erlösung. Und nun erwies es sich als
völlig unfähig - wer denkt nicht auch hier unwillkürlich an das jüdische Volk
des Nationalheims! -, seine ureigenen Ideen, obenan seine politischen Ideen, in
die neue, in die glücklichere Wirklichkeit hineinzutragen, mit ihnen die
Wirklichkeit einzurichten und ihnen in dieser Wirklichkeit eine nationale
Heimstätte zu bereiten. Zwischen der ererbten deutschen Kultur und der neuen
deutschen Wirklichkeit klaffte ein Abgrund auf, der schließlich das deutsche
Volk ins Verderben gerissen hat. Die Geschichte Rassendeutschlands ist die
Geschichte eines Volks, das alle metageschichtlichen Tendenzen bis auf die
letzte Spur ausrottete. Als der deutsch-jüdische Krieg ausbrach, standen sich in
der Tat Geschichte und Metageschichte als vollendete Gegensätze, als
unversöhnliche Feinde gegenüber.
Da riss das deutsch-jüdische Band entzwei.
Für immer...