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Koscher leben...
 
 

Jüdische Literatur im 13. Jahrhundert
Mystische Aspekte im Judentum

Die Kabbala

Verfolgt man den Lauf jenes mächtigen Stromes, der die Geheimlehre mit sich führt, bis zu seinen Urquellen, so gelangt man zu den zwei Abschnitten der Bibel, die von der Weltschöpfung und von der Majestät Gottes erzählen. Beide erheben sich aus dem Rahmen der Gesetz und Geschichte lehrenden Bibel zum Ursprung der Dinge selber. 

Beide wurden daher, da in Alexandrien griechische Philosophie, chaldäischer oder ägyptischer Aberglaube und jüdische Theologie sich begegnet hatten, Gegenstand der Spekulation, und sind es in Palästina, wo die Essäer ihre Geheimlehre hatten, wie auch in Babylon geblieben, als die Gedankenarbeit des Talmuds abgeschlossen und eine neue Strömung in das Bett der jüdischen Literatur einmündete. 

Damals entstand das die kosmogonische Philosophie im Judentum zu einem System ausbildende Sepher Jezira, in welchem das Geheimnis der Weltordnung in Zahlen und Buchstaben dargelegt wird.

Dieses Buch wurde die Grundlage einer ganzen Literatur. In jüngeren Midraschim, pseudepigraphischen Schriften und zahlreichen Kommentaren zum Sepher Jezira wurden die Ideen desselben weiter ausgeführt, erläutert und vergröbert. In vielen dieser Schriften treten aber zur Theosophie der Aberglaube, die Chiromantie, Magie und Dämonologie, die sogar auch im Talmud eine Stütze gefunden, hinzu. Diese Art mystischer Theosophie hatte stets ihre Anhänger und Fortbildner. Auch bedeutende Denker, wie Salomo Gabirol wendeten sich ihr zuweilen zu, und die beschauliche Frömmigkeit eines Bachja ibn Pakuda, eines Jehuda haLevi, wie der astrologische Aberglaube eines Ibn Esra gaben ihr neue Nahrung. 

Nur Maimuni (der RaMBaM) steht ihr gänzlich fern und entschieden feindlich gegenüber. Der mystischen Versenkung in kosmogonische und theosophische Theorien, dem astrologischen Treiben und Spielen mit Zahlen, der frommen Beschaulichkeit, die alle im Neuplatonismus ihre Stütze fanden, setzte er das analytische System reinen Denkens entgegen, welches leider von einigen seiner Schüler zu einem flachen Rationalismus verwässert wurde.

Als ein schroffer Gegensatz zu diesem trockenen Rationalismus, der die Gestalten der Bibel zu philosophischen Schemen und leeren Abstraktionen verflüchtigte, trat nun die Mystik von neuem hervor. Nicht durch alle Jahrhunderte lässt sich die Strömung verfolgen. Von ihrem Ursprung aus bis zu dem Zeitalter Maimuni's hüllt sie sich in Dunkel; erst am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts tritt sie wieder deutlich sichtbar hervor, um immer stärker zum mächtigen Strome anzuschwellen, der bald alle Gefilde der Literatur überflutet und die größten Verheerungen anrichtet. 

Wie überall, so trat sie auch innerhalb des Judentums das Erbe einer großen Zeit an und bildete den Grundzug einer Epoche, in der die Bildung gesunken, der Geist ermüdet war. Einer solchen Zeit musste die Mystik als die schroffe Reaktion gegen die einseitige philosophische Verstandesrichtung willkommen sein. Daher erklärt sich die in analogen Erscheinungen auch in der christlichen Welt des dreizehnten Jahrhunderts genau mit denselben Symptomen auftretende Macht der Mystik. Ob aber alle diese Richtungen denselben Ursprung haben oder verschiedenen Quellen entspringen, ist ein bis jetzt noch ungelöstes Rätsel. 

Die einen schreiben der orientalischen Theosophie, die anderen dem Parsismus, die dritten den Chaldäern und Griechen maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung der Geheimlehre zu. Einige glauben ihre Wiege in Aegypten zu finden; andere setzen sie gar in das patriarchalische Zeitalter und lassen sie neben der mosaischen Tradition als eine tatsächliche Geheimlehre auf dem Wege mündlicher Vererbung einhergehen.

Allen diesen Meinungen fehlt aber ausreichende historische Begründung, und so hat es keine bis jetzt vermocht, den Ursprung der Geheimlehre, Kabbala, zu erklären, die auf einmal als eine geistige Macht in Erscheinung trat. Und zwar war es die Provence, wo sich im Gegensatz zu der christlichen Scholastik, die die Glaubenslehren begrifflich entwickelte und zu begründen versuchte, gleichzeitig auch in der Kirche eine Richtung ausbildete, welche alles Gewicht auf den unmittelbaren Glauben und die im Glauben und der Liebe erlebte Gottesgemeinschaft des Individuums legte, und wo auch innerhalb des Judentums zuerst von einer Geheimlehre der Kabbala die Rede ist, die über die Mystik der gaonäischen Periode, welche selbst dem "Buch der Schöpfung" noch eine rationalistische Unterlage zu geben wußte, weit hinausgeht und von dieser streng zu sondern ist.

Awraham und Jizhak Ben David

Abraham b. David, der streitfertige und gelehrte Rabbi von Nimes, namentlich aber sein Sohn, der blinde Isaak (Jizhak), werden nach einer wenig verbürgten Sage als die ersten Träger oder Neubegründer jener Lehre aufgeführt. Als Lehrer des Abraham b. David wird ein Jakob Nasir aus dem zwölften Jahrhundert genannt, und von da aus führt der Faden der mystischen Tradition bis zum Propheten Elia und dem Erzvater Abraham hinauf. Der blinde Isaak wird schon im nächsten Jahrhundert als der Urheber der Kabbala gefeiert, die zunächst das Bedürfnis, die anthropomorphistische Haggada buchstäblich und doch annehmbar zu deuten, hervorgerufen zu haben scheint. 

Seine Lehre wird als "tief und rein" gerühmt; er hat das Zahlensystem der Sephiroth, wie es uns zuerst im Sepher Jezira entgegengetreten, weiter ausgebildet und die Idee des Metempsychose verkündet. Als seine beiden vornehmsten Jünger und als die Träger der kabbalistischen Lehre im ersten nachmaimunischen Jahrhundert gelten Esra und Asriel, die auch als Lehrer Nachmani's (Rabbi Moses ben Nachman, haRaMBaN) in der Kabbala ausgegeben werden. Aus diesem Kreise ist wohl auch das Sefer haBahir hervorgegangen, eines der dunkelsten und wichtigsten Werke für die Entwickelung der Kabbala.

Hauptlehren der Kabbala

Die Hauptlehren der Kabbala sind die Begriffe vom En-Soph (Unendlichem) und den Sephiroth, die beide vordem in dieser Auffassung dem jüdischen Schrifttum fremd waren. Der erste dieser Begriffe, der aus dem Neuplatonismus herübergeholt ist, setzt, obwohl die negative Attribution stark betont wird, doch die drei Eigenschaften der absoluten Vollkommenheit, All-Einheit und Unveränderlichkeit voraus, deren mittelste, dass nichts außer Gott sei, d.h. alles in ihm, zu der Schlußfolgerung führt, daß also notwendig auch die Welt in ihm sein müsse. Da aber die Welt, einerseits mangelhaft, andererseits nach einem von Vernunft geleiteten schöpferischen Willen geordnet ist, so kann sie der En-Soph nicht unmittelbar geschaffen haben. 

Es müssen vielmehr, auch nach der von Gabirol ausgeführten neuplatonischen Idee, intelligible Substanzen zwischen Gott und der Welt angenommen werden: die Sephiroth, Mittelwesen zwischen dem vollkommenen Gotte und der unvollkommenen Welt, die durch Emanation aus dem En-Soph sich abgesondert haben. Die Zahl dieser Sephiroth ist bei Asriel und auch in der spätem Kabbala zehn; ihre Namen werden aber verschieden angegeben. Die Deutung derselben verliert sich schon in die Untiefen der Kabbala, in die ihr das Auge der Forschung nicht folgen kann. Merkwürdigerweise schließt sie mit ihrer sinnlichen Glut genau wie die christliche Mystik sich an das Hohelied an, das ihr als Folie dient, um die abenteuerlichsten Deutungen daran zu knüpfen.

Aus dem II. Kapitel des II. Bandes der 
"Geschichte der jüdischen Literatur" 
von Gustav Karpeles

Erschienen im Verlag M.Poppelauer
Berlin, 2. Aufl. 1909 p57ff

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