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Koscher leben...
 
 

...Wer ist der größte Held? [...] Einige sagen: Wer es versteht, seinen Feind sich zum Freund zu machen.
(avot de-rabbi Nathan)1

...Wenn du gegen deine Feinde ausrückst und ein Lager aufschlägst, so hüte dich vor allem Bösen.
(Dtn 23,10)

...Die Schrift warnt hier in einer moralisch gefährdenden Situation, denn bekanntlich verwandelt sich sogar der seinem Wesen nach Anständigste in einen grausamen und gewaltsamen Menschen, wenn er mit einem Militärlager in den Krieg zieht, eben deshalb warnt ihn die Schrift, wenn er gegen den Feind auszieht: "Hüte dich vor allem Bösen".
(Ramban in seinem Kommentar zu Dtn 23,10)2

Halakhah - Jüdisches Religionsgesetz heute:
Der Staat Israel und die Nichtjuden

Von Rabbiner MOSHE ZEMER

Eines der brennenden Themen im Staat Israel ist unser Verhältnis zu den Nichtjuden - sowohl zu unseren Nachbarn in den arabischen Ländern und den Arabern in den besetzten Gebieten als auch zu den nichtjüdischen Bewohnern und Bürgern des Landes. Wenn unsere Tradition schon mit Konvertiten Probleme hat, um wie viel komplizierter ist ihr Verhältnis zu Nichtjuden überhaupt.

Einerseits sprechen die Rabbinen mit großer Achtung und Anerkennung von Nichtjuden: "Die Gerechten unter den nichtjüdischen Völkern haben einen Anteil an der kommenden Welt"3 und ordnen an: "Man versorgt die Armen der Nichtjuden so wie die Armen Israels, man besucht die Kranken der Nichtjuden so wie die Kranken Israels, und man begräbt die Toten der Nichtjuden so wie die Toten Israels" (bGittin 61 a). Die grundsätzliche Gleichheit von Juden und Nichtjuden beschwört auch das folgende Zitat, das als Unterscheidungskriterium zwischen Menschen allein das Handeln des Einzelnen akzeptiert, vor dem alle Glaubens-, Volks- und Standesunterschiede verschwinden müssen: "Ich rufe Himmel und Erde zum Zeugen an. Sei es ein Jude oder Nichtjude, Mann oder Frau, Sklave oder Magd - allein nach ihren Werken ruht der Geist der Heiligung auf ihnen".4

Andererseits gibt es auch Stellen, die gerne pauschal gegen Nichtjuden gedeutet werden, oft indem man ihren historischen Kontext ignoriert. Doch selbst bei einer verantwortlichen Interpretation finden sich im Talmud noch immer eine Reihe von Äußerungen, die, wörtlich verstanden, abfällig und feindlich über Nichtjuden und Heiden reden.

Dies zeigt erneut, dass in der jüdischen Tradition oft mehrere, ganz verschiedene Meinungen nebeneinander existierten und galten. Kann man dennoch eine allgemein verbindliche Richtung in der jüdischen Haltung gegenüber Nichtjuden erkennen? Das Studium der jüdischen Geschichte zeigt, dass diese Einstellung je nach Ort, Zeit und den jeweiligen nichtjüdischen Nachbarn variierte und natürlich auch vom Weltbild der Gelehrten abhing: In Ländern, in denen relativ tolerante Völker lebten und regierten, sprachen die Rabbinen gemäßigt, manchmal geradezu mit Sympathie von ihnen. Dort jedoch, wo die Völker und ihre Herrscher den Juden feindlich gesinnt waren, sie unterdrückten, vertrieben oder umbrachten, fand man entsprechend scharfe Worte.

Die Situation der Juden im Staat Israel heute ist einzigartig in der gesamten jüdischen Geschichte. Heute sind wir die Mehrheit und müssen uns fragen, welches Verhältnis uns die Halacha zu den nichtjüdischen Minderheiten in Israel nahe legt: Müssen wir die Rechte der von uns beherrschten Minderheit schützen? Oder dürfen, ja sollen wir so über sie herrschen, wie in der Diaspora andere Völker über unsere Vorfahren geherrscht haben?

Der mittelalterliche spanische Philosoph und Dichter Jehuda haLevi (vor 1075 Toledo - 1141 Ägypten) behandelt diese Frage in seinem Buch "Der Kusari". Der jüdische Protagonist, ein Rabbi, vertritt die These, die Juden seien in ihrem damaligen Zustand Gott näher, da sie in dieser Welt keine Größe und Macht besitzen. Darauf erwidert König Kusari: "Das wäre richtig, wenn eure Demut eine freiwillige wäre, aber sie ist eine gezwungene. Hättet ihr die Macht dazu, ihr würdet eure Feinde erschlagen".5

Dies ist einer der beide Einwände des Chasarenfürsten gegen das jüdische Volk, auf die der Rabbi keine Antwort geben kann, und er gesteht: "Du hast die Sache gefunden, derer ich mich schäme, König Kusari."6

Die meisten Kapitel dieses Themenkreises wurden seit Beginn der Intifada im Dezember 1987 geschrieben, nachdem Israel schon über 25 Jahre die arabische Bevölkerung im Westjordanland und im Gazastreifen beherrschte. Heute, am Beginn des sechsten Jahrzehnts seit der Gründung des jüdischen Staates, ist Israel trotz aller Sicherheitsprobleme, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Schwierigkeiten ein starker Staat. Dieser Staat hat sich in sechs Kriegen militärisch behauptet. Kann er sich aber auch moralisch bewähren, wenn er weiter eine arabische Minderheit beherrscht, die diese Herrschaft ablehnt und immer eindringlicher politische Unabhängigkeit und Menschenrechte fordert? Auf der Suche nach ethisch vertretbaren und realistischen Lösungen sollten wir prüfen, ob die progressive Halacha uns hier einen Weg aus der unheilvollen und verfahrenen Situation mit den Palästinensern zeigen kann.

Was werden wir antworten, wenn wir einst das erschreckend prophetische Echo Kusaris hören werden: "Hättet ihr die Macht dazu, ihr würdet eure Feinde erschlagen." Wollte Gott, dass wir dann nicht mit den Worten von Jehuda Halevi antworten müssen: "Du hast die Sache gefunden, derer ich mich schäme".

In diesem Themenkreis geht es um unser Verhältnis zu der palästinensischen Minderheit, über die wir herrschen, das heißt um unsere Probleme sowohl mit unseren arabischen Nachbarn als auch mit uns selbst. Die nachfolgenden kürzeren Kapitel wurden zu ganz aktuellen Fragen geschrieben, während Kapitel XII abschließend die verschiedenen grundlegenden Positionen zu dieser Frage darstellt. Ich möchte zeigen, daß der ethisch vertretbare Weg nach dem Ansatz der progressiven Halacha sich letztlich auch als der politisch gangbare erweisen wird. In Kapitel XIII wird deutlich, wie ein verzerrtes Halacha-Verständnis, das den Mord an Arabern rechtfertigt, in seiner lebensverachtenden Konsequenz auch vor dem Mord an Juden, an Bundesbrüdern, nicht zurückschreckt.

>> wird fortgesetzt

siehe auch von Rabbi David Golinkin:
Gebietsrückgabe um des Friedens willen
Erlaubt das jüdische Gesetz dem Staat Israel Teile des besetzten Gebiete oder das gesamte 1967 besetzte Gebiet zurückzugeben "um des Friedens willen"?...

  1. avot de-rabbi Nathan, A 23, S. 75.
  2. Moses Nachmanides, perusch ha-Rambam al ha-Torah, S. 158 (zu Dtn 23,10).
  3. Maimonides, mischne Torah, hilchot teschuwa (Von der Umkehr) 3,5 nach tosefta Sanhedrin 13,2.
  4. tanna de-wej Elijahu 9, S. 48.
  5. Jehuda Halevi, Der Kusari 1,114-115.
  6. Ebd. 1,115. Auch auf die Feststellung des Königs, daß die Juden, obwohl sie es immer propagierten, davor zurückscheuten, nach Erez Israel zu ziehen, kann der Meister nur zugeben: "Du hast die Sache gefunden, derer ich mich schäme, König Kusari" (ebd. 11,23-24).



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