Von Friedrich Thieberger
Das
Buch "Neun Tore" ist 1937 in tschechischer
Sprache ("Devet bran") vom »Europäischen Literarischen Klub in Prag« für
dessen Mitglieder herausgegeben worden.
Es ist von einem Mann geschrieben, der sich mit persönlicher
Gläubigkeit in die chassidische Welt eingelebt hat und aus diesem Geist
heraus die Geschichten der Chassidim so volkstümlich erzählt, wie sie vom
Hörer aufgenommen werden sollen: mit der schlichten Liebe zum Zauberischen,
mit der Freude am Zusammenspiel von Irdischem und Überirdischem und mit der
Verantwortung gegenüber dem Ewigen im Alltäglichen.
Die Grenzen innerhalb der sinnfälligen Welt sind aufgehoben, Raum und Zeit
überwunden. Dabei wird das wirkliche Leben in seiner Gewöhnlichkeit, in
seiner Enge, Härte und Leidenschaftlichkeit nicht verwischt; das ergibt
gegenüber dem Hintergrund des Unendlichen, auf das sich alles bezieht, einen
eigenartigen, geradezu religiösen Humor.
Denn in all diesen Geschichten, die sich nicht scheuen, auch manches fremde
Element in sich aufzunehmen, geht es um etwas Letztes in der Welt, um ein
göttliches Gesetz, um Gott selbst. Darum sind sie kindlich und erhaben
zugleich.
Heute,
da der Boden, auf dem die chassidische Welt emporgewachsen war, restlos
vernichtet ist, verdient das Werk Langers auch über die slawischen Grenzen
hinaus bekannt zu werden. Die Anregung zu dieser Übersetzung ging vom
Kabbalaforscher Prof. G. Scholem aus.
Namen und Ritualien gab Langer in seinem Buch so wieder, wie er selbst sie
in der ostgalizischen Abart des Jiddischen zu hören und gebrauchen gewohnt
war. Die Übersetzung konnte sich fast durchweg der Aussprache und Umschrift
bedienen, die durch Martin Bubers chassidische Bücher in Westeuropa geläufig
geworden sind und sich an die sephardische Ausdrucksweise des heutigen
lebendigen Hebräisch halten. Biblische Namen wurden in der Form
wiedergegeben, die im Deutschen üblich ist.
Einige Geschichten sind auch in Bubers Schriften zu finden. Vielleicht wird
es nicht unwillkommen sein, die Übereinstimmungen und Abweichungen in beiden
Fassungen zu vergleichen. Gegenüber Bubers feinpointierter Sprachkultur
steht hier die breit ausladende, volkstümliche Erzählerfreude, an der Langer
mit Absicht und zuweilen mit Selbstironie festhält.
Weggelassen wurden im Allgemeinen solche Stellen des Originals, die durch
ihre Wortspiele oder Hinweise auf Örtlichkeiten nur für den tschechischen
Leser verständlich sind, ferner die makamenartigen Einleitungen und
Abschlüsse der einzelnen Kapitel. Hier konnte der Dichter Langer seinem
sprachlichen Spieltrieb genüge tun. Denn Langer war nicht nur ein Mann der
Gelehrsamkeit, sondern ein Dichter.
Er war, ein jüngerer Bruder des tschechischen Dramatikers Franz Langer, 1894
in Prag-Weinberge als Sohn eines Spiritushändlers geboren worden, ging in
immerwährender Unzufriedenheit mit sich und der ihn umgebenden Gesellschaft
seine Sonderwege und wurde von der chassidischen Idee mit einem Male so sehr
ergriffen, dass er dem westeuropäischen Studium den Rücken kehrte, um im
ostgalizischen Chassidismus unterzutauchen. Er wurde nicht nur ein
gründlicher Kenner der rabbinischen und kabbalistischen Literatur, sondern
er beherrschte ihren Stil, den hebräischen und aramäischen.
Nach dem Ersten Weltkrieg lebte er wieder in Prag und beobachtete streng
alle chassidischen Bräuche. Dann schlug er, hauptsächlich unter dem Einfluss
der Schriften Freuds und seines Kreises, ins Gegenteil um. Er
veröffentlichte auch in der Zeitschrift »Imago« (1930) eine
psychoanalytische Untersuchung über die jüdischen Gebetriemen.
Später milderte er seinen neuen Extremismus und wurde sogar Lehrer für die
israelitische Religion an tschechischen Schulen. Das erste Werk, das ihn
bekannt machte, war die bei Flesch in Prag 1923 in Deutsch erschienene
»Erotik der Kabbala« (Ein gekürzter Neudruck kam nach dem Zweiten Weltkrieg
im Otto Wilhelm Barth-Verlag heraus.).
Max Brod, mit dem Langer Talmudlektüre betrieb, machte als Erster auf das
Werk, sobald er es im Manuskript kennen lernte, eindringlich aufmerksam. Bei
aller eigensinnigen Einseitigkeit zeugt das Buch von der ungewöhnlichen
Kenntnis einer Welt, zu deren Quellen damals nur sehr wenige Westjuden
vorgedrungen waren. Im gleichen Prager Verlag erschien später ein Bändchen
hebräischer Gedichte von Langer, das erste, das etwa seit einem Jahrhundert
in Prag gedruckt worden ist. Für mein Sammelwerk »Jüdisches Fest — Jüdischer
Brauch« (Jüdischer Verlag Berlin 1936) schrieb er den Abschnitt über die
Trauertage; für den Verband der Tschechojuden verfasste er eine Schrift über
den Talmud mit vielen, zum ersten Mal ins Tschechische übersetzten Proben
(Prag 1938).
Während des Zweiten Weltkrieges flüchtete er nach Palästina. Diese Flucht
war voller Entbehrungen und Leiden. Schwer krank verbrachte er die letzten
Monate seines Lebens in dem Lande, dessen hebräische Kultur er ebenso
kritisch beurteilte, wie er sie fanatisch liebte.
Friedrich Thieberger
Georg Langer:
Neun Tore - Das Geheimnis der Chassidim
Melzer Verlag, Neu-Isenburg 2004, 335 Seiten, enth. versch. Abb. v.
Roman Vishniac
ISBN 3-937389-38-5, 24,95 €/41,95 sFr
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hagalil.com
10-09-2004
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