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Vergessene Jiddische Lieder

øòãéì òðòñòâøàô òùéãéé

"Ach, nun sind ja diese Lieder schon nicht mehr vergessen".

Eigentlich waren sie es nie,
denn ein Mädchen hat sie ein langes Leben lang
im Gedächtnis behalten.

Sara Sliwka war 13 Jahre alt, ein Kind noch, als sie von deutschen Soldaten von zuhause weggeholt und in ein Lager verschleppt wurde. Da hatte sie schon schlimme Veränderungen erleben müssen: zuhause, das hieß Ghetto. Die wenigen Erinnerungen an die Zeit davor blieben an Lieder gebunden: "Brinnele", Dus Äppele "Effn Hantchele", "Surele".

Get one Song! Surele (ra)

Sarah Tenenberg

Sara Tenenberg mit ihren Söhnen
in Israel in den 50er Jahren

Zwischn goldene Sangen Get one Song!
Jidisher Tango
Get one Song!
Budapescht Get one Song!
Treblinka Get one Song!

Bei diesen Liedern kann sie ihrer Mutter nahe sein. Aber eben nicht wirklich, so wie sie nicht wirklich von ihr Abschied nehmen konnte. Oder sie fragen, was es bedeutet, eine Familie zu gründen. Und sie weiß nur von einem einzigen Lied, das ihr Vater gesungen hatte:

"Die ganze Welt is mehr nisht wie a Maissele..." (Ein Ballade fîn Hînger în Noit) - Die ganze Welt ist nicht mehr als eine Geschichte.

Get the Song! Eine Ballade fin Hinger in Noit

An die Eltern zu denken, bedeutet heute an Treblinka denken.

In Cestochowa, Saras Heimatstadt, hatte auch Moniek Tenenberg gelebt. Ein Freund aus der Nachbarschaft, an dessen Lieder sie sich auch aus der Ghetto-Zeit noch erinnerte. Sie traf ihn wieder -  nach der Befreiung, er wurde ihr Mann, er war der Einzige, der wußte, wo sie gewohnt hatten - das Haus stand nicht mehr, niemand war mehr da. Die Stadt war keine Heimatstadt mehr.

Sie gingen zu Fuß nach Ainring, Bayern, in ein "Displaced Persons Camp". Menschen drängten sich auf wenigen Quadratmetern, aber gesungen wurde immer wieder. Hier hörte sie Lieder wie "Neshumele dî mains".

Manche Lieder sang Muniek immer wieder - und er sang wunderbar, wie sie sagt: "Ahaim, ahaim", "Zwischn goldene Sangen", Wail asoi mîss es sain... Andere Lieder hat Sara nur ein einziges Mal gehört, sie blieben ihr im Kopf.

Get one Song! Neshumele dî mains
Get the Song! Wail asoi mîss es sain

Auch den "Jidischen Tango" hörte sie nur einmal, von Mizzi Spielmann. Sie war, wie Sara, in der Abteilung VII des KZ Groß Rosen inhaftiert. Die Wiener Oprettensängerin mußte für die Lagerführung und SS singen, doch einmal hat wohl niemand aufgepaßt und Mizzi sang für ihre Mithäftlinge etwas. Auf jidisch nur dieses Lied.

Es ist nicht möglich, den ganzen verschlungenen Lebensweg Saras hier nachzuzeichnen, sie hörte Lieder in Paris, in Israel, sie sang mit ihrem Mann, mit Freunden, erinnerte sich immer wieder an die Jahre ihrer verlorenen Kindheit in Polen. Alte Volkslieder kennt sie, auch auf polnisch, auf französisch, kommunistische und zionistische Kampflieder, hebräische Lieder der Hoffnung, es müssen hunderte von Liedern sein, die sie nicht vergaß. Von allen Liedern waren die jidischen immer die verlorensten, denn sie haben keine Heimat mehr: "Budapescht" z.B., oder der kleine "Gassn Singer", den sie einst in einem kleinen 10-Groszy-Schlagerheft fand. 10 Groszy waren für das kleine Mädchen wie ein volles Portemonnaie und ein jidischer Schlager damals in Polen für manche so lebendig und aufregend wie heute für andere ein Hit von den Backstreet Boys. Aber jetzt? Wo sollte man diese Lieder noch singen? In der Küche, für die Kinder.

1961 kam Sara in die DDR. Nicht nach Deutschland, sondern in die neue sozialistische Welt. Sicher, sie kannte auch solche Lieder schon:

Is odurech a Juer gants powolinke
Hob sich farlibt in a schain Komsomolinke
Is geboiren a klein Kommunistele
A Firer fîn die Oktobistele...

Ein Jahr ist schnell vergangen, hab
mich in eine schöne Komsomolzin verliebt
Ist ein kleiner Kommunist geboren,
ein Anführer der Oktoberrevolutionäre...

Aber sie ist nicht in die SED eingetreten: Hoffnung hin, Hoffnung her, die DDR lag doch mitten in Deutschland und es war alles andere als einfach hier. Der Sozialismus blieb Utopie. Und die alten jidischen Lieder blieben in ihr wach. Machten sie traurig und halfen ihr über die Trauer hinweg.

In der DDR hatte es keine Verbindung zu den Zentren jüdischer Kultur in der Welt gegeben. Israel galt nur als Aggressor und Liedersammlungen z.B. aus New York wurden unter Freunden weitergereicht, standen in keiner Bibliothek. Es gab ein paar Aufnahmen vom Leipziger Synagogalchor, religiöse Lieder zumeist, sinfonisch arrangiert. Und die Sängerin Lin Jaldati: Sie war Auschwitz-Überlebende, wurde manchmal von der offiziellen Politik vereinnahmt. Ihre Interpretationen jidischer Widerstands- und Volkslieder durfte sie 1966 auf einer halben und fast 20 Jahre später auf einer ganzen Schallplatte veröffentlichen. Nur selten sangen einige Liedermacher mal ein jidisches Lied. Bettina Wegner in jedem ihrer Konzerte. Perry Friedman sang "Tumbalalaika" und Gerry Wolff "As der Rebbe esst". Es gab auch einiges an Literatur - in deutscher Übersetzung und kleinen Auflagen. Diese Aufzählung ist selbstverständlich nicht vollständig - aber von jidischer Kultur konnte keine Rede sein. So mußten sich Jalda Rebling, die Musiker der Gruppe Aufwind, Margrit Falck und andere, die jidische Lieder später auf die Bühne brachten, richtig auf Spurensuche begeben, um Wertvolles, Authentisches erhalten zu können. Ein großer Sammler jidischer Lieder sogar mit Berliner Dialekt war der kürzlich verstorbene Hans Laessig. Wir alle waren uns der Verantwortung bewußt, eine kaputtgemachte Kultur weiterzutragen.

Meine Eltern kannten, hörten und schätzten das Jidische, aber auch ich traf selten Leute, die Jidisch sprechen oder verstehen konnten, aber das war schon ein Glück. Oft bin ich gefragt worden und oft habe ich mich dann selbst gefragt: Wie komme ich dazu, warum mache ich das: jidische Lieder zusammentragen, öffentlich singen - hier in Deutschland? Es war nicht so sehr die Musik, die mich faszinierte. Es war eher der Anti-Nazi-Konsens in meiner Familie und die Haltung in Liedern wie "Sug nischt kainmul, as dî gaist dem letzten Weg - Sag nie, daß du den letzten Weg gehst", mit denen ich mich identifizierte. Schließlich interessierten sich schon meine Eltern für jidische Lieder, hatten ein paar alte Tonbänder und Schallplatten. Ich hörte als Kind Geschichten aus der Nazi-Zeit von Verhören, Verhaftungen, Zusammenschlagen. Von illegalem Widerstand und dem Tod meines Uropas Götz Kilian, der an den Folgen der "Köpenicker Blutwoche" von 1933 starb. Ich dachte, daß dies die gleichen Geschichten seien, die einige von der "Kristallnacht" von 1938 erzählten. Später sprach ich in Interwiews auch davon, daß die Familie meines Vaters sich mittels eines kleinen Vermögens einen "bereinigten Arierpass" erkaufen konnte. Auf einmal waren die Fragen der Journalisten weniger bohrend. Ich brauchte nichtmehr der junge Deutsche zu sein, der sich erstaunlicherweise der jidischen Kultur widmet, es schien ein wenig mehr selbstverständlich, daß ich das tat.

Aber mein Vater erklärte mir vor Jahren seine Beschäftigung mit dem Jidischen ganz anders: "Ich habe mich immer für Kunst von Minderheiten, für Gegenkultur, für den Kampf Unterdrückter interessiert. Ich hätte auch Schallplatten mit der Musik der Pygmäen sammeln können, nur ist diese Kultur viel fremder und doch sehr unverständlich für uns."

Erst 1987 traf ich Sara. Es gab die ersten "Tage Jiddischer Kultur - Versuch einer Annäherung" in Ostberlin. Hier saß sie im Publikum, aufgewühlt, glücklich, nach langer Zeit Lieder in ihrer geliebten Sprache zu hören. Sie wollte mir helfen, mein Jidisch mehr jidisch zu machen und weniger deutsch.

Der polnische Dialekt der Sprache war mir vertraut von alten Aufnahmen, aber viele Bedeutungen und Wendungen begriff ich erst durch sie. Sie sang mir ihre Lieder auf Kassetten, oft war die Melodie nicht leicht zu erkennen. Dazu kam, daß die Recorder rauschten und Bandsalat machten. Im Laufe von 10 Jahren bekamen Götz Lindenberg und ich Erfahrungen, wie welches Lied arrangiert werden konnte. Einige der Lieder singe ich schon jahrelang, andere haben wir erst kürzlich erarbeitet. Es brauchte auch diese 10 Jahre um herauszufinden, daß viele von Saras Liedern wirklich nirgendwo mehr veröffentlicht sind. Und auf dieser CD sind noch längst nicht alle. Sara konnte mir nicht sagen warum, wenn eine Harmonie ihrer Erinnerung zuwiderlief oder ein Gestus in der Interpretation, sie meinte dann immer nur: "Das hast du nicht gut gesungen." Ihr zweiter Mann Heinz pflegte zu sagen: "Nörgel nicht so rum mit ihm!"

Also - nochmal neu hören, suchen probieren. Auf meinen früheren CDs sind schon einige der Lieder, doch da habe ich sie mir "zurechtgesungen". Jetzt ist alles näher am Original und vielleicht ist es uns gelungen, etwas in‘s Heute zu holen von der Lebendigkeit, dem Alltag, den Gefühlen der Menschen, die sie einst gedichtet und komponiert haben. Kein Museum. Erinnern bedeutet lebendig sein.

Sara Bialas-Tenenberg, ist gerade 70 Jahre alt geworden. Ich bin glücklich, daß sie selbst am Anfang und am Ende der CD singt. Wäre ihr bisheriges Leben leichter gewesen, hätte sie vielleicht schon vor Jahrzehnten eine Schallplatte besungen. Denn das kleine Mädchen hat ihr ganzes Vermögen von 10 Groszy in ein Liederheft investiert - damals, vor dem Überfall Deutschlands auf Polen. Und als es keine Liederhefte mehr gab, blieben all die Texte und Melodien in ihrem Kopf.

Am 9.Mai 1995 feierten wir ihren persönlichen 50.Jahrestag der Befreiung aus dem KZ. Und wir haben auch gesungen: "Sug nischt kainmul, as dî gaist dem letzten Weg".

Karsten Troyke, Berlin, 1997/98

Ich bin dankbar für das, was Karsten und seine Mitstreiter geleistet haben: meine Lieder weiterzutragen.

Ich bin eine der wenigen dieser letzten Generation von Menschen, die noch mit Jidisch aufgewachsen sind, die das Furchtbare der Vernichtungslager erlebt hat. Doch nun werden die Lieder vielleicht bleiben, wenn von mir schon nichts mehr dasein wird.

Sara Bialas-Tenenberg

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