Einleitung
Salomo A. BIRNBAUM schrieb im Jahre 1915 in der
Einleitung zu seiner 'Grammatik der Jiddischen Sprache':
''Es ist merkwürdig, wie wenig man in der
nichtjüdischen Welt vom jüdischen Volk weiß. Dies ist heute nicht anders
als in all den zweitausend Jahren''.
Birnbaum widmete sein Leben speziell der Erforschung
der jiddischen Sprache und Literatur. Und damals hatte er einen sehr
wesentlichen Vorteil, im Gegensatz zu heute: Osteuropa bot ihm für seine
Forschungsarbeiten einen reichhaltigen 'Weide-Platz', wo er die
vielfältigsten Studien über die Formen, Charaktere und Unterschiede der
Sprache der Ostjuden erforschen konnte.
Das entscheidendste daran war, vor allem für einen
k&K-Österreicher, wie Birnbaum, der zahlreiche Forschungsreisen unternahm,
daß es für ihn, von Krakow über Galizien - und von der Bukowina bis ins
ferne Tarnopol, so gut wie keine Grenzen gab.
Hier, im östlichsten Gebiet der Habsburg-Monarchie,
grenzend an Ostpolen, Belo-Rußija, Südukraine und Bessarabien, befand sich
auch eines der Zentren der Shtetl-Welt. Von hier entstammten zahlreiche
große Persönlichkeiten: Wissenschaftler, Ärzte, Musiker, Schauspieler,
Bildende Künstler und Literaten die die Menschheit mit ihrem Wissen und
Können bereichert haben.
Doch diese Welt der Ostjuden, wie sie Salomo
Birnbaum und andere Sprach-Forscher noch bis zum Ausbruch des I.
Weltkriegs vorfanden existiert längst nicht mehr.
Sie ist nicht einfach 'untergegangen' oder 'verlorengegangen' wie man es
zu umschreiben versucht - sondern dieser jiddische Bereich ist
systematisch vernichtet worden. In diesem Vernichtungs-Prozeß spielte
natürlich der I. Weltkrieg ebenso eine große Rolle, wie der spätere,
terroristische Stalinismus. Aber den eigentlichenTodesstoß setzte der
expansionssüchtige Faschismus mit seiner millionenfachen Ermordung der
Ostjuden und der Verwüstung ihres Lebensraumes.
Mittels dieser Erkenntnis sollte also nicht von etwas 'Verlorenem' oder
'Untergegangenem' gesprochen werden, sondern von einer sinnlosen und
brutalen Vernichtung.
Das Wort 'Vernichtung' - oder wie wir es benennen 'HaShoah' - ist ein
Begriff, den wir im Judentum nicht erst aus der jüngsten Vergangenheit
kennen; dieses Vokabel ist leider fest in unserer Geschichte verankert.
Wenn ich Ihnen heute über die jiddische Sprache
erzähle, so möchte ich zu Beginn vorausschicken, daß die Sprache der Juden
nicht - wie es einige vermuten dürften - das Jiddisch oder auch das Ladino
war. Die Sprache der Juden - war und ist bis heute: das Hebräische.
Erst durch das Diaspora-Dasein, d.h. durch die
Vertreibung und die Verschleppung der Israeliten aus ihrem Staat in ferne
Länder, begannen die Juden sich in der Sprache ihrer Niederlassungen zu
verständigen. Hebräisch jedoch - nun als religiöse Ausdrucksform, als
'Lashon haKodesh', als 'die heilige Sprache' diente fortan im kultischen
und synagogalen Bereich. Die Hebräischen Schriften bildeten - egal in
welchem Land sich die Juden befanden, der zentrale Mittelpunkt ihres
Handelns.
Die Juden der Diaspora werden in zwei Hauptgruppen
geteilt:
- ASCHKENASIM (die nord- und osteuropäischen
Juden)
- S'FARDIM (die spanischen und
orientalischen Juden). Schauen Sie mal unter ''Anyos
Munchos y buenos...'' (haGalil onLine: Galluth Jisrael) nach.
Sie unterscheiden sich in ihren Lebensgewohnheiten,
auch im Ritus und teilweise sogar heute noch in ihrer Feiertags-Kleidung.
Ein besonderer Unterschied liegt jedoch in ihrer exilischen
Umgangs-Sprache.
So entstand bei den Aschkenasim (Erez Aschkenas ist
eine hebr.Bez. für Deutschland) das Jiddisch; und bei den S'fardim
(S'farad hebr.Bez. für Spanien) bildete sich das Laddino, welches wie auch
das Jiddische eine Mischsprache ist. (Ladino besteht aus alt-spanischen,
arabischen und hebräisch-aramäischen Elementen).
Die Bezeichnung 'JIDDISCH' hat sich in Deutschland
erst seit rund hundert Jahren eingebürgert, wo man bis dahin von 'Jüdisch'
und 'Juden-Deutsch' sprach; - oder wie es die MASKILIM, die Aufklärer,
abwertenden nannten: der 'Jargon'.
Die Juden selbst verwendeten die Ausdrücke: 'Taitsch', 'Jiddisch' oder
einfach nur die 'Mameloschn' - die 'Mutter-Sprache'.
Sprach-Historisch widerfuhren dem Jiddischen drei
Entwicklungsstufen nämlich:
'Altjiddisch', 'Mitteljiddisch' und 'Neujiddisch'.
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Die Anfänge dieser Misch-Sprache sind nicht
eindeutig geklärt. Sicherlich liegen sie im Zusammenhang mit der
Niederlassung der Juden in Deutschland. Aber es wäre falsch anzunehmen,
daß die Entstehung auf die Ghettoisierung der Juden zu schließen sei.
Salomo Birnbaum gibt uns eine logische Erklärung:
'Die Entstehung des Jiddischen wurzelt also in
der kultur-schöpferischen Kraft der jüdischen Religion. Sie war
grundsätzlich gegeben, als die Juden als Gruppe das Deutsche übernahmen.
Das Alter der Sprache ist dem gemäß mit fast einem Jahrtausend
anzusetzen. In dem Übergang von der Ur- zur Altjiddischen Periode machte
sie die Entwicklung vom Mittel- zum Früh-Neuhochdeutschen mit,
gestaltete sich aber immer selbständiger aus.'
Das älteste uns bekannte jiddische Sprachdokument
stammt aus dem Jahr 1272/73. Es ist der WORMSER MACHSOR (2), wo innerhalb
eines hebräischen Textes ein jiddischer Segensspruch eingefügt ist:
'gut tak im betage
se wer dis machasor in
beß ha'kneßeß trage!' (Ein guter Tag sei
dem beschieden, der diesen Machsor in die Synagoge trage.)
Hier finden wir also bereits zwei wesentliche
Grundsätze:
1) der jiddische Vers ist in hebräischer Schrift
geschrieben;
und 2) die religiösen Begriffe 'machasor' und 'beß ha'kneßeß' (die
Synagoge) bleiben in der hebräischen Original-Form stehen.
Dieser aelteste Beleg beweist uns also eindeutig,
daß es sich beim Jiddischen von Anfang an um eine Komponenten-Sprache
handelt. Jiddisch ist eine Misch-Sprache, die aus einem mittel- bzw.
frühneu-hochdeutschem Grundelement besteht, welchem vom Anfang an
(zunächst zwar noch gering) hebräisch-aramäische, und erst wesentlich
später - nach der Vertreibung der Juden - auch slawische Elemente (und
Wort-Suffixe) ein- und hinzugefügt wurden.
Abgesehen davon lassen sich auch altromanische Komponenten nachweisen, wie
z.B. das Wort 'antsposen' 'verloben' (vom altfranz. 'espouser'; und d.
ital. 'sposare'). Im Neujiddisch ist das 'antsposen' längst schon vom Wort
'far'knaßn' verdrängt worden (es stammt aus d. lat. census 'Geldstrafe',
weil für den Verlobungsakt Geld 'bezahlt' werden mußte); - Auch das Wort
'bentschn' 'segnen', läßt sich aus dem Lateinischen, vom 'benedicere',
ableiten.
Auch griechische Spuren lassen sich im Jiddischen entdecken, wie
beispielsweise die Worte 'apikoireß' für 'Ketzer' von 'epikuros', oder das
Wort 'katoweß' aus 'kata`phasis' für Unsinn, bzw. im übertragenen Sinn
auch für 'Scherz'.
Beispiele dieser Art könnte ich beliebig lang fortsetzen...
Aus der altjiddischen Epoche hat sich leider nur
sehr wenig erhalten. Doch diese frühen Belege genügen, um gemeinsam mit
den späteren Schrift- und Druck-Werken, die einzelnen Entwicklungsphasen
der jiddischen Sprache nachvollziehen zu können.
So kennt man (neben dem vorhin erwähnten 'erst 1966 entdeckten' Vers),
abgesehen von verschiedenen religiösen Schriften, wie die
Talmuderklärungen und Thora-Übersetzungen oder auf biblische Stoffe
zurückgreifende Erzählungen, auch eine Art jiddische 'Spielmanns-Dichtung'
und 'Heldenepos'.
Laib FUKS, der Entdecker der sogenannten 'Cambridger
Handschrift', die eine Sammlung jiddischer Schriften ist, schrieb
diesbezüglich:
'Das jüdische Volk schwärmte in nicht geringem
Maße für 'Dukus Horant' (die in Jiddisch bewahrte älteste Version der
'Hildesage'), für Majster Hiltibrant und Ditrich fun Bern als für
biblische epische Gedichte wie 'Avro'om ovinu' und 'Joseph HaZadik', die
allesamt von jüdischen Spielmännern bearbeitet oder auch verfaßt und dem
Geschmack der Juden angepaßt wurden.'
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen eines der
bekanntesten jüdischen Troubadoure dieser Epoche nennen: Süßkind von
Trimberg (2.Haelfte d.13.Jhdt), er stammte aus Schweinfurt und von ihm
haben sich einige humorvolle aber auch nachdenkliche Texte erhalten.
Aus dem eben erwähnten epischen Gedicht 'Avro'om Ovinu' (Unser
Vater Abraham) - möchte ich Ihnen als Hörprobe - die ersten zwei Strophen
vortragen.
Abraham, der erste unser drei Erzväter, entsprach
anfangs gar nicht dem jüdischen Glauben, denn er handelte mit 'Apikoireß'
mit Götzen, die er, im Auftrag seines Vaters, auf dem Markt verkaufen
mußte:
Er
vaßte si wil ebene
er machte sich hin vür
Er
korte siene verßen
zu sieneß fater tür
Er
warf den ßak zume rüken
er machte sich zu den velden
Er
began di apgote
se'ere schelden.
Er
sprach: vor woßen apigote
vor woßen mü'ßet ir sien
Ir
habet vil gar zu'riten
den armen rüken mien.
Wil
mir der wor'haftige got
sien hülfe senden
Ich
wil üwern gelouben
gar vor'ßwenden.
(Abraham geht aus
dem Haus seines Vaters. Doch bald begann er über die Götzen zu klagen, und
fragt sich: 'wozu sind denn die Götzenbilder überhaupt gut?' denn sein
Rücken tut ihm schon weh von dem Schleppen der Figuren zum Markt. Wenn ihm
der wahre Gott seine Hilfe senden würde, so wolle er sich sofort von ihnen
befreien.)
Dieser Text aus der 'Cambridger
Handschriften-Sammlung' stammt aus dem 13.Jahrhundert und gehört zusammen
mit dem 'Wormser Machsor' zu den ältesten bisher aufgefunden
Sprachzeugnisse.
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