Israel am Wendepunkt:
Von der Demokratie zum Fundamentalismus?
Vorwort
von Lea Rabin
Mein Mann Jitzchak Rabin wurde ein Opfer
des von ihm eingeleiteten Friedensprozesses zwischen Israel und den
arabischen Nachbarstaaten. Er hatte diese neue Ära der Beziehungen zwischen
Israelis und Arabern in der festen Überzeugung eröffnet, dass es keine
andere Lösung gibt für den hundert Jahre alten Konflikt um das Land Israel,
auf das beide Völker Anspruch erheben.
Durch den Teilungsbeschluß der Vereinten Nationen vom
29.November 1947
wurde uns Juden ein Staat zugesichert; den Arabern wurde nach den
Rhodosvereinbarungen
das Westjordanland, das die Gebiete Judäa und Samaria umfasst, und der
Gazastreifen zuerkannt. Im Juni 1967 hatte Israel nach dem Angriff der
jordanischen Armee das im wesentlichen von Palästinensern bevölkerte
Westjordanland besetzt; das Land wurde allerdings niemals annektiert.
Seitdem wird das Thema der besetzten Gebiete in der israelischen
Gesellschaft äußerst kontrovers diskutiert. Das linksliberale Lager vertrat
stets die Meinung, wir sollten die besetzten Gebiete - oder zumindest den
größten Teil davon - eines Tages im Rahmen einer Friedenslösung zurückgeben;
das rechtskonservative Lager und die meisten religiösen Gruppierungen
hingegen schließen eine solche Option kategorisch aus. Sie behaupten, dies
sei unser Land, das wir niemals wieder aufgeben dürften. Ein Beharren auf
diesem Standpunkt liefe natürlich auf eine ewige Fortsetzung des qualvollen
Konflikts zwischen Israelis und der mehrheitlich palästinensischen
Bevölkerung im Westjordanland hinaus, die sich als palästinensisches Volk
begreift und ihr eigenes, unabhängiges Land fordert. Sollte sich die
israelische Regierung also einem Kompromiss bezüglich der besetzten Gebiete
verschließen, würde dies ein Blutvergießen ohne Ende nach sich ziehen.
Als Ministerpräsident Jitzchak Rabin die Zeit für reif erachtete, diesen
unheilvollen kriegerischen Kreislauf zu durchbrechen und den Weg des
Friedens einzuschlagen, war er sich dessen bewusst, dass ein Friedensschluss
sowohl von islamisch-fundamentalistischen Bewegungen wie Hamas, Dschihad
oder Hisbollah bekämpft werden würde als auch von den jüdischen
Fundamentalisten - von Gusch Emunim, den Siedlern in den besetzten Gebieten
und anderen orthodoxen Gruppierungen.
Aber das ist nicht die ganze Geschichte.
Die Führung des Likud-Blocks erkannte, dass Jitzchak Rabin als einzige
Leitfigur das Vertrauen und die Achtung des israelischen Volkes hatte - über
die Grenzen seiner eigenen Partei und des gesamten Spektrums der politischen
Linken hinaus. Etwa 70 Prozent der israelischen Bevölkerung wollten den
Frieden und glaubten an Rabins Weg. Dies machte ihn zur Zielscheibe für
Anfeindungen. Aus politischen und ideologischen Gründen lenkte der
Likud-Block eine Kampagne gegen ihn, mit der Absicht, seine Popularität und
Führungskraft zu untergraben. Sie bedienten sich dabei der Ultrareligiösen
und der Ideologen des rechten Lagers, wenn ein Bombenanschlag eines
Selbstmordattentäters der Hamas verübt worden war oder ein wichtiges
politisches Ereignis auf dem Weg zum Frieden stattgefunden hatte, wie der
Händedruck mit Yassir Arafat und später die Unterzeichnung des zweiten
Osloer Abkommens.
Wütender Protest
artikulierte sich: »Rabin, Verräter, Mörder«. Plakate mit Rabin in
SS-Uniform tauchten auf; fundamentalistische Fanatiker legten eine ihn
darstellende Puppe in einen Sarg mit der Aufschrift: »Rabin, Mörder des
Zionismus«.
Tatsächlich wurde hier die politische Auseinandersetzung durch eine
gewaltsame ideologische Demonstration blinden Hasses verschärft.
Der Mann, der sich für die Verteidigung und Stärkung des jüdischen Staates
einsetzte, wurde von einem fanatischen ultraorthodoxen Juden umgebracht. Er
war jedoch nur das Werkzeug, denn das Klima für diesen
politischen Mord war
von den Likud-Führern geschaffen worden. Es war ein grausamer Meilenstein in
unserer Geschichte; nun offenbarte sich vollends, wie gefährlich die
Verquickung von Politik und Religion sein kann.
Richard
Chaim Schneider hat sich eingehend mit den verschiedenen Aspekten
der polarisierten israelischen Gesellschaft befasst und eine glänzende
Analyse vorgelegt. Es ist wichtig, all diese Informationen zu kennen, wenn
man ermessen will, was für Israel auf dem Spiel steht, wenn man versucht,
die immensen Gefahren auszuloten und Wege zu finden, dieses verwirrte und
zerrissene Land zu befrieden - diese jüdische Heimat, von der wir geträumt
haben, die wir so ungeheuer dringend brauchten und die wir heute in tiefem
Leid sehen müssen. Und doch sind wir voll Hoffnung, die Gräben überwinden zu
können und ein Klima der Toleranz zu schaffen für eine friedliche Koexistenz
aller widerstreitenden Gruppierungen in der israelischen Gesellschaft.
Ich schätze und achte Richard Chaim Schneiders Bemühungen, Wissen und
Verständnis zu vermitteln, und möchte ihm gratulieren und danken für dieses
wichtige Buch. Lea Rabin
hagalil.com 05-11-1998
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