Der Staat Israel entstand nicht am 14. Mai 1948,
als man ihn im Tel-Aviv-Museum offiziell ausrief.
Er wurde bereits ein knappes Jahr zuvor geboren, am 18. Juli 1947, als ein
verwundetes, schwer angeschlagenes amerikanisches Schiff namens President
Warfield, umbenannt in Exodus, in den Hafen von
Haifa einlief, während aus seinen Lautsprechern die Klänge von
haTikvah drangen.
Der Staat Israel entstand, noch bevor er einen Namen hatte, als die Tore
Palästinas den Juden verschlossen waren und die Engländer Krieg führten
gegen die Überlebenden der Schoah. Der Staat Israel entstand, als seine
Küsten gegen jene verteidigt wurden, für die er bestimmt war, abgeriegelt
durch 45 Kriegsschiffe vom Typ C, modernste Kriegsschiffe, die die Briten
noch bei Kriegsende fertig gestellt und nicht mehr eingesetzt hatten, eine
riesige Flotte auch für heutige Begriffe: Kreuzer, Zerstörer,
Minenräumboote, Patrouillenboote, modernste gepanzerte Schnellboote vom Typ
Sindbad und dazu ein Geschwader der Royal Air Force, Dutzende von Maschinen
stark, die in Palästina, auf Zypern, in Ägypten und auf Malta stationiert
waren. Der Staat Israel entstand, als man
versuchte, seine Tore zu schließen
- mit Hilfe Zehntausender von Soldaten, Tausender von Polizisten und Agenten
des britischen Geheimdienstes in den Häfen Europas und durch
Internierungslager auf Zypern und im südlich von Haifa gelegenen Athlit.
Israel wurde an dem Tag geboren, an dem die Soldaten Seiner Majestät über
die Menschen an Bord jenes Schiffes herfielen, das noch kurz zuvor auf dem
Potomac River im Osten der Vereinigten Staaten gelegen hatte (wo es nach
einem langen Leben als Vergnügungsdampfer verkauft und ausgeschlachtet
werden sollte). An dem Tag, an dem britische Soldaten Hunderte von
Gasgranaten auf die 4515 Menschen abfeuerten, die an Bord der Exodus
gefangen waren, Menschen, die zwei Jahre zuvor an einem anderen Ort dem Tod
durch ein anderes Gas entgangen waren.
Die Gleichung, nach der die Exodus einen ähnlichen Stellenwert gehabt
habe wie die Boston Tea Party, wurde von Bartley Crame aufgemacht, einem
bekannten Rechtsanwalt und Mitglied der anglo-amerikanischen Kommission zur
Lösung des Palästinaproblems, in dem Moment, als das Schiff unter
aufmerksamer Beobachtung durch die Mitglieder der
UNSCOP-Delegation langsam in den Hafen von Haifa geschleppt wurde.
Das Zusammentreffen der Exodus mit der UNSCOP-Delegation, die nach Haifa
gerufen worden war, als das Eintreffen des Schiffes bekannt wurde, die
Besonnenheit der Schiffsführung und vor allem das Leid der Menschen an Bord,
ihre Frustration nach dem Angriff auf hoher See, vor der Küste Palästinas,
und ihre Verzweiflung angesichts der bevorstehenden qualvollen Reise auf
Deportationsschiffen zurück nach Deutschland, wo man sie in das bei Hamburg
gelegene Pöppendorf pferchen würde, das schon den Nazis als Lager gedient
hatte - so wurde aus all dem der Staat der Juden geboren, noch bevor er
tatsächlich entstand.
Die Menschen, die sich auf dem alten Seelenverkäufer drängten wie die
Ölsardinen, hatten nichts, wo sie hätten hingehen können. So hatten sie sich
aufgemacht nach Palästina. Die meisten Überlebenden wünschten sich, in einem
eigenen Staat zu leben, einem eigenen Zuhause. Doch auch wenn sie dies nicht
gewollt hätten, wäre ihnen kaum eine andere Wahl geblieben, da die
Möglichkeiten, sich in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien,
Australien, Lateinamerika oder Belgien niederzulassen, begrenzt waren. In
den Jahren 1945-1948 nahmen all diese Länder zusammen lediglich 15.000
jüdische Überlebende der Schoah auf.
Mit der Überführung der Exodus aus Europa kam es zu einem einmaligen
historischen Zusammentreffen, bei dem das Eretz Israel der neuen Hebräer,
das seine ganz eigene Mentalität entwickelt hatte, dem jüdischen Leid
begegnete. Seit 1933 war der Anteil der
Neueinwanderer
unter der jüdischen Bevölkerung Palästinas, denen nach Hitlers
Machtergreifung die Einreise gestattet wurde, stetig gewachsen, bis die
Briten im Jahre 1939 die Zuwanderung fast gänzlich stoppten und im Verlauf
der folgenden fünf Jahre lediglich 75.000 Juden einreisen ließen. Die legale
Einwanderung war somit dem Großteil der emigrationswilligen Juden versperrt,
weshalb als einziger Weg die illegale Einreise,
die Ha'apala blieb. Zwischen 1934 und 1948 kamen auf diese Weise weit mehr
als hunderttausend Juden ins Land, von denen etliche gleich bei der Landung
von den Briten aufgegriffen wurden. Die Dalin, das erste Schiff, das der
Mossad leAlija Beth nach dem Ende des Krieges im August 1945 einsetzte,
brachte fünfunddreißig Einwanderer an den Strand von Caesarea. Die beiden
»Pans« - die Pan York und die Pan Crescent -, jene Schiffe, die Yossi Harel
1948 nach Israel führte und die im wesentlichen die Phase der illegalen
Einschleusung abschlössen (nach ihnen sollten noch sechs weitere, deutlich
kleinere Schiffe eintreffen), brachten allein 15.236 Menschen ins Land.
Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre landeten so Unzählige an
den Stranden Palästinas, doch diejenigen, die hinter dieser illegalen
Einwanderung standen und sie organisierten, waren nicht zahlreich, auch wenn
man sie später zu einem Mythos erhob und mit Gedichten bedachte, ja sogar
versuchte, ihnen eine Krone aufzusetzen. Die meisten Versuche, Palästina zu
erreichen, misslangen jedoch. Die Briten internierten die Flüchtlinge in
Lagern, zunächst in Athlit und dann auf Zypern, doch auf Zypern befanden
sich die Menschen bereits auf halbem Weg nach Eretz Israel, hatten mit
anderen Worten Europa für immer hinter sich gelassen. Die
landwirtschaftlichen Siedlungen steuerten das ihrige dazu bei, die
Flüchtlinge aufzufangen. Auch die Aktionen der Haganah waren
hilfreich. Doch all dies, samt den Terroraktionen
jüdischer Untergrundorganisationen, so heldenhaft sie auch sein mochten, war
doch nichts mehr als ein Ärgernis für eine stolze Armee, die sich in der
Lage gezeigt hatte, bedrohliche Aufstände in zahlreichen Ländern
niederzuschlagen, eine Armee, die Dünkirchen überlebt hatte. Die Soldaten
einer Nation, die mit Heldenmut dem Blitzkrieg getrotzt hatte, konnte dies
reizen und irritieren. Die Briten scheiterten an ihrer eigenen Ohnmacht
gegenüber den Abertausenden, die unaufhörlich eintrafen, die Schiff um
Schiff bestiegen, die sich, um an die Küste zu gelangen, in Europa über
Gebirgspfade schleppten, verschneite Höhen und Wälder durchquerten, unter
unmenschlichen Bedingungen in Durchgangslagern ausharrten, zitternd vor
Kälte, hungernd - und dennoch immer weiter zogen. Ein nicht enden wollender
Strom.
Viele außergewöhnliche Menschen waren an der Rettungsaktion beteiligt,
die ich in diesem Buch beschreiben will: Dutzende von Mitarbeitern des
Mossad leAlija Beth sowie etwa siebzig, achtzig Angehörige der
Palmach, die auf den Schiffen und in den Lagern tätig waren. Ich
beschloß jedoch, die Geschichte aus der Perspektive eines einzigen Mannes zu
erzählen, eines jungen Burschen namens Yossi Harel, der Mitte der vierziger
Jahre das Kommando über die vier größten Schiffe in der Geschichte der
Ha'Aapala hatte. Ich wollte seine moralische Verantwortung schildern
(über deren Ausmaß allein er urteilen konnte) und seinen Wagemut, der an
Draufgängertum grenzte. Wollte beschreiben, wie er diese Schiffe befehligte,
mit Zehntausenden von Menschen, die alles verloren hatten, die dicht
gedrängt im Bauch der Seelenverkäufer hausten, während er nur über wenige
Rettungsboote ohne Schwimmwesten verfügte - und bei all dem gerade einmal
siebenundzwanzig Jahre alt war.
Wie ich ihn kennengelernt habe? Das ist eine lange Geschichte: Jahre
nachdem Yossi Juden geholfen hatte, nach Palästina zu gelangen, und Jahre,
nachdem er bei einigen der geheimsten Affären des Staates Israel mitgewirkt
hatte - Affären, gegen die James Bonds Abenteuer wie reinste Kinderspiele
wirken -, haben er und ein Freund ein großes Freibad in Tel Aviv eröffnet.
Das war ihre Art der Ablenkung von den vielen weltweiten Unternehmen die sie
gründeten und die sie im Laufe der Zeit zu reichen Männern machten.
Ursprünglich nur für ihre Freunde gedacht, stand dieses Salzwasser-Freibad
am Strand von Tel Aviv, für das Wasser weit draußen auf dem Meer angesaugt
wird, schon bald in dem Ruf, das beste von ganz Tel Aviv zu sein. Und in
diesem Bad, das ihm heute nicht mehr gehört, habe ich Yossi zum ersten Mal
getroffen. Zunächst konnte ich nicht glauben, dass er der Mann sein sollte,
von dem ich schon so viel gehört hatte und von dem ich bis heute nur
Bruchteile dessen weiß, was er in seinem Leben getan hat. Denn Yossi selbst
spricht nicht gern darüber. Warum? Nun, weil genau das die Art ist, wie er
handelt: Auch heute noch sagt er zu mir, er führe nach Haifa, dabei fährt er
nach Jerusalem. Er vertraut niemandem; der Feind könnte ja mithören. Wir
haben uns zwar damals bei unserer ersten Begegnung unterhalten. Freunde sind
wir aber erst später geworden. Ich habe mich schon immer für die Menschen
interessiert, denen er geholfen hat nach Palästina zu kommen, und wusste, er
war einer der wenigen, die sich mit Zuneigung an diese Menschen erinnerten.
Ein Freund und ich entschlossen uns, eine Geschichte über Yossi zu
machen, und er traf sich über Monate hinweg immer wieder mit uns. Zwar
erzählte er uns auch viel, aber es klang, als würde er eine Schallplatte
laufen lassen: trocken und so, als sei er nicht mit dem Herzen dabei. Ich
beschloss, das Projekt aufzugeben. Er schien mir zu unbeteiligt, erzählte zu
farblos, in kurzen Sätzen, abgehackt. Dann aber rief mich sein Sohn an und
sagte, er wisse, dass wir lange Zeit von Yossi nichts wirklich Interessantes
zu hören bekommen hatten, obwohl wir über ihn schreiben wollten. Er meinte,
sein Vater werde bald achtzig Jahre alt und vielleicht könne er Yossi
überzeugen, besser mitzuarbeiten, da dieser es mir als einzigem zuzutrauen
schien. Zunächst blieb es bei dieser Willenserklärung. Yossi ist kein
gesprächiger Mann. Doch eines Tages erfuhr ich durch einen Besuch bei seiner
Schwester Dinge über seine Kindheit und vor allem seine Mutter, die er
selbst seinen Kindern nicht anvertraut hatte - und als ich ihn damit
konfrontierte, öffnete er sich, ich denke zum ersten Mal im Leben, einem
anderen Menschen. Dieser Mann, der sein ganzes Leben lang nur vorgefertigte
Darstellungen seiner eigenen Geschichte von sich gegeben hatte, vertraute
sich mir an und konnte sich so endlich mit der Erinnerung an seine Mutter
aussöhnen. Allerdings blieb es weiterhin ein Kampf um jedes Wort. Wir
redeten tagelang miteinander. Trotzdem versuchte er, manche Ereignisse ganz
auszulassen, versuchte, mich von der einen oder anderen Fährte abzubringen,
obwohl er wusste und eigentlich wohl auch wollte, dass ich dieses Buch
schrieb: Er führte Krieg mit sich selbst. Es war wie in einer der
Geschichten, die er mir erzählte. Von einem Besuch in der Hauptstadt eines
kommunistischen Landes, wo er es trotz hohen Fiebers abgelehnt hatte, vor
Ort hergestelltes Aspirin zu kaufen.
Nach und nach kamen die Dinge ans Tageslicht. Gefühle, Bilder - er
vertraute sie mir an mit der Bitte, sie zu fiktionalisieren, denn er wollte
nicht, dass es seine Stimme war, die erzählte. Das sei er seinen Freunden
schuldig, die ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen hätten. Die
Zärtlichkeit, die er den Flüchtlingen gegenüber empfand, berührte mich sehr.
Dieses Mitgefühl für Menschen, die damals von einigen Israelis SOAPS
(Sabonim) genannt wurden, weil sie sie verachteten. Hier jedoch war ein
Mann, der nie von Kants moralischem Imperativ gehört hatte, der aber aus dem
Schicksal Jerusalems, dieser verbarrikadierten
Stadt, aus seinen eigenen Abenteuern und seinem starken Verantwortungsgefühl
für sich selbst die Lebensregeln entwickelte, die keine Universität
vermitteln kann.
Es waren vor allem die Erlebnisse auf den großen Auswandererschiffen, die
Yossi Harel geprägt haben. Als er hörte, wie die hungrigen, vom Schicksal
geschlagenen Menschen die HaTikwa anstimmten, dachte er bei sich, daß
so die Opfer der Inquisition gesungen haben mussten. Der Anblick dieser
Entwurzelten, die die wenige, ihnen verbliebene Habe an die Brust gedrückt
hielten, sich an ihre Taschen und Bündel klammerten, machte ihm deutlich,
dass er ebenso auf Erfolg angewiesen war wie die Briten, die ihren Sieg mit
ganzer Härte verfolgten. Großbritannien hatte zwar den Krieg gewonnen,
schien aber im nachfolgenden Frieden eine Niederlage zu erleiden. Nach dem
Weltkrieg herrschte auf der britischen Insel eine bedrohliche
Lebensmittelknappheit. In den großen Städten - vor allem in London - stand
die Bevölkerung für Nahrungsmittel und Kleidung an, die es auf Marken gab.
Die Briten hatten nicht einmal genug Geld, ihr mehrere Tausend Mann starkes
Truppenkontingent aus Griechenland abzuziehen. In Haifa jedoch fanden die
Soldaten der Armee seiner königlichen Majestät, nachdem sie sich der
Kontrolle über die Exodus bemächtigt und die Immigranten von Bord gebracht
hatten, Konservenbüchsen mit koscherem Fleisch, die der JOINT aus
Amerika geschickt hatte. Die Männer empörten sich: In Großbritannien
herrschte bitterer Mangel, und jetzt sehe sich einer diese halsstarrigen
Juden an, die es mal wieder gut getroffen hatten. Sie nahmen den
Flüchtlingen die Büchsen mit koscherem Fleisch ab und schickten sie an ihre
Familien nach England. Gleichzeitig aber gab die britische Regierung
Unsummen aus, um Zehntausende von Soldaten in Palästina zu halten, die eine
Invasion von Überlebenden verhindern sollten, an deren Rettung man sich zwei
Jahre zuvor selbst beteiligt hatte.
Um die Schiffe außerhalb der Territorialgewässer, weit vor der Küste
Palästinas, aufbringen zu können, fischten die Briten von ganz tief unten
aus dem Fass des Zynismus eine Bestimmung aus den Tagen des Sklavenhandels
im 17. Jahrhundert heraus, die diese Vorgehensweise sanktionierte. Das
Geheimnis von Yossis Stärke hingegen lag in dem Verständnis, das er für
jenen Diasporajuden empfand, den zu verabscheuen er in seiner Jugend gelernt
hatte. Dieser junge Eretz-Israeli, dessen Schule der Kampf gegen arabische
Banden in Chanita und in den Bergen Jerusalems gewesen war, lernte mit der
Zeit, die erschöpften Frauen auf dem Schiff zu verstehen, ja sogar zu lieben
- jene blassgesichtigen und verängstigten Menschen, zornig und von
Alpträumen verfolgt, die ihre Kleider in drei und vier Schichten
übereinander trugen.
Er war weder herrisch noch überheblich, sondern wollte ihnen ein
Begleiter sein, eine Art Verkehrspolizist. Er empfand Ehrfurcht vor ihrem
Elend, ihrer jahrelangen Wanderschaft, und gleichzeitig verneigte er sich
vor ihrem Heldentum, das wenige außer ihnen damals verstanden. Yossi würde
niemals vergessen, wie bei stärkstem Sturm, als die Wellen die Decks
überspülten und sich zu halber Masthöhe auftürmten, die Frauen und Mädchen
zu gegebener Zeit zitternd an Deck kamen, sich auszogen und mit kaltem
Meerwasser wuschen, um sich so ihre Würde als Menschen zu bewahren. Er
verstand die Schmach und die Schande, die Kraft und die Wut, die sie trieb.
Er begriff, wie stark dieser Überlebenstrieb inmitten des großen Verrats
sein musste, da ihnen alle Türen der Welt verschlossen waren, und er spürte,
dass er diese Menschen stützen und ihnen Halt geben musste. Seinen Worten
zufolge waren sie brennende Kerzen, blaue Kerzen - ein wertvolles
Unterpfand, das in seine Hände gegeben worden war.
Im Grunde genommen entwickelte sich damals ein Gefühl von Partnerschaft.
Denn wenn man daran beteiligt ist, Hunderttausende von Menschen aus den
Durchgangslagern im Nachkriegsdeutschland zu holen und mit ihnen auf die
britische Blockadewand zuzuhalten, muss man eine eindeutige Antwort parat
haben. Entweder alles oder nichts. Was nichts mit trockenen akademischen
Diskussionen über die historische Gerechtigkeit als Spielart menschlicher
und politischer Ungerechtigkeit zu tun hat. Sondern mit dem Erleben
ungeheurer Begegnungen und Situationen, wie Yossi Harel sie mir schon aus
seiner frühen Zeit als Kommandant erzählte.
Wie jene Geschichte von einem jungen Mädchen auf einem der Schiffe, die
Yossi Harel damals befehligte, jene Geschichte von einem Mädchen,
verängstigt wie eine Straßenkatze, von gerade einmal sechzehn Jahren, das
ganz aus dunklen Augen zu bestehen schien, die von einem zarten, matten
Schleier überzogen waren, ein Mädchen, das die Deutschen zur
Lagerprostituierten gemacht hatten mit einer Tätowierung auf dem Busen:
FELDHURE A. 13652. So kam es, dass dieses junge Mädchen von der Brücke der
Knesset Israel ein Lied sang, das ihr Yossi Harel, der Kommandant des
Schiffs, beigebracht hatte. Als die Briten das Schiff stürmten, blickte
ihnen dieses verlorene und mutige Mädchen, das auf der Brücke saß, eine alte
Gitarre in der Hand, in die Augen und sang mit Trauer und ruhiger Verachtung
in der Stimme ein Lied des Dichters Nathan Alterman: »Ruhe, sanftes Tal,
wunderbares Land.« Ihr furchtbarer Zorn, die Wildheit, ihr Mut, auf der
Brücke zu sitzen und zu singen, während ringsum ein heftiger, brutaler
Angriff tobte, ein Lied zu singen, das wie ein Wiegenlied klang, während die
Briten ein Schiff stürmten, das auseinanderzubrechen drohte. - Dieses
Mädchen überwand die Briten mit einem Lied, dessen Worte sie ebensowenig
verstand, wie sie das dort beschriebene Land kannte. Ein Land, das schon
bald zum Staat Israel werden sollte.