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Judentum und Israel
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Deutsche Juden:
Die "Jeckes" im israelischen Humor

Shlomo Erel

Über die deutschen Juden, die "Jeckes", kursierten nach ihrer verstärkten Einwanderung nach Palästina aufgrund des Machtantritts der Nazis nach 1933 zahlreiche Anekdoten und Witze, denn dieser Gruppe haftete lange etwas Auffälliges, Besonderes an.

Sie hatte es schwerer als andere, sich einem ihnen in vielfacher Hinsicht fremden Milieu anzupassen, und sie hielten an dem mitgebrachten Lebensstil lange hartnäckig fest. Die meisten verwendeten weiterhin ihre Muttersprache, obgleich Deutsch in der Hitlerzeit kein sehr geeignetes Entrée-Billet in die nahöstliche Gesellschaft darstellte, und damit blieben sie teilweise isoliert. Die geistige Verbundenheit mit Goethe, Schiller und Heine war weiterhin in vielem die Grundlage ihrer Gedankenwelt.

In einer Atmosphäre orientalischer Ungenauigkeit im Geschäftsverkehr und in der Zeitgestaltung des täglichen Lebens blieben Pünktlichkeit und Präzision charakteristisch für sie. Das trug ihnen den Ruf ungebührlicher Pedanterie ein, die dann mit Sturheit, mangelnder Flexibilität oder gar mit Naivität und Einfältigkeit gleichgesetzt und in der Anekdote ins Groteske überzeichnet wird. Schon die - indessen von einigen bestrittene - Etymologie der Bezeichnung Jeckes deutet darauf hin: sie soll sich von Jacke herleiten, die, korrekt auch im heißen Sommer, häufig anbehalten wurde.

Man erzählte sich, daß Einladungen im geselligen Bereich wie zu Hochzeiten und Geburtstagen mit dem Hinweis versehen wurden "Für Jeckes eine Stunde später".
- Als ein deutschjüdisches Ehepaar nach einer Abendeinladung nach Hause zurückkehren wollte, wird es von einem lang andauernden Gewitter überrascht, und die Gastgeber bieten deshalb das eheliche Schlafzimmer zum Übernachten an. Es wird zurechtgemacht, doch sind die beiden Gäste dann verschwunden. Sie kehren aber - bis auf die Haut durchnäßt - zurück und erklären, sie hätten eben nur noch Schlafanzug und Zahnbürste holen wollen.
- Berühmt geworden ist auch die Geschichte von einem Geschäftsinhaber aus deutschen Landen, bei dem der Käufer von Streichhölzern auf einer Schachtel besteht, in der sich die Schwefelköpfe auf der anderen Seite befinden. Der Jecke verzichtet auf das Geschäft, da er den Kunden nicht übers Ohr hauen will, indem er die Schachtel einfach umdreht.

Die faire Einstellung im Berufsleben beschwor so manche Tragödie herauf. Ein beschäftigungsloser Immigrant aus Deutschland genierte sich, den Empfehlungsbrief eines bedeutenden Wissenschaftlers zu benutzen, was ihm als eine Art von unlauterem Wettbewerb galt, und verzichtete so auf eine geeignete Position. Dies ist kein Witz, obwohl wir Heutigen dergleichen Ethik kaum mehr verstehen können. Nur wenige der Neuankömmlinge vermochten sich mit der Basar-Mentalität anzufreunden, zunächst einen überhöhten Preis zu fordern, um dann den gewünschten niedrigeren wirklich zu erzielen. Der Konkurrent in der Straße gegenüber war stets preiswerter, da elastischer, und mehr als einer hat später dann das Cafe oder den Laden des Flüchtlings aus Deutschland aufgekauft. Es ist kein Zufall, daß viele Jeckes, die mit einem "Kapitalistenzertifikat" einzuwandern vermocht hatten, später darüber Klage führten, daß man in Palästina ein großes sehr schnell in ein kleines Kapital verwandeln könne. Und so mancher hat seinen Groll - auf englisch, welche Sprache er für eine eventuelle Einwanderung nach Nordamerika gelernt hatte - so zum Ausdruck gebracht: "The US is the land of all possibilities, Palestine the land of all impossibilities."

Auch die aus Deutschland mitgebrachten akademischen und sonstigen Titel, und die höfliche Förmlichkeit ihrer Verwendung, werden im Pionierland Palästina belächelt. Bei einer Kette von Jeckes, die von Hand zu Hand Bausteine weitergeben, vernimmt man nur in endloser Wiederholung: "Bitte schön, Herr Doktor, danke schön, Herr Doktor."

Hierher gehört auch der ungebrochene Glaube der Einwanderer aus Mitteleuropa an die staatlichen Institutionen und ihre bürgerfreundliche Effizienz. Obwohl sie aus den bösen Erfahrungen mit dem Naziregime gelernt hatten, daß der Staat zur totalen Gewaltmaschine werden kann, die dem Bürger keinen Schutz mehr angedeihen läßt (und der infame Begriff der "Schutzhaft" hatte ja fatale Bedeutung erlangt), war man vom Vertrauen in Gesetze, Regierungsverordnungen und Behörden nicht abzubringen, deren Wirksamkeit im britischen Mandatsgebiet längst schon relativiert worden war.
Zwischen 1936 und 1939 kamen viele neue Immigranten aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei (welch letztere zwei man ebenfalls zu den Herkunftsländern der Jeckes zu zählen pflegt), und sie wurden tagtäglich Zeugen von Überfällen arabischer Banden. Trotzdem hielt man an der Illusion fest, von den englischen Beamten, Polizisten und Soldaten, wie dies auch ihre Aufgabe hätte sein müssen, vor dergleichen Unbill geschützt zu werden. Ein junges Einwandererpaar fuhr trotz aller Unruhen und Übergriffe in die arabischen Dörfer, um das Exotische des Landes zu erleben, und sie ließen sich dabei sogar von nicht jüdischen Autobesitzern mitnehmen. Alle Warnungen schlugen die beiden mit dem Hinweis in den Wind: "Was kann uns schon passieren, wir haben doch einen deutschen Paß."

Als wichtigste Barriere im Lebenskampf erwies sich die Unkenntnis des Hebräischen. Deutsch war zwar die Sprache des großen Barden aus Weimar - und auch Theodor Herzls -, aber nicht das Idiom der Juden in Palästina. Goethe und Heine mögen als Dichter unvergleichlich bedeutender als viele hebräisch schreibende Schriftsteller sein, doch halfen ihre geflügelten Worte und Balladen, selbst wenn sie einen Bezug zum Judentum oder zum Orient besaßen, im bitteren Existenzkampf nur wenig.
Es stimmt allerdings keineswegs, daß die Jeckes allgemein kein Iwrith erlernten. Es war dies nicht zuletzt eine Frage des Lebensalters, und die jüngeren sind meist schnell mit der neuen, schwierigen Sprache vertraut geworden. So schwierig, daß auch Henriette Szold, die nicht aus Deutschland kam, bekannt haben soll "Never Ivrith after six."
Doch mag bei den Jeckes ein Teil des Problems darauf zurückzuführen sein, dass man sich mit deutscher Gründlichkeit zunächst auf grammatikalische Regeln zu stützen versuchte (wofür es geeignete Lehrbücher ebenso wenig gab wie die nach der Staatsgründung eingerichteten "Ulpanim") und daß man an sich selbst zu hohe Ansprüche stellte - anstatt flexibel und auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen, umgangssprachliche Kenntnisse zu erwerben.

Auch insoweit gibt es - gelegentlich sogar doppelte Pointen beinhaltende - Witze die Fülle. Ein Neueinwanderer wird gefragt: "Ata mewin?" ("Verstehen Sie?"), und er antwortet, die Frage als nach der Herkunft aus Wien mißverstehend, prompt: "Lo, mi Berlin" ("Nein, aus Berlin").
- Ein Jecke redet einen anderen mit "Herr Professor", dann auf den Hinweis, dies stimme nicht, mit "Herr Doktor" an. Als er erneut berichtigt wird, fragt er ungeduldig, welche Anrede er denn nun gebrauchen solle, und erhält die Antwort: "Nennen Sie mich einfach "Adon", - was indessen (verwechselt mit "Adoni" = "mein Herr") "lieber Gott" bedeutet.

- Die bekannteste Sprachanekdote handelt von einem Neueinwanderer, der in Naharia (wo damals so viele Jeckes lebten, daß es hieß "Naharia bleibt deutsch"*) am Meer die bibelhebräischen, umgangssprachlich nicht mehr gebräuchlichen Hilferufe eines Ertrinkenden "Hoschiuni, hoschiuni" ("Rettet mich, rettet mich") nicht versteht und später bemerkt "Statt Hebräisch hätte er lieber schwimmen lernen sollen."
- Oder: "Schämen Sie sich denn gar nicht, daß Sie nach so langer Zeit noch kein Hebräisch gelernt haben?" "Schämen tue ich mich schon, aber das ist ja leichter als sich eine so schwere Sprache anzueignen."

Gerade die letzte Geschichte zeigt, daß bei den Anekdoten über die Jeckes, wie stets im jüdischen Witz, auch die Selbstironie eine gewichtige Rolle spielt. Vieles spricht dafür, daß ein guter Teil der Geschichten über sie von den Jeckes selbst ersonnen worden sind. Heute sind sie und ihre Nachkommen gut integriert, und ihre entscheidend wichtige Rolle beim Aufbau und Bau des Staates Israel ist unbestritten und allseits anerkannt. Wenn das Wort Jeckes anfänglich negativ besetzt gewesen sein mag, so ist es heute, wie dies sogar der Oberste Gerichtshof in Jerusalem vor einigen Jahren ausdrücklich feststellte, zum Kompliment geworden. Die Probleme der Jeckes in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren beginnen sich nostalgisch zu verklären, obwohl es in der Tat sehr akute und an den Grund der Existenz gehende Probleme gewesen sind. Im Humor leben sie teilweise weiter.

Anm. (Red.): Eine (von vielen) andere Erklärung führt den Ausdruck auf das hebr. medujak = genau, pünklich, exakt zurück. ledajek = auf Genauigkeit achten

*als Protest auf die 1947 beschlossene Landaufteilung, nach der Naharijah zum arabischen Teil Palästinas gehört hätte

Quelle: "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 von Shmuel Bahagon, zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 20-03-2008


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